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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0196

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313

1898.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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überall als die Schmerzenreiche aufgefafst ist,
die entweder als ein Bild erschütternder Seelen-
angst oder heiligster Ergebung den Kreuzes-
weg mit dem Sohne wandelt, ganz eng mit
ihm zur Einheit der „passio" und der „com-
passio" verbunden, sind die beiwohnenden
Heiligen behandelt als die Vertreter der erlösten
Menschenseele, in deren Frieden das Geheini-
nifs erleuchtend und entflammend seinen Strahl
wirft. Sinnend, empfindend, bewundernd, an-
betend folgen sie dem göttlichen Drama, das
vor ihren Augen sich abspielt.

Als ein Beispiel mag die Verspottung dienen,
die zugleich auch am besten zeigt, wie der
Künstler das geschichtliche Ereignifs nicht um
seiner selbst willen schildert, sondern nur als
den wirkenden Hintergrund des leidenden
Gottes, der das in wechselnden Szenen sich
vollziehende Leiden in seiner Person stets
ganz und in seiner ganzen Unermefslichkeit
darstellt. In schmerzverklärter Schönheit und
■ Majestät sitzt er da, so einsam und feierlich
wie auf dem Throne der Ewigkeit. Darum
durfte die Binde sein Antlitz nicht verhüllen,
das alle nach Versöhnung und Frieden lech-
zenden Herzen mit mildem Erbarmen auf-
richten wird. Das Rohrscepter und den Reichs-
apfel gaben sie ihm höhnisch in die Hände;
aber er trägt sie mit feierlicher Hoheit, denn
es sind die wirklichen Abzeichen seines im
Leiden sich vollendenden Königthums. Und unten
auf den Stufen die mater dolorosa I.Ihre mütter-
liche Liebe kann das Schauspiel der Mifshand-
lung nicht ertragen und hat deshalb das Ge-
sicht weggewandt und wehrt mit der Rechten
dem entsetzlichen Anblick. Das Auge wie
verloren in den endlosen Gedanken dieses
Leidens, duldet sie es heldenhaft in ihrem
Innern mit, nicht verzehrt von brennendem
Schmerze oder ohnmächtig zusammensinkend,
wie die giotteske Schule es liebte, sondern mit
Ergebung das Haupt leicht auf die linke Hand
stützend. Wie verschieden davon ist der hl. Do-
minikus, eine Figur von unvergänglichem Reize!
Ob je ein Pinsel das Bild eines meditirenden
Mystikers schöner wiederzugeben vermag? Die
leichte urid elastische Haltung, die geschmei-

v. Siena), begreift sich von selbst. Dafs ferner in den
figurenreichen Kompositionen der Höllenfahrt (Zeile31),
Bergpredigt (Zelle 32) und des Verraihes (Zelle 88)
jeder Zuschauer fehlt, erklärt sich aus der Enge des
Raumes.

digen Hände, die vollen Formen des Jünglings-
kopfes spiegeln in dem Ahnherrn des Prediger-
ordens die nimmer verblühende Jugend einer
keuschen Seele wieder.*1) Hellstes Licht um-
fluthet Jesu Gestalt und spielt auch um den
mystischen Denker. Aus dem Buche, das auf
seinen Knieen ruht, ist ihm eben eine grofse
Wahrheit aufgeleuchtet und wirft auf sein An-
gesicht den Wiederschein tiefen, aber sanften
Ernstes. Ganz in sie möchte der Geist sich
versenken, aber sie ist unermefslich, denn sie ist
das Leidensmysterium eines königlichen Herzens.
Warum doch sinnt der Heilige so lange, lange
an den Stufen dieses Thrones der Schmach?

Wenn in diesem Augenblicke der Beato, die
Kapuze tief über das Haupt gezogen, wie ihn
das Grabmal in S. Maria sopra Minerva zeigt,
in die Zelle träte und unsere Frage hörte,
würde ein seliges Lächeln über die hageren
Züge gleiten und er würde den Finger an den
Mund legend flüstern: Es sind meine weifsen
Brüder, die, so lange der Orden blüht, und
S. Marco steht, betrachten und mit Herzens-
gluthen umfassen sollen ihren sterbenden Er-
löser. Darum habe ich hingestellt an die Orte
seines Leidens unsere grofsen Leuchten und
Vorbilder: S. Dominikus den süfsen Vater,
S. Petrus den Blutzeugen, S. Thomas den Lehrer;
die Helden der Bufse Hieronymus und Magda-
lena;42) Johannes48) und Martha, die Ideale der
kontemplativen und werkthätigen Liebe; die
hl. Katharina, die Schirmerin unserer Wissen-
schaft, und auch — und hierbei würde sein
Auge aufstrahlen — die wunderbare Jungfrau
von Siena, welche Mutter und Geistesführerin
war unserer jungen Kongregation von Toskana.

41) Seine ihres Könnens sich bewufste Kunst ver-
schmäht in S. Marco stets das Liliensymbol (eine durch
den besonderen Zweck begründete Ausnahme, s. oben
Anm. 17) und drückt die Keuschheit durch engelgleiche
Jugend aus.

4-) Der hl. Katharina war durch Jesus und Maria
die hl. Magdalena als „Lehrerin und Mutter" zuge-
wiesen worden (Antoninus »Chron. opus« P. III
Tit. XIII c. X §. 1 pag. 694). Katharina spricht mit
lebhafter Begeisterung von der „süfsesten Magdalena",
die „aus Liebe von Sinnen" ist. (»Le lettere di S. Ca-
terina da Siena«, Ed. N. Tommaseo, Firenze 1860,
lett. 61 [I. 264]). Antoninus handelt in einem
ganzen Briefe über sie (Lett. VIII, B i s c i o n i pag. 224
bis 226).

43) Antoninus Lett. III (Biscioni pag. 194)
bezeugt die besondere Verehrung für den Evangelisten,
„den Adler, den grofsen Johannes".
 
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