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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0210

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335

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

336

Abschiedsmahle um den Herrn versammelt
haben, die charakteristischen kleinen rund-
bogigen Fenster gibt, und durch sie auf den
gegenüberliegenden Flügel mit den Zellen sehen
läfst, kennzeichnet er ihn als einen Saal in
S. Marco. Die Halle, in der Maria auf beiden
Gemälden den Erzengel empfängt, ist der Kreuz-
gang des Klosters. Die in scharfen Gräten ge-
führten Kreuzgewölbe, die jonischen Säulen,36)
der Rasen des Gartens neben ihnen, die sehr
eigenartig gebildeten Gewölbekonsolen, die
schmale Zellenthüre im Hintergrunde sind dem
schlichten, aber in den fein empfundenen Ver-
hältnissen der Frührenaissance aufgeführten Baue
Michelozzos entnommen.87) Bei den anderen
Bildern duldete der geschichtliche Hergang
nicht, sie in die heimische Umgebung zu ver-
setzen. Sollte nun in jenem Verfahren nichts
anderes, als eine einfache Anlehnung an archi-
tektonische Vorbilder, die der Künstler täglich
vor Augen hatte, liegen ? Es steht vielmehr zu
vermuthen, dafs er auf diese Weise im Geiste
der hl. Katharina die vollkommene Verwebung
der Glaubensgeheimnisse mit dem innern Leben
seiner Ordensgenossen andeuten wollte.38) Auch
sie sollten ja alle Tage am „Tische des heiligen
Kreuzes" das „Brod der Engel" geniefsen.
Maria bewohnt eine Zelle gleich den ihrigen,
als der Sohn Gottes in ihr Fleisch wird und
seinen Kreuzesgang antritt, weil mit ihrer Em-
pfängnifs zugleich auch jeder mystischen Seele
das „Edelreis" des höheren Lebens einge-
pfropft wird.89)

36) Auf der Verkündigung des Korridors hat frei-
lich die vordere Reihe der Säulen korinthische Kapi-
tale. Die Kompostion bewog den Maler, statt des
einfachen Kreuzganges eine nach zwei Seiten offene
Loggia zu wählen. Da sich hierfür kein Vorbild in
S. Marco fand, durfte er die Säulen auf der einen
Seite frei erfinden.

37) Maichese »Sunto storico« (Scritti vari 1,44)
behauptet allerdings, der Klosterhof sei ursprünglich
gewesen „senza ornamento delle colonne, che stimo
aggiuntevi nel secolo XVI". Er bringt jedoch keinen
Beweis. Die Annahme einer nachträglichen Einwölbung
scheint mir aus bautechnischen Gründen fast undenkbar
zu sein. Und woher sonst die schlagende Ueberein-
»timmung mit der Architektur auf den Gemälden A.'s?

3S) So erklären sich auch wohl die plumpen, durch
ihre Unform nicht wenig den ästhetischen Genufs
störenden Stühle auf den Bildern. Es waren vermuth-
lich die im Kloster gebräuchlichen.

39) Leu. LXXVII (II, 80): „Hai (o Gott) voluto
fare un innesto di te in me. Questo fu quando semi-
nasti la Parola tua nel campo di Maria." Vgl. auch
lett. CXXXVIII (II, 358).

„Eingepfropft in den Baum des Lebens."40)
So könnte man als Titel über der grofsen
Kreuzigung des Kapitelsaales schreiben, wo
zwanzig, Heilige unter dem Kreuze versammelt
sind und in dem unteren Friese S. Dominikus
den Stammbaum seines geistigen Geschlechtes
hält, der in den Heiligen und Seligen des
Ordens seine Blüthen getrieben hat. Die spätere
italienische Malerei liebte es, Heilige um den
Thron der Madonna zu gruppiren, und nannte
es eine „santa conversazione". Fiesole hat eine
solche im Sinne der Kreuzesmystik geschaffen.
Auch Katharina von Siena spricht von einer
„conversazione della santissima croce", zu der
sich die Liebhaber des Gekreuzigten vereinigen
müssen.41) Hier sehen wir sie vor uns. Es
geht ein grofser Zug, ein zwar ruhiges, aber
für Angelico ungewöhnliches Pathos durch das
Bild. Hoch ragt auf dem düstern, einfarbig
gehaltenen Hintergrunde der Crucifixus zwischen
den Schachern auf, und durch die heiligen
Männer und Frauen zu seinen Füfsen wallt eine
starke innerliche Erregung. Das von Blut über-
flossene Kreuz theilt das Gemälde in zwei
Hälften, von denen jede ihre eigenartige Be-
deutung hat.

Rechts sind alle die erlauchten Vertreter des,
Mönchslebens: knieend Dominikus,Hieronymus,
Franz von Assisi, Bernhard, Romuald, Petrus
Martyr; stehend Basilius, Augustinus, Benedikt,
Johannes Gualbertus, Thomas von Aquin. Der
Stifter der Predigerbrüder eröffnet die Schaar,
seine beiden gröfsten Söhne beschliefsen sie,
in der Mitte die Begründer aller grofsen Ordens-
familien. 42) Eine Sonderung dieser Figuren
in einzelne Gruppen hätte den Gedanken des
Künstlers, der das Ordenswesen als eine ge-
sammte, einheitliche, von der einen Idee des
Kreuzes beseelte Erscheinung darstellen wollte,
beeinträchtigt. Darum begnügte er sich mit

40) Lett. LXXVII (II, 80).

41) Lett. LXVII (II, 87): „Piglia e studiasi di
pigliare la conversazione della santissima croce, e con
tutti quelli servi di Dio che sono amatori di Cristo
crocifisso" Aehnlich lett. LXXIX (II, 89). Anto-
ninus 1. c. c XLI § 2: „Juxta crucem vero stant
omnes electi, qui ut membra Christi carnem suam
crucifixerunt."

l2) Alle Neuern verkennen diesen Thatbestand, den
noch Vasari, aus guter Tradition schöpfend, betont
(II, 507: „Tutti i Santi che sono stati capi e fonda-
tori di religioni"). Darum haben au> h alle in der
Erklärung einzelner Figuren fehlgegriffen. S. die fol-
genden Anmerkungen.
 
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