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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Schönermark, Gustav: Der Kruzifixus und die ersten Kreuzigungsdarstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0076

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101

190Ö. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

102





Brustkreuz in Monza und doch realistisch
aufgefaßt sind, also dem dargelegten Werde-
gange zu widersprechen scheinen.

Zuerst kommt der sogenannte Spott-
kruzifixus des Museo Kircheriano zu Rom
in Betracht. Es ist eine rohe Zeichnung etwa
aus dem III. Jahrh., eingeritzt in den Putz
eines Sklaven- oder Dienergemachs der pala-
tinischen Kaiserpaläste. Sie stellt einen Ge-
kreuzigten mit Esels- oder Pferdekopf dar;
ein Mann links da-
neben steht, eine Hand
erhebend, zu ihm in
Beziehung. Eine Bei-
schrift lautet: AAEXA-
MEJSOC CGBE TE
0EON (Alexamenos
betet dich Gott an).
Trotz dieser Schrift ist
die Deutung der Dar-
stellung, z. B. ob es
sich nach bisheriger
Annahme um eine Ver-
spottung des Christen-
gottes handelt, nicht
gewiß. Wir führen
dieses frühe Beispiel
einer realistisch wieder-
gegebenen Kreuzigung
der Vollständigkeit
wegen an, wiewohl es
besonderen Wert hier
nicht haben kann.

Anders das Relief
einer Türfüllung
der S. Sabina auf dem
Aventin in Rom aus
demV. Jahrh. (Abb. 3.)
Es stellt Christus und

die Schacher vor der Stadtmauer Jerusalems
so gekreuzigt dar, wie wirklich gekreuzigt
wurde, alle unbekleidet bis auf ein schmales
Lendentuch und an den Füßen ungenagelt.
Daß Christus, die Hauptperson, größer als die
Schacher gehalten ist, hat keine Bedeutung,
da sich darin nur die Gepflogenheit der Verfalls-
zeit römischer Kunst, eine Person hervorzuheben,
kenntlich macht. Hätte hier die Hauptlehre
der Christen, also der Kruzifixus, dargestellt
werden sollen, so wäre das Relief wohl nicht
in gleicher Weise behandelt wie die übrigen
Türfüllungen, die gleichfalls biblische Szenen
wiedergeben, sondern es wäre durch Platz,

Abb. 2. Ölfläschehen im Domschatze zu Monza.

Größe usw. hervorgehoben und durch Beigaben,
die auf einen liturgischen Zweck hindeuten,
gekennzeichnet worden. Es ist aber nur die
einfache geschichtliche Tatsache in knappster
Weise geschichtstreu veranschaulicht, und durch
Platz, Einordnung und Behandlung wird dieses
Relief gleich den«n der übrigen Türfüllungen
zu einem Stücke der biblia pauperum, die das
Ganze für die Analphabeten bildete.

Noch weniger zweifelhaft tritt der nicht
liturgische Charakter
an einem Elfenbein-
relief des V. Jahrh.
hervor, welches mit drei
anderen einem Käst-
chen angehört haben
wird und sich jetzt im
britischen Museum be-
findet. (Abb. 4.) Der
Gekreuzigte ist wieder-
um bis auf ein schmales
Lendentuch nackt, aber
durch den Titulus auf
einer Platte über seinem
Haupte als HEX IVD
(eorum) gekennzeich-
net. Auch hier sind die
Füße nicht genagelt.
Ob die Figur in starker
Bewegung unter seiner
Linken Longinus, der
Speerhalter, sein kann,
dem der Speer aller-
dings jetzt fehlt, sei
dahin gestellt, in den
beiden Figuren unter
seiner Rechten haben
wir Johannes den Täu-
fer und Maria zu er-
blicken. Es ist hier durch Zufügung dieser
drei Personen, die bei der Hinrichtung zu-
gegen waren, offenbar eine größere Aus-
führlichkeit in der Darstellung des Vorganges
beabsichtigt. Es ist aber ausgeschlossen,
hier an ein liturgisches Bild zu denken, weil
ungetrennt von dieser Szene links neben ihr
auf derselben Tafel noch das widerliche Bild
des Judas Ischariot zu sehen ist, wie er sich
an einem Baume erhängt hat, während unter
ihm auf dem Boden der Beutel liegt, dem die
Silberlinge entrollen. Die Vereinigung dieser
Szenen erlaubt nur an eine erzählende, nicht
an eine gottesdienstliche Absicht bei der Her-
 
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