1910. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. *•
Nasen, die eckigen Backenknochen sind eher
zeichnerisch akzentuiert als mit malerischen
Mitteln zu voller Rundung durchgebildet.
Zur Deutung der ganz vereinzelt dastehen-
den Assistenz der Himmelskönigin bei der
Eröffnung der sieben Siegel liest man ver-
gebens die Aufschriften der Spruchbänder.
Sie preisen den Weltrichter als ewig und all-
mächtig, als den Schöpfer der Dinge. Auf
dem Bandstreifen in Händen des blaugeklei-
deten, blondlockigen Engels steht: .Sanctus
matheus. Sanctus dominus deus om7iipotens,'
der Spruch wiederholt sich beim Stier des
Lukas. Der Löwe des Markus und der schwarze
Adler des Johannes reden wiederum gleicher-
maßen: ,Sancius sanctus qui es et qui eras et
qui ventmus es.' Die beiden von oben herab-
hangenden Schriftrollen machen den Lob-
gesang der vierundzwanzig Ältesten deutlich :
,Dignus es domine deus noster accipe gloriam et
honorem et virtulem quia tu creasti omnia'
{Apok. IV, u.) und: ,Dignus es domine accipe
hbrum et aperire signacula eins.' (Apok. V, o.)
Man muß sich mit der Auskunft begnügen,
daß Maria als Teilnehmerin am Erlösungs-
werk des Lammes und als Fürsprecherin in
den Zusammenhang aufgenommen ist.4)
Auch zur Einordnung in künstlerische Ent-
wicklungsreihen läßt sich das Gemälde nicht
ohne weiteres mit Verwandtem zusammenlegen.
Die Vision des Evangelisten Johannes im
Kölner Museum Nr. 124, eine Stiftung des
Hermann Scherffgyn (Schreinmeister zu Niede-
nch)6) und seiner Frau Bela Hirsch genannt
von der Landskrone weicht in Formengebung
und Farbengeschmack, der schwulstigen Ge-
wandbehandlung und besonders dem ent-
wickelten Sinn für die landschaftliche Natur
) Der Hinweis auf Apok. 12,1 „ein großes Zeichen
am Himmel, ein "Weib mit der Sonne bekleidet, den
Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupte eine
Krone mit zwölf Sternen", kann die Deutung nicht
ordern, da die angegebenen Merkmale sämtlich fehlen.
Vergl. Stephan Beissel S. J.: »Geschichte der
Verehrung Marias in Deutschland während des Mittel-
alters.« (Freiburg 1909), der aus der Sammlung
..Wagen des Heils" (Biga salutis 1499) den Entwurf
der Predigt eines Franziskaners auf Mariae Himmel-
fahrt mit Bezugnahme auf die geheime Offenbarung
mitteilt. S. 508.
) Bruno Kuske: „Die Handelsbeziehungen
zwischen Köln und Italien im späteren Mittelalter",
(»Westd. Zeitschrift« 27. Jahrg. [1908] S. 339 ff.)
Publiziert dessen Siegel mit dem Abdruck einer antiken
Gemme an der Rückseite (1449 Mai 7).
in mattem Grün und graulichem Duft zu er-
heblich ab, als daß der Vergleich verwandter
Gegenstände faßbare Resultate ergäbe. Bei
dieser Votivtafel scheinen oberrheinische Ein-
flüsse wirksam.6)
Unser strenger Figurenmaler verzichtet auf
die Vorführung irdischer Sphären. Bei einem
Produkt der Kölner Schule aus dem ersten
Dezennium nach Mitte des XV. Jahrh. fällt es
auch auf, daß nirgends Spuren der Kunst
Stephan Lochners zu bemerken sind. Den harten
eckigen Gestalten fehlt selbst bei der Verbild-
lichung des himmlischen Lobgesanges dessen
naive Anmut und jugendlicher Frohsinn. Ein-
zelne Bildungen, z. B. die schmalen mageren
Hände der Madonna erinnern an Roger van
der Weyden; doch sind die Beziehungen zur
richtunggebenden vlämischen Darstellungsweise
nicht enger wie bei primitiven deutschen
Stichen.
Auch die malerische Durchführung ent-
spricht bei härterem Ton und der zähen
Konsistenz der Farben im allgemeinen der
niederländischen Öllasurtechnik.
Solche Beobachtungen ergeben aber noch
keine ausreichenden Beweisgründe, das Bild
aus dem heimischen Denkmalbestand auszu-
scheiden. Als Werk des Überganges, als
Zeugnis für die beginnende Vorherrschaft des
niederländischen Realismus gehört es vielmehr
an einen Wendepunkt der Entwicklung. Der
Gesamtcharakter fügt sich zwanglos dem Wesen
der Kölner Schule ein. Deutliche Fäden
reichen bis zum Urheber der Lyversberger
Passion, den Meistern des hl. Bartholomaeus
und von St. Severin. In ähnlicher Weise findet
man schon hier jene Überlastung an sprechen-
den Motiven und eine Charakteristik, die so
oft Hoheit, Macht und Würde durch über-
triebene Härten oder die Kennzeichen greisen-
haften Verfalls nahezubringen versuchte..
Bonn.
E. Fi r menich-Richartz.
6) Auf einem oberrheinischen Gemälde (Museum zu
Basel Nr. 473) bez. I M (Jesus, Maria?) 1457 vollzieht
die hl. Dreifaltigkeit die Krönung Maria. Diegesonderten
Abteilungen des kreisförmigen Rahmens nehmen Engel-
chöre ein; in einem äußeren Ringe sind Könige,
Apostel, Märtyrer, Witwen, Eheleute, Jungfrauen,
Priester, Propheten und Patriarchen dargestellt, in den
Ecken die Evangelistc nsymbole. Diese Tafel, die
früher irrig der niederrheinischen Schule zugeteilt wurde,
steht auf ganz anderer Stilstufe. — L. Scheibler,
»Die hervorragendsten anonymen Meister und Werke
der Kölner Malerschule.> (Bonn 1880.) S. 43.
Nasen, die eckigen Backenknochen sind eher
zeichnerisch akzentuiert als mit malerischen
Mitteln zu voller Rundung durchgebildet.
Zur Deutung der ganz vereinzelt dastehen-
den Assistenz der Himmelskönigin bei der
Eröffnung der sieben Siegel liest man ver-
gebens die Aufschriften der Spruchbänder.
Sie preisen den Weltrichter als ewig und all-
mächtig, als den Schöpfer der Dinge. Auf
dem Bandstreifen in Händen des blaugeklei-
deten, blondlockigen Engels steht: .Sanctus
matheus. Sanctus dominus deus om7iipotens,'
der Spruch wiederholt sich beim Stier des
Lukas. Der Löwe des Markus und der schwarze
Adler des Johannes reden wiederum gleicher-
maßen: ,Sancius sanctus qui es et qui eras et
qui ventmus es.' Die beiden von oben herab-
hangenden Schriftrollen machen den Lob-
gesang der vierundzwanzig Ältesten deutlich :
,Dignus es domine deus noster accipe gloriam et
honorem et virtulem quia tu creasti omnia'
{Apok. IV, u.) und: ,Dignus es domine accipe
hbrum et aperire signacula eins.' (Apok. V, o.)
Man muß sich mit der Auskunft begnügen,
daß Maria als Teilnehmerin am Erlösungs-
werk des Lammes und als Fürsprecherin in
den Zusammenhang aufgenommen ist.4)
Auch zur Einordnung in künstlerische Ent-
wicklungsreihen läßt sich das Gemälde nicht
ohne weiteres mit Verwandtem zusammenlegen.
Die Vision des Evangelisten Johannes im
Kölner Museum Nr. 124, eine Stiftung des
Hermann Scherffgyn (Schreinmeister zu Niede-
nch)6) und seiner Frau Bela Hirsch genannt
von der Landskrone weicht in Formengebung
und Farbengeschmack, der schwulstigen Ge-
wandbehandlung und besonders dem ent-
wickelten Sinn für die landschaftliche Natur
) Der Hinweis auf Apok. 12,1 „ein großes Zeichen
am Himmel, ein "Weib mit der Sonne bekleidet, den
Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupte eine
Krone mit zwölf Sternen", kann die Deutung nicht
ordern, da die angegebenen Merkmale sämtlich fehlen.
Vergl. Stephan Beissel S. J.: »Geschichte der
Verehrung Marias in Deutschland während des Mittel-
alters.« (Freiburg 1909), der aus der Sammlung
..Wagen des Heils" (Biga salutis 1499) den Entwurf
der Predigt eines Franziskaners auf Mariae Himmel-
fahrt mit Bezugnahme auf die geheime Offenbarung
mitteilt. S. 508.
) Bruno Kuske: „Die Handelsbeziehungen
zwischen Köln und Italien im späteren Mittelalter",
(»Westd. Zeitschrift« 27. Jahrg. [1908] S. 339 ff.)
Publiziert dessen Siegel mit dem Abdruck einer antiken
Gemme an der Rückseite (1449 Mai 7).
in mattem Grün und graulichem Duft zu er-
heblich ab, als daß der Vergleich verwandter
Gegenstände faßbare Resultate ergäbe. Bei
dieser Votivtafel scheinen oberrheinische Ein-
flüsse wirksam.6)
Unser strenger Figurenmaler verzichtet auf
die Vorführung irdischer Sphären. Bei einem
Produkt der Kölner Schule aus dem ersten
Dezennium nach Mitte des XV. Jahrh. fällt es
auch auf, daß nirgends Spuren der Kunst
Stephan Lochners zu bemerken sind. Den harten
eckigen Gestalten fehlt selbst bei der Verbild-
lichung des himmlischen Lobgesanges dessen
naive Anmut und jugendlicher Frohsinn. Ein-
zelne Bildungen, z. B. die schmalen mageren
Hände der Madonna erinnern an Roger van
der Weyden; doch sind die Beziehungen zur
richtunggebenden vlämischen Darstellungsweise
nicht enger wie bei primitiven deutschen
Stichen.
Auch die malerische Durchführung ent-
spricht bei härterem Ton und der zähen
Konsistenz der Farben im allgemeinen der
niederländischen Öllasurtechnik.
Solche Beobachtungen ergeben aber noch
keine ausreichenden Beweisgründe, das Bild
aus dem heimischen Denkmalbestand auszu-
scheiden. Als Werk des Überganges, als
Zeugnis für die beginnende Vorherrschaft des
niederländischen Realismus gehört es vielmehr
an einen Wendepunkt der Entwicklung. Der
Gesamtcharakter fügt sich zwanglos dem Wesen
der Kölner Schule ein. Deutliche Fäden
reichen bis zum Urheber der Lyversberger
Passion, den Meistern des hl. Bartholomaeus
und von St. Severin. In ähnlicher Weise findet
man schon hier jene Überlastung an sprechen-
den Motiven und eine Charakteristik, die so
oft Hoheit, Macht und Würde durch über-
triebene Härten oder die Kennzeichen greisen-
haften Verfalls nahezubringen versuchte..
Bonn.
E. Fi r menich-Richartz.
6) Auf einem oberrheinischen Gemälde (Museum zu
Basel Nr. 473) bez. I M (Jesus, Maria?) 1457 vollzieht
die hl. Dreifaltigkeit die Krönung Maria. Diegesonderten
Abteilungen des kreisförmigen Rahmens nehmen Engel-
chöre ein; in einem äußeren Ringe sind Könige,
Apostel, Märtyrer, Witwen, Eheleute, Jungfrauen,
Priester, Propheten und Patriarchen dargestellt, in den
Ecken die Evangelistc nsymbole. Diese Tafel, die
früher irrig der niederrheinischen Schule zugeteilt wurde,
steht auf ganz anderer Stilstufe. — L. Scheibler,
»Die hervorragendsten anonymen Meister und Werke
der Kölner Malerschule.> (Bonn 1880.) S. 43.