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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Wurm, Alois: Eine Alternative in Sachen Fra Angelicos
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0021

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1910. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST —.Nr. 1.

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und feststehend, wenigstens in dieser Technik.
Es wird ihm niemals gegeben sein, etwa den
Ausdruck der Andacht oder der kindlichen Rein-
heit schlicht und wahr aus der Seele steigen zu
lassen, in eine Hand ein wenig echtes Leben
zu bringen usw. In der angezogenen Predella
zu Cortona tritt mir dagegen an allen Ecken
und Enden ein lebendiges Werden und Wollen
entgegen. In der Londoner Predella ist alles
ein für allemal erledigt. Dieser Eindruck ist
für mich geradezu zwingend.

3. Auf minder subjektiven Boden gelangen
wir mit dem dritten Punkte. Auf der Fiesolaner
Altartafel hält die Madonna ein nacktes Kind.

den Altar gestellt. Dazu kommt nun noch
ein anderes: Stellung und Geste des Jesus-
kindes.6) Es läßt sich gerade in diesem
Punkte die Entwicklung von der Strenge, die
sich erst im Perugia-Altar etwas lockert, zur
größeren Freiheit verfolgen. Nun ist zu sagen:
das entwickeltste Motiv zeigt gerade der Fieso-
laner-Altar: wie das Kind strampelnd, mit beiden
Händen langend, nach einer Blume greift, die
ihm die Mutter hinhält. Es will mir in keiner
Weise glücken, ein derartig genrehaftes Motiv,
das bei Angelico überhaupt kein Analogon hat,
in dessen früher Zeit, oder auch nur vor dem
Perugia-Altar unterzubringen. Man braucht

Teilstück der Predella des Altarbildes von S. Domenico bei Fiesole in der Nationalgalerie zu London.

Die Entfernung des Lendenschleiers durch
Lorenzo di Credi betont zwar Wingenroth mit
einiger Absichtlichkeit. Aber auch so paßt
diese Erscheinung nicht in die Entwicklung
des angelesken Altarbild es.5) Noch indem
Altar zu Cortona (Madonna mit Heiligen) ist
das Kind zur Hälfte mit einem Schleier fest
umwickelt. Erst im Altarbild zu Perugia (1437)
wird der Schleier ganz klein und durchsichtig.
Ein Zurückgreifen auf die Bekleidung ist auch
später sehr leicht denkbar und auch tatsäch-
lich erfolgt (s. die Madonna im Korridor von
ö. Marco). Dagegen erscheint es sehr gewagt,
anzunehmen, Angelico habe bereits in der
frühen Fiesole-Zeit ein fast nacktes Kind auf

6) Es braucht kaum betont zu werden, daß die Ent-
wicklung der Altartafel in diesem wie in anderen Punkten
verschieden ist von der des privaten Andachtsbildes.

nun aber aus der Zeit von 1437—1440 nur
einige Werke von Angelicos Hand den Figuren
des Fiesolaner-Altars gegenüberzustellen, um
die Annahme einer ungefähr gleichzeitigen
Herstellung durch den Meister selbst ohne
weiters auszuschließen. Muß aber der Altar
gleichwohl spät angesetzt werden, so kann er
eben überhaupt nicht von Angelico herrühren.
Derlei Gründe ließen sich häufen. Ich verzichte
darauf. Der Zweck dieser Zeilen ist ja nur,
diejenigen unter den Kunstgelehrten, die sich
für eine befriedigende Lösung dieser schwierigen
Probleme interessieren, etwas nachdenklich
zu machen.

München. Alois Wurm.

6j Sehr gut entwickelt bei Douglas,
(London 1902 S. 63 ff.)

»Fra Angelico«
 
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