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1910.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.
86
Leuchter. Darum stehen Bischöfe und Mönche.
In den Wolken sieht man Maria mit dem Kinde
vor der Brust. Es ist die Darstellung, die man
Platytera nennt. Darum schweben sechs Engel.
In dem Handbuche der Malerei vom Berge
Athos (übersetzt von Schäfer) werden diese
Darstellungen auch erwähnt. Schäfer übersetzt
Oikos mit Haus und meint, es hieße das Station
oder Kapelle. Das ist entschieden nicht richtig,
da es sich um Strophen eines Hymnus handelt.
Die Beschreibungen in dem Buche stimmen
in der Hauptsache mit dem Kupferstiche
überein. Die Verschiedenheiten sind folgende:
Bei 5 ist noch ein kleines Kind er-
wähnt, und. ein Maultier, was beides
nicht viel Bedeutung hat. 12 ist so
gegeben, wie es dem Ausdrucke Hypa-
pante entspricht. 16 ist ganz anders.
Es ist folgendes beschrieben: Christus
sitzt auf einem Throne und segnet. Über
ihm ist der Himmel und alle Chöre
der Engel, welche staunen und zu ihm
auf- und niedersteigen. In 20 ist nichts
von dem Tische mit dem dreiarmigen
Leuchter erwähnt. Ebenso steht bei 24
nichts von dem siebenarmigen Leuchter.
Zur riäheren Erläuterung füge ich hier die An-
fangsworte jeder Strophe nach der Übersetzung,
die Maltzew in seinem Andachtsbuche gibt, bei:
1. Der unter der ersten stehende Engel
ward vom Himmel gesandt -zu sagen
der Gottesgebärerin: Freue Dich usw.
2. Da die Heilige sich selbst in Unschuld
sah, sprach sie freimütig zu Gabriel: Das
Unglaubliche Deiner Rede scheint mir
unannehmbar.
3. Die unerkennbare Erkenntnis zu er-
kennen, sagte die Jungfrau usw.
4. Die Kraft des Allerhöchsten überschattete
damals usw.
5. Nachdem sie im Mutterschoße Gott
empfangen, eilte die Jungfrau zu Elisabeth.
6. Den Wogenschwall zweifelnder Gedanken
im Innern habend, war der weise Joseph
bestürzt usw. und argwöhnte.
7. Es- vernahmen die Hirten von den lob-
sirigenden Engeln usw.
8. Den zu Gott eilenden Stern betrachtend,
folgten die Magier.
9. Es sahen die Söhne der Chaldäer usw.
10. Die zu gotttragenden Verkündigern ge-
wordenen Magier kehrten nach Babylon
zurück.
11. Indem Du strahlen ließest um Ägypten
die Erleuchtung der Wahrheit, verfolgtest
Du das Dunkel der Lüge.
12. Als Simeon im Begriff war, aus dem
gegenwärtigen trügerischen Zeitalter in
das Jenseits versetzt zu werden, wurdest
Du ihm als Säugling übergeben.
13. Eine neue Schöpfung zeigte uns der
Schöpfer, aufblühend aus dem Menschen-
schoß.
14. Der erhabene Gott erschien auf Erden
als demütiger Mensch.
15. Gänzlich war bei den Unteren, von den
Oberen durchaus nicht entfernt, das un-
beschreibliche Wort.
16. Die ganze Natur der Engel staunte über
das große Wunder der Menschwerdung.
17. Die Wortreichen verstummen wie Fische
über Dich, Gottesgebärerin.
18. Da der Ordner der Welt des Alls die
Welt erlösen wollte, kam er in eignem
Auftrage zu derselben.
19. Eine Mauer bist Du der Jungfrauen.
20. Kein Lobgesang, der sich bemüht, sich
darzulegen, kommt gleich der Fülle
Deiner Erbarmungen.
21. Als lichtbringenden Leuchter, welcher
den in der Finsternis befindlichen glänzt,
sehen wir die hl. Jungfrau.
22. Indem der Schuldentilger aller Menschen
Gnade geben wollte für die Schulden
der Vorzeit, ward er deshalb heimisch
bei denen, welche den Himmel seiner
Gnaden verlassen hatten.
23. Indem wir Dein Kind besingen, preisen
wir Dich als beseelten Tempel.
24. 0 allbesungene Mutter, die Du das
heiligste Wort aller Heiligen geboren,
erlöse jetzt, die Darbringung annehmend,
alle von allem Unglück.
Wenn man den Text mit meinem Kupfer-
stich vergleicht, so sieht man, daß die Vari-
anten gegenüber dem Malerbuche die Stellen
ebenso gut erklären, als letzteres. Manchmal
sind die Darstellungen vereinfacht, und da-
durch leichter erkennbar. In vielen Kirchen
wird der Hymnos dargestellt, und noch oft
finden sich Varianten. Es ist das ein Beweis, daß
die byzantinische Kunst gar nicht so stereotyp
gearbeitet hat, als man es meist annimmt.
Der Kupferstich, von dem ich hier ge-
sprochen habe, ist vielleicht kein großes Kunst-
werk. Aber dadurch, daß er den Niederschlag
einer vielhundertjährigen Gedanken-Entwick-
lung bedeutet, gewinnt er an Interesse. Und
dem aufmerksamen Betrachter erzählt er un-
endlich viel von alter christlicher Kunst.
Johann Georg, Herzog zu Sachsen.
1910.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.
86
Leuchter. Darum stehen Bischöfe und Mönche.
In den Wolken sieht man Maria mit dem Kinde
vor der Brust. Es ist die Darstellung, die man
Platytera nennt. Darum schweben sechs Engel.
In dem Handbuche der Malerei vom Berge
Athos (übersetzt von Schäfer) werden diese
Darstellungen auch erwähnt. Schäfer übersetzt
Oikos mit Haus und meint, es hieße das Station
oder Kapelle. Das ist entschieden nicht richtig,
da es sich um Strophen eines Hymnus handelt.
Die Beschreibungen in dem Buche stimmen
in der Hauptsache mit dem Kupferstiche
überein. Die Verschiedenheiten sind folgende:
Bei 5 ist noch ein kleines Kind er-
wähnt, und. ein Maultier, was beides
nicht viel Bedeutung hat. 12 ist so
gegeben, wie es dem Ausdrucke Hypa-
pante entspricht. 16 ist ganz anders.
Es ist folgendes beschrieben: Christus
sitzt auf einem Throne und segnet. Über
ihm ist der Himmel und alle Chöre
der Engel, welche staunen und zu ihm
auf- und niedersteigen. In 20 ist nichts
von dem Tische mit dem dreiarmigen
Leuchter erwähnt. Ebenso steht bei 24
nichts von dem siebenarmigen Leuchter.
Zur riäheren Erläuterung füge ich hier die An-
fangsworte jeder Strophe nach der Übersetzung,
die Maltzew in seinem Andachtsbuche gibt, bei:
1. Der unter der ersten stehende Engel
ward vom Himmel gesandt -zu sagen
der Gottesgebärerin: Freue Dich usw.
2. Da die Heilige sich selbst in Unschuld
sah, sprach sie freimütig zu Gabriel: Das
Unglaubliche Deiner Rede scheint mir
unannehmbar.
3. Die unerkennbare Erkenntnis zu er-
kennen, sagte die Jungfrau usw.
4. Die Kraft des Allerhöchsten überschattete
damals usw.
5. Nachdem sie im Mutterschoße Gott
empfangen, eilte die Jungfrau zu Elisabeth.
6. Den Wogenschwall zweifelnder Gedanken
im Innern habend, war der weise Joseph
bestürzt usw. und argwöhnte.
7. Es- vernahmen die Hirten von den lob-
sirigenden Engeln usw.
8. Den zu Gott eilenden Stern betrachtend,
folgten die Magier.
9. Es sahen die Söhne der Chaldäer usw.
10. Die zu gotttragenden Verkündigern ge-
wordenen Magier kehrten nach Babylon
zurück.
11. Indem Du strahlen ließest um Ägypten
die Erleuchtung der Wahrheit, verfolgtest
Du das Dunkel der Lüge.
12. Als Simeon im Begriff war, aus dem
gegenwärtigen trügerischen Zeitalter in
das Jenseits versetzt zu werden, wurdest
Du ihm als Säugling übergeben.
13. Eine neue Schöpfung zeigte uns der
Schöpfer, aufblühend aus dem Menschen-
schoß.
14. Der erhabene Gott erschien auf Erden
als demütiger Mensch.
15. Gänzlich war bei den Unteren, von den
Oberen durchaus nicht entfernt, das un-
beschreibliche Wort.
16. Die ganze Natur der Engel staunte über
das große Wunder der Menschwerdung.
17. Die Wortreichen verstummen wie Fische
über Dich, Gottesgebärerin.
18. Da der Ordner der Welt des Alls die
Welt erlösen wollte, kam er in eignem
Auftrage zu derselben.
19. Eine Mauer bist Du der Jungfrauen.
20. Kein Lobgesang, der sich bemüht, sich
darzulegen, kommt gleich der Fülle
Deiner Erbarmungen.
21. Als lichtbringenden Leuchter, welcher
den in der Finsternis befindlichen glänzt,
sehen wir die hl. Jungfrau.
22. Indem der Schuldentilger aller Menschen
Gnade geben wollte für die Schulden
der Vorzeit, ward er deshalb heimisch
bei denen, welche den Himmel seiner
Gnaden verlassen hatten.
23. Indem wir Dein Kind besingen, preisen
wir Dich als beseelten Tempel.
24. 0 allbesungene Mutter, die Du das
heiligste Wort aller Heiligen geboren,
erlöse jetzt, die Darbringung annehmend,
alle von allem Unglück.
Wenn man den Text mit meinem Kupfer-
stich vergleicht, so sieht man, daß die Vari-
anten gegenüber dem Malerbuche die Stellen
ebenso gut erklären, als letzteres. Manchmal
sind die Darstellungen vereinfacht, und da-
durch leichter erkennbar. In vielen Kirchen
wird der Hymnos dargestellt, und noch oft
finden sich Varianten. Es ist das ein Beweis, daß
die byzantinische Kunst gar nicht so stereotyp
gearbeitet hat, als man es meist annimmt.
Der Kupferstich, von dem ich hier ge-
sprochen habe, ist vielleicht kein großes Kunst-
werk. Aber dadurch, daß er den Niederschlag
einer vielhundertjährigen Gedanken-Entwick-
lung bedeutet, gewinnt er an Interesse. Und
dem aufmerksamen Betrachter erzählt er un-
endlich viel von alter christlicher Kunst.
Johann Georg, Herzog zu Sachsen.