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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Beissel, Stephan: Ein angebliches Königsszepter im Schatze des Aachener Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0068

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89

1910. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

90

stück anders zu deuten, als bisher geschehen
ist. Der in Figur 2 abgebildete Stab, auf dessen
oberem, abgeplattetem Knauf ein
Vogel sitzt, ist von Bock als Königs-
szepter angesehen und Richard von
Kornwallis zugeschrieben worden6).
Er ist von Silber, hat einen Durch-
messer von 0,015 m und war ursprüng-
lich 0,554 m lang. Er setzte sich
unterhalb des zweiten auf der Ab-
bildung sichtbaren Knaufes fort, ohne
jedoch einen unteren Abschluß zu
haben, denn sein Ende war abge-
brochen. Man hat darum eine starke
Hand breit unter jenem zweiten
Knauf neuestens einen dritten an-
gefügt, und so dem Ganzen das
Ansehen eines Szepters gegeben.

Daß hier ein Szepter Richards
vorliege, will Bock aus einer Urkunde
beweisen7), laut welcher dieser König
dem Aachener Münster eine Krone,
einen Reichsapfel und ein Szepter
schenkte. Da sich aber die Krone
und der Reichsapfel nicht mehr als
vorhanden nachweisen lassen, und
da man in Aachen unsern Stab bis
zur Aufstellung der Booleschen Ver-
mutung nie als Szepter eines Königs^
deutete, steht einer andern Er-
klärung keine Überlieferung8) und
keine Urkunde entgegen.

Auf den Siegeln des XIII. Jahrb.,
dem der Aachener Stab zugeschrieben
wird, tragen die Könige keinen
Adler auf ihren Szeptern, sondern
Blumen oder Kreuze. Auf Richards
Siegel endet das Szepter in eine große

6) Bock, »Pfalzkapelle« II S. 9 f.;
»Kleinodien« Taf. 9 S. 47 f. Vgl. Aus'm
Weerth, »Kunstdenkmäler« II S. 130
Taf. 38, 15.

7) Beissel, »Die Aachenfahrt« (Frei-
burg 1902) S. 97, 117, 143. — »Annalen
des historischen Vereins für den Nieder-
rhein« XXXV (Köln 1880) S. 78.

8) In dem am 23. Juni 1804 vom Maire
de ]a ville d'Aix-la-Chapelle in Gegenwart
der Mitglieder des Stadtrates aufgenommene
Schatzverzcichn:s des Münsters werden
jene beiden Stäbe aufgeführt als Bacillus argenteus
und Une grande baguette d'argent pour le sürveillant.
Erwähnt sind auch noch: Les verges d'argent.

siebenblätterige Blume. Auf den Siegeln
Konrads IL, Heinrichs III. und IV. findet
sich aber ein Vogel, der bei den
beiden letztgenannten seine Flügel
hoch emporhebt. Die Form der
Szepter jener Könige stimmt mit
derjenigen des Aachener Stabes über-
ein9). Trotzdem möchte es nicht
richtig sein, ihn als Szepter eines
Königs des XL Jahrh. auszugeben,
weil der Stil des Vogels auf spätere
Zeiten hinweist, weil der Stoff nur
Silber ist, und weil es auffallend
wäre, ein Szepter jenes Jahrhunderts
im Aachener Schatz zu finden. Aller
Wahrscheinlichkeit nach ist demnach
das in Rede stehende Schatzstück
nichts mehr als der Chorstab des
kaiserlichen Stiftes. Doch warum
sitzt auf der Spitze beider Stäbe
(Fig. 1 und 2) ein Vogel und zwar
ein Adler? Das erklärt sich dadurch,
daß das Dach des karolingischen
Münsters in alten Zeiten einen Adler
trug, und in dessen Wappen sich ein
halber Reichsadler erhalten hat. Bock
hat um 1870 fast alle Schatzstücke
des Münsters durch die Goldschmiede
Vasters, Vogeno und Witte restau-
rieren lassen und zwar in durch-
greifender Weise. Infolgedessen
wurden nicht die beiden eben be-
schriebenen Stäbe verändert, sondern
wurde beispielsweise der silberne
Buchdeckel, dessen Relief eingedrückt
waren, so erneuert, daß Lessing ihn als
moderne Fälschung erklärt hat. Man
wird demnach die einzelnen Stücke
des Schatzes mit vorsichtiger Kritik
zu behandeln haben. Eine große
Elfenbeintafel, die Bock auf ein
Buch brachte und reich fassen ließ,
sah Graeven als Fälschung an. Sie
stammtjedochausderLyverbergischen
Sammlung.

Luxemburg. Steph. Beissel.

Figur

9) Vgl. »Die Siegel der deutschen

Kaiser und Könige« von Dr. Roemer-

Büchner (Frankfurt 1851) S. 24. Anm. Carl

Heffner, »Die deutschen Kaiser- und KönigssiegeU

(Würzburg 1875) Taf. 3 f.
 
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