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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Oidtmann, Heinrich: Die romanischen Glasmalereien in der Pfarrkirche St. Kunibert zu Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0144

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203

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

204

Für zwei Fenster der Südwand des süd-
lichen Querschiffs hat man in den 1850 er
Jahren aus trümmerhaften Überbleibseln zwei
Friese zusammenfinden können10).

Eine kraftvolle Gestalt ist der Täufer im
Ostfenster des südlichen Kreuzarmes; vor-
trefflich ist der markige Kopf des h. Johannes
(Abb. 8) zu dessen Füßen ein gleich gut ge-
zeichneter Kanoniker, Francis scolasticus, kniet.

Grundverschieden in der Anlage und in
der Raumausfüllung sind die drei oberen
Chorfenster, ein Wunderwerk von hoher
Farbenschönheit. Die kleinen Abbildungen,
nach farbigen, zurzeit im Denkmälerarchiv zu
Bonn ruhenden Zeichnungen des Kölner
Malers Michael Welter angefertigt, der in den
Jahren 1856 bis 1859 den Chor von St. Kuni-
bert ausmalte, sollen lediglich einen ober-
flächlichen Begriff von dem Reichtum der
Raumgliederung bieten. Vor allem beansprucht
das großartig angelegte Hauptfenster besondere
Aufmerksamkeit. Als Leitgedanke zieht sich
der Stammbaum Jesse über die gesamte Fläche
und verleiht diesem farbenprächtigen Mosaik
einen außerordentlich reichen geistigen Inhalt.
Umfangreiche Ergänzungen erklären die wesent-
lichen Abweichungen, die in zeichnerischer
und farblicher Hinsicht zwischen dem der-
zeitigen Bestände und den wieder unter sich
verschiedenen Nachbildungen Welters und bei
Boissereen) bestehen. Nichtsdestoweniger
bleibt die unvergleichliche Wirkung der farben-
satten Mosaiken überwältigend. Mit hervor-
ragendem Geschick sind die Verästelungen
und Verzweigungen des Stammbaums über
den Raum ausgebreitet, wo die Ranken in
weichem Fluß der Linien, in mannigfaltiger
Abwechselung Prophetenbrustbilder und die
Hauptbegebenheiten aus dem Leben des Hei-

10) Kolb, Tafel VII, 2; XIII, 3; vgl. Tafel
XHI, 2.

n) S. Boisseree, »Denkmale der Baukunst am
Niederrhein« (1847) Tafel 72. Farbige Abbildung;
in natürlichem Maßstab im Germanischen Museum zu
Nürnberg. — Vgl. auch Cahier et Martin, „Les
vitraux de la cathedrale de Bourges". »Etüde« XU,
Fig. H. S. 295. — Borten bei Owen -Jone s , »Gram-
matik der Ornamente« (London 1868) Tafel XLIX,
12, 17. — Racinet, »Polychromate Ornament.«
PI. XLIV, 15. — Flüchtige Handzeichnungen bei
"Westlake, History of design in glass painting«, I,
(London 1881). — Ausführliehe Beschreibung von
Ernst Weyden, „Rückblicke auf Kölns Kunst-
geschichte". »Organ für christliche Kunst«. XIV. Jahr-
gang (1864).

landes umrahmen, sowie mit ihren Blättern
die Zwischenräume geschmackvoll ausfüllen.
Seitlich vom schlafenden Jesse sitzen als Sinn-
bilder der Evangelisten die Flußgötter der
vier Paradiesesflüsse. Es folgen, beiderseits
von je zwei Engeln oder Propheten mit den
entsprechenden Bandrollen begleitet, die kreis-
förmigen Bilder der Verkündigung und der
Geburt, beide neu; unterhalb der von einem
länglichen Paß eingerahmten Kreuzigung ist
das Stifterpaar im Gebet hingestreckt. Christus,
zwischen Kirche und Synagoge, ist an den
Stammbaum angeheftet, aus dem als Kreuzarme
beperlte Blattranken hervorsprießen. Die Auf-
erstehung leitet hinüber zum Wipfel des Baumes,
auf dem der Weltheiland thront, umschwebt
von den sieben Tauben des h. Geistes, in der
Linken die bekreuzte Hostie haltend, die
Rechte segnend erhebend. Im Scheitel des
Fensterbogens erscheint Gott Vater mit dem
Spruchband: Hie est filius meus dileetus.

Überaus fein ist der breite, von hübschen
Zierleisten eingefaßte Blätterfries ; in den paß-
förmigen Ausbuchtungen haben die geistigen
Ahnen Christi, die Propheten mit den er-
klärenden Schriftrollen Platz gefunden. Der
blühende Stab Aarons neben der Geburt, das
Opfer Abrahams neben der Kreuzigung, Jonas,
dem Schlund des Fisches entsteigend, neben
der Auferstehung sind für den flüchtigen
Beobachter unauffällig angebrachte Vorbilder
aus dem Alten Bunde, bescheidene Anfänge
oder Vorläufer der in späteren Glasgemälden
so beliebten typologischen Gegenüberstellungen
und der irrtümlich Biblia pauperum genannten
Bilderbibeln, deren falsche Benennung in-
zwischen sowohl der Herkunft als dem Sinne
nach befriedigende Aufklärung gefunden haben
dürfte.

Wie Les sing vermutet, hat der gegen Ende des
XV. Jahrh. über eine ältere Handschrift der Bibliothek
zu Wolfenbüttel geschriebene Vermerk „Hie ineipit
bibelia pauperum" den Anstoß zur gedankenlosen Über-
tragung dieser ungeprüften Bezeichnung auf die dortigen
gedruckten Ausgaben gegeben; dabei läßt er die Frage
offen, ob etwa der Titel eines anderen Buches der
Bibliothek, das weder Jahr noch Ort des Erscheinens
angibt, den ersten Schreiber verleitet hat. „Biblia
pauperum a domino Bonaventura edita omnibus predica-
toribus perutilis" lautet die Überschrift des alten
Druckes, dessen Inhalt nach der Versicherung Lessings
nicht das mindeste mit der Bilderbildel zu tun hat.
Neuerdings haben J. Lutz und P. Perdrizet in der
groß angelegten Veröffentlichung des Speculum humanae
salvationis, Leipzig, 1907, die zerstreuten Nachrichten
gesammelt und ergänzt, wodurch sie zu dem Ergebnis
 
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