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1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUXST — Nr. 10.
310
Stäben phantastisch zu einer Inschrift ver-
schlungen sind; dazwischen stehen, straff ge-
zeichnet, in einem helleren Farbtone Schnörkel,
die nur auf verstümmelte arabische oder
kufische Inschriften sich zurückführen lassen,
wie denn überhaupt dieser Schriftdekor die
Absicht wiederspiegelt, mißverstandene kufische
Inschriften in ihrer Wirkung nachzuahmen.
Eine weitere Eigenart haben die Perugia-
Tücher älteren Datums, wie ich sie in Süd-
italien vereinzelt fand: Die Mitte des läng-
lichen Tuches ist in einer anderen Webart und
viel gröber hergestellt als die geschmückten
Endstücke. Dasselbe beobachten wir bei ein-
zelnen koptischen Tüchern und bei vielen
orientalischen der Jetztzeit, wo das Mittelstück
aus grobem Rubber besteht. Auf den älteren
Stücken läuft neben der Hauptbordüre eine
zweite schma-
lere, auf der
gewöhnlich ein
den Kopten
sehr geläufiges
Schmuckmotiv
wiederkehrt:
Vögel, Hunde
und Hasen, die
sich' einander
verfolgen Abb. 2.
Auch das ist
kaum eine freie
Erfindung itali-
enischer Weber, geht vielmehr auf den Orient
zurück. Das hier abgebildete Adlertuch
schreibe ich dem XIII. Jahrh. zu, wenn es
nicht gar noch weiter zurückgeht. Vor die
Bordüre auf dem angezogenen Gemälde des
Simone Martini gesetzt, bildet es die Brücke
zur Sarazenenkunst. Ältere „nach peruginer
Art" gewebte Decken finden sich vornehm-
lich dort, wo der byzantinisch-orientalische
Einfluß zu Hause war: in Venedig, in S. Vitale
und S. Apollinare n. zu Ravenna auf den
Mosaiken, welche Abendmahl und Opfer
Melchisedechs darstellen. Sie führen uns zu-
rück bis in das VI, Jahrh. und erbringen uns
zugleich den Erweis, daß die in Achmim
Panopolis und sonst im Koptenlande gefundenen
Webereien mit Bordürenschmuck nicht etwa
einzig als Funeralgewänder, sondern in gleicher
Fassung auch als Decken Verwendung landen.
Eine eigene Behandlaig erfordern m. E.
lie auf Gemälden der flämischen Frühmeister
Abb. 4. Sammlung Rocchi, Rom.
Anf. d. XIV. Jahrh.
auftretenden Decken, auf Bildern Memlings,
Rogiers usf.5). Der Dekor ist ein ganz anderer,
er ist magerer, mehr mit pflanzlichen Motiven
durchsetzt, die in den italienischen Geweben
der gleichen Zeit fast ganz in den Hinter-
grund treten.
Mit der Seidenweberei scheint auch die
der Leinentücher nach Italien hinübergewandert
zu sein, jedenfalls in der Hauptsache direkt
nach Umbrien bzw. Perugia. Auf vielen Ge-
mälden des XIV, XV. und XVI. Jahrh. treten
die Tücher auf bei Lorenzetti, Ghirlandajo,
Leonardo da Vinci (Abendmahl), Antonio da
Fabiano und mehreren anderen. Obgleich
wohl fabrikmäßig hergestellt, weisen die Pe-
rugia-Tücher einen großen Wechsel und eine
ungemeine Vielseitigkeit im Schmuck auf.
Innerhalb dieses Formenreichtums ist aber
auch eine ge-
wisse Entwick-
lung zu ver-
folgen. Die älte-
sten Bordüren
führen des öfter
ren das Hasen-
und Hunde-
muster neben
den lucchesi-
schen Stoffen
entlehnten Ad-
ler- undLöwen-
mustern. Die
an sarazenische Stoffe sich anlehnenden ange-
ketteten Löwen treten neben den erstgenannten
auf. Die Sammlung Rocchi enthält ein Tuch
mit einem Reiter, der auf dem Kopfe einen
Halbmond und auf der Faust einen Falken
trägt; er scheint mir der Zeit um 1300 an-
zugehören und zeigt in der Anordnung der
Bäumchen starke Beziehungen zu dem hier
abgebildeten Adlerstoff. Das Motiv des
Reiters mit dem Falken kehrt häufig wieder,
oft zusammengebracht mit steigenden Rossen.
Anfang des XIV. Jahrh. treten die Inschrift-
bänder hinzu, zunächst als Nachbildungen
Abb. 5. Sammlung Schnütgen
um 15&0.
5) Im Museum zu Brüssel befindet sich ein Bild
Rogiers v. d. W., auf dem ein Altartuch gemalt ist
in ähnlicher Anordnung, wie sie die Perugia-Tücher
zeigen, mit der eingewebten Inschrift „te Bruesele".
Bellucci führt («Arte» 1905 n. 3) eine Stelle an,
wo von „mantili parisini" die Rede ist, von „Pariser"
Tischdecken; ich glaube an einen Schreibfehler parisini
— perugini, oder aber auch anderswo hat man ähnliche
Arbeiten hergestellt.
1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUXST — Nr. 10.
310
Stäben phantastisch zu einer Inschrift ver-
schlungen sind; dazwischen stehen, straff ge-
zeichnet, in einem helleren Farbtone Schnörkel,
die nur auf verstümmelte arabische oder
kufische Inschriften sich zurückführen lassen,
wie denn überhaupt dieser Schriftdekor die
Absicht wiederspiegelt, mißverstandene kufische
Inschriften in ihrer Wirkung nachzuahmen.
Eine weitere Eigenart haben die Perugia-
Tücher älteren Datums, wie ich sie in Süd-
italien vereinzelt fand: Die Mitte des läng-
lichen Tuches ist in einer anderen Webart und
viel gröber hergestellt als die geschmückten
Endstücke. Dasselbe beobachten wir bei ein-
zelnen koptischen Tüchern und bei vielen
orientalischen der Jetztzeit, wo das Mittelstück
aus grobem Rubber besteht. Auf den älteren
Stücken läuft neben der Hauptbordüre eine
zweite schma-
lere, auf der
gewöhnlich ein
den Kopten
sehr geläufiges
Schmuckmotiv
wiederkehrt:
Vögel, Hunde
und Hasen, die
sich' einander
verfolgen Abb. 2.
Auch das ist
kaum eine freie
Erfindung itali-
enischer Weber, geht vielmehr auf den Orient
zurück. Das hier abgebildete Adlertuch
schreibe ich dem XIII. Jahrh. zu, wenn es
nicht gar noch weiter zurückgeht. Vor die
Bordüre auf dem angezogenen Gemälde des
Simone Martini gesetzt, bildet es die Brücke
zur Sarazenenkunst. Ältere „nach peruginer
Art" gewebte Decken finden sich vornehm-
lich dort, wo der byzantinisch-orientalische
Einfluß zu Hause war: in Venedig, in S. Vitale
und S. Apollinare n. zu Ravenna auf den
Mosaiken, welche Abendmahl und Opfer
Melchisedechs darstellen. Sie führen uns zu-
rück bis in das VI, Jahrh. und erbringen uns
zugleich den Erweis, daß die in Achmim
Panopolis und sonst im Koptenlande gefundenen
Webereien mit Bordürenschmuck nicht etwa
einzig als Funeralgewänder, sondern in gleicher
Fassung auch als Decken Verwendung landen.
Eine eigene Behandlaig erfordern m. E.
lie auf Gemälden der flämischen Frühmeister
Abb. 4. Sammlung Rocchi, Rom.
Anf. d. XIV. Jahrh.
auftretenden Decken, auf Bildern Memlings,
Rogiers usf.5). Der Dekor ist ein ganz anderer,
er ist magerer, mehr mit pflanzlichen Motiven
durchsetzt, die in den italienischen Geweben
der gleichen Zeit fast ganz in den Hinter-
grund treten.
Mit der Seidenweberei scheint auch die
der Leinentücher nach Italien hinübergewandert
zu sein, jedenfalls in der Hauptsache direkt
nach Umbrien bzw. Perugia. Auf vielen Ge-
mälden des XIV, XV. und XVI. Jahrh. treten
die Tücher auf bei Lorenzetti, Ghirlandajo,
Leonardo da Vinci (Abendmahl), Antonio da
Fabiano und mehreren anderen. Obgleich
wohl fabrikmäßig hergestellt, weisen die Pe-
rugia-Tücher einen großen Wechsel und eine
ungemeine Vielseitigkeit im Schmuck auf.
Innerhalb dieses Formenreichtums ist aber
auch eine ge-
wisse Entwick-
lung zu ver-
folgen. Die älte-
sten Bordüren
führen des öfter
ren das Hasen-
und Hunde-
muster neben
den lucchesi-
schen Stoffen
entlehnten Ad-
ler- undLöwen-
mustern. Die
an sarazenische Stoffe sich anlehnenden ange-
ketteten Löwen treten neben den erstgenannten
auf. Die Sammlung Rocchi enthält ein Tuch
mit einem Reiter, der auf dem Kopfe einen
Halbmond und auf der Faust einen Falken
trägt; er scheint mir der Zeit um 1300 an-
zugehören und zeigt in der Anordnung der
Bäumchen starke Beziehungen zu dem hier
abgebildeten Adlerstoff. Das Motiv des
Reiters mit dem Falken kehrt häufig wieder,
oft zusammengebracht mit steigenden Rossen.
Anfang des XIV. Jahrh. treten die Inschrift-
bänder hinzu, zunächst als Nachbildungen
Abb. 5. Sammlung Schnütgen
um 15&0.
5) Im Museum zu Brüssel befindet sich ein Bild
Rogiers v. d. W., auf dem ein Altartuch gemalt ist
in ähnlicher Anordnung, wie sie die Perugia-Tücher
zeigen, mit der eingewebten Inschrift „te Bruesele".
Bellucci führt («Arte» 1905 n. 3) eine Stelle an,
wo von „mantili parisini" die Rede ist, von „Pariser"
Tischdecken; ich glaube an einen Schreibfehler parisini
— perugini, oder aber auch anderswo hat man ähnliche
Arbeiten hergestellt.