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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Frühgotische kölnische Madonna der "Sammlung Schnütgen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0231

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335

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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und notwendig, vornehmes Verhalten läßt es
ganz und gar allein als ein Zeichen von
Huld und Gnade erscheinen. Das ist noch
die Madonna des großen Stiles, die Hohe-
priesterin, die nicht so einfachhin die nährende
kosende Mutter ist, die vielmehr partizipiert
an den Aufgaben des Kindes, das sie einstens
auf ihrem erhobenen Knie der Welt zeigte
und darbot. Hier sind die Kunstformen das,
was sie sein sollen, in diesem Holzstock pulsiert
frisches, blühendes Lebens,
eine glückliche Mitte fand
der Künstler im Kopfe der
Statue zwischen Bildnis und
Type, sein Gefühl für den
Naturalismus und die Lust,
ihn arbeiten zu lassen, bän-
digte er durch richtiges Er-
fassen seiner Aufgabe, ein
Andachtsbild zu schaffen.
Und das mag die Madonna
gewesen sein, wie sie im
verschleierten Licht einer
Kapelle aus dem gleißenden
Golde ihres Gewandes von
der Altarmensa als Mittel-
punkt herniederschaute auf
die Beter in der weiten
Kirchenhalle. Die Falten-
motive des Mantels- mögen
in ihrer Harmonie und Schön-
heit dem Geschmack der
Zeit folgen, vom Herzen
aufwärts ist die Madonna
das Werk eines Künstlers,
einer Persönlichkeit, die mit
glücklichem Subjektivismus
aus der umgebenden Natur
heraus ihre Arbeiten schuf.
Der Herausgeber dieser
Zeitschrift und Stifter der Sammlung veröffent-
lichte im Jahrgang 1908 Heft 10 und Jahrgang
1908 Heft 12 sechs seiner frühen Holzrriadonnen.
Heft 12 wird unter Nr. 1 das hier wiederum
Abb. 3 wiedergegebene Prachtstück aus Eschen-
holz besprochen, das der Verfasser gegen die
landläufige Auffassung, trotz der Erwerbung im
Köln er Kleinhandel, aus verschiedenen Gründen
für flandrisch-französisch anspricht. Lübbecke1)
nimmt diese Madonna neuerdings für Köln

]) »Die gotische Kölner Plastik«, (Straßburg 1910),
S. 61 f.

in Anspruch, ich weiß nicht warum? Seine
Gründe laufen ganz nebenher und treffen
meines Erachtens den Kernpunkt nicht, den
er sonst besonders betont, die Beurteilung des
Kopftypus. Ganz fremd klingt dieser inmitten
der ziemlich zahlreichen von Lübbecke zu-
sammengetragenen Skulpturen, so fremd wie
die westfälische Madonna der Sammlung
Schnütgen aus der Hochgotik. Nicht als ob
ich den kölnischen Ursprung der Figur unter An-
führung schlagender Gründe
leugnen könnte — sie kann
immerhin trotz der zwei
nicht außer Acht zu lassen-
den Erscheinungen, daß sie
ganz fremd in der Auffassung
und aus dem in Köln unge-
bräuchlichen Eschen holz
gefertigt ist, eben in Köln ihr
Entstehen gefunden haben
als Werk eines zugewander-
ten oder unter fremdem
Einfluß stehenden Bild-
schnitzers — keinesfalls
aber stellt diese Madonna
itwa ein Glied in der Ent-
wicklungskette der später
so prägnant herausgear-
beiteten Kölner Typen dar,
sie ist höchstens ein Werk
des Zufalles, nicht einmal
einer lokalen Unterströmung.
Lübbecke erbringt keinerlei
überzeugende Beweise da-
für, daß einmal französische
Bildhauer in Köln nicht ge-
arbeitet haben, sowie vor
allem, daß kölnische Gesellen
aus dem Lande der Gotik
nichts Greifbares mit nach
Köln gebracht haben sollten. An Muster-
bücher'usw. kann ich nicht recht glauben2).
— Ganz anders die neuerworbene Madonna.
Die rein äußerliche Drapierung des Mantels
mutet fast wie eine Kopie der flandrisch-
französischen Arbeit an. Aber alles, was
bei dieser als oberflächlich oder tändelnd und
spielend erscheint, das ist bei der anderen
künstlerisch verarbeitet, ganz vergeistigt. Die
obere Körperpartie erst mit dem glänzenden
Kopfe ist der Ausfluß rein monumentalen
Empfindens, leichten, beseelenden Naturalis-
2) Lübbecke, a. a. O. S. 13/14.
 
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