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1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
358
Gegen die Auffassungen des Raumes als
einer Krypta oder Kapelle und des Steintrogs
als des Altars der Kapelle oder als des
Sarkophags eines Heiligen erheben sich ge-
gründete Bedenken. Wäre die Kufe tatsäch-
lich einmal mit einem der Heiligen von
St. Emmeram in Beziehung gestanden, so hätte
sich vermutlich irgend ein Schimmer einer
Erinnerung daran erhalten. Aber weder in
alten Aufzeichnungen noch in der lebendigen
Tradition findet sich eine Spur davon. Am
nächsten läge die Vermutung, daß in diesem
Nebenraum der Wolfgangskrypta etwa der bei
der Übertragung dieses Heiligen außer Gebrauch
gekommene Sarkophag reponiert worden wäre.
Allein dagegen spricht, daß die Länge des
Steines zur ursprünglichen Bestattung nicht
ausreichend gewesen wäre.
Auch an einen Altar kann nicht gedacht
werden, wie der ganze Raum nicht als Kapelle
angesprochen werden darf, so sehr auch der
erste Eindruck dafür spricht. Über die sämt-
lichen Kapellen, Altäre, teilweise auch deren
Weihe, im Bereich des alten Klosters sind wir
durch mehrfache Aufzeichnungen vom Ende
des ersten Jahrtausends an ausreichend unter-
richtet. Aber nie wird in diesen Aufzeichnungen
des Raumes im Erdgeschosse des Turmes oder
eines Altares daselbst gedacht. Wir können
aus diesem Schweigen mit ziemlicher Sicher-
heit den Schluß ziehen, daß die Kufe nie den
Stipes eines Altares gebildet habe.
Aber wozu sonst soll sie dann gedient haben ?
Es ist hier nachzutragen, daß in dem gleichen
Räume an der West- und Nordseite noch zwei
weitere und zwar kleinere Steinkufen stehen,
von denen die eine 53 cm hoch, 97 cm breit
und 83 cm tief, die andere 59 cm hoch, 102 cm
breit und 90 cm tief ist. Die Vorderseiten
dieser Kufen sind an den Ecken abgerundet.
Eine Blechverkleidung im Inneren ist nicht
vorhanden. Die Vorderseite der größeren
dieser beiden Kufen zeigt unten eine rundliche
Vertiefung, in die wohl eine Röhre zur Zu-
oder Ableitung des Wassers eingepaßt war.
Denn daß wir es hier mit Wasserkufen zu
tun haben, ist über allen Zweifel erhaben.
Es darf unbedingt angenommen werden,
daß das Wasser in diesem Räume, der nur
durch die Kirche und zwar auf dem Weg
durch die Wolfgangskrypta zugänglich ist,
irgend einem religiösen und kirchlichen Zwecke
diente. Man wird zunächst an die Taufe
denken. Allein zu einem Baptisterium eignete
sich der Raum schon seiner Lage halber kaum.
Überdies besaß St. Emmeram für die seel-
sorglichen Verrichtungen an den Parochianen
eine eigene Pfarrkirche St. Ruppert.
Wenn aber die Taufe nicht in Betracht
kommt, dann besteht eine große Wahrschein-
lichkeit dafür, daß der Raum dereinst den
Zwecken des Exorzismus an Besessenen diente.
Im Mittelalter, wo alle auffälligeren Äußerungen
eines anormalen Seelenlebens nur allzuleicht
auf den Einfluß dämonischer Gewalten zurück-
geführt wurden, war die Anwendung des
Exorzismus etwas sehr gewöhnliches. Kaum
eine größere und berühmtere Kirche wird es
gegeben haben, die das Schauspiel des Exorzis-
mus in ihren Mauern sich nicht hätte ab-
spielen sehen. Bevorzugt waren die Wallfahrts-
kirchen und die Gotteshäuser mit den Ruhe-
stätten verehrter Heiligen. Letztere befanden
sich bekanntlich der Mehrzahl nach im Besitz
von Ordensleuten.
Beachten wir nun die Vorgänge bei der
Anwendung des Exorzismus, die im einzelnen
mannigfachen Veränderungen unterlagen, aber
doch auch gewisse allgemeine Züge verraten.
Die Anweisung von Cod. Palat. Vindob. 1888
(saec. X) verlangt das Folgende. Der Priester,
zu dem ein Energumene kommt, soll zuerst
drei Kollekten über ihn beten. Dann befiehlt
er ihm aus der Kirche zu treten und an
einem abgesonderten Orte seine Kleider ab-
zulegen. Unterdessen wird eine Litanei ge-
sungen und Salz und Wasser geweiht und es
werden dem Kranken neue Kleider, die mit
dem geweihten Wasser besprengt sind, an-
gezogen, worauf dieser an den Altar tritt, wo
dann der eigentliche Exorzismus vorgenommen
wird5). Anderwärts werden die alten Kleider,
nachdem sie in Kreuzesform mit Weihwasser
begossen sind, wieder angezogen6). Aber nicht
nur die Kleider des Kranken, sondern auch
s) Quando uenit aliquis uexatus a demone, tunc
presbyter consignet eum cum tribus collectis. Jubet
eum postea exire de ecclesia et despoliari uestimentis
suis in secreto loco. Interim cantet ietaniam etc.
Bei A. Franz, »Die kirchlichen Benediktionen im
Mittelalter«: (Freiburg 1909) Bd. II, S. 562.
6) Deinde faciat possessum uno angulo sedere
ecclesie uestibus totaliter exutum, ut nihil nisi linthe-
amina circa uerenda habeat et aquam benedictam fundat
in modum crucis super eius uestimentum, simiJiter aqua
benedicta aspergat et reinduat eum. Franz, a. a. O.
S. 568.
1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
358
Gegen die Auffassungen des Raumes als
einer Krypta oder Kapelle und des Steintrogs
als des Altars der Kapelle oder als des
Sarkophags eines Heiligen erheben sich ge-
gründete Bedenken. Wäre die Kufe tatsäch-
lich einmal mit einem der Heiligen von
St. Emmeram in Beziehung gestanden, so hätte
sich vermutlich irgend ein Schimmer einer
Erinnerung daran erhalten. Aber weder in
alten Aufzeichnungen noch in der lebendigen
Tradition findet sich eine Spur davon. Am
nächsten läge die Vermutung, daß in diesem
Nebenraum der Wolfgangskrypta etwa der bei
der Übertragung dieses Heiligen außer Gebrauch
gekommene Sarkophag reponiert worden wäre.
Allein dagegen spricht, daß die Länge des
Steines zur ursprünglichen Bestattung nicht
ausreichend gewesen wäre.
Auch an einen Altar kann nicht gedacht
werden, wie der ganze Raum nicht als Kapelle
angesprochen werden darf, so sehr auch der
erste Eindruck dafür spricht. Über die sämt-
lichen Kapellen, Altäre, teilweise auch deren
Weihe, im Bereich des alten Klosters sind wir
durch mehrfache Aufzeichnungen vom Ende
des ersten Jahrtausends an ausreichend unter-
richtet. Aber nie wird in diesen Aufzeichnungen
des Raumes im Erdgeschosse des Turmes oder
eines Altares daselbst gedacht. Wir können
aus diesem Schweigen mit ziemlicher Sicher-
heit den Schluß ziehen, daß die Kufe nie den
Stipes eines Altares gebildet habe.
Aber wozu sonst soll sie dann gedient haben ?
Es ist hier nachzutragen, daß in dem gleichen
Räume an der West- und Nordseite noch zwei
weitere und zwar kleinere Steinkufen stehen,
von denen die eine 53 cm hoch, 97 cm breit
und 83 cm tief, die andere 59 cm hoch, 102 cm
breit und 90 cm tief ist. Die Vorderseiten
dieser Kufen sind an den Ecken abgerundet.
Eine Blechverkleidung im Inneren ist nicht
vorhanden. Die Vorderseite der größeren
dieser beiden Kufen zeigt unten eine rundliche
Vertiefung, in die wohl eine Röhre zur Zu-
oder Ableitung des Wassers eingepaßt war.
Denn daß wir es hier mit Wasserkufen zu
tun haben, ist über allen Zweifel erhaben.
Es darf unbedingt angenommen werden,
daß das Wasser in diesem Räume, der nur
durch die Kirche und zwar auf dem Weg
durch die Wolfgangskrypta zugänglich ist,
irgend einem religiösen und kirchlichen Zwecke
diente. Man wird zunächst an die Taufe
denken. Allein zu einem Baptisterium eignete
sich der Raum schon seiner Lage halber kaum.
Überdies besaß St. Emmeram für die seel-
sorglichen Verrichtungen an den Parochianen
eine eigene Pfarrkirche St. Ruppert.
Wenn aber die Taufe nicht in Betracht
kommt, dann besteht eine große Wahrschein-
lichkeit dafür, daß der Raum dereinst den
Zwecken des Exorzismus an Besessenen diente.
Im Mittelalter, wo alle auffälligeren Äußerungen
eines anormalen Seelenlebens nur allzuleicht
auf den Einfluß dämonischer Gewalten zurück-
geführt wurden, war die Anwendung des
Exorzismus etwas sehr gewöhnliches. Kaum
eine größere und berühmtere Kirche wird es
gegeben haben, die das Schauspiel des Exorzis-
mus in ihren Mauern sich nicht hätte ab-
spielen sehen. Bevorzugt waren die Wallfahrts-
kirchen und die Gotteshäuser mit den Ruhe-
stätten verehrter Heiligen. Letztere befanden
sich bekanntlich der Mehrzahl nach im Besitz
von Ordensleuten.
Beachten wir nun die Vorgänge bei der
Anwendung des Exorzismus, die im einzelnen
mannigfachen Veränderungen unterlagen, aber
doch auch gewisse allgemeine Züge verraten.
Die Anweisung von Cod. Palat. Vindob. 1888
(saec. X) verlangt das Folgende. Der Priester,
zu dem ein Energumene kommt, soll zuerst
drei Kollekten über ihn beten. Dann befiehlt
er ihm aus der Kirche zu treten und an
einem abgesonderten Orte seine Kleider ab-
zulegen. Unterdessen wird eine Litanei ge-
sungen und Salz und Wasser geweiht und es
werden dem Kranken neue Kleider, die mit
dem geweihten Wasser besprengt sind, an-
gezogen, worauf dieser an den Altar tritt, wo
dann der eigentliche Exorzismus vorgenommen
wird5). Anderwärts werden die alten Kleider,
nachdem sie in Kreuzesform mit Weihwasser
begossen sind, wieder angezogen6). Aber nicht
nur die Kleider des Kranken, sondern auch
s) Quando uenit aliquis uexatus a demone, tunc
presbyter consignet eum cum tribus collectis. Jubet
eum postea exire de ecclesia et despoliari uestimentis
suis in secreto loco. Interim cantet ietaniam etc.
Bei A. Franz, »Die kirchlichen Benediktionen im
Mittelalter«: (Freiburg 1909) Bd. II, S. 562.
6) Deinde faciat possessum uno angulo sedere
ecclesie uestibus totaliter exutum, ut nihil nisi linthe-
amina circa uerenda habeat et aquam benedictam fundat
in modum crucis super eius uestimentum, simiJiter aqua
benedicta aspergat et reinduat eum. Franz, a. a. O.
S. 568.