FACHNO TIZEN
Zur Geschichte des frühgotischen Plattenharnisches. Nach den Er-
mittlungen von Bengt Thordeman. Armour of the Battle of Wisby
1361.
Wenn der Waffenforscher und Waffenfreund sich heute
noch glücklich schätzt im Besitz von Boeheims längst vergriffe-
nem und überholtem Handbuch der Waffenkunde, das
voriges Jahr sein qojähriges Jubiläum feiern konnte,, so ist
das eine betrübliche Tatsache, die aber auch ihre erfreuliche
Seite hat. Denn die Forschung ist auf allen Gebieten der
Waffenkunde, namentlich in den letzten Dezenien so stürmisch
vorangegangen, daß selbst das große Werk von Laking1), trotz
der Fülle des Gebotenen, ganz abgesehen von vielen Lücken
und ernsten Irrtümern, in mehr als einer Hinsicht schon heute,
kaum 20 Jahre nach seinem Erscheinen, als veraltet anzusehen
ist. In Erkenntnis dieser Lücke hat es die Zeitschrift als Sammel-
becken und Hauptorgan unserer Disziplin sich zu einer Haupt-
aufgabe gemacht, laufend über jedes wichtige neue Forschungs-
ergebnis in allen Ländern und Sprachen mehr oder minder
ausführlich zu berichten.
Dies gilt vor allem für die Entwicklung des Harnisches
und die Plattnerkunst, dem vornehmsten Zweig der
Waffenschmiedekunst, worüber zahlreiche wertvolle Beiträge,
in allen möglichen Zeitschriften des In- und Auslandes zer-
streut, vorliegen.
Konnten wir uns in einem der letzten Hefte mit Aufsatzfolgen
auseinandersetzen, die dem Harnisch und seiner Entwicklung
seit der Spätgotik galten2), so führt der heutige Bericht an die
Wiege der Plattnerkunst zurück; Er bildet zugleich den Ab-
schluß der Besprechung, die Bengt Thordemans großes Aus-
grabungswerk der Harnischfunde aus der Schlacht von Wisby
zum Gegenstand hatte3). Drei Hauptgattungen von Funden,
den Plattenhandschuhen, dem Lamellenharnisch und den
Plattenröcken hat Verf. zum Zweck ihrer zeitlichen Einordnung
und in Anbetracht ihrer Bedeutung in Sonderkapiteln eine um-
fassende, historische Behandlung gewidmet. Die Abschnitte
über die Handschuhe und den Lamellenharnisch waren bereits
vor Erscheinen des abschließenden Werks gesondert als Auf-
sätze erschienen und sind hier s. Z. eingehend gewürdigt4). Ob-
wohl beide im Ausgrabungswerk nicht unwesentliche Er-
weiterungen erfahren haben, wollen wir uns hier doch nur auf
das gewichtigste Kapitel beschränken, das die Geschichte des
eigentlichen Harnisches in seinem Hauptbestandteil, der
Rumpfpanzerung, behandelt und tatsächlich ein neues Ka-
pitel der Waffenkunde aufgeschlagen hat, das bisher un-
geschriebene, bedeutsame Kapitel des frühgoti-
schen Plattenharnisches. — Bislang nannte man diesen
Harnischtyp nach Geßlers Vorangang, dem das große Verdienst
bleibt, ihn aus der Taufe gehoben zu haben, Spangenharnisch.
Thordeman vermeidet diese Bezeichnung, wie ich aus einem
brieflichen Gedankenaustausch weiß, bewußt, weil er ihn
nicht glücklich findet und ihm mißverständlich dünkt. Denn,
wie Th. mir mitteilt, kommt in der altnordischen Sagaliteratur
dasselbe Wort „Spangabrynja" für jenen Harnischtyp vor, den
Thordeman als Lamellenharnisch erkannt hat. Außerdem ist
uns, wie ich zur Unterstützung von Thordemans Bedenken
hinzufügen möchte, die gleiche Benennung seit langem für den
ganz anders gearteten und viel älteren Spangenhelm vertraut,
was zu weiteren Verwechslungen und Mißverständnissen führen
kann. Die Herleitung dieser Helmbezeichnung ist mir unbe-
kannt. doch findet sie ihre Bestätigung in den neusten Ermitt-
lungen vom Ursprung dieses Helmtyps. Hat doch, wie Th. im
Kapitel „Lamellenharnisch" (S. 283) mit Recht hervorhebt,
A. v. Arendt das Verdienst, den Spangenhelm auf Grund russi-
scher Funde auf das Lamellensystem, eben die „spangabrynja"
zurückzuführen5).
Thordeman kommt in seinem Werk über die Schwierig-
keiten einer Neubenennung hinweg, weil er es im Wesent-
lichen nur mit der Rumpfpanzerung zu tun hat, die von ihm
treffend „Plattenröcke" genannt werden6). Aber damit ist nur
ein Teil, wenn auch der charakteristischste benannt. Für den
Gesamtharnisch schlägt Th., wie er mir schreibt, die Benennung
„Überzugrüstung" vor, die ich hiermit, vom Erfinder des
Namens autorisiert, zur Diskussion stelle. Ich weiß nicht, ob
diese Benennung im Schwedischen einen ebenso fatalen Klang
hat wie im Deutschen, mir scheint sie aber auch davon ab-
gesehen, wiederum mißverständlich, weil das Prinzip des Über-
zugs für wesentliche Teile der Rüstung, nämlich die Glied-
maßenpanzerung nur begrenzt zutrifft. Ich möchte meinerseits
die bereits eingangs von mir angewandte Stilbezeichnung,
„frühgotischer Plattenharnisch" vorschlagen, die zu-
gleich die Geltungszeit umschreibt und im Unterschied davon
folgerichtig den bisher schlechtweg als gotische Rüstung be-
nannten ausgereiften Plattenharnisch des 15. Jahrhunderts, der
Ende des 14. Jahrhunderts sich auszubilden beginnt, als
„spätgotischen Plattenharnisch" bezeichnen. Diese Be-
nennungen bringen die frühe, die mittelalterliche Epoche in
Einklang mit der längst erfolgten, aber neuerdings vertieften
Eingliederung der neuzeitlichen Harnischentwicklung in die
Stil- und Kunstgeschichte der Renaissance und des Barocks. Die
in meinem weiter unten zitierten Vortrag13) zur Geltung ge-
brachte eminent stilgeschichtliche Bedeutung gerade des
Plattenrocks im 14. Jahrhundert rechtfertigt seine kunst-
geschichtliche Einbeschließung in vollem Maße.
Nach dieser Abschweifung von immerhin grundsätzlicher
Bedeutung nun zu Thordemans wichtigen, z. T. völlig neuen
Ermittlungen zur Entwicklung der Rumpfpanzerung am Har-
') Fr. Laking, A record of Europeah Armour and Arms 1920.
B. I—VI.
2) ZHWK. N. F. 2, 16!.
3) ZHWK. N. F. 7, 966.
4) ZHWK. N. F. 4, 44; 5, 41.
5) W. v. Arendt. Der Normadenhelm des frühen Mittelalters in
Osteuropa. ZHWK. N. F. 5, 26.
6) Ref. gelangte in seinem inzwischen erschienenen Tafelwerk,
„Das Kostüm u. die ritterliche Kriegstracht im deutschen Mittelalter
von 1000 bis 1500", die das gleiche Material in knapper Form be-
handelt, unabhängig zu einer ähnlichen, aber weniger treffenden
Benennung dieser Rumpfpanzerung als „Spangenrock".
Zur Geschichte des frühgotischen Plattenharnisches. Nach den Er-
mittlungen von Bengt Thordeman. Armour of the Battle of Wisby
1361.
Wenn der Waffenforscher und Waffenfreund sich heute
noch glücklich schätzt im Besitz von Boeheims längst vergriffe-
nem und überholtem Handbuch der Waffenkunde, das
voriges Jahr sein qojähriges Jubiläum feiern konnte,, so ist
das eine betrübliche Tatsache, die aber auch ihre erfreuliche
Seite hat. Denn die Forschung ist auf allen Gebieten der
Waffenkunde, namentlich in den letzten Dezenien so stürmisch
vorangegangen, daß selbst das große Werk von Laking1), trotz
der Fülle des Gebotenen, ganz abgesehen von vielen Lücken
und ernsten Irrtümern, in mehr als einer Hinsicht schon heute,
kaum 20 Jahre nach seinem Erscheinen, als veraltet anzusehen
ist. In Erkenntnis dieser Lücke hat es die Zeitschrift als Sammel-
becken und Hauptorgan unserer Disziplin sich zu einer Haupt-
aufgabe gemacht, laufend über jedes wichtige neue Forschungs-
ergebnis in allen Ländern und Sprachen mehr oder minder
ausführlich zu berichten.
Dies gilt vor allem für die Entwicklung des Harnisches
und die Plattnerkunst, dem vornehmsten Zweig der
Waffenschmiedekunst, worüber zahlreiche wertvolle Beiträge,
in allen möglichen Zeitschriften des In- und Auslandes zer-
streut, vorliegen.
Konnten wir uns in einem der letzten Hefte mit Aufsatzfolgen
auseinandersetzen, die dem Harnisch und seiner Entwicklung
seit der Spätgotik galten2), so führt der heutige Bericht an die
Wiege der Plattnerkunst zurück; Er bildet zugleich den Ab-
schluß der Besprechung, die Bengt Thordemans großes Aus-
grabungswerk der Harnischfunde aus der Schlacht von Wisby
zum Gegenstand hatte3). Drei Hauptgattungen von Funden,
den Plattenhandschuhen, dem Lamellenharnisch und den
Plattenröcken hat Verf. zum Zweck ihrer zeitlichen Einordnung
und in Anbetracht ihrer Bedeutung in Sonderkapiteln eine um-
fassende, historische Behandlung gewidmet. Die Abschnitte
über die Handschuhe und den Lamellenharnisch waren bereits
vor Erscheinen des abschließenden Werks gesondert als Auf-
sätze erschienen und sind hier s. Z. eingehend gewürdigt4). Ob-
wohl beide im Ausgrabungswerk nicht unwesentliche Er-
weiterungen erfahren haben, wollen wir uns hier doch nur auf
das gewichtigste Kapitel beschränken, das die Geschichte des
eigentlichen Harnisches in seinem Hauptbestandteil, der
Rumpfpanzerung, behandelt und tatsächlich ein neues Ka-
pitel der Waffenkunde aufgeschlagen hat, das bisher un-
geschriebene, bedeutsame Kapitel des frühgoti-
schen Plattenharnisches. — Bislang nannte man diesen
Harnischtyp nach Geßlers Vorangang, dem das große Verdienst
bleibt, ihn aus der Taufe gehoben zu haben, Spangenharnisch.
Thordeman vermeidet diese Bezeichnung, wie ich aus einem
brieflichen Gedankenaustausch weiß, bewußt, weil er ihn
nicht glücklich findet und ihm mißverständlich dünkt. Denn,
wie Th. mir mitteilt, kommt in der altnordischen Sagaliteratur
dasselbe Wort „Spangabrynja" für jenen Harnischtyp vor, den
Thordeman als Lamellenharnisch erkannt hat. Außerdem ist
uns, wie ich zur Unterstützung von Thordemans Bedenken
hinzufügen möchte, die gleiche Benennung seit langem für den
ganz anders gearteten und viel älteren Spangenhelm vertraut,
was zu weiteren Verwechslungen und Mißverständnissen führen
kann. Die Herleitung dieser Helmbezeichnung ist mir unbe-
kannt. doch findet sie ihre Bestätigung in den neusten Ermitt-
lungen vom Ursprung dieses Helmtyps. Hat doch, wie Th. im
Kapitel „Lamellenharnisch" (S. 283) mit Recht hervorhebt,
A. v. Arendt das Verdienst, den Spangenhelm auf Grund russi-
scher Funde auf das Lamellensystem, eben die „spangabrynja"
zurückzuführen5).
Thordeman kommt in seinem Werk über die Schwierig-
keiten einer Neubenennung hinweg, weil er es im Wesent-
lichen nur mit der Rumpfpanzerung zu tun hat, die von ihm
treffend „Plattenröcke" genannt werden6). Aber damit ist nur
ein Teil, wenn auch der charakteristischste benannt. Für den
Gesamtharnisch schlägt Th., wie er mir schreibt, die Benennung
„Überzugrüstung" vor, die ich hiermit, vom Erfinder des
Namens autorisiert, zur Diskussion stelle. Ich weiß nicht, ob
diese Benennung im Schwedischen einen ebenso fatalen Klang
hat wie im Deutschen, mir scheint sie aber auch davon ab-
gesehen, wiederum mißverständlich, weil das Prinzip des Über-
zugs für wesentliche Teile der Rüstung, nämlich die Glied-
maßenpanzerung nur begrenzt zutrifft. Ich möchte meinerseits
die bereits eingangs von mir angewandte Stilbezeichnung,
„frühgotischer Plattenharnisch" vorschlagen, die zu-
gleich die Geltungszeit umschreibt und im Unterschied davon
folgerichtig den bisher schlechtweg als gotische Rüstung be-
nannten ausgereiften Plattenharnisch des 15. Jahrhunderts, der
Ende des 14. Jahrhunderts sich auszubilden beginnt, als
„spätgotischen Plattenharnisch" bezeichnen. Diese Be-
nennungen bringen die frühe, die mittelalterliche Epoche in
Einklang mit der längst erfolgten, aber neuerdings vertieften
Eingliederung der neuzeitlichen Harnischentwicklung in die
Stil- und Kunstgeschichte der Renaissance und des Barocks. Die
in meinem weiter unten zitierten Vortrag13) zur Geltung ge-
brachte eminent stilgeschichtliche Bedeutung gerade des
Plattenrocks im 14. Jahrhundert rechtfertigt seine kunst-
geschichtliche Einbeschließung in vollem Maße.
Nach dieser Abschweifung von immerhin grundsätzlicher
Bedeutung nun zu Thordemans wichtigen, z. T. völlig neuen
Ermittlungen zur Entwicklung der Rumpfpanzerung am Har-
') Fr. Laking, A record of Europeah Armour and Arms 1920.
B. I—VI.
2) ZHWK. N. F. 2, 16!.
3) ZHWK. N. F. 7, 966.
4) ZHWK. N. F. 4, 44; 5, 41.
5) W. v. Arendt. Der Normadenhelm des frühen Mittelalters in
Osteuropa. ZHWK. N. F. 5, 26.
6) Ref. gelangte in seinem inzwischen erschienenen Tafelwerk,
„Das Kostüm u. die ritterliche Kriegstracht im deutschen Mittelalter
von 1000 bis 1500", die das gleiche Material in knapper Form be-
handelt, unabhängig zu einer ähnlichen, aber weniger treffenden
Benennung dieser Rumpfpanzerung als „Spangenrock".