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Er träumt sich in bcn Zorn.
Allein gehöre ich auch noch
Nicht zu den Papagaien,
Kann ich den Mantclwandel doch
In alle Lüste schreien.
Den Buben aus der Gaffe fein
Erzähl' ich diesen Handel,
Die mögen dann alö Papagai'n
Ihr zuschrein von dem Mantel.
Der Ladenbohrer.
In der Stadt H., nicht allzuweit vom geseg-
neten Harzwalde, lebte noch vor wenigen Jahren, vielleicht lebt
er noch, ein alter Uhrmacher, Namens Giesecke. Er war durch
Geschicklichkeit, Fleiß und Sparsamkeit ein reicher Mann ge-
worden. Das mußte wohl so wahr sein, denn die ganze Stadt
nannte ihn nur den reichen Giesecke. Aber daö Schönste
und Beste in seinem Hause waren doch nicht seine Schätze,
noch die goldnen Cylinderuhren, die in reichster Auswahl in
den Schubläden lagen oder an den Fenstern hingen, um die
Kauflust der Vorübergehenden zu erregen; nein, das warseine
Tochter Doris, sein einziges Kind, damals eben sechszehn Jahre
alt geworden. Sie war sein Augapfel und hatte ein Paar so
munterer Heller Augen im Kopfe, daß Jedermann ihr gut sein
mußte. Viele Mütter speculirten schon im Stillen für ihre
Söhne auf das Mädchen; ob dieser Augen wegen, oder weil
sie dereinst die einzige Erbin deS alten, reichen Giesecke war,
mag ich nicht entscheiden. Aber noch war's nicht an der Zeit,
mit solchen Plänen hervorzutrctcn; denn Doris war eben erst
den Kinderschuhen entwachsen, und der Alte war auch nicht
so einfältig, als er zuweilen aussah, sondern hatte den Fuchs
hinter den Ohren.
Ungefähr ein halbes Jahr vorher war ein neuer Chauffee-
geld-Erheber, Namens Velthusen, in die Stadt versetzt. Der
hatte eine Tochter Ulrike, die von gleichem Alter mit Doris
Giesecke war. Beide Mädchen lernten sich kennen, faßten
Freundschaft zu einander und waren bald ein Herz und eine
Seele. Kein Tag verging, ohne daß Doris bei Ulriken, oder
Ulrike bei Doris war. Dabei war nun freilich keine Gefahr;
denn Ulrike war ein so herziges Mädchen, daß alle Reisenden
mit Freuden das Wegegeld zahlten, wenn sie zufällig den Klingel-
beutel hinaushielt. Miuder gefahrlos für Doris Giesecke war
es aber, daß einige Zeit darauf des Chauffeegeld-Einnehmers
Sohn, Heinrich, der längere Zeit in Pommern als Hauslehrer
gewirkt hatte, ins väterliche Haus zurückkchrte, um hier seine
Anstellung als Geistlicher abzuwarten. Heinrich Velthusen
war freilief» ein gesitteter braver junger Mann, aber sehr hübsch
und dabei ein Candidat der Theologie, und die jungen Theo-
logen sollen, wie der dicke Gastwirth im schwarzen Roß zu
sagen pflegte, wie alter Zunder von jedem Funken, der etwa
aus einem feurigen Augenpaar auf sie fällt, entzündet werden,
und dann fortglühen, bis sie Asche werden. Der dicke Roß-
Der Ladenbohrcr.
wirth konnte wohl darüber sprechen; denn er selbst war in
seiner Jugend Theolog gewesen, freilich ein verdorbener, und
seine Rede bewährte sich auch in diesem Falle. Die Freundin
seiner Schwester konnte dem jungen Manne nicht fremd bleiben,
und bald mußte er sich sagen, daß ein sehr warmes Gefühl
für sic in seinem Herzen Wurzel gefaßt hatte. Der Funke war
wirklich in den Zunder gefallen und hatte sofort gezündet,
Doris hatte aber auch Augen danach. Da er sie gewöhnlich
auf ihrem Heimwege, besonders wenn es schon dunkel geworden
war, begleitete, so fand sich schon eine günstige Gelegenheit,
ihr seine Liebe auszusprechen, die zärtlich erwiedert wurde.
Es wäre nun freilich viel klüger gewesen, die jungen
Leute hätten ihre Neigung zu einander noch eine Zeitlang im
Stillen gepflegt und sich im Verborgenen etwa unter Zuziehung
der Schwester ihrer Liebe gefreut. Aber dazu war Heinrich
zu brav, zu gewissenhaft. Seine Absichten waren reell und
brauchten das Tageslicht und des Vaters Segen nicht zu
scheuen. Kurz, am Tage nach diesem abendlichen Austausche
ihrer Herzen kam er der mit Doris getroffenen Verabredung
geniäß stattlich aufgeputzt zu ihrem Vater ins Haus, um seine
Worte auch bei diesem anzubringen.
„Guten Tag, Herr Candidat!" erwiederte der alte
Giesecke de» ehrerbietigen und etwas förmlichen Gruß des
jungen Mannes. „Nun, was führt Sie schon so früh zu
inir? Wollen mir gewiß ein schmuckes Uhrchen abkaufen?
Jst's nicht so?" Der alte Mann berechnete schon im Geiste
den zu machenden Gewinn und zog instinctartig eine Schub-
lade mit funkelnden goldenen Uhren hervor. Aber der junge
Manu stand verlegen da und wußte nicht, wie er Worte
finden sollte für das, was er auf dem Herzen hatte. Denn
alle Gesellen und Lehrburschcn waren im Zimmer, und man-
ches Ohr gespannt auf seine Worte. Endlich stotterte er ver-
legen: „Ja! so ist's! ich wollte Sie um die schönste und netteste
Uhr bitten, die Sie im Hause haben!" (Bei diesen Worten
Er träumt sich in bcn Zorn.
Allein gehöre ich auch noch
Nicht zu den Papagaien,
Kann ich den Mantclwandel doch
In alle Lüste schreien.
Den Buben aus der Gaffe fein
Erzähl' ich diesen Handel,
Die mögen dann alö Papagai'n
Ihr zuschrein von dem Mantel.
Der Ladenbohrer.
In der Stadt H., nicht allzuweit vom geseg-
neten Harzwalde, lebte noch vor wenigen Jahren, vielleicht lebt
er noch, ein alter Uhrmacher, Namens Giesecke. Er war durch
Geschicklichkeit, Fleiß und Sparsamkeit ein reicher Mann ge-
worden. Das mußte wohl so wahr sein, denn die ganze Stadt
nannte ihn nur den reichen Giesecke. Aber daö Schönste
und Beste in seinem Hause waren doch nicht seine Schätze,
noch die goldnen Cylinderuhren, die in reichster Auswahl in
den Schubläden lagen oder an den Fenstern hingen, um die
Kauflust der Vorübergehenden zu erregen; nein, das warseine
Tochter Doris, sein einziges Kind, damals eben sechszehn Jahre
alt geworden. Sie war sein Augapfel und hatte ein Paar so
munterer Heller Augen im Kopfe, daß Jedermann ihr gut sein
mußte. Viele Mütter speculirten schon im Stillen für ihre
Söhne auf das Mädchen; ob dieser Augen wegen, oder weil
sie dereinst die einzige Erbin deS alten, reichen Giesecke war,
mag ich nicht entscheiden. Aber noch war's nicht an der Zeit,
mit solchen Plänen hervorzutrctcn; denn Doris war eben erst
den Kinderschuhen entwachsen, und der Alte war auch nicht
so einfältig, als er zuweilen aussah, sondern hatte den Fuchs
hinter den Ohren.
Ungefähr ein halbes Jahr vorher war ein neuer Chauffee-
geld-Erheber, Namens Velthusen, in die Stadt versetzt. Der
hatte eine Tochter Ulrike, die von gleichem Alter mit Doris
Giesecke war. Beide Mädchen lernten sich kennen, faßten
Freundschaft zu einander und waren bald ein Herz und eine
Seele. Kein Tag verging, ohne daß Doris bei Ulriken, oder
Ulrike bei Doris war. Dabei war nun freilich keine Gefahr;
denn Ulrike war ein so herziges Mädchen, daß alle Reisenden
mit Freuden das Wegegeld zahlten, wenn sie zufällig den Klingel-
beutel hinaushielt. Miuder gefahrlos für Doris Giesecke war
es aber, daß einige Zeit darauf des Chauffeegeld-Einnehmers
Sohn, Heinrich, der längere Zeit in Pommern als Hauslehrer
gewirkt hatte, ins väterliche Haus zurückkchrte, um hier seine
Anstellung als Geistlicher abzuwarten. Heinrich Velthusen
war freilief» ein gesitteter braver junger Mann, aber sehr hübsch
und dabei ein Candidat der Theologie, und die jungen Theo-
logen sollen, wie der dicke Gastwirth im schwarzen Roß zu
sagen pflegte, wie alter Zunder von jedem Funken, der etwa
aus einem feurigen Augenpaar auf sie fällt, entzündet werden,
und dann fortglühen, bis sie Asche werden. Der dicke Roß-
Der Ladenbohrcr.
wirth konnte wohl darüber sprechen; denn er selbst war in
seiner Jugend Theolog gewesen, freilich ein verdorbener, und
seine Rede bewährte sich auch in diesem Falle. Die Freundin
seiner Schwester konnte dem jungen Manne nicht fremd bleiben,
und bald mußte er sich sagen, daß ein sehr warmes Gefühl
für sic in seinem Herzen Wurzel gefaßt hatte. Der Funke war
wirklich in den Zunder gefallen und hatte sofort gezündet,
Doris hatte aber auch Augen danach. Da er sie gewöhnlich
auf ihrem Heimwege, besonders wenn es schon dunkel geworden
war, begleitete, so fand sich schon eine günstige Gelegenheit,
ihr seine Liebe auszusprechen, die zärtlich erwiedert wurde.
Es wäre nun freilich viel klüger gewesen, die jungen
Leute hätten ihre Neigung zu einander noch eine Zeitlang im
Stillen gepflegt und sich im Verborgenen etwa unter Zuziehung
der Schwester ihrer Liebe gefreut. Aber dazu war Heinrich
zu brav, zu gewissenhaft. Seine Absichten waren reell und
brauchten das Tageslicht und des Vaters Segen nicht zu
scheuen. Kurz, am Tage nach diesem abendlichen Austausche
ihrer Herzen kam er der mit Doris getroffenen Verabredung
geniäß stattlich aufgeputzt zu ihrem Vater ins Haus, um seine
Worte auch bei diesem anzubringen.
„Guten Tag, Herr Candidat!" erwiederte der alte
Giesecke de» ehrerbietigen und etwas förmlichen Gruß des
jungen Mannes. „Nun, was führt Sie schon so früh zu
inir? Wollen mir gewiß ein schmuckes Uhrchen abkaufen?
Jst's nicht so?" Der alte Mann berechnete schon im Geiste
den zu machenden Gewinn und zog instinctartig eine Schub-
lade mit funkelnden goldenen Uhren hervor. Aber der junge
Manu stand verlegen da und wußte nicht, wie er Worte
finden sollte für das, was er auf dem Herzen hatte. Denn
alle Gesellen und Lehrburschcn waren im Zimmer, und man-
ches Ohr gespannt auf seine Worte. Endlich stotterte er ver-
legen: „Ja! so ist's! ich wollte Sie um die schönste und netteste
Uhr bitten, die Sie im Hause haben!" (Bei diesen Worten
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Ladenbohrer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 13.1851, Nr. 300, S. 94
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg