Der wohlangesehenen Bürger Lehmann und Graf aus Berne bei Dresden
Reise nach London.
(Schluß.)
Was aber die Engländer vor verdrehte Kerle sind habe ich
hier gesehn, denn sie können nicht einmal richtig lesen und sagen
alle statt Greenwich: Grünmützsch. So dumm sind wir in
Deutschland aber doch nicht und können alle kohrekt lesen und
orlegrafviehrlich schreiben, nicht wahr, liebe Anverwandten u. s.w.
Von hier aus sieht man auch schon London, man kann es
! aber vor Dambf und Rauch niemals nicht sehn. Rach einer
Stunde kamen wir auch an, und wurden in das Zollgebeide
thransporthüret, wo ein andrer Baßaschür sagte, das wäre die
Schlachtsteiereinnahme. Hier wurden unsre Sachen durchvieh-
sithürt, aber solche Grobhäntze habe ich auch noch nicht gesehn,
als wie diese Zollbeamten sind und wenn in der Bibel von
den schlechten Zöllner und Sündern gesprochen wird, so sind
damit nur die englischen gemeint, die gewiß damals schon so
sackgrob gewesen sind. Ich hatte mir nämlich vor der Reise
ein ganses Duzent neue Rachtmitzen gekauft und wie der Kerl
die sieht, brüllt er mich auf englisch -firchterlich an, aber da
von den 120 Wörtern die ich auswendig wüste keines dabei
war, so schüttelte ich mit dem Kobse. Der Mensch wurde aber
immer gröber und schleppte mich in das Bieroh zu den andern
Beamten. Nun sah ich, daß sie meine neien Rachtmitzen als
Kontrabande ansahn, weshalb ich ihnen durch Bandeminen
■ deitlich machen wollte, daß ich sie nur zu meinen eichentiem-
lichen Gebrauch brauchte und darum eine über die andre auf-
setzte, bis ich alle zwelfe auf den Kobs
hatte. Zum größten Malöhr hatte
Lehmann das Diactionär in seinen
Koffer, warum an eine Verständlich-
keit zwischen uns nicht zu denken ivar.
Endlich aber schob mir der Mann
einen Zettel hin, worauf stand 1 £
4 sh. 6 d. und machte mir durch
Ribbenstöße deitlich, daß ich so viel
Strafe zu zahlen hätte, was nach
unfern Geld mehr als 8 Dhaler
ist. Sollte man so etwas glauben
liebe Anverwandten u. s. w.? An
eine Wiederstrebsamkeit war gar nicht zu denken, ich mußte
zahlen, habe aber dann auf deutsch gesagt, Ihr seid Spitzbuben!
was sie aber glicklicherweise nicht verstanden, liebe Anverwandten
u. s. w. Nun wußte ich auch, was vorhin der mit der Schlacht-
steiereinnahme hatte sagen wollen.
Lehmann suchte mich zu tröhsten, wozu aber gar keine Zeit
nicht war, denn kaum waren wir aus der Thüre getreten, als
schon wenigstens mehrere Tausend englische Eckensteher auf uns
losstirzten und uns in Tausend Stücken zerreisen wollten um
uns gesellig zu sein. Aber daß hier sogar auch die Ecken-
steher und Kutscher englisch sprechen, hatte ich nicht vermutet,
warum wir auch alle Beide gar nicht wüsten, wie wir uns
helfen sollten. Da traten mir die Dröhnen in die Augen und
ich sagte: „Lehmann," sagte ich, „weißt Du was, hole der
Teifel die ganse Indedustetrieausstellung. ich kehre um und mache
wieder nach Deutschland", sagte ich. Lehmann hatte auch schon
Lust/ da kam aber noch glicklicherweise einer von unser Ecks-
drahvergnigen, der London schon aus frührer Bekanntschaft
her kannte; dieser nahm uns mit in eine Droschke und ver-
schaffte uns auch ein hübsches Loschü. Nun waren wir auf
einmal wieder vergnigt und wie wir uns rehstohrührt hatten,
wollten wir auch gleich uns die Stadt ansehn.
Unser Wirth, mit dem wir uns durch das Diactionär ver-
ständlichten, gab uns eine Landkarte von London weil er nicht
selbst mitgehn konnte und beschrieb uns den Weg in die Aus-
stellung weil wir natirlich zuerst dorthin wollten. Nun wurde
I auch ausgemacht, daß wir immer unser Taschenwörterbuch mit-
nehmen wollten und daß jeder zwei Bände tragen müßte.
Aber liebe Anverwandten u. s. w., so ein Leben wie in
London könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen; auf den Straßen
kann man kaum durch und jeden Augenblick bekommt man
einen Schubs, Dritt oder Stos von die Fußgänger oder einen
Peitschenhieb von den Kutschers, daß es eine wahre Lust ist,
so unter den Gchdränge zu sein und daß ich Euch allen das von
Herzen selbst winschte, zu sehen und zu geniesen.
Lehmann oriechenthürte sich sehr leicht auf der Landkarte
und ich glaube, daß wir auch noch bis auf die Ausstellung
gekommen wären, wenn es nicht unterwegs gar zu viel zu
sehen gegeben hätte. Wir standen immer mit offenen Meulern
da, oder suchten in den Wörterbuch auf, um die Fürmas oder
etwas anders zu übersetzen. So ein Wörterbuch ist eine recht
schöne Erfindung, aber etwas unkamode immer unter die Arme
zu tragen. Wie wir eben wieder vor einem Laden stehn, klobft ,
mich auf einmal Einer von hinten auf die Schuldem; ich
drehe mich also rasch um und — nun rathet einmal liebe
Anverwandten u. s. w., wer da vor mir steht? Nein, Ihr
errathet cs doch nicht, darum will ich es Euch mitheulen. Wer
war es? Unfern seligen Stadtmusiekuß sei Christopf, mein
Bathe. Wir fielen gleich einandern in den Hals und um die
Arme, und dann erzählte er uns, daß er als Kammerdiener
ist mit einen Gehsandschaftsseekretheer nach England gekommen
und jetzt Lakeu bei die Königin Vikthorija ist. Er war gans
i
Reise nach London.
(Schluß.)
Was aber die Engländer vor verdrehte Kerle sind habe ich
hier gesehn, denn sie können nicht einmal richtig lesen und sagen
alle statt Greenwich: Grünmützsch. So dumm sind wir in
Deutschland aber doch nicht und können alle kohrekt lesen und
orlegrafviehrlich schreiben, nicht wahr, liebe Anverwandten u. s.w.
Von hier aus sieht man auch schon London, man kann es
! aber vor Dambf und Rauch niemals nicht sehn. Rach einer
Stunde kamen wir auch an, und wurden in das Zollgebeide
thransporthüret, wo ein andrer Baßaschür sagte, das wäre die
Schlachtsteiereinnahme. Hier wurden unsre Sachen durchvieh-
sithürt, aber solche Grobhäntze habe ich auch noch nicht gesehn,
als wie diese Zollbeamten sind und wenn in der Bibel von
den schlechten Zöllner und Sündern gesprochen wird, so sind
damit nur die englischen gemeint, die gewiß damals schon so
sackgrob gewesen sind. Ich hatte mir nämlich vor der Reise
ein ganses Duzent neue Rachtmitzen gekauft und wie der Kerl
die sieht, brüllt er mich auf englisch -firchterlich an, aber da
von den 120 Wörtern die ich auswendig wüste keines dabei
war, so schüttelte ich mit dem Kobse. Der Mensch wurde aber
immer gröber und schleppte mich in das Bieroh zu den andern
Beamten. Nun sah ich, daß sie meine neien Rachtmitzen als
Kontrabande ansahn, weshalb ich ihnen durch Bandeminen
■ deitlich machen wollte, daß ich sie nur zu meinen eichentiem-
lichen Gebrauch brauchte und darum eine über die andre auf-
setzte, bis ich alle zwelfe auf den Kobs
hatte. Zum größten Malöhr hatte
Lehmann das Diactionär in seinen
Koffer, warum an eine Verständlich-
keit zwischen uns nicht zu denken ivar.
Endlich aber schob mir der Mann
einen Zettel hin, worauf stand 1 £
4 sh. 6 d. und machte mir durch
Ribbenstöße deitlich, daß ich so viel
Strafe zu zahlen hätte, was nach
unfern Geld mehr als 8 Dhaler
ist. Sollte man so etwas glauben
liebe Anverwandten u. s. w.? An
eine Wiederstrebsamkeit war gar nicht zu denken, ich mußte
zahlen, habe aber dann auf deutsch gesagt, Ihr seid Spitzbuben!
was sie aber glicklicherweise nicht verstanden, liebe Anverwandten
u. s. w. Nun wußte ich auch, was vorhin der mit der Schlacht-
steiereinnahme hatte sagen wollen.
Lehmann suchte mich zu tröhsten, wozu aber gar keine Zeit
nicht war, denn kaum waren wir aus der Thüre getreten, als
schon wenigstens mehrere Tausend englische Eckensteher auf uns
losstirzten und uns in Tausend Stücken zerreisen wollten um
uns gesellig zu sein. Aber daß hier sogar auch die Ecken-
steher und Kutscher englisch sprechen, hatte ich nicht vermutet,
warum wir auch alle Beide gar nicht wüsten, wie wir uns
helfen sollten. Da traten mir die Dröhnen in die Augen und
ich sagte: „Lehmann," sagte ich, „weißt Du was, hole der
Teifel die ganse Indedustetrieausstellung. ich kehre um und mache
wieder nach Deutschland", sagte ich. Lehmann hatte auch schon
Lust/ da kam aber noch glicklicherweise einer von unser Ecks-
drahvergnigen, der London schon aus frührer Bekanntschaft
her kannte; dieser nahm uns mit in eine Droschke und ver-
schaffte uns auch ein hübsches Loschü. Nun waren wir auf
einmal wieder vergnigt und wie wir uns rehstohrührt hatten,
wollten wir auch gleich uns die Stadt ansehn.
Unser Wirth, mit dem wir uns durch das Diactionär ver-
ständlichten, gab uns eine Landkarte von London weil er nicht
selbst mitgehn konnte und beschrieb uns den Weg in die Aus-
stellung weil wir natirlich zuerst dorthin wollten. Nun wurde
I auch ausgemacht, daß wir immer unser Taschenwörterbuch mit-
nehmen wollten und daß jeder zwei Bände tragen müßte.
Aber liebe Anverwandten u. s. w., so ein Leben wie in
London könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen; auf den Straßen
kann man kaum durch und jeden Augenblick bekommt man
einen Schubs, Dritt oder Stos von die Fußgänger oder einen
Peitschenhieb von den Kutschers, daß es eine wahre Lust ist,
so unter den Gchdränge zu sein und daß ich Euch allen das von
Herzen selbst winschte, zu sehen und zu geniesen.
Lehmann oriechenthürte sich sehr leicht auf der Landkarte
und ich glaube, daß wir auch noch bis auf die Ausstellung
gekommen wären, wenn es nicht unterwegs gar zu viel zu
sehen gegeben hätte. Wir standen immer mit offenen Meulern
da, oder suchten in den Wörterbuch auf, um die Fürmas oder
etwas anders zu übersetzen. So ein Wörterbuch ist eine recht
schöne Erfindung, aber etwas unkamode immer unter die Arme
zu tragen. Wie wir eben wieder vor einem Laden stehn, klobft ,
mich auf einmal Einer von hinten auf die Schuldem; ich
drehe mich also rasch um und — nun rathet einmal liebe
Anverwandten u. s. w., wer da vor mir steht? Nein, Ihr
errathet cs doch nicht, darum will ich es Euch mitheulen. Wer
war es? Unfern seligen Stadtmusiekuß sei Christopf, mein
Bathe. Wir fielen gleich einandern in den Hals und um die
Arme, und dann erzählte er uns, daß er als Kammerdiener
ist mit einen Gehsandschaftsseekretheer nach England gekommen
und jetzt Lakeu bei die Königin Vikthorija ist. Er war gans
i
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der wohlangesehene Bürger Lehmann und Graf aus Berne bei Dresden, Reise nach London"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 13.1851, Nr. 304, S. 126
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg