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Treppe in der Hand, dort legte er sie aber vorsichtig auf die
erste Stuse und stieg dann rasch hinauf in die Bel-Etage.
Hier mußte er wieder klingeln. Ein Dienstmädchen öffnete
ihm die Thür.
„Telegraphische Depesche!" sagte Lorenz und hielt ihr das
Papier entgegen. Kaum war aber das Wort heraus, als das
Mädchen ihm die Thür wieder vor der Nase zuschlug und er
!hörte nur noch wie sie drin über den Gang stürzte und in
Iein Zimmer hinein schrie: „O Du lieber Gott eine telegraphische
Depesche." Ein lauter Schrei antwortete — ängstlich hin und
wiederlaufcude Schritte wurden drinnen laut, und Niemand
schien sich weiter um Lorenz zu bekümmern.
„Hm" dachte dieser „das ts mer doch cne kuriose Ge-
schichte — was se nur derbei habend — wenn se nich bald
kommen, bimmele ich noch eenmal."
Schon hatte er die Hand zum Zweitenmale nach der Klin-
gel ausgestreckt, als cs drinnen wieder laut wurde. Deutlich
konnte er die Schritte einer Anzahl von Personen hören, die
auf die Saalthür zukamen und diese wurde endlich wieder
halb geöffnet.
Die Folgen einer telegraphischen Depesche.
Wenn Lorenz nicht selber so erschreckt gewesen wäre, hätte
er gern gelacht, denn auf dem Gang drinne stand die wun-
derlichste Proceffion, die er in seinem ganzen Leben geschn.
Vorn ein Herr mit einem dicken rothen Gesicht und feuerro-
them Backenbart, Mem sehr schmutzigen Schlafrock, darunter
die zusammengebundenen Unterhosen und ein paar niedergetre-
tene Pantoffeln. Hinter ihm stand eine Dame, ebenfalls im
höchsten Morgennegligee mit weißer Nachtjacke und Anter-
rock. Rechts und links von diesen beiden drängten sich zwei
Dienstboten herbei, Neugierde und Furcht in den bleichen Ge-
lichtern und vier oder fünf Kinder schauten dazu mit den noch
ungewaschenen und ungekämmten Köpfen vor, wo sie irgend Raum
finden konnten diese durchzuschieben.
„Telegraphische Depesche für Herrn Doktor Müller" sagte
Lorenz, dießmal keine Verwechslung des Namens möglich zu
machen.
„Müller? — Holzkopf!" schrie aber da der Herr im
Schlafrock, und warf die Thür von innen wieder dermaßen
in's Schloß, daß Lorenz kaum Zeit behielt zurückzuspringen.
Etwas erstaunt blieb er, mit seiner Depesche in der Hand, jetzt
an der Schwelle stehn, fing aber doch nun an zu glauben daß
die ganze Sache irgend etwas Furchtbares und Gefährliches
in sich trage, das mit den geheimnißvollen Telegraphendrähten
natürlich in direkter Verbindung stünde, und mehr als je daran liege,
die richtige Person dafür zu finden. Vor allen Dingen suchte er
deshalb, ehe er sich weiteren Mißverständnissen aussetzte, die
Wohnung des besagten Doktor Müller ausfindig zu machen,
und der Zeitungsjunge, der eben das Tageblatt brachte, diente
ihm dabei als untrügliche Quelle.
„Doktor Müller?" sagte dieser — „eine Treppe höher,
können gleich das Tageblatt mit hinaufnehmen — doch Trep-
pen genug zu laufen."
Lorenz übernahm die Besorgung, und befand sich bald
zu seiner innigen Beruhigung an der rechten Thür. Ein klei-
nes weißes Schild mit dem Namen des De. Müller
darauf zeigte ihm daß er sein Ziel erreicht habe.
An dieser Vorsaalthür war keine Schelle.
Er klopfte erst ein paar Mal, und da ihm Nie-
mand antwortete, drückte er die Klinke nieder und
trat ein. Auf dem Vorsaal sah er auch Nie-
manden, und die Küche stand leer; in der nächsten
Stube hörte er aber Stimmen, ging dort hinüber
und klopfte an.
Wie sich die Thür öffnete glänzte ihm ein
mit Blumen, Torten und Geschenken bedeckter Tisch
entgegen, und eine junge allerliebste kleine Frau
frug ihn freundlich was er wünsche. Lorenz, der
außerordentlich gutmüthigen Herzens war, dachte
aber mit Zagen an die Verwirrung, die er par-
terre und im ersten Stock schon angerichtet Hatte,
und wünschte, mit dem unbestimmten Bewußtsein,
daß er der Träger irgend einer furchtbaren Nach-
richt wäre, diese der jungen hübschen Frau so vor-
sichtig als möglich beizubringen.
„Ach Heren Se" sagte er deshalb — „erschrecken Sie
nich — ich Habe was vom Telegraphen."
Die junge Frau sah ihn stier an, hob langsam den rech-
ten Arm in die Höh und brach mit dem kaum hörbar ausge-
stoßenen Schrei: „er ist todt" — bewußtlos zusammen. Ahr
Gatte hatte auch in der That kaum Zeit sie aufzusangen und
vor einem vielleicht schlimmen Sturze zu bewahren.
,,Um Gottes Willen, was ist?" frug er dabei den wie
selber vom Schlag gerührten Depeschenträger „eine Telegraphische
Depesche? — woher?"
„Nun da Sie's doch schon einmal wissen" sagte Lorenz,
inniges Mitleid in den erschreckten Zügen — „cs is Sie vom
Telegraphen."
Der junge Mann trug sein armes, bewußtloses Frauchen
Treppe in der Hand, dort legte er sie aber vorsichtig auf die
erste Stuse und stieg dann rasch hinauf in die Bel-Etage.
Hier mußte er wieder klingeln. Ein Dienstmädchen öffnete
ihm die Thür.
„Telegraphische Depesche!" sagte Lorenz und hielt ihr das
Papier entgegen. Kaum war aber das Wort heraus, als das
Mädchen ihm die Thür wieder vor der Nase zuschlug und er
!hörte nur noch wie sie drin über den Gang stürzte und in
Iein Zimmer hinein schrie: „O Du lieber Gott eine telegraphische
Depesche." Ein lauter Schrei antwortete — ängstlich hin und
wiederlaufcude Schritte wurden drinnen laut, und Niemand
schien sich weiter um Lorenz zu bekümmern.
„Hm" dachte dieser „das ts mer doch cne kuriose Ge-
schichte — was se nur derbei habend — wenn se nich bald
kommen, bimmele ich noch eenmal."
Schon hatte er die Hand zum Zweitenmale nach der Klin-
gel ausgestreckt, als cs drinnen wieder laut wurde. Deutlich
konnte er die Schritte einer Anzahl von Personen hören, die
auf die Saalthür zukamen und diese wurde endlich wieder
halb geöffnet.
Die Folgen einer telegraphischen Depesche.
Wenn Lorenz nicht selber so erschreckt gewesen wäre, hätte
er gern gelacht, denn auf dem Gang drinne stand die wun-
derlichste Proceffion, die er in seinem ganzen Leben geschn.
Vorn ein Herr mit einem dicken rothen Gesicht und feuerro-
them Backenbart, Mem sehr schmutzigen Schlafrock, darunter
die zusammengebundenen Unterhosen und ein paar niedergetre-
tene Pantoffeln. Hinter ihm stand eine Dame, ebenfalls im
höchsten Morgennegligee mit weißer Nachtjacke und Anter-
rock. Rechts und links von diesen beiden drängten sich zwei
Dienstboten herbei, Neugierde und Furcht in den bleichen Ge-
lichtern und vier oder fünf Kinder schauten dazu mit den noch
ungewaschenen und ungekämmten Köpfen vor, wo sie irgend Raum
finden konnten diese durchzuschieben.
„Telegraphische Depesche für Herrn Doktor Müller" sagte
Lorenz, dießmal keine Verwechslung des Namens möglich zu
machen.
„Müller? — Holzkopf!" schrie aber da der Herr im
Schlafrock, und warf die Thür von innen wieder dermaßen
in's Schloß, daß Lorenz kaum Zeit behielt zurückzuspringen.
Etwas erstaunt blieb er, mit seiner Depesche in der Hand, jetzt
an der Schwelle stehn, fing aber doch nun an zu glauben daß
die ganze Sache irgend etwas Furchtbares und Gefährliches
in sich trage, das mit den geheimnißvollen Telegraphendrähten
natürlich in direkter Verbindung stünde, und mehr als je daran liege,
die richtige Person dafür zu finden. Vor allen Dingen suchte er
deshalb, ehe er sich weiteren Mißverständnissen aussetzte, die
Wohnung des besagten Doktor Müller ausfindig zu machen,
und der Zeitungsjunge, der eben das Tageblatt brachte, diente
ihm dabei als untrügliche Quelle.
„Doktor Müller?" sagte dieser — „eine Treppe höher,
können gleich das Tageblatt mit hinaufnehmen — doch Trep-
pen genug zu laufen."
Lorenz übernahm die Besorgung, und befand sich bald
zu seiner innigen Beruhigung an der rechten Thür. Ein klei-
nes weißes Schild mit dem Namen des De. Müller
darauf zeigte ihm daß er sein Ziel erreicht habe.
An dieser Vorsaalthür war keine Schelle.
Er klopfte erst ein paar Mal, und da ihm Nie-
mand antwortete, drückte er die Klinke nieder und
trat ein. Auf dem Vorsaal sah er auch Nie-
manden, und die Küche stand leer; in der nächsten
Stube hörte er aber Stimmen, ging dort hinüber
und klopfte an.
Wie sich die Thür öffnete glänzte ihm ein
mit Blumen, Torten und Geschenken bedeckter Tisch
entgegen, und eine junge allerliebste kleine Frau
frug ihn freundlich was er wünsche. Lorenz, der
außerordentlich gutmüthigen Herzens war, dachte
aber mit Zagen an die Verwirrung, die er par-
terre und im ersten Stock schon angerichtet Hatte,
und wünschte, mit dem unbestimmten Bewußtsein,
daß er der Träger irgend einer furchtbaren Nach-
richt wäre, diese der jungen hübschen Frau so vor-
sichtig als möglich beizubringen.
„Ach Heren Se" sagte er deshalb — „erschrecken Sie
nich — ich Habe was vom Telegraphen."
Die junge Frau sah ihn stier an, hob langsam den rech-
ten Arm in die Höh und brach mit dem kaum hörbar ausge-
stoßenen Schrei: „er ist todt" — bewußtlos zusammen. Ahr
Gatte hatte auch in der That kaum Zeit sie aufzusangen und
vor einem vielleicht schlimmen Sturze zu bewahren.
,,Um Gottes Willen, was ist?" frug er dabei den wie
selber vom Schlag gerührten Depeschenträger „eine Telegraphische
Depesche? — woher?"
„Nun da Sie's doch schon einmal wissen" sagte Lorenz,
inniges Mitleid in den erschreckten Zügen — „cs is Sie vom
Telegraphen."
Der junge Mann trug sein armes, bewußtloses Frauchen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Folgen einer telegraphischen Depesche"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 24.1856, Nr. 570, S. 138
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg