126 Eine Partie nach dem Brocken.
Noch zwei Stunden später: Zu Mittag gegessen. —
Aufbruch, um noch vor Abend Wernigerode zu erreichen. —
Gegründete Aussicht auf heiteres Wetter, denn der Nebel
senkt sich in strömenden Regengüssen zu Boden. Wir ver-
lassen den Berg, indem wir singen:
„Es kann ja nicht immer so bleiben."
Gewinn der Brockenpartie: Husten, Schnupfen, Rheu-
matismus in beiden Armen und eine verdorbene Sommer-
hose. — Kosten ä Person: Sechs Thaler achtundzwanzig
Silbergroschen.
Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger
Turnfest.
(Fortsetzung.)
Als eine andre Browe mußte ich mich mit beide Hcnde
auf zwei Stangen hoch in Luft ziehen und dann mit alle
Gewalt mit die Beine herumbaumeln, wodabei mir die an-
dern dicken Herrn balde von hinten, balde von vorne als
Erleichterung einen sanften Stos gaben. Das cinemal mußte
aber dieser sanfte Stos doch wohl ein Bischen viel zu stark
gewesen sein, denn ich konnte Mich nicht mehr mit die Hende
feste halten und fiel ans die Luft hinunter, aber hingegen
dieses Mal nicht wieder auf die Rickscite, sondern mit aller
Gewaltigkeit auf den Bauch, so daß ich dachte, ich kennte
Mir ein Gehirnzerschittcrung zugezogen haben. Ich erholte
Mich aber sehre bald vollstcndig wieder und weil ich nun
keine Lust hatte, noch andre solche halszerbrechliche Browen
mitzumachen, so nahmen sic Mich als Ehrenmitglied in die
erste dicke Turnriege von gans Deutschland auf, wo-
bei ich noch das Versbrechen geben mußte, daß ich Mich
wollte Morgen mit die übrige dicke Gesellschaft fortigrawiren
lassen, weil man dieses Bild als Kunstwerk und Andenken
einen Jeden mitgeben wollte.
Obgleich Mir alle Knochen im Leiwe Weh thaten, so
war ich doch froh, daß ich nun auch ein thätlichten Antheil
an das Fest genommen hatte und mit aufrichtige Freide
Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger
Turnfe st.
vermischte ich Mich nun unter die andern Herrn Turner.
Dieses waren aber wirklich alles miteinander prechtige Men-
schen und ich hätte Dir Wohl gewinscht, gelibtes Amalichen,
daß Du Sie hettest sehn kennen. Aber das Turnen ist nun
einmal nicht für hie Damens bestimmt und wenn zwar auch
bei den grosen Zuge ein baar mit dazwischen gewesen waren,
so sind dieses wahrscheinlich blos Ehrenmitgliederinen, welche
sich vielleicht auf unbeweglichte Weise haben um die Turn-
kunst verdienstlich gemacht.
Um Mich mit gans Deuschland recht bekannt zu machen,
so suchte ich Mir in die Fcsthalle einen Tisch aus, wodaran
aus alle meglichen Länder und Gegenden von das deutsche
Reich Landeskinder sitzen thaten. Hier nahm ich nun auch
mit Blatz und werde Zeitlebens an dieses Vergnigen denken.
Da heißt cs doch nun immer, daß die Deutschen unter sich
einander immer nur blos fcindschaftlicht gesinnt wären, aber
hier sah man es recht deitlich, daß dieses alles blos Lige und
Betrigerei von die Zeitungen ist, denn hier auf das Turnfest war
Alles eine Liebe und Anhänglichkeit und wenn es wirklich solche
Landesstreitigkeitcn giebt, so kommt dieses blos aus die so-
genannten Kawinetter, wo sic die innerlichte und auswärtsige
Boledick machen. Wie ich so an den langen Tische bei diese lieben
Herren Turner saß, so dachte ich bei Mir, nun willst Die Dir doch
einmal dahier die Schmerzenskinder hcraussuchen. Aber
es schienen gar keine nicht darunter zu sein, denn da waren
die Einen gerade so lustig als wie die Andern. Ich fragte
auch einen Wiener, wie dieses nun eichentlich mit die
Schmerzensgeschichte wäre, aber da lachten sie Mich alle zu-
sammen aus und der eine Turner, welches ein rechter sideler
Berliner war, lächelte Mir gans grade in mein Gesicht und
dann sagte er zu mir: Wenn Sie alleweile wollen die rich-
tigen Schmerzenskinder sehen, so müssen Sie zu uns nach
Berlin oder sonst nach Preisen kommen. — Dieses war mir
nun sehr sonderbar, daß der Mann so etwas von selber ge-
stand und dabei doch auch noch so frchlich sein that, und wie
ich ihn fragte, wie das käme, sagte er in seine Landessbrache:
Jh Jotte doch, det is janz cenfach, wir haben mant blos
unsre Schmerzen zu Hause jelassen und sind als Kinder
jekommen! Werst man als jesunde Kinder, setzte gleich ein
daneben sitzender andrer Berliner hinzu, wodarüber nun wie-
der eine allgemeine Frehlichkeit werden that. Dann aber
stimmten sie einen Gesang an, welcher das schöne Lied war:
Es kann ja nicht immer so verbleiben, hierunter es wechselt
der Mond u. s. w. Aber wen sie unter diesen Mondschein
meinen thaten, das konnte ich Mir schon denken; Du brauchst
es aber weiter nicht zu wissen, libe Frau und Gattin, denn
solche bolidische Ansbiclereien sind nrcht für das weibliche
Wesen berechnet.
ES war diesen Abend aber auch der schönste Augenblick
in mein ganses Leben. Ich habe auch einige Reden ge-
halten, welche sehr tiefsinnicht waren und allgemeine Bei-
felligkeit erhielten, denn sie wollten Alle mit Mir anstoßen
und zuletzt trugen sie mich in Driumfe nach Hause, denn es
Noch zwei Stunden später: Zu Mittag gegessen. —
Aufbruch, um noch vor Abend Wernigerode zu erreichen. —
Gegründete Aussicht auf heiteres Wetter, denn der Nebel
senkt sich in strömenden Regengüssen zu Boden. Wir ver-
lassen den Berg, indem wir singen:
„Es kann ja nicht immer so bleiben."
Gewinn der Brockenpartie: Husten, Schnupfen, Rheu-
matismus in beiden Armen und eine verdorbene Sommer-
hose. — Kosten ä Person: Sechs Thaler achtundzwanzig
Silbergroschen.
Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger
Turnfest.
(Fortsetzung.)
Als eine andre Browe mußte ich mich mit beide Hcnde
auf zwei Stangen hoch in Luft ziehen und dann mit alle
Gewalt mit die Beine herumbaumeln, wodabei mir die an-
dern dicken Herrn balde von hinten, balde von vorne als
Erleichterung einen sanften Stos gaben. Das cinemal mußte
aber dieser sanfte Stos doch wohl ein Bischen viel zu stark
gewesen sein, denn ich konnte Mich nicht mehr mit die Hende
feste halten und fiel ans die Luft hinunter, aber hingegen
dieses Mal nicht wieder auf die Rickscite, sondern mit aller
Gewaltigkeit auf den Bauch, so daß ich dachte, ich kennte
Mir ein Gehirnzerschittcrung zugezogen haben. Ich erholte
Mich aber sehre bald vollstcndig wieder und weil ich nun
keine Lust hatte, noch andre solche halszerbrechliche Browen
mitzumachen, so nahmen sic Mich als Ehrenmitglied in die
erste dicke Turnriege von gans Deutschland auf, wo-
bei ich noch das Versbrechen geben mußte, daß ich Mich
wollte Morgen mit die übrige dicke Gesellschaft fortigrawiren
lassen, weil man dieses Bild als Kunstwerk und Andenken
einen Jeden mitgeben wollte.
Obgleich Mir alle Knochen im Leiwe Weh thaten, so
war ich doch froh, daß ich nun auch ein thätlichten Antheil
an das Fest genommen hatte und mit aufrichtige Freide
Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger
Turnfe st.
vermischte ich Mich nun unter die andern Herrn Turner.
Dieses waren aber wirklich alles miteinander prechtige Men-
schen und ich hätte Dir Wohl gewinscht, gelibtes Amalichen,
daß Du Sie hettest sehn kennen. Aber das Turnen ist nun
einmal nicht für hie Damens bestimmt und wenn zwar auch
bei den grosen Zuge ein baar mit dazwischen gewesen waren,
so sind dieses wahrscheinlich blos Ehrenmitgliederinen, welche
sich vielleicht auf unbeweglichte Weise haben um die Turn-
kunst verdienstlich gemacht.
Um Mich mit gans Deuschland recht bekannt zu machen,
so suchte ich Mir in die Fcsthalle einen Tisch aus, wodaran
aus alle meglichen Länder und Gegenden von das deutsche
Reich Landeskinder sitzen thaten. Hier nahm ich nun auch
mit Blatz und werde Zeitlebens an dieses Vergnigen denken.
Da heißt cs doch nun immer, daß die Deutschen unter sich
einander immer nur blos fcindschaftlicht gesinnt wären, aber
hier sah man es recht deitlich, daß dieses alles blos Lige und
Betrigerei von die Zeitungen ist, denn hier auf das Turnfest war
Alles eine Liebe und Anhänglichkeit und wenn es wirklich solche
Landesstreitigkeitcn giebt, so kommt dieses blos aus die so-
genannten Kawinetter, wo sic die innerlichte und auswärtsige
Boledick machen. Wie ich so an den langen Tische bei diese lieben
Herren Turner saß, so dachte ich bei Mir, nun willst Die Dir doch
einmal dahier die Schmerzenskinder hcraussuchen. Aber
es schienen gar keine nicht darunter zu sein, denn da waren
die Einen gerade so lustig als wie die Andern. Ich fragte
auch einen Wiener, wie dieses nun eichentlich mit die
Schmerzensgeschichte wäre, aber da lachten sie Mich alle zu-
sammen aus und der eine Turner, welches ein rechter sideler
Berliner war, lächelte Mir gans grade in mein Gesicht und
dann sagte er zu mir: Wenn Sie alleweile wollen die rich-
tigen Schmerzenskinder sehen, so müssen Sie zu uns nach
Berlin oder sonst nach Preisen kommen. — Dieses war mir
nun sehr sonderbar, daß der Mann so etwas von selber ge-
stand und dabei doch auch noch so frchlich sein that, und wie
ich ihn fragte, wie das käme, sagte er in seine Landessbrache:
Jh Jotte doch, det is janz cenfach, wir haben mant blos
unsre Schmerzen zu Hause jelassen und sind als Kinder
jekommen! Werst man als jesunde Kinder, setzte gleich ein
daneben sitzender andrer Berliner hinzu, wodarüber nun wie-
der eine allgemeine Frehlichkeit werden that. Dann aber
stimmten sie einen Gesang an, welcher das schöne Lied war:
Es kann ja nicht immer so verbleiben, hierunter es wechselt
der Mond u. s. w. Aber wen sie unter diesen Mondschein
meinen thaten, das konnte ich Mir schon denken; Du brauchst
es aber weiter nicht zu wissen, libe Frau und Gattin, denn
solche bolidische Ansbiclereien sind nrcht für das weibliche
Wesen berechnet.
ES war diesen Abend aber auch der schönste Augenblick
in mein ganses Leben. Ich habe auch einige Reden ge-
halten, welche sehr tiefsinnicht waren und allgemeine Bei-
felligkeit erhielten, denn sie wollten Alle mit Mir anstoßen
und zuletzt trugen sie mich in Driumfe nach Hause, denn es
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Partie nach dem Brocken"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 39.1863, Nr. 954, S. 126
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg