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Grützner's Setzstock.
starren Verwunderung, die der Färbung seines Gesichts nach
zu urtheilen, in Zorn überging, je weiter er las. Er zitterte
geradezu, als er jetzt das Papier aufraffte, um näher an's
Licht zu treten, und ein Strom von lauten Verwünschungen
brach plötzlich auö seinem Munde, als er das Papier in
beiden Händen zusammenballte, auf den Boden warf und mit
Füßen trat. Man kann sich denken, welche Wirkung diese
Scene hervorbrachte. Die laute Unterhaltung riß mitten
im Worte ab, alle Köpfe flogen in eine Richtung, aber
Keiner rührte sich vom Platz, um einzuschreiten oder den
Rasenden zur Rede zu setzen. Mir selbst erging es nicht
anders, obgleich ich der Entwicklung von Anfang an zugeschen
hatte. . Ein Licht ging mir aber auf, als jetzt Ziegler plötzlich
mit einem Satze und unter dem Ausruf über seinen Tisch
herüberflog: „Was der Donner, das ist ja Grützner, wie
kommt denn der daher!" und auf den Fremden losstürztc.
Der hatte aber kaum diesen Namen und diese Stimme ver-
nommen, als er auffuhr, einen Moment den andern an-
starrte, ebenso schnell aber auch sich wendete und zur Thür
hinausstürzte, die er krachend hinter sich znschlcuderte. Ein
allgemeiner Aufstand folgte diesem Auftritte; man lachte, zankte,
fragte, Alles durcheinander. Ziegler war außer sich vor Verwun-
derung, wir Andern kaum weniger, die sich auch nicht ver-
minderte, als die übrigen Passagiere der „Emmy" aus unser
Befragen die Identität Grützner's bestätigten, der ihnen, wie
sie sagten, schon während der Ueberfahrt vielen Spaß ge-
macht habe, obwohl sie Näheres über sein früheres Leben
nicht angcbcn konnten. Groß war endlich die allgemeine
Heiterkeit, nachdem die erste Aufregung sich gelegt hatte und
wir ruhiger den Zusammenhang betrachten und die eigen-
thümlichcn Thatsachcn zusammcnrcihcn konnten. Die Ge-
schichte machte die Runde bei der gesammtcn deutschen Be-
völkerung und war noch immer ein beliebtes Thema der
Unterhaltung, als uns nach einigen Monaten ein Brief von
Zieglers Bruder, dem der Erstere die Geschichte mitgetheilt
hatte, völligen Aufschluß brachte. Darnach hatten es die
guten Weinheimer mit dem armen Grützner und seinem
Setzstock so toll getrieben, daß dieser cs nicht mehr hatte
auShalten können und sich nicht anders zu helfen gewußt
hatte, seinen Peinigern zu entgehen, als ausznwandern. Die
Weinheimer glaubten ihn in Amerika, wie er das selbst ver-
breitet hatte. Statt dessen hatte er aber in Hamburg in
aller Stille auf der „Emmy" Passage nach Australien ge-
nommen. Und nun mußte ihm das tückische Schicksal einen
solchen Streich spielen, und ihn in diesem abgelegenen Erden-
winkel mitten in einen Hinterhalt seiner Quälgeister werfen,
wo er sich sicher denselben entrückt und am Weitesten von
ihnen entfernt zu sein glaubte.
Das Merkwürdigste aber war, daß seit jenem Abend
kein Mensch in Adelaide von Grützner weder etwas sah
noch hörte. Er blieb trotz aller Nachfragen vollständig ver-
schwunden. Ob er sich nun in aller Stille nach den inner»
Ansiedlungen verloren, oder schleunigst auf dem nächsten
besten Schiffe die Colouie wieder verlassen hatte, darüber
konnten wir niemals Aufschluß erlangen. Hoffentlich wird
der Arme in irgend einem Erdenwinkel die gewünschte Ruhe
gefunden haben und wer weiß, ob der erfinderische Zufall
ihn nicht gar einmal mit seinem verlornen Setzstock zu-
sammenführt, wenn der letztere nicht etwa längst den Weg
alles — Holzes gegangen ist und wir sagen müssen: Friede
seiner Asche!
Melusina.
Von einem Ritter gehr die Sage,
Der einst besaß ein holdes Weib,
Dem immer ward am sechsten Tage
Zur Hälfte Fisch der schöne Leib. —
Das raubt' dem Armen Glück und Schlummer,
Er war vom tiefsten Leid geguält,
Daß einer Gattin er, o Kummer!
Die öfters halber Fisch, vermalt.
Doch gibt's manch' argen Frevler heute,
Dess' heißer Gram tagtäglich wächst,
Daß nicht das Weib an seiner Seite
Gleich Melusinen ward verhext.
„Nur wünscht' ich mehr noch!" ruft er ehrlich,
„Könnt' meine Frau so um und um
„Ein ganzer Fisch sein — Gott, wie herrlich! —
„So war' sic doch zu Zeiten stumm!"
' M. A. W.
Grützner's Setzstock.
starren Verwunderung, die der Färbung seines Gesichts nach
zu urtheilen, in Zorn überging, je weiter er las. Er zitterte
geradezu, als er jetzt das Papier aufraffte, um näher an's
Licht zu treten, und ein Strom von lauten Verwünschungen
brach plötzlich auö seinem Munde, als er das Papier in
beiden Händen zusammenballte, auf den Boden warf und mit
Füßen trat. Man kann sich denken, welche Wirkung diese
Scene hervorbrachte. Die laute Unterhaltung riß mitten
im Worte ab, alle Köpfe flogen in eine Richtung, aber
Keiner rührte sich vom Platz, um einzuschreiten oder den
Rasenden zur Rede zu setzen. Mir selbst erging es nicht
anders, obgleich ich der Entwicklung von Anfang an zugeschen
hatte. . Ein Licht ging mir aber auf, als jetzt Ziegler plötzlich
mit einem Satze und unter dem Ausruf über seinen Tisch
herüberflog: „Was der Donner, das ist ja Grützner, wie
kommt denn der daher!" und auf den Fremden losstürztc.
Der hatte aber kaum diesen Namen und diese Stimme ver-
nommen, als er auffuhr, einen Moment den andern an-
starrte, ebenso schnell aber auch sich wendete und zur Thür
hinausstürzte, die er krachend hinter sich znschlcuderte. Ein
allgemeiner Aufstand folgte diesem Auftritte; man lachte, zankte,
fragte, Alles durcheinander. Ziegler war außer sich vor Verwun-
derung, wir Andern kaum weniger, die sich auch nicht ver-
minderte, als die übrigen Passagiere der „Emmy" aus unser
Befragen die Identität Grützner's bestätigten, der ihnen, wie
sie sagten, schon während der Ueberfahrt vielen Spaß ge-
macht habe, obwohl sie Näheres über sein früheres Leben
nicht angcbcn konnten. Groß war endlich die allgemeine
Heiterkeit, nachdem die erste Aufregung sich gelegt hatte und
wir ruhiger den Zusammenhang betrachten und die eigen-
thümlichcn Thatsachcn zusammcnrcihcn konnten. Die Ge-
schichte machte die Runde bei der gesammtcn deutschen Be-
völkerung und war noch immer ein beliebtes Thema der
Unterhaltung, als uns nach einigen Monaten ein Brief von
Zieglers Bruder, dem der Erstere die Geschichte mitgetheilt
hatte, völligen Aufschluß brachte. Darnach hatten es die
guten Weinheimer mit dem armen Grützner und seinem
Setzstock so toll getrieben, daß dieser cs nicht mehr hatte
auShalten können und sich nicht anders zu helfen gewußt
hatte, seinen Peinigern zu entgehen, als ausznwandern. Die
Weinheimer glaubten ihn in Amerika, wie er das selbst ver-
breitet hatte. Statt dessen hatte er aber in Hamburg in
aller Stille auf der „Emmy" Passage nach Australien ge-
nommen. Und nun mußte ihm das tückische Schicksal einen
solchen Streich spielen, und ihn in diesem abgelegenen Erden-
winkel mitten in einen Hinterhalt seiner Quälgeister werfen,
wo er sich sicher denselben entrückt und am Weitesten von
ihnen entfernt zu sein glaubte.
Das Merkwürdigste aber war, daß seit jenem Abend
kein Mensch in Adelaide von Grützner weder etwas sah
noch hörte. Er blieb trotz aller Nachfragen vollständig ver-
schwunden. Ob er sich nun in aller Stille nach den inner»
Ansiedlungen verloren, oder schleunigst auf dem nächsten
besten Schiffe die Colouie wieder verlassen hatte, darüber
konnten wir niemals Aufschluß erlangen. Hoffentlich wird
der Arme in irgend einem Erdenwinkel die gewünschte Ruhe
gefunden haben und wer weiß, ob der erfinderische Zufall
ihn nicht gar einmal mit seinem verlornen Setzstock zu-
sammenführt, wenn der letztere nicht etwa längst den Weg
alles — Holzes gegangen ist und wir sagen müssen: Friede
seiner Asche!
Melusina.
Von einem Ritter gehr die Sage,
Der einst besaß ein holdes Weib,
Dem immer ward am sechsten Tage
Zur Hälfte Fisch der schöne Leib. —
Das raubt' dem Armen Glück und Schlummer,
Er war vom tiefsten Leid geguält,
Daß einer Gattin er, o Kummer!
Die öfters halber Fisch, vermalt.
Doch gibt's manch' argen Frevler heute,
Dess' heißer Gram tagtäglich wächst,
Daß nicht das Weib an seiner Seite
Gleich Melusinen ward verhext.
„Nur wünscht' ich mehr noch!" ruft er ehrlich,
„Könnt' meine Frau so um und um
„Ein ganzer Fisch sein — Gott, wie herrlich! —
„So war' sic doch zu Zeiten stumm!"
' M. A. W.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Melusina"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Signatur
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 39.1863, Nr. 955, S. 132
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg