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Reisebilder aus vergangener Zeit.
(Fortsetzung.)
5. Ritterzeiten.
Früher war's noch viel anders, als gar die jungen Ritter
auf hohem Roß durch's Thor der Städte zogen. Da war
das Reisen eine kühne Fahrt. Ich dacht mir's neulich, wie
ich mit dem Schnellzug in eine alte Reichsstadt einfuhr, in
der die deutschen Kaiser manchen Tag gehalten. Da und
dort zog ich die Klingel an den alterthümlichen Häusern, in
denen jetzt die modernen Bekannten wohnen. Man kam im
Frack und der Portier wies mich hinauf in den Salon, wo
das Fräulein am Fenster saß und emsig eine Chiffre in's
Battisttuch stickte. Sie fuhr empor und nannte mich Herr
„von" und in ihrer Verlegenheit kam der Vater und lud mich
ein zum Thee für Abends. Es ward gestritten von Krieg
und Friede, von Bismark und Napoleon. Manchmal dacht
ich zurück an die Zeiten vor 300 Jahren. Da war ich wohl
auf schmuckem Falben hereingeritten und der Thorwart hätte
knarrend die Riegel aufgethan. Dann hätt' ich lange blonde
Locken getragen und ein braunes Collet mit blauer Seide.
Im alterthümlichen Hof des gelben Hauses hätt' ich gehalten
und das Roß dort angebunden und wäre klirrend die hohen
Treppen hinaufgestiegen, wo das Fräulein im Erker bei der
Kunkel saß. Vielleicht hätt' ich damals Herr Heinrich oder
Herr Kurt geheißen; sie aber hätt' ein knappes Mieder ge-
tragen und ein langes keusches Kleid.
Auch damals wär' gestritten worden vom Kaiser und
Reich, aber damals gab's nur den deutschen Kaiser und die
Türken. „Nun, wie gefällt es Ihnen in diesen mittelalter-
lichen Mauern," frug mich das Fräulein schüchtern. „Ich
liebe das Mittelalter nicht," erwiderte ich, „denn seine Sitte
ist hart und dunkel. Aber die Minne des Mittelalters trägt j
einen unvergänglichen Zauber. Heutzutage ist alles kosmo- !
politisch. Im alten Rathhaus debattirt der neue Bürger-
meister und der Herr Baron, dem dies Haus gehört, würde
mich auf der Polizei verklagen, wollt' ich mein Pferd in seinem
Hofe anbinden. Auf den Straßen brennt das Gas und wenn
man frägt, welchem Bürger dies Haus gehört, so gehört es
einer Aktiengesellschaft. Seltsam schauen die Statuen der alten
Helden aus den modernen Putz herunter und die Mädchen
müssen eine Gardedame haben.
Aber doch ist's besser so, als zur Zeit, wo mancher kluge
Kopf hier abgehackt ward, nur weil er zu klug war. Mit
dem Gas ging auch manch anderes Licht den Leuten auf und
es stiegen nicht nur die Aktien, sondern auch die Gedanken.
Nur eines bleibt ewig im Wandel der Zeit, dies ist das
Herz der Menschen. In den Köpfen wechseln die Ideen,
da spuckt bald was Schwarzes und bald was Rothes, und
der Spuck hat kein Ende. Aber die Herzensgedanken stehen
fest wie die Sterne, und die Liebe allein bleibt sich allent-
halben gleich. Sie steht außer der Zeit und dem Raume,
und diese Befreiung von Zeit und Raum bedeutet das Ewige."
Da hielt ich inne und schwieg, ich hatte mich zurück-
geredet auf 300 Jahre. Das Fräulein aber senkte die Augen
und blickte schweigend hinaus durch's Fenster, wo die Thürme
der alten Reichsstadt ragten. „Horchen Sie nur, wie man
die Eisenbahn pfeifen hört," sprach der Papa nach einer Pause.
„Es ist Westwind, wir werden morgen schlecht Wetter haben.
Wenn ich Ihnen rathen soll, reisen Sie mit dem Schnellzug
weiter — dann sind Sie in 14 Stunden in Paris."
(Forts, folgt.)
Wörtlich befolgt.
Der Jtzig und der Fabisch, zwei Juden in einer kleinen
Grenzstadt Rußlands, führten einen langwierigen Prozeß gegen
einander, in Folge dessen Beide nahezu verarmten. Endlich
kam ihnen noch zu guterleht der glückliche Gedanke, ihren
Streit dem Kaiser persönlich vorzutragcn. In Petersburg
Reisebilder aus vergangener Zeit.
(Fortsetzung.)
5. Ritterzeiten.
Früher war's noch viel anders, als gar die jungen Ritter
auf hohem Roß durch's Thor der Städte zogen. Da war
das Reisen eine kühne Fahrt. Ich dacht mir's neulich, wie
ich mit dem Schnellzug in eine alte Reichsstadt einfuhr, in
der die deutschen Kaiser manchen Tag gehalten. Da und
dort zog ich die Klingel an den alterthümlichen Häusern, in
denen jetzt die modernen Bekannten wohnen. Man kam im
Frack und der Portier wies mich hinauf in den Salon, wo
das Fräulein am Fenster saß und emsig eine Chiffre in's
Battisttuch stickte. Sie fuhr empor und nannte mich Herr
„von" und in ihrer Verlegenheit kam der Vater und lud mich
ein zum Thee für Abends. Es ward gestritten von Krieg
und Friede, von Bismark und Napoleon. Manchmal dacht
ich zurück an die Zeiten vor 300 Jahren. Da war ich wohl
auf schmuckem Falben hereingeritten und der Thorwart hätte
knarrend die Riegel aufgethan. Dann hätt' ich lange blonde
Locken getragen und ein braunes Collet mit blauer Seide.
Im alterthümlichen Hof des gelben Hauses hätt' ich gehalten
und das Roß dort angebunden und wäre klirrend die hohen
Treppen hinaufgestiegen, wo das Fräulein im Erker bei der
Kunkel saß. Vielleicht hätt' ich damals Herr Heinrich oder
Herr Kurt geheißen; sie aber hätt' ein knappes Mieder ge-
tragen und ein langes keusches Kleid.
Auch damals wär' gestritten worden vom Kaiser und
Reich, aber damals gab's nur den deutschen Kaiser und die
Türken. „Nun, wie gefällt es Ihnen in diesen mittelalter-
lichen Mauern," frug mich das Fräulein schüchtern. „Ich
liebe das Mittelalter nicht," erwiderte ich, „denn seine Sitte
ist hart und dunkel. Aber die Minne des Mittelalters trägt j
einen unvergänglichen Zauber. Heutzutage ist alles kosmo- !
politisch. Im alten Rathhaus debattirt der neue Bürger-
meister und der Herr Baron, dem dies Haus gehört, würde
mich auf der Polizei verklagen, wollt' ich mein Pferd in seinem
Hofe anbinden. Auf den Straßen brennt das Gas und wenn
man frägt, welchem Bürger dies Haus gehört, so gehört es
einer Aktiengesellschaft. Seltsam schauen die Statuen der alten
Helden aus den modernen Putz herunter und die Mädchen
müssen eine Gardedame haben.
Aber doch ist's besser so, als zur Zeit, wo mancher kluge
Kopf hier abgehackt ward, nur weil er zu klug war. Mit
dem Gas ging auch manch anderes Licht den Leuten auf und
es stiegen nicht nur die Aktien, sondern auch die Gedanken.
Nur eines bleibt ewig im Wandel der Zeit, dies ist das
Herz der Menschen. In den Köpfen wechseln die Ideen,
da spuckt bald was Schwarzes und bald was Rothes, und
der Spuck hat kein Ende. Aber die Herzensgedanken stehen
fest wie die Sterne, und die Liebe allein bleibt sich allent-
halben gleich. Sie steht außer der Zeit und dem Raume,
und diese Befreiung von Zeit und Raum bedeutet das Ewige."
Da hielt ich inne und schwieg, ich hatte mich zurück-
geredet auf 300 Jahre. Das Fräulein aber senkte die Augen
und blickte schweigend hinaus durch's Fenster, wo die Thürme
der alten Reichsstadt ragten. „Horchen Sie nur, wie man
die Eisenbahn pfeifen hört," sprach der Papa nach einer Pause.
„Es ist Westwind, wir werden morgen schlecht Wetter haben.
Wenn ich Ihnen rathen soll, reisen Sie mit dem Schnellzug
weiter — dann sind Sie in 14 Stunden in Paris."
(Forts, folgt.)
Wörtlich befolgt.
Der Jtzig und der Fabisch, zwei Juden in einer kleinen
Grenzstadt Rußlands, führten einen langwierigen Prozeß gegen
einander, in Folge dessen Beide nahezu verarmten. Endlich
kam ihnen noch zu guterleht der glückliche Gedanke, ihren
Streit dem Kaiser persönlich vorzutragcn. In Petersburg
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Reisebilder aus vergangener Zeit" "Wörtlich befolgt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 51.1869, Nr. 1253, S. 23
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg