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Der Rehbock.
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deßhalb den Regierungsrath gar nicht so ungern. Außerdem
hatten sie dann Abends immer ihre Parthie Whist zusammen.
Der Regierungsrath dinirte übrigens ziemlich spät, weil
er sich gern Zeit bei der Mahlzeit ließ, und nach Tisch nie
mehr daran gedacht hätte, noch irgend eine Arbeit vorzu-
nehmen. Seine kleinen Diners dauerten auch immer wenig-
stens zwei Stunden und er hatte schon oft erklärt, er kenne
gar nichts Gemüthlicheres, als den Kaffee bei Licht zu trinken.
Bei Schütte war in der That eine kleine, aber ausge-
suchte Gesellschaft von Herren versammelt, von denen Jeder wenig-
stens zwei — Manche sogar fünf und sechs Orden gewissen-
haft im Knopfloch trugen. Es befand sich auch Keiner da-
runter, der nicht einen langen, oft sehr schwierig auszu-
sprechenden Titel besaß und Keiner enthielt auch dem Ande-
ren denselben vor, denn er wußte, daß er sich dadurch den
eigenen sicherte. Das erschwerte allerdings die Unterhaltung
ein wenig, aber es machte sie doch auch wieder in anderer
Hinsicht angenehm und die Herren amüsirten sich vortrefflich.
Die Speisen waren dabei ercellent — der Koch hatte
sein Aeußerstes geleistet, und Trüffel-Pasteten, Ragouts und
andere, mit allerlei ausländischen Namen belegte Gerichte,
ließen nichts zu wünschen übrig. Der Regierungsrath war
dabei in heiterster Laune, und schien sich ordentlich in seinen
feinen Weinen selber zu übertreffen. Heute hatten auch wirk-
lich Frankreich, Griechenland, Italien und selbst das Cap der
guten Hoffnung, mit dem feinsten Constancia-Wein ihr Con-
tingent stellen müssen.
„Aber, bester Commerzienrath," rief der Regierungsrath
über den Tisch hinüber dem Freund zu, — „Sie trinken ja
gar nicht. Was soll denn das heißen? Der Wein wird
Ihnen ja wahrhaftig im Glase warm."
„Mein bester Regierungsrath!" rief der also Angeredete,
„man kann nur eins auf einmal thun und Sie sehen, daß
ich mich desto eifriger Ihres famosen Küchenzettels annehme.
Dieser Braten ist das Delikateste, was ich in meinem ganzen
Leben gegessen habe."
„Aha, schmeckt er Ihnen?" lachte der alte Herr— „ja
ich muß auch gestehen, daß ich lange nichts Besseres gegessen
habe. Es ist ein Geschenk des Rechtsanwalt Schröter —
ein Rehrücken, den er mir gestern herüber geschickt hat."
Der Commerzienrath ließ das Messer aus der Hand
fallen. Er hatte gerade einen vollen Bissen im Mund und
er fühlte, wie der aufquoll und immer dicker und dicker
wurde.
„Vom Rechtsanwalt Schröter?" stöhnte er.
„Ja wohl," nickte der alte Regierungsrath, — „er sagte
mir, er hätte einen ganzen Capitalbock geschenkt bekommen,
und wollte mir eine Freude damit machen. Na, — eine
Hand wäscht die andere — hahaha!"
Der Commerzienrath würgte — er wollte doch wenig-
stens den Bissen hinunter schlucken, den er gerade im Munde
hatte — aber es ging nicht. In diesem unglückseligen
Augenblick fiel ihm die in Blättern cingewickelte Milz ein,
die er in den Chausseegraben geworfen hatte und das gab
der Sache den Rest. Die Serviette vor den Mund stopfend,
sprang er in die Höhe, floh aus der Thüre und dort —
aber es läßt sich eben nicht gut wieder erzählen, was dort
geschah. — Nur die Diener liefen zusammen, und als der
Der Rehbock.
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deßhalb den Regierungsrath gar nicht so ungern. Außerdem
hatten sie dann Abends immer ihre Parthie Whist zusammen.
Der Regierungsrath dinirte übrigens ziemlich spät, weil
er sich gern Zeit bei der Mahlzeit ließ, und nach Tisch nie
mehr daran gedacht hätte, noch irgend eine Arbeit vorzu-
nehmen. Seine kleinen Diners dauerten auch immer wenig-
stens zwei Stunden und er hatte schon oft erklärt, er kenne
gar nichts Gemüthlicheres, als den Kaffee bei Licht zu trinken.
Bei Schütte war in der That eine kleine, aber ausge-
suchte Gesellschaft von Herren versammelt, von denen Jeder wenig-
stens zwei — Manche sogar fünf und sechs Orden gewissen-
haft im Knopfloch trugen. Es befand sich auch Keiner da-
runter, der nicht einen langen, oft sehr schwierig auszu-
sprechenden Titel besaß und Keiner enthielt auch dem Ande-
ren denselben vor, denn er wußte, daß er sich dadurch den
eigenen sicherte. Das erschwerte allerdings die Unterhaltung
ein wenig, aber es machte sie doch auch wieder in anderer
Hinsicht angenehm und die Herren amüsirten sich vortrefflich.
Die Speisen waren dabei ercellent — der Koch hatte
sein Aeußerstes geleistet, und Trüffel-Pasteten, Ragouts und
andere, mit allerlei ausländischen Namen belegte Gerichte,
ließen nichts zu wünschen übrig. Der Regierungsrath war
dabei in heiterster Laune, und schien sich ordentlich in seinen
feinen Weinen selber zu übertreffen. Heute hatten auch wirk-
lich Frankreich, Griechenland, Italien und selbst das Cap der
guten Hoffnung, mit dem feinsten Constancia-Wein ihr Con-
tingent stellen müssen.
„Aber, bester Commerzienrath," rief der Regierungsrath
über den Tisch hinüber dem Freund zu, — „Sie trinken ja
gar nicht. Was soll denn das heißen? Der Wein wird
Ihnen ja wahrhaftig im Glase warm."
„Mein bester Regierungsrath!" rief der also Angeredete,
„man kann nur eins auf einmal thun und Sie sehen, daß
ich mich desto eifriger Ihres famosen Küchenzettels annehme.
Dieser Braten ist das Delikateste, was ich in meinem ganzen
Leben gegessen habe."
„Aha, schmeckt er Ihnen?" lachte der alte Herr— „ja
ich muß auch gestehen, daß ich lange nichts Besseres gegessen
habe. Es ist ein Geschenk des Rechtsanwalt Schröter —
ein Rehrücken, den er mir gestern herüber geschickt hat."
Der Commerzienrath ließ das Messer aus der Hand
fallen. Er hatte gerade einen vollen Bissen im Mund und
er fühlte, wie der aufquoll und immer dicker und dicker
wurde.
„Vom Rechtsanwalt Schröter?" stöhnte er.
„Ja wohl," nickte der alte Regierungsrath, — „er sagte
mir, er hätte einen ganzen Capitalbock geschenkt bekommen,
und wollte mir eine Freude damit machen. Na, — eine
Hand wäscht die andere — hahaha!"
Der Commerzienrath würgte — er wollte doch wenig-
stens den Bissen hinunter schlucken, den er gerade im Munde
hatte — aber es ging nicht. In diesem unglückseligen
Augenblick fiel ihm die in Blättern cingewickelte Milz ein,
die er in den Chausseegraben geworfen hatte und das gab
der Sache den Rest. Die Serviette vor den Mund stopfend,
sprang er in die Höhe, floh aus der Thüre und dort —
aber es läßt sich eben nicht gut wieder erzählen, was dort
geschah. — Nur die Diener liefen zusammen, und als der
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Rehbock"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Missgeschick <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 51.1869, Nr. 1259, S. 66
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg