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Ein Mann der Pünktlichkeit.
Papier in dasselbe eingelegt habe. Er riß das Couvert wieder
auf, las den Brief noch einmal durch, legte ihn in ein neues
Couvert und gab endlich, nachdem er wiederholt die Adresse,
wo möglich noch deutlicher, als das erstemal, geschrieben hatte,
den Brief in die Hände Johanns.
„Werfe diesen Brief sogleich in den nächsten Briefkasten,"
befahl vr. Dipfler dem aufmerksamen Diener, der gewohnt war,
nicht ohne ausdrücklichen Befehl zu handeln und Alles pünktlich
zu vollziehen. Johann verschwand mit dem Briefe.
vr. Dipfler legte sich sofort wieder zu Bett, der Rheu-
matismus schmerzte ihn heftig. Gleichwohl war dem Herrn
Doktor sehr wohl zu Muthe — denn endlich war er ja zu
«nem Entschlüsse gekommen, dessen Realisirung bald seinem
traurigen Junggesellenleben einen behaglichen Abschluß geben sollte.
In tausend Gedanken au eine schönere Zukunft wiegte sich
der Herr Doktor. Was wird Freund Bornberger für Augen
Machen und wie wird sich Emma freuen, in deren Herzen der
Herr Doktor längst eine wachsende Neigung keimen sah, deren
schöne Blume sich zu einer Verlobungskarte entfalten sollte mit den
Worten: „Emma Bornberger. vr. Joseph Dipfler, praktischer
Arzt. Verlobte." Dazwischen machte sich wieder das Reißen im
rechten Fuße geltend, aber es vermochte nicht die süßen Träume
SU stören, welche des Doktors Kopf und Herz umgaukelten. So
Erging der zweite und, da im Rheumatismus keine Besserung
eintrat, der dritte Tag.
Auch am vierten und fünften Tage konnte vr. Dipfler
noch nicht das Zimmer verlassen.
Daß von Bornberger keine Antwort kam, beunruhigte deu
Herrn Doktor einigermaßen, doch dachte er, Bornberger könne
eben auch nicht aus dem Hause. Sobald sich indessen seine
Schmerzen etwas gelegt hatten — es waren seit Empfang
des Briefes acht Tage vergangen — machte sich vr. Dipfler
uus dem Hause, um mittels einer Droschke seinen Freund
Hornberger aufzusuchen. Nach alter Gewohnheit öffnete er
jedoch, chx er das Haus verließ, den Briefkasten, welcher
unten im Hausgange mit der Ueberschrift: Briefkasten für
Herrn vr. Dipfler, angebracht war und welcher wohl in
früheren Tagen Briefe zu enthalten pflegte, seit langen Jahren
aber immer leer war, obgleich der Herr Doktor niemals beim
Ausgehen und Heimkommcn unterließ, sich von dessen Inhalt
zn überzeugen. Heute enthielt der kleine Briefkasten zwei Briefe.
Herr vr. Dipfler fing schon an, von zunehmender Praxis zu
träumen, als er zu seinem Schrecken wahrnahm, daß der eine
der Briefe derselbe war, den er an Freund Bornberger ge-
schrieben und dem Johann zur Besorgung in den nächsten
Briefkasten gegeben hatte. Der Briefkasten unten im Haus-
gang war nun freilich der nächste. Der zweite Brief war eine
gedruckte Anzeige des Inhalts: „Frl. Emma Bornberger und
Carl Zorn, k. Stadtgerichtsassessor. Verlobte."
Freund Bornberger hatte natürlich Dipflers Schweigen
als deutliche Antwort aufgefaßt und nach drei Tagen sein Ja-
wort gegeben.
Herr vr. Dipfler kehrte in Folge dieser Entdeckung sofort
wieder um. Unten im Hausgange hätte er dein Johann wohl
wegen seiner Dummheit im ersten Zorne eine Ohrfeige applicirt.
Bis er aber 'über die drei Stiegen hinauf kam, besann sich
der Herr Doktor eines Besseren. „Johann hat deinen Befehl
wörtlich vollzogen," dachte er bei sich, „das war seine Pflicht,"
und als Mann von Grundsätzen schwieg vr. Dipfler über die
Sache. Er blieb ledig und lebte stillvergnügt mit seinem Johann
weiter, der ein wahres Muster von Pünktlichkeit ihm diente
bis an's kühle Grab. v. Miris.
Dunkle Frage.
Was ist das Allerschwärzeste?
Wenn ein blinder ultramontancr Mohr, im schwarzen Frack,
in rabenschwarzer Mitternacht in einem vier Stock tiefen Keller
sitzt, Kicnruß frißt und Tinte sauft.
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Ein Mann der Pünktlichkeit.
Papier in dasselbe eingelegt habe. Er riß das Couvert wieder
auf, las den Brief noch einmal durch, legte ihn in ein neues
Couvert und gab endlich, nachdem er wiederholt die Adresse,
wo möglich noch deutlicher, als das erstemal, geschrieben hatte,
den Brief in die Hände Johanns.
„Werfe diesen Brief sogleich in den nächsten Briefkasten,"
befahl vr. Dipfler dem aufmerksamen Diener, der gewohnt war,
nicht ohne ausdrücklichen Befehl zu handeln und Alles pünktlich
zu vollziehen. Johann verschwand mit dem Briefe.
vr. Dipfler legte sich sofort wieder zu Bett, der Rheu-
matismus schmerzte ihn heftig. Gleichwohl war dem Herrn
Doktor sehr wohl zu Muthe — denn endlich war er ja zu
«nem Entschlüsse gekommen, dessen Realisirung bald seinem
traurigen Junggesellenleben einen behaglichen Abschluß geben sollte.
In tausend Gedanken au eine schönere Zukunft wiegte sich
der Herr Doktor. Was wird Freund Bornberger für Augen
Machen und wie wird sich Emma freuen, in deren Herzen der
Herr Doktor längst eine wachsende Neigung keimen sah, deren
schöne Blume sich zu einer Verlobungskarte entfalten sollte mit den
Worten: „Emma Bornberger. vr. Joseph Dipfler, praktischer
Arzt. Verlobte." Dazwischen machte sich wieder das Reißen im
rechten Fuße geltend, aber es vermochte nicht die süßen Träume
SU stören, welche des Doktors Kopf und Herz umgaukelten. So
Erging der zweite und, da im Rheumatismus keine Besserung
eintrat, der dritte Tag.
Auch am vierten und fünften Tage konnte vr. Dipfler
noch nicht das Zimmer verlassen.
Daß von Bornberger keine Antwort kam, beunruhigte deu
Herrn Doktor einigermaßen, doch dachte er, Bornberger könne
eben auch nicht aus dem Hause. Sobald sich indessen seine
Schmerzen etwas gelegt hatten — es waren seit Empfang
des Briefes acht Tage vergangen — machte sich vr. Dipfler
uus dem Hause, um mittels einer Droschke seinen Freund
Hornberger aufzusuchen. Nach alter Gewohnheit öffnete er
jedoch, chx er das Haus verließ, den Briefkasten, welcher
unten im Hausgange mit der Ueberschrift: Briefkasten für
Herrn vr. Dipfler, angebracht war und welcher wohl in
früheren Tagen Briefe zu enthalten pflegte, seit langen Jahren
aber immer leer war, obgleich der Herr Doktor niemals beim
Ausgehen und Heimkommcn unterließ, sich von dessen Inhalt
zn überzeugen. Heute enthielt der kleine Briefkasten zwei Briefe.
Herr vr. Dipfler fing schon an, von zunehmender Praxis zu
träumen, als er zu seinem Schrecken wahrnahm, daß der eine
der Briefe derselbe war, den er an Freund Bornberger ge-
schrieben und dem Johann zur Besorgung in den nächsten
Briefkasten gegeben hatte. Der Briefkasten unten im Haus-
gang war nun freilich der nächste. Der zweite Brief war eine
gedruckte Anzeige des Inhalts: „Frl. Emma Bornberger und
Carl Zorn, k. Stadtgerichtsassessor. Verlobte."
Freund Bornberger hatte natürlich Dipflers Schweigen
als deutliche Antwort aufgefaßt und nach drei Tagen sein Ja-
wort gegeben.
Herr vr. Dipfler kehrte in Folge dieser Entdeckung sofort
wieder um. Unten im Hausgange hätte er dein Johann wohl
wegen seiner Dummheit im ersten Zorne eine Ohrfeige applicirt.
Bis er aber 'über die drei Stiegen hinauf kam, besann sich
der Herr Doktor eines Besseren. „Johann hat deinen Befehl
wörtlich vollzogen," dachte er bei sich, „das war seine Pflicht,"
und als Mann von Grundsätzen schwieg vr. Dipfler über die
Sache. Er blieb ledig und lebte stillvergnügt mit seinem Johann
weiter, der ein wahres Muster von Pünktlichkeit ihm diente
bis an's kühle Grab. v. Miris.
Dunkle Frage.
Was ist das Allerschwärzeste?
Wenn ein blinder ultramontancr Mohr, im schwarzen Frack,
in rabenschwarzer Mitternacht in einem vier Stock tiefen Keller
sitzt, Kicnruß frißt und Tinte sauft.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Mann der Pünktlichkeit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 61.1874, Nr. 1526, S. 123
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg