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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Wipper, B.: Das Problem des Stillebens
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0063
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Bemerkungen.

Das Problem des Stillebens.

Von
B. Wipper.

Die in dem vorliegenden Aufsatz besprochene Arbeit*) sollte ursprünglich
eine Geschichte des Stillebens in der neuen Malerei sein und sich auf die Zeit
von den Holländern bis heute beziehen. Allmählich aber erkannte der Verfasser,
daß das Problem des Stillebens, das in der heutigen Malerei so stark in den
Vordergrund tritt, sich nicht auf eine zufällige Absonderung der malerischen The-
men beschränkt, sondern viel tiefer und weiter dringt, daß es mit der künstleri-
schen Kultur der neuesten Zeit eng verbunden ist und daß seine Quellen in der
Entwicklung der gesamten Kunst zu suchen sind.

Die ersten rein malerischen Stilleben entstanden in der Epoche des beginnen-
den Barockstiles. Es ist aber interessant, daß damals noch kein gemeinsamer
Name für diese Art der Malerei vorhanden war. Einen solchen finden wir erst
am Anfange des 18. Jahrhunderts. Wir werden uns auch weiterhin mit der
Terminologie beschäftigen, weil sich in ihrem wechselvollen Schicksale nicht nur
die Entwickelung im engen Gebiet des Stillebens mit staunenswerter Feinheit
widerspiegelt, sondern weil sie uns auch mit den Veränderungen in der allgemei-
nen künstlerischen Weltanschauung Europas bekannt macht. Den ersten Versuch,
einen Namen für die zahlreichen Gruppen der Stilleben-Malerei zu finden, machte
am Anfange des 18. Jahrhunderts Houbraken, der Biograph der niederländischen
Maler. Houbraken gebrauchte den Namen „Stilleven", der von dieser Zeit an
in der deutschen und englischen Sprache Wurzel gefaßt hat. Aber das „Stilleven"
ist natürlich keine „nature morte". Wenn wir die holländischen „Stilleven" be-
trachten, die Allegorien des Vergänglichen von Vermeer, van der Heyde, Gabron
oder Willigen, die so geschickt das Glimmen des Lebens in der erlöschenden
Kerze, das Weben der Vergangenheit in den staubigen Folianten, die Schwermut
der Stille in der noch klingenden Saite der Laute darzustellen verstanden haben,
so entdecken wir in ihnen keinen Anfang einer neuen Kunst, sondern das Sterben
der alten — die vergehende Herrlichkeit der Barockzeit. In dieser, Periode seiner
Entwickelung verschmilzt das Stilleben mit dem Interieur.

Die nächste Entwickelungsstufe in der Geschichte des Begriffes treffen wir im
18. Jahrhundert in Frankreich an. Zwei Richtungen der französischen Malerei
machen uns mit der Entwickelung des Stillebens bekannt. Der Begriff „objets
inanimes" illustriert ausgezeichnet die Malerei von Desportes oder Oudry, der
offiziellen Porträtisten der königlichen Jagdhunde und Jagdgeräte. Hier ist das
Stilleben ein Synonym des Porträts, der genauen protokollierenden Darstellung
des Jägerhornes oder des lilafarbigen Rockes oder des bunten Fasans. Eine an-

*) B. Wipper, Das Problem des Stillebens. Kasan 1922 (russisch).

Zeitschr. f. Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft. XXV.

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