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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Wind, Edgar: Theios phobos: Untersuchungen über die Platonische Kunstphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0363
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Oelog (P6ßog.
Untersuchungen über die Platonische Kunstphilosophie.

Von
Edgar Wind.

Wenn Piaton das Eigenrecht des Künstlers gegenüber den Forde-
rungen des Staates preisgibt, wenn er verlangt, der Künstler solle durch
den Gesetzgeber unter Androhung der Ausweisung aus dem Staate dazu
gezwungen werden, nur solche Gegenstände darzustellen, die Bewunde-
rung für heroische Taten auslösen und den Wunsch, sie nachzuahmen,
erregen, nur solche Mittel der Gestaltung anzuwenden, die die Seele
kräftigen, statt sie einzuschläfern, — ja, wenn er, in der Sorge um die
Durchführung dieses Plans, aus dem Homer und Hesiod all jene Stel-
len wegstreichen will, die die Erziehung der Jugend gefährden könn-
ten, — so steht der moderne Interpret diesen rigorosen Maßregeln
einigermaßen hilflos gegenüber. Wir sind meist nicht unbefangen genug,
die Empfindungsweise eines amerikanischen Kritikers zu teilen, der
ganz aufrichtig gestand, Piaton sei ihm verhaßt, und er verabscheue
sein Werk, weil er hier die Wirksamkeit Anthony Comstocks, des be-
rüchtigten puritanischen Zensors, vorgebildet finde. Wir lachen oder
entrüsten uns über den Vergleich, — aber was haben wir ihm entgegen-
zuhalten? Nur das mühsam erworbene Bewußtsein, daß die Dinge be-
trächtlich komplizierter liegen? Nur das, was wir mit einem Stolz, an
dem wir selbst zweifelhaft geworden sind, unser „historisches Gefühl"
zu nennen pflegen? Daß ein griechischer Philosoph, der vor mehr als
zweitausend Jahren lebte, nicht mit einem Maß gemessen werden kann,
das wir an einen angelsächsischen Bürokraten des vergangenen Jahr-
hunderts anlegen, daß eine Entscheidung, die bei Comstock als Zeichen
Provinzieller Borniertheit erscheint, bei Piaton Ergebnis tiefgründiger
Einsicht sein kann, — das ist in dieser allgemeinen (und durchaus un-
verbindlichen) Form sehr schnell gelernt. Aber was die Tiefe der Ein-
sicht ausmacht, die in dieser Unterordnung des Künstlers unter den
Staat zum Ausdruck kommt, wieso wir, die wir uns kopfschüttelnd von
solcher Entscheidung abwenden, wenn sie nicht weit genug in der Ver-
gangenheit liegt, ihr im Falle Piatons einen Sinn abgewinnen können,
der nicht nur ein antiquarischer Sinn ist, sondern ein Sinn für uns,
 
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