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Werner, Wilfried
Cimelia Heidelbergensia: 30 illuminierte Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg — Wiesbaden, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.2051#0063

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Sachsenspiegel (Cod. Pal. Germ. 164)

19 Eike von Repgow SACHSENSPIEGEL
(Lehn- und Landrecht)

Tafel Seite 67 Cod. Pal. Germ. 164, Pergament, 30 Bl., 30x23 cm, obersächsisch, um 1330

Der Edelfreie Eike von Repgow ( = Reppichau bei Dessau) ist zwischen 1209 und 1233 mehrmals urkundlich
erwähnt. Er hat sein Werk, in dem er seine gründlichen Rechtskenntnisse der Mitwelt mitteilen und der
Nachwelt erhalten wollte, zunächst lateinisch konzipiert, danach - auf Veranlassung seines Lehnsherrn, des
Grafen Hoyer von Falkenstein - ins Niederdeutsche übersetzt. Damit steht er am Anfang der mittelnieder-
deutschen Literatur. Während die Urfassung des Lehnsrechts in lateinischer Reimprosa unter dem Titel
»Auetor vetus de benefieiis« sich erhalten hat, ist das lateinische Landrecht verlorengegangen. Das Werk hat
mehrere deutsche Bearbeitungen erfahren, von denen eine noch von Eike selbst stammt.

Der Sachsenspiegel - das älteste deutsche Rechtsbuch, wenn man von dem Mühlhäuser Recht absieht, das
eine weit weniger große Wirkung gehabt hat - ist kein Werk strenger Systematik, wenn auch Ansätze zu
systematischer Ordnung erkennbar sind. Das eigentlich organisierende Prinzip ist das der Gedankenassoziation.
Auffallend ist die Verwendung von rhythmischen Sätzen, von reimenden und stabenden Wortpaaren. Sie
sind zu begreifen in ihrer Funktion als Gedächtnishilfe. Denn auch nach der schriftlichen Fixierung vollzieht
sich die Tradierung der Rechtskenntnisse weiterhin vorwiegend auf mündlichem Wege - nicht zuletzt wegen
der allzu geringen Verbreitung der Lesekunst. Aber auch der Lesekundige mußte sich bemühen, die Sätze
in sein Gedächtnis aufzunehmen, denn bei der geltenden strengen Verfahrensordnung wäre es unmöglich ge-
wesen, vor Gericht ein Buch zu benutzen. - Und schließlich erschwerte die feste sprachliche Form eine
willkürliche Veränderung des Inhalts.

Obwohl zunächst aus privater Initiative entstanden, erlangte das Werk bald einen hohen Grad von Ver-
bindlichkeit. Das Bedürfnis der Zeitgenossen nach einer Darstellung des bestehenden Rechts drückt sich in
der Zahl von rund 200 überlieferten Sachsenspiegel-Handschriften aus. Übersetzungen erfolgten in die ver-
schiedenen deutschen Mundarten, ins Holländische, Polnische, Tschechische und sogar ins Lateinische. Zu
Beginn des 14. Jahrhunderts schrieb Johann von Buch, Hofrichter des Markgrafen von Brandenburg, eine
Glosse, mit der er die Übereinstimmung des Sachsenspiegels mit dem römischen und kanonischen Recht
nachzuweisen versuchte.

Außer der Heidelberger als der ältesten sind drei weitere Bilderhandschriften erhalten. Sie werden in Olden-
burg, Dresden und Wolfenbüttel aufbewahrt. Alle stammen aus dem 14. Jahrhundert. Die Dresdener (3. Vier-
tel des 14. Jhdts.) hat die gleiche Vorlage wie die Heidelberger gehabt. Die Wolfenbütteler Handschrift
(von 1375) ist eine Kopie nach der Dresdener. Der gemeinsame Urtyp dürfte um 1291/95 entstanden sein.

Die zahlreichen kolorierten Federzeichnungen unserer Handschrift, die - zu vier oder fünf übereinanderge-
stellt - die eine Hälfte jeder Seite einnehmen, sind keineswegs von hohem, künstlerischem Rang, sondern
zeigen die rohe Technik naiver volkstümlicher Darstellung. Dennoch lassen sich im Aufbau der Szenen, in der
Gruppierung der Figuren und in dem Bemühen einer typisierenden und individualisierenden Differenzierung
bemerkenswerte Ansätze künstlerischer Gestaltung feststellen. Im übrigen aber sind die Bilder nicht allein
unter dem Gesichtspunkt ihrer dekorativen Wirkung zu beurteilen, sondern vor allem danach, ob es ihnen
gelungen ist, oft recht komplizierte rechtliche Sachverhalte zur Anschauung zu bringen.

Dabei helfen, außer der Abbildung von Realien, die meist auch nur chiffrenhaft eingesetzt sind, bestimmte
Systeme von Zeichen, wie Farbe und Musterung der Gewänder, sowie feste Attribute zur Kennzeichnung der
Standeszugehörigkeit, vor allem aber ein reich gefügtes System der Handgebärden zur Verdeutlichung be-
stimmter Rechtsverhältnisse, Rechtsvorgänge und -Vorschriften.

Trotz allem sind die meisten der Bilder ohne die Kenntnis der Texte sicherlich kaum verständlich. Wohl
aber mochten sie dem Leseunkundigen zur besseren Erinnerung an ihm mündlich vermittelte Rechtssätze
dienen, und der Lesekundige mochte in ihnen eine bequeme Orientierungshilfe finden.

Unsere Abbildung (fol. 8r, Tafel S. 67) zeigt eine Seite aus dem Landrecht (II 48 § 12-54 § 1). Der Text

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