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Werner, Wilfried
Cimelia Heidelbergensia: 30 illuminierte Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg — Wiesbaden, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.2051#0073

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Eneide (Cod. Pal. Germ. 403)

23 Heinrich von Veldeke ENEIDE

Tafel Seite 77 Cod. Pal. Germ. 403, Papier, 257 Bl., 29 X 20 cm, Elsaß, 1419

Dieser Kodex gehört zu einer Kategorie von Büchern, die ihr Entstehen den besonderen wirtschaftlichen,
sozialen und geistigen Voraussetzungen der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts verdanken. Betrachtet man eine
kontinuierlich gewachsene Handschriftensammlung oder auch den Bestand einer aus solchen Einzelsamm-
lungen gebildeten öffentlichen Bibliothek auf die Zusammensetzung hin, so wird man feststellen, daß die aller-
meisten Manuskripte dem 15. Jahrhundert angehören. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Papierhand-
schriften, während solche im 14. Jahrhundert noch selten anzutreffen sind. Zwischen beiden Bobachtungen
besteht ein unmittelbarer Zusammenhang: Erst als der billigere Beschreibstoff des Papiers als Ersatz für das
teure Pergament angeboten wird (die erste deutsche Papiermühle wird im Jahre 1389 in Nürnberg in Betrieb
genommen), ist eine derartig umfangreiche Schreibtätigkeit möglich, wie sie um die Jahrhundertwende einsetzt.
Gleichzeitig wächst der Kreis derer, die als Besteller, Besitzer und Benutzer von Büchern in Frage kommen.
Es sind nicht mehr nur - neben Klöstern und Universitäten - einige wenige literarisch, historisch oder wissen-
schaftlich interessierte Persönlichkeiten meist hohen geistlichen oder weltlichen Standes, es sind nicht nur
fürstliche Bibliophile, die Prachthandschriften bei berühmten Künstlern ihrer Zeit illuminieren lassen - Hand-
schriften, die weniger zum Gebrauch bestimmt sind als vielmehr einem ästhetischen Selbstzweck oder dem
Repräsentationsbedürfnis ihres Besitzers dienen - sondern es sind jetzt auch Vertreter eines wohlhabenden und
gebildeten Bürgertums, das Bücher zur Belehrung, Unterhaltung oder Erbauung kauft; freilich gehört auch
jetzt der Adel zu den Interessenten, soweit ihm nicht ausschließlich an bibliophilen Kostbarkeiten gelegen ist.

Mit der stärkeren Nachfrage, den jedenfalls nicht unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten der neuen
Käuferschichten, dem besonderen Charakter dieser Bücher hängt es zusammen, daß man bei ihrer Herstellung
und Ausstattung anders verfährt als bei den sorgfältigen Erzeugnissen klösterlicher Schreibstuben oder bei
den erstrangigen Kunstwerken fürstlicher Prachtkodizes. Es soll möglichst rasch und billig produziert werden.
So mögen gelegentlich mehrere Schreiber mit der Niederschrift ein und desselben Textes nach Diktat be-
schäftigt gewesen sein. Die Skripturen verwenden dabei als Schrift nicht die gotische Textura, wie sie vor allem
für liturgische Bücher auch weiterhin benutzt wird, sondern eine »Bastarda« oder Buchkursive mit vielen
Merkmalen einer reinen Gebrauchsschrift, die ein sehr viel rascheres Schreibtempo erlaubt. Eine Gruppe von
Illuminatoren sorgt für die Ausstattung mit Bildern in der Manier oft grober, flüchtiger Federzeichnungen,
die anschließend großflächig und großzügig mit Wasserfarben koloriert werden. Diese Bilder dienen vorwie-
gend dem Zweck der Textillustrierung, weniger dem der Dekoration, obwohl auch in dieser Richtung gelegent-
lich Ansätze festzustellen sind, z.B., wenn größere Zierinitialen, etwa bei den Kapitelanfängen, eingesetzt
werden. Produktionsstätten solcher mehr volkstümlicher Bücher, die gleichsam fabrikmäßig und auf Vorrat
hergestellt und nach kommerziellen Regeln vertrieben wurden, entstanden während des 15. Jahrhunderts im
Südwesten des deutschen Sprachraumes. Aus der frühesten dieser Werkstätten, deren Erzeugnisse zwischen
1418 und 1420 datiert sind, stammt die hier vorgestellte Handschrift. Die gelegentliche Verwendung des Straß-
burger Wappens (in unserer Handschrift fol. 94r und fol. 103r) könnte auf den Sitz des Unternehmens hin-
weisen, das man mit der Hilfsbezeichnung »Elsässische Werkstatt von 1418« zu benennen pflegt.

Die Universitätsbibliothek Heidelberg besitzt sieben Handschriften dieser Werkstatt. Vier weitere (in
Dresden, Stuttgart, Leipzig und Nürnberg) können ihr zugewiesen werden. Vier oder fünf Schreiber lassen
sich unterscheiden, drei davon nennen ihren Namen im Explicit. Im Palatinus Germanicus 403 liest man
(fol. 255r) »Diez buch wart usz geschriben von hans coler uf mittwoch vor sant gallen tage. In dem jor do man
zalt von Christus geburt dusentvierhundert und Noneczehen jor«. Die Schrift ist eine saubere, jedoch wenig
sorgfältige Buchkursive. Meist dienen die Kapitelüberschriften in roter Tinte gleichzeitig als Bildtitel. Die
Großbuchstaben (Versalien) am Zeilenbeginn sind rot gestrichelt; als Initialen sind einfache Unzialformen
(Lombarden) verwendet. Nur die erste Initiale (fol. 4r) ist etwas aufwendiger gestaltet, mit ornamental ge-
spaltenem, zweifarbig-rot/blauem Buchstabenkörper, Fleuronnee-Füllung und Rankenausläufern in der Farbe
der braunen und roten Tinte des Schreibers, auch dies alles durchaus kunstlos.

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