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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Schmiechen-Ackermann, Detlef: Inszenierte „Volksgemeinschaft": das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0020
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Detlef Schmiechen-Ackermann

Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937


2 Warten auf den „Führer”. Foto des hannoverschen Fotografen Hampel vom Fest des Jahres 1933.

tionierten aber nicht immer alle Teile der Inszenierung
wunschgemäß. Insbesondere 1933 gab es noch diver-
se Pannen und manchen Leerlauf, die allerdings in
den Folgejahren wohl zunehmend abgestellt wurden.
Aus weit entfernten Gebieten des Reiches angereiste
Teilnehmer dürften auch die jeweils bis zu 30 Stunden
dauernde An- und Abreise als strapaziös in Erinne-
rung behalten haben.
Im Laufe der Jahre erfuhren die Feiern am Bückeberg
eine spürbare Akzentverschiebung. Das bäuerlich-
landwirtschaftliche Element und damit auch das
„Blut-und-Boden"-Gerede wurden etwas in den
Hintergrund gedrängt, das Militärische schob sich
mehr und mehr in den Blickpunkt. Hatte man sich
1933 noch damit begnügt, ein Reiterregiment im
Galopp die Figur eines sich um die eigene Achse dre-
henden Hakenkreuzes vorführen zu lassen, so wurden
1935 bereits stolz die neuen, nach den Bestimmun-
gen des Versailler Vertrages verbotenen Flugzeuge
und Panzer präsentiert. Im Folgejahr wurden Truppen-
verbände, die im Raum Hameln ein Herbstmanöver
durchgeführt hatten, eingesetzt, um das eigens zu
diesem Zweck errichtete „Bückedorf" durch einen
Sturmangriff zu Lande und aus der Luft dem Erd-
boden gleich zu machen. 1937 dauerte diese militäri-
sche Darbietung bereits eine volle Stunde und stellte
damit die eigentlich zentrale fünfminütige Zeremonie,
in deren Verlauf Hitler die Erntekrone überreicht be-

kam, deutlich in den Schatten. Somit bildet sich in
den am Bückeberg zu beobachtenden Veränderun-
gen die Gesamtentwicklung des „Dritten Reiches"
recht präzise ab: Im Vorfeld des Krieges wurde ideolo-
gischer Ballast zunehmend zur Disposition gestellt;
das Regime konzentrierte sich nun voll und ganz auf
die Entfaltung einer leistungsfähigen Rüstungsindus-
trie und die Vorbereitung der Bevölkerung auf den
bevorstehenden Krieg. Ganz in den traditionellen
Bahnen verhaftete und aus Sicht des häufig ganz
pragmatisch agierenden Machtzentrums um Hitler zu
schwerfällige Spitzenfunktionäre, die diesen Entwick-
lungsprozess nicht nachvollziehen konnten oder mit-
tragen wollten, wie etwa der führende Bauern-Funk-
tionär Darre, wurden rigoros kaltgestellt. Dieser
notierte in seinen Tagebüchern: „Zuerst galt ich als
Idealist, dann als Romantiker, dann als Frondeur, dann
als Defaitist und zuletzt als Narr."46 Die ländliche
Bevölkerung wurde seit Mitte der 1930er Jahre weni-
ger als Trägerin der „Blut-und-Boden"-ldee angespro-
chen, sondern vor allem als Teil der im bevorstehen-
den Krieg benötigten Kampfgemeinschaft. Auch das
Ende der Bauernfeiern am Bückeberg trägt in hohem
Maße einen symbolischen Charakter: Das für den 2.
Oktober 1938 wie immer sehr aufwändig vorbereite-
te Massenfest wurde 48 Stunden vor dem geplanten
Beginn abgesagt, da alle zur Verfügung stehenden
Transport-Kapazitäten für den Einmarsch deutscher
Truppen in das Sudetenland benötigt wurden. Im ana-
 
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