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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 18.1902

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Heft 12
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Die Architektur der Internationalen Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin 1902, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.44900#0099

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1902

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 12


Schränkchen.

heit«) bewies
deutlich, von
Deutsche und

was für verschiedenen Gesichtspunkten aus
Welsche das nämliche Thema behandeln. Schlichtheit ist für

Ausgeführt von Eugenio Quarti
in Mailand.

nicht in dem
Masse gel-
tend wie beim
Nordländer.
Ein »Heim«
im intimeren
Sinne findet
man im Lande
der Citronen
nur äusserst
selten, ebenso
selten auch
das, was man
anderswo un-
ter dem Be-
griffe der »Be-
haglichkeit«
versteht. Ein
Artikel in der
»Stampa«,
dem gelesen-
sten BlatteTu-
rins, mit dem
Titel: »La ri-
cerca della
simplicitä«
(»das Suchen
nach Einfach-

die weitaus meisten dort gleichbedeutend mit Aermlichkeit.
Phrasenhaftes hat immer weit mehr Aussicht, Eindruck zu
machen! Darin unterscheidet sich das künstlerische Italien
von heute ganz wesentlich vom Italien des Quattro- und des
Cinquecento! Hier aber liegt, was ein neuerdings künstlerisch
wieder bedeutsam werdendes Italien lernen müsste!
Immerhin aber muss man den Veranstaltern der Aus-
stellung Dank dafür wissen, dass sie es wenigstens versuchten,
die verschiedensten Ausdrucksweisen moderner dekorativer
Kunst auf einem Plane zu konzentrieren und damit die Mög-
lichkeit äusserst lehrreicher Vergleiche zu bieten. Dass die
Italiener selbst sich bei dieser Gelegenheit nicht die Sieges-
palme erkämpfen würden, war mit ziemlicher Sicherheit voraus-
zusehen, bloss scheinen sie selbst keine Ahnung vom Stande
der eigenen Sache, ebensowenig von dem des Auslandes ge-
habt zu haben!
Einen eigentümlichen Kontrast zu all den Bauten des
grossen Ausstellungsrayons bildet einerseits das reizende, aus
dem 16. Jahrhundert stammende Castello Valentino, das un-
mittelbar vor dem einen Zugangsportale gelegen, ein wahres
Musterstück graziöser Ausdrucksweise genannt zu werden
verdient. Es ist von durchaus französischem Charakter und
erinnert an die besten Bauten aus der Zeit von Franz I. Ein

Oesterreichisclier Pavillon. Architekt: M. Louis Baumann
in Wien.


Oesterreichisclier Pavillon. Architekt: M. Louis Baumann
in Wien.


anderes Architekturstück aber, im Ausstellungsbezirk selbst
gelegen und gelegentlich der Ausstellung 1884 von dem ge-
nialen Architekten D’Andrade erbaut, ist das »Castello e Borgo
Medioevale«: Ein Feudalsitz mit ringsum gruppierten bürger-
lichen Ansiedelungen, alles im Stile des ausgehenden 14. und
des beginnenden 15. Jahrhunderts, alten, in Piemont noch
heute bestehenden Originalen nachgebildet und zu einem köst-
lichen malerischen Ensemble vereinigt. Die künstlerische Ein-
fachheit wirkt hier überaus wohlthuend gegenüber so vielem,
was bei den Gebilden modernster Entstehung wie an den
Haaren herbeigezogen aussieht. Es soll damit keineswegs
etwa der Nachahmung das Wort gesprochen sein, indes darf
doch wohl dem Wunsche Ausdruck gegeben werden, auch
das Neuzeitliche erreiche einmal diese Stufe künstlerischer
Einfachheit und Selbständigkeit, wie sie sich wohlthuend an
diesen mittelalterlichen Gebäuden zu erkennen gibt. Alles steht
unter sich in Zusammenhang, alles spricht von einem Mass-
halten im Verausgaben von Formen, das gerade bei der
modernen Ausstellung fehlt. Geht man noch um einen Schritt
weiter und zieht das Stadtbild, das Turin bietet, zum Vergleiche
heran, so liegt auch hier etwas Geschlossenes, Einheitliches,
architektonisch Bedeutsames vor! Warum also, ohne retro-
spektiv zu werden, diese fest vorgezeichneten Bahnen ver-
lassen?

Die Ausstellung ist äusserst lehrreich nach dieser Seite:
Sie zeigt deutlich, was abzustossen ist, wenn die weitere Ent¬

wickelung des
»Modernen« auf
gesunde Basis zu
stehen kommen
soll! Mit einer
Reihe neuer or-
namentaler Mo-
tive allein ist’s
nicht gethan, die
Raumfrage ist
es, um die es
sich handelt; sie
bringt mit neuen
Zwecken auch
neue Gestalten,
ohne dass man
diese mit zu-
sammengetrage-
nen »Motiven«
über und über
zu behängen
braucht!



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