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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 21.1905

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Heft 1
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Högg, Emil: Der Gruppenbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.44852#0013

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1905

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 1


(10) Burghof in Nürnberg.
mit dem Rathaus in Saalfeld (Abb. 12). Diese Unsymmetrie der
Teile unter der Herrschaft der Symmetrie des Ganzen erzeugt
jenes Prickelnde, Unbeschreibliche, Anheimelnde, dessen Wesen
Stiehl (Mittelalterliche Baukunst und Gegenwart) sehr treffend
folgendermaßen schildert: »Es kommt hier in sehr feiner Weise
der Kampf zwischen den praktischen Forderungen der Wirklich-
keit und der höheren Regel einer idealen Ordnung unumwunden
zur Anschauung. Darin, daß diese Bauten den Beschauer solchen
Kampf, der ja tatsächlich einen guten Teil der künstlerischen
Tätigkeit umfaßt, unbewußt mitempfinden und miterleben lassen,
liegt ihr tieferer Reiz undihrfrisch natürlicher Eindruck begründet.«
Andre Beispiele, die diesen Kampf nicht zu kämpfen hatten,
führen die Symmetrie so korrekt durch, wie irgend ein Meister
des Cinquecento und
beweisen uns schla-
gend, daß auch
strengste Symmetrie
und malerische Wir-
kung sich nicht aus-
schließen. Bauwerke,
wie der Jöchelturm in
Sterzing, die Kölner
und andrer Städte
Torburgen, Rathäu-
ser, wie das in Wer-
nigerode und tausend
andre sind doch ge-
wiß typische maleri-
sche Gruppen (Abb.
14. 17. 21).
Eine weitere Über-
raschung bietet das
Studium des Grund-
risses. Wie einfach
ist dieser doch immer!

*

i

(11) Haus in Miltenberg. 17. Jahrhundert.
(Nach Ferdinand Correll.)


Das schlichte
Rechteck als
Grundform wird
eingehalten, wo
es nur irgend
geht.Wo es nicht
geht, da herrscht
wenigstens die
Rechteckform
über die Anbau¬
ten. Und dem¬
entsprechend ist
das Dach mit
Vorliebe ein Sat¬
teldach, das breit
und sicher auf
diesem Rechteck
ruht. Mögen sich
nachher noch
so viele lustige
Dächlein und
Giebel aus dem
Grundriß nach
oben hin ent-
wickeln, das Satteldach bewahrt seine tonangebende Stellung
und ragt über die andern hervor, wie eine Mutter über ihre
Kinderschar. — Der Nachwuchs blieb ja meistens nicht aus.
Der Grundriß oder sonstige Bedürfnisse zwangen den Bau-
meister, die strenge Symmetrie aufzugeben, einen Ausbau, einen
Querbau anzulegen. Oder er wollte einen allzu strengen Aus-
druck seines Hauses vermeiden, er wußte, daß eine Durch-
brechung der Symmetrie an der richtigen Stelle wohl geeignet
sei, die Wirkung zu steigern. Dann aber verstand er es mit
der zielsicheren Ökonomie der Ausdrucksmittel, welche das
Kennzeichen reifer Kunstanschauung ist, seinen Zweck zu er-
reichen; ein Erker über Eck, ein seitlich angeschmiegtesTreppen-
türmchen genügte, und genügt noch heute, um den Eindruck
eines malerischen Motivs in uns zu erwecken und uns ver-
gessen zu lassen, daß wir vor einem im Grundgedanken sym-
metrischen Gebäude stehen (Abb. 11. 13. 18. 20).
Noch ein Schritt weiter! Der so geschaffene Bau wurde
späteren Generationen zu enge, sie bauten um und bauten an.
Das mag nun gar ein fröhlich Arbeiten gewesen sein, wie es
uns modernen Architekten kaum mehr vergönnt ist. Da stand
das alte Gebäude und vor ihm der Meister, und der konnte
sich’s am lebensgroßen Modell überlegen, wie die Wirkung des
Vorhandenen wohl noch zu steigern und wie das neue Ganze
mit der seit der Bauzeit des ersten Teils so veränderten Um-
gebung harmonisch zu verschmelzen wäre. Ihn plagten in Be-
treff der Stilfrage allerdings keine Skrupel noch Zweifel, er
kannte nur denjenigen Stil, in dem seine Welt redete, und den
wandte er an in unschuldsvoller Sicherheit, mochte das bis-
herige Gebäude aussehen, wie es wollte. Und so dichtete er

T

er



(12) Rathaus in Saalfeld in Thüringen.
Aus »Die Welt in Photographieen«.

(13) Altes Fachwerkhaus in Gottlieben Aufgenommen von C. Fr. Weysser
bei Konstanz. in München.


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