Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 21.1905

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Hasak, Max: Mschatta
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44852#0094

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1905

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 11


Mschatta. Teilansicht der Front (C).
ihre Eigenart aus. Sie sind durch ein fleischiges Wasserblatt
verdoppelt und so vorzüglich modelliert, daß sie sich jeder
klassischen Schöpfung an die Seite stellen können. An der
Klosterkirche zu Königslutter finden sich, wie schon angeführt,
zwei ganz ähnlich gestaltete Gesimskehlen, nur sind sie noch
meisterhafter als die italienischen modelliert. — Woher stam-
men diese hauptsächlich im 12. Jahrhundert stellenweise in
Europa aufflackernden antiken Studien, für die uns sämtliche
Vorbilder fehlen? Schon Viollet-le-Duc hatte für die Provence
auf Antiochien und Syrien hingewiesen. Und in der Tat nur
in Syrien und im Gelobten Lande kann der Schlüssel für dies
doppelte Rätsel gesucht und gefunden werden: daß einerseits
im Abendlande herdweise antike Ornamentstudien auftreten,
Welche aufflammen, um, abgesehen von Italien, baldigst wieder
zu verlöschen; die andrerseits die Formen einer unbekannten
Schwester griechischer Kunst zeigen und nicht die der römi-
schen Ruinen in diesen Landen. Im Heiligen Lande haben
die Kreuzfahrer während ihrer neunzigjährigen Herrschaft so
Viele und so kolossale Bauten aufgeführt, daß ihnen ein Heer
von Baumeistern zu Diensten gestanden haben muß. Die
Burgen, Schlösser und Stadtmauern sind riesiger als ihre
Schwestern im Abendlande. Man betrachte nur die beiden
Karaks, den »Karakdes Chevaliers« in Syrien und den »Karak
Royal« in der Nähe von Mschatta. Dazu tritt die große Zahl
der Kirchen. Sämtliche Bauten sind im romanischen oder zu-
meist im frühestgotischen Stil aufgeführt — eben zwischen 1100
und 1180. Diesen Baumeistern aus dem Abendlande standen
die einheimischen Kunsthandwerker und Handwerker zur Ver-
fügung. Die eingeborene Christenbevölkerung hatte sich unter
der Herrschaft der Mohammedaner noch so zahlreich erhalten,
daß sie häufig bei dem Herannahen der Kreuzfahrer sich ihrer
Unterdrücker entledigte und die Stadttore den Abendländern
öffnete. Diese eingeborene Bevölkerung hatte ihre Kunst und
Kunsthandwerke bewahrt. Noch lange Jahrhunderte nach ihrer
Unterjochung bauen christliche Baumeister an den Brennpunk-
ten des Islams die Moscheen, so die große Moschee zu
Damaskus (705—717) und die Moschee des Ibn-Tulun zu Kairo
(87ö—878 n. Chr.). Diese eingeborene Christenbevölkerung
war ersichtlich die Lehrmeisterin für die griechisch anmuten-

den Ornamente, welche diejenigen abendländischen Baumeister
oder Bildhauer, die nach Hause zurückkehrten, aus dem Hei-
ligen Lande mitbrachten. Daher das Vereinzelte des Auftretens
solcher Ornamente, daher das Fremdartige dieser Bildungen,
daher die griechische Fassung, trotzdem sie keine uns bekann-
ten griechischen Vorbilder zurückrufen. So findet sich denn
auch am Bau der heiligen Grabeskirche zu Jerusalem dieses
griechische Ornament um 1149 oder 1161 in der schönsten
Ausführung vor, so zwar, daß man die Gesimse für solche
aus der Zeit Justinians hält. Aber abgesehen davon, daß die
Eierstäbe, Zahnschnitte und Konsolenfriese besonders für die
Verkröpfungen gearbeitet sind — denn ihre Einteilungen gehen
genau in den Kröpfen auf, was bei zufällig gefundenen Stücken
ganz ausgeschlossen wäre —, so zeigen die Kapitelle der Säul-
chen und die spitzbogigen Archivolten dieselben griechischen
Blätter. Daß diese Bogensimse oder die Kapitellchen aber aus
Justinianischer Zeit seien, wird niemand behaupten wollen.
Zudem ist von einem Bau Justinians an der Grabeskirche
nichts bekannt, nur von der großartigen Bautätigkeit Konstan-
tins daselbst wissen wir. Zu dieser aber passen solche Simse,
von allem andern abgesehen, erst recht nicht. Diese Schöp-
fungen entstammen der Kreuzfahrerzeit. Hat sich aber die
syrisch-griechische Kunstübung aus dem 6. und 7. Jahrhundert
bis in das 11. erhalten, dann dehnen sich eben auch die Zeit-
grenzen für Mschatta weiter aus, als dies bei einseitiger Be-
trachtung der Zeit Justinians anfangs möglich erscheint. Wäre
das große Basisprofil nicht vorhanden, dann würde für das
7. Jahrhundert nicht viel Zwingendes übrig bleiben. Denn die
Tiere und Gefäße von Mschatta finden sich auch im 11., 12.
und 13. Jahrhundert noch im Orient wie in Italien. So wird
der Greif im Camposanto zu Pisa dem Fatimidensultan El-
Hakem-Biamrillah aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts zu-
geschrieben und er findet sich ersichtlich nachgebildet in der
Vorhalle am Dom zu Lucca (um 1233) und im Fußboden von
San Miniato bei Florenz aus derselben Zeit. Der Überbau
des Hochaltars von Sant’ Ambrogio zu Mailand zeigt die Gefäße
Mschattas. Man hält ihn für »byzantinisch«, aber er entstammt
der Zeit um 1200. Das beweisen die Rippen seines Kreuz-
gewölbes; ja sie zeugen sogar von seines Baumeisters französi-
scher Erziehung. Auch die Emporenbrüstungen in San Marco
zu Venedig, in San Donato zu Murano und in der Kathedrale
zu Torcello, welche ähnliche Formen bieten, sind nicht, wie
man meint, »byzantinisch«, sondern sie entstammen dem 12.,
selbst dem 13. Jahrhundert. Fassen wir nochmals die Tat-
sachen zusammen. Im 12. Jahrhundert erfolgt an vielen Orten
des Abendlandes eine Wiederaufnahme antiken Ornamentes.
Dieses Ornament ist zur Hauptsache nicht das der Ruinen
aus der Niedergangszeit des römischen Reiches, wie sie überall
noch aufrecht standen, sondern es sieht griechisch und orien-
talisch aus. Doch kann man griechische Vorbilder nicht nennen.
Einem unbekannten Aste antiker Kunst müssen sie entsprossen
sein, einem Aste, welcher im 12. Jahrhundert noch lebte. Die
Künstler des Abendlandes mußten irgendwo noch solche Schu-
lung genossen haben, denn vom bloßen Ansehen lernt es der
Künstler selten. Hatten doch die vorhergehenden Jahrhunderte
die römischen Ornamente ebenfalls vor Augen gehabt, ohne
sie nachahmen, geschweige denn so meisterhaft wiedergeben
zu können. Eine solche noch lebende Schule antiker Kunst
konnte nur in Syrien und Palästina, allenfalls auch in Byzanz
noch vorhanden sein. Aber in Konstantinopel hatten die abend-
ländischen Künstler während des 11. Jahrhunderts nichts zu
schaffen; nur im Heiligen Lande boten sich für die Baumeister
und Bildhauer Frankreichs, Italiens und Deutschlands ebenso
zahlreiche wie großartige Aufgaben. Dort lebte eine tatkräftige
Künstlerschaft, von der es noch bis kurz vor 900 n.Chr. bezeugt
ist, daß sie den Moslim die Moscheen baute. Wie die Formen
dieser syrisch-palästinensischen Künstler noch im 12. Jahrhundert
beschaffen waren, zeigen uns die beregten gleichzeitigen antiken
Studien im Abendlande wie an der Südansicht der heiligen Grabes-
kirche zu Jerusalem. Daß diese Schule in jugendfrischer, immer
noch Neues findender Kraft ersichtlich so lange Jahrhunderte
fortlebte, macht die Zeitbestimmung von Mschatta so unsicher.

84
 
Annotationen