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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1991

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Dębicki, Jacek: Metaphysik der mittelalterlichen Bildhauerei Einführung in die Problematik
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https://doi.org/10.11588/diglit.51720#0083

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gemalte Bilder...“10 Diese Beschlüsse haben die Ent-
wicklung der plastischen Darstellungen nicht verur-
sacht. „So blieben die in Elfenbein geschnitzten oder
von den Goldschmieden ausgeschmiedeten Gestalten
immer in der unmittelbaren Nähe des Altars. Den
Zugang dazu hatten nur die Eingeweihten, die Zeleb-
ranten, die Menschen vom unerschütterlichen Glauben
und einer hohen Kultur“ — schrieb Georges Duby.11
Die Situation änderte sich erst in der zweiten Hälfte des
11. Jahrhunderts. Es ist ja eigentlich bis heute nicht
bekannt, warum Ende des 11. Jahrhunderts an den
Kapitellen oder Fassaden der französischen oder spani-
schen Kirchen die Gestalten der Heiligen mit anthropo-
morphischen Merkmalen auftauchten, in Marmor oder
Stein dargestellt. Dieses Problem, ein Problem an sich,
lasse ich in dem Artikel unbeachtet, da es nicht Ziel
meiner Erwägungen ist. Ich will nur bemerken, laut des
Evangeliums nach Johann: „Niemand hat je Gott
gesehen; der Einzige, göttliche Sohn, der am Herzen
des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“ (J. 1, 18).
Hier mußte also entscheidende Rolle die christologi-
sche Antimonie gespielt haben: Antinomie Gott
— Mensch. Das, daß Gott den menschlichen Leib
angenommen hat, verlieh dem körperlichen Faktor in
dem Menschen einen Wert und verursachte die Ableh-
nung des Spiritualismus und des extremen Spiritualis-
mus, der in der Anthropologie bis an die Zeit der Schule
in Chartres im 12. Jh überragte. Die Überwindung des
Spiritualismus war ein langer Prozeß, der Ende des 11.
Jahrhunderts begann. Seit dieser Zeit herrschten in der
Menschenlehre der Mittelalters zwei Standpunkte: der
traditionelle spiritualistische und der, den ich einen
sich der Natur nähernden nenne. Die Spiritualisten, die
annahmen, daß die Seele selbst Mensch ist, stießen bei
Entstehung der ersten Sentenzen und Summen auf die
unüberwindlichen Schwierigkeiten — z. B. im Falle des
Dogmas der Auferstehung. Was soll ja also Auferste-
hung sein, die doch keine Auferstehung des Leibes ist,
weil die Seele den Menschen bildet.
In der besprochenen Periode, von Ende des 11.
Jahrhunderts bis Ende des 13. Jahrhunderts, verläuft
die Geschichte der lateineuropäischen Bildhauerei
einheitlich auf dem ganzen Gebiet. Diese Einheitlich-
keit und Spezifik der mittelalterlichen Plastik bean-
spruchten oftmals die Aufmerksamkeit der Forscher.
Da der Leib immer dem Kleid untergeordnet war, und
die mittelalterliche Kunst im Grunde weder Anatomie
noch Akt kannte, konzentrierten sich die Künstler auf

„das Drapieren“ der dargestellten Personen. Aus
diesem Grunde spricht man von der Anatomie der
Draperie, indem man sie für unabhängigen Gegenstand
der künstlerischen Gestaltung erklärt.12 Diese Feststel-
lung, so meine ich, schöpft das Problem der Ursachen
eben solcher Entwicklung der mittelalterlichen Plastik
nicht aus. Sie wurde ausgedrückt vom Gesichtspunkt
der formalen Analyse, die in der Regel zu den äußerli-
chen Daseinsaspekten eines Kunstwerkes vorstieß.
Man müßte eigentlich der Ansicht der Formalisten
zustimmen, daß Verhältnis des Mittelalters zur Art
und Weise der Menschendarstellung in der Kunst am
besten die Entwicklung der Skulpturen veranschau-
licht. Dieser Gedanke richtete aber nicht die Aufmerk-
samkeit der Forscher auf die mittelalterliche Men-
schenlehre. Stellen wir also die Frage, immer aktuell in
der Kulturgeschichte, indem wir den Titel des Buches
von Henri Focillon „vie des formes“13 mit „vie des
idees“ erklären, oder noch anders: ob die großen
Umbrüche in der Geschichte der europäischen Plastik
(wie z. B. der um 1300) Formkrise sind, wie man es oft
suggeriert, oder ob sie, was ich hier zu beweisen
versuche, eine Ideenkrise sind. Gleichermaßen verstehe
ich den Unterschied zwischen der Antike und dem
Mittelalter. In der Literatur suggeriert man, daß diese
Unterschiede am besten die Art und Weise des
Menschendarstellung veranschaulicht.14 Ich frage also
nochmals: oder vielleicht die Art und Weise der
Menschenauffassung?
Das Altertum überlieferte dem Mittelalter zwei
anthropologische Grundkonzeptionen, nämlich die
platonische und die aristotelische — die anderen haben
zu dieser Zeit keine größere Rolle gespielt. Platon, die
Ewigkeit der Seele annehmend, hat sie dem Leib
entgegengestellt. Die Seele besaß angeborene Kennt-
nisse, und der Leib war für sie Kerker und Grab. Erst
nach dem Tod des Menschen begann die Seele ihr
wahres Leben. Ohne auf die weiteren Einzelheiten der
platonischen Menschenlehre einzugehen, kann man
feststellen, homo platonicus ist die über den Leib
herrschende Seele. Platon hat also den Menschen tief
und konsequent gespalten: „Alle Seele ist unsterblich.
Weil alles, was sich ewig bewegt, nicht stirbt. Nur das,
was andere Sachen bewegt, und selbst anderswoher die
Bewegung nimmt, Ende der Bewegung besitzend, auch
Lebensende besitzt“ — schrieb er in Phaidros.13 In der
Epistemologie bedeutete das die Vorherrschaft des
apriorischen Wissens dem aposteriorischen gegenüber,

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