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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1991

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Dębicki, Jacek: Metaphysik der mittelalterlichen Bildhauerei Einführung in die Problematik
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https://doi.org/10.11588/diglit.51720#0089

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mit dem Leib, gebildet durch diese Form, verbindet
sich substanziell die menschliche Seele, ihm Leben
gebend. Anders Thomas, der die Seele, grundsätzlich
augustinisch erfaßt, als eine unvollkommene Substanz
bezeichnete.61 Die Unvollkommenheit erlaubt der Seele
die Aufgabe der Form zu erfüllen. Die Seele, die doch
unkörperliche Substanz ist, zeigt — wie Thomas sagte
— eine ständige Neigung zur Koexistenz mit dem Leib
und Mitwirkung mit ihm in Sinneserkenntnis. Als eine
substanzielle Form ist sie auch das Daseinsprinzip des
ganzen Menschen, (forma est principium essendi),
deshalb dauert nach dem Tod nur die Seele selbst.
Die meist christliche Form des aristotelischen Hyle-
morphismus zeigt St. Bonaventura.62 Er erklärt die
Seele für vollkommene Substanz, den Geistesfaktor, der
selbst alle psychischen Tätigkeiten ausübt, außer
Eindrucksperzeption, wozu Leib unentbehrlich ist. Die
Seele als eine selbständige Substanz ist die Seele nicht
nur im Zusammenhang mit dem Leib, sondern auch an
sich selbst. Das hinderte ihn nicht zu behaupten, daß
getrennt weder Seele noch Leib den Menschen bilden.63
Solch eine Einstellung war typisch für die Denker des
13. Jahrhunderts. Sie beriefen sich nämlich auf die
Theorie der Materie und Form, um Daseinseinheit des
Menschen zu begründen. Das war aber eine Art vom
Aushängeschild, das tatsächliche Zweiheit des Leibes
und der Seele im Menschen verdecken sollte. Derselbe
Bonaventura äußerte die Ansicht, daß Seele bereit ist
sich vom Leibe zu befreien, der „Eselsbruder für
Franciscus“ war.64 Er hat die Existenz vieler Formen in
dem Menschen angenommen. Die von ihm der Seele
beigemessenen Eigenschaften kommen ihr nicht auf der
Grundlage der Form zu, sondern der Substanz, die in
ihrem Dasein unabhängig von der Materie ist. Für die
mittelalterliche Anthropologie, und damit die Art der
Menschendarstellung, waren Ereignisse der Jahren
1270 und 1277 wichtig. Zuerst verdammte Stephan
Tempier, Pariser Bischof, 13 philosophische Sätze, die
gegen Aristoteles’ Doktrin gerichtet waren in averroisti-
scher Interpretierung. Dann hat derselbe Bischof 219
Sätze exkommuniziert, von denen einige die Philoso-
phie von St. Thomas bekämpften (manche sprechen
von 20) ,65 Es waren darunter anthropologische Sätze.
Robert Kilwarbdy, Erzbischof von Canterbury, Domi-
nikaner, hat diese Verdammung unterstützt.66 Sein
Nachfolger, Jan Peckham, erneuerte 1284 das doktrinä-
re Anathem. Der letzte der acht von Peckham ver-
dammten Sätze lautet: „in dem Menschen gibt es nur

eine Form, nämlich denkende Seele, und es gibt keine
andere substanzielle Form.“67 Von diesem Gesichts-
punkt aus, so meint Peckham, folgen alle Ketzereien.
Im Grunde wiederholte er den ähnlichen Gedanken
von St. Bonaventura: „Daher krankhaft ist die Behaup-
tung, daß sich die höchste Form mit der ersten Materie
verbindet... und es keine Mittelform gibt.“68
Pariser Verdammungen bedeuteten Ende der späten
Scholastik. Ihren Einfluß auf die Menschenlehre veran-
schaulicht ganz gut Einstellung Heinrichs von Gent
(gest. 1293), des Professors an der Theologiefakultät zu
Paris, Mitschöpfers der Ereignisse von 1277. Er hat
angenommen, daß man, den Menschen ausgenommen,
in allen Dasein Vielheit der substanziellen Formen
ablehnen soll. Denkende Seele verbindet sich in dem
Menschen mit der ersten Materie, aber durch Vermitt-
lung der sog. Körperlichkeitsform (corporeitatis), ab-
geleitet von dem Vermögen der ersten Materie.69 Zu
solch einem Gesichtspunkt, schrieb Heinrich von Gent,
„zwingt Ihn Notwendigkeit, Autorität und Berechti-
gung, Autorität der Heiligen Schrift und ihrer Texter-
klärer.76 In den Jahren 1311 — 12 erklärt das XV
allgemeine Konzil in Vienne dogmatisch, daß Seele
eine Form des menschlichen Leibes ist, aber im Sinne
von Scotus.71 Mit diesem Dogma stimmt die Menschen-
lehre Heinrichs von Gent überein, die Bedeutung des
körperlichen Faktors im Menschen degeneriert.
Ende des 13. Jahrhunderts bildet die Endphase der
späten Gotik. Man spricht über den Umbruch in der
europäischen Plastik um 1300. Die Bildhauerei der
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts äußerte sich am
besten in der devoten Darstellung, die sich, nach Ervin
Panofsky, „dadurch charakterisiert, daß sie danach
strebt, dem Zuschauer zu ermöglichen, sich beschau-
lich in den Inhalt der Darstellung zu vertiefen; die
Gegenstand seiner Überlegungen ist, anders gesagt,
danach strebt, Subjekt mit dem Objekt geistlich zu
verbinden.“72 Es ist eine neue subjektive Einstellung,
fremd früheren Jahrhunderten, sie bricht mit der
objektiven Sachlichkeit der Skulptur, im Widerspruch
zu derer die devote Darstellung entstand. Man begann
vor allem den emotionellen Inhalt zu betonen, was zur
Änderung des formalen Kanons führte, zur Hervorhe-
bung der Expression. Man zeigte erschöpfte Leiber,
man exponierte unnatürlich manche Partien des Men-
schen, die Träger dieser neuen Inhalte sein sollten. Mit
einem Wort, man hat generell den für das 13. Jh.
charakteristischen formalen Kanon der Bildhauerei

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