Tschechische (Bibelsprache). Deshalb schrieb man bei uns in der
ersten Hälfte des 19. Jhs. auch ästhetische Abhandlungen in
einer dieser beiden Sprachen. Besonders die lateinische Ästheti-
ken und Poetiken (M. Ševrlay, M. Holko, d. J. und M. Greguš)
wurden bis heute weder ins Slowakische übersetzt, noch ausrei-
chend fachwissenschaftlich erforscht; sie stellen somit eine be-
stimmte Lücke in der Geschichte unserers ästhetischen Denkens
dar.
Die Geschichte des ästhetischen Denkens in der Slowakei
selbst, als Parallele zur Geschichte des philosophischen Denkens
oder zur Literaturgeschichte, haben wir bis heute nicht komplex
bearbeitet. Ihre Erforschung vertreten bis heute im wesentlichen
Maße gerade jene Wissenschaftsdisziplinen, die das Problem
ihrer Periodisierung nicht lösen können, ja unbeabsichtigt eine
verzerrte Sicht in die Probleme der Interpretation und Wertung
einzelner Vertreter unseres ästhetischen Denkens 19. Jahrhun-
dert hineintragen. Es wird deshalb notwendig, zur komplexen
Erforschung dieser Zeit zurückzukehren, zu den Originaltexten
einzelner Autoren, ihre Auffassungen miteinander zu konfron-
tieren und mit jenen in anderen nationalen Ästhetiken (beson-
ders den deutschen) zu vergleichen, ihre Ideenquellen und Vor-
bilder zu suchen. Nur so wird uns der Zusammenhang ersicht-
lich, der für das Verständnis der Richtungen und Wege notwen-
dig ist, auf denen sich die Entwicklung unseres ästhetischen
Denkens in der Vergangenheit bewegte.
Die zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts in der
Entwicklung des slowakischen ästhetischen Denkens
Die Zeit der 20-er und 30-er Jahre des 19. Jahrhunderts
gehörte bei uns zu der besonders fruchtbaren Zeit der Entwic-
klung der Ästhetik. Es erschienen damals einige grundlegende
ästhetische Arbeiten der Autoren M. Ševrlay (Poetik, Schemnitz
1822), M. Holko d. J. (Observationes, quaedam Mathiae Holko
de artibus elegantioribus et mythologia gentili atque Christiana,
Solennia, Bd. 17, S. 105—137, Nižný Skálnik 1826), M. Greguš
(Compendium aestheticae, Raschau 1826), B. Tablic L’Art Poé-
tique, Ofen 1832), K. Kuzmány (Über das Schöne, Hronka L,
Bd. 3, Neusohl 1836, S. 61—77), J. Kollár (Über die literari-
schen Beziehungen zwischen Stämmen und slawischen Dialek-
ten, Hronka I, Bd. 2. Neusohl 1836. S. 31—53), K. Kuzmány
(Ladislaus, Hronka III, Neusohl 1838. Bd. 1, S. 32—65, Bd. 2,
S. 122—157, Bd. 3, S. 211—260). Es entstanden jedoch auch
die Arbeiten von F. Palacký (Überblick über die Geschichte
der schönen Künste und ihrer Literatur; Die Ästhetik oder
fünf Bücher über Schönheit und Kunst), die er in den Jahren
1819—1823 in Preßburg und im heutigen Dubnik in der Slowa-
kei niederschrieb, wo er als Erzieher wirkte.
Diese Arbeiten sind ziemlich heterogen, erreichen aber ein
relativ hohes fachliches Niveau. Voraussetzungen für ihr Entste-
hen legte das damalige Schulsystem, das es an Akademien und
Lyzeen ermöglichte, eine bestimmte philosophische und ästhe-
tische Bilding zu erwerben. Besonders das Preßburger Lyzeum
hatte langjährige Verbindungen zu deutschen Universitäten, vor
allem nach Jena, aber auch nach Halle, Göttingen, Tübingen
und Wittenberg. Das Preßburger Lyzeum wurde gemeinsam mit
dem Prešover Kollegium zum Zentrum für die Verbreitung vor
allem der Philosophie und Ästhetik Kant’s. In der Generation,
über die wir sprechen, bestand jedoch bereits ein Interesse an
den über Kant hinausgehenden Veröffentlichungen philosphi-
scher und ästhetischer Konzeptionen seiner Kritiker und Epigo-
nen, besonders an J. F. Fries, F. Bouterwek und W. T. Krug.
Den größten Widerhall fand bei uns der Philosoph und Ästheti-
ker J. F. Fries, mit dessen philosophischer Begründung des
Glaubens als unmittelbare und direkte Erkenntnis der übersinn-
lichen Welt und der Ahnung der außerordentlichen Kraft, die
mit Hilfe des Gefühls das Endliche mit dem Ewigen in Überein-
stimmung bringt, gewann viele Anhänger und Verehrer in den
Reihen deutscher und ausländischer evangelischer Theologen.
Zu ihnen gehörten bei uns neben Kollár, Palacký, E. Šuhajda
und A. Vandrák vor allem Karol Kuzmány. In ähnlicher Weise
orientierte sich M. Greguš an F. Bouterwek und W. T. Krug.
Auf Grund eingehender Forschungen (Eva Botťánková:
K. Kuzmány und die Aufnahme der kantschen Ästhetik in der
Slowakei, kand. Diss., Kunsthist. Inst. SAV, Bratislava 1976)
läßt sich sagen, daß Kollár, Greguš, Palacký, Kuzmány und
Vandrák die „kantsche Richtung“ unseres ästhetischen Den-
kens in den 20-er und 30-er Jahren des 19. Jhs. vertraten, im
Gegensatz zur zeitlich jüngeren „hegelianischen Richtung“ der
Ästhetik Štůrs und seiner Anhänger. Bei den Vertretern der
„kantschen Richtung“ können wir bestimmte gemeinsame Züge
verallgemeinern, die von den gemeinsamen philosophisch-ästhe-
tischen, aber auch methodologischen Ausgangspunkten beein-
flußt sind. Es sind das vor allem psychologische Ausganspunkte
der Erforschung der ästhetischen Problematik, die einerseits
durch die sog. „Dreivermögenlehre“ und andererseits durch die
Theorie der gefühlsmäßigen Erkenntnis, konkret durch Frieses
Theorie gekennzeichnet sind. In direktem Zusammenhang mit
den psychologischen Standpunkten und der zentralen Stellung
des Gefühls erhält in ihrer Ästhetik auch die Problematik des
ästhetischen Geschmacks eine verhältnismäßig bedeutende Stel-
lung. Zum zweiten wird die Idee des Schönen zum Gegenstand
und Ausgangspunkt der ganzen ästhetischen Theorie erhoben.
Zum dritten ist die besondere Beachtung, die der Problematik
der Geschichte der Ästhetik gewidmet wurde, besonders dahin-
gehend bemerkenswert, daß die grundlegenden Arbeiten euro-
päischer Autoren zur Geschichte der Ästhetik erst nach der
Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen. Zum vierten gab es beim
Stand der allgemeinen Bildung ein notwendiges Interesse an
einer fachlichen philosophischen und ästhetischen Terminolo-
gie, die künstlich geschaffen werden mußte, wobei parallel die
lateinische und deutsche Terminologie gebraucht wurde.
M. Greguš, F. Palacký und A. Kuzmány waren die be-
kanntesten Persönlichkeiten unseres ästhetischen Denkens in
der 20-er und 30-er Jahren des 19. Jhs., repräsentierten seine
eingenständige und ausgeprägte Orientierung, die einen bedeu-
tenden Anteil an der Kontinuität seiner weiteren Entwicklung
hatte. Keiner von ihren Nachfolgern, weder Štůr noch Vajanský,
umfaßten so Komplex und systematisch die Ästhetik. Ohne
Übertreibung gilt, daß ihre Ästhetik tatsächlich auf dem Niveau
ihrer Zeit war — leider haben wir es noch nicht verstanden, sie
voll zu verstehen und zu bewerten.
Deutsch von Kuno Schumacher
119
ersten Hälfte des 19. Jhs. auch ästhetische Abhandlungen in
einer dieser beiden Sprachen. Besonders die lateinische Ästheti-
ken und Poetiken (M. Ševrlay, M. Holko, d. J. und M. Greguš)
wurden bis heute weder ins Slowakische übersetzt, noch ausrei-
chend fachwissenschaftlich erforscht; sie stellen somit eine be-
stimmte Lücke in der Geschichte unserers ästhetischen Denkens
dar.
Die Geschichte des ästhetischen Denkens in der Slowakei
selbst, als Parallele zur Geschichte des philosophischen Denkens
oder zur Literaturgeschichte, haben wir bis heute nicht komplex
bearbeitet. Ihre Erforschung vertreten bis heute im wesentlichen
Maße gerade jene Wissenschaftsdisziplinen, die das Problem
ihrer Periodisierung nicht lösen können, ja unbeabsichtigt eine
verzerrte Sicht in die Probleme der Interpretation und Wertung
einzelner Vertreter unseres ästhetischen Denkens 19. Jahrhun-
dert hineintragen. Es wird deshalb notwendig, zur komplexen
Erforschung dieser Zeit zurückzukehren, zu den Originaltexten
einzelner Autoren, ihre Auffassungen miteinander zu konfron-
tieren und mit jenen in anderen nationalen Ästhetiken (beson-
ders den deutschen) zu vergleichen, ihre Ideenquellen und Vor-
bilder zu suchen. Nur so wird uns der Zusammenhang ersicht-
lich, der für das Verständnis der Richtungen und Wege notwen-
dig ist, auf denen sich die Entwicklung unseres ästhetischen
Denkens in der Vergangenheit bewegte.
Die zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts in der
Entwicklung des slowakischen ästhetischen Denkens
Die Zeit der 20-er und 30-er Jahre des 19. Jahrhunderts
gehörte bei uns zu der besonders fruchtbaren Zeit der Entwic-
klung der Ästhetik. Es erschienen damals einige grundlegende
ästhetische Arbeiten der Autoren M. Ševrlay (Poetik, Schemnitz
1822), M. Holko d. J. (Observationes, quaedam Mathiae Holko
de artibus elegantioribus et mythologia gentili atque Christiana,
Solennia, Bd. 17, S. 105—137, Nižný Skálnik 1826), M. Greguš
(Compendium aestheticae, Raschau 1826), B. Tablic L’Art Poé-
tique, Ofen 1832), K. Kuzmány (Über das Schöne, Hronka L,
Bd. 3, Neusohl 1836, S. 61—77), J. Kollár (Über die literari-
schen Beziehungen zwischen Stämmen und slawischen Dialek-
ten, Hronka I, Bd. 2. Neusohl 1836. S. 31—53), K. Kuzmány
(Ladislaus, Hronka III, Neusohl 1838. Bd. 1, S. 32—65, Bd. 2,
S. 122—157, Bd. 3, S. 211—260). Es entstanden jedoch auch
die Arbeiten von F. Palacký (Überblick über die Geschichte
der schönen Künste und ihrer Literatur; Die Ästhetik oder
fünf Bücher über Schönheit und Kunst), die er in den Jahren
1819—1823 in Preßburg und im heutigen Dubnik in der Slowa-
kei niederschrieb, wo er als Erzieher wirkte.
Diese Arbeiten sind ziemlich heterogen, erreichen aber ein
relativ hohes fachliches Niveau. Voraussetzungen für ihr Entste-
hen legte das damalige Schulsystem, das es an Akademien und
Lyzeen ermöglichte, eine bestimmte philosophische und ästhe-
tische Bilding zu erwerben. Besonders das Preßburger Lyzeum
hatte langjährige Verbindungen zu deutschen Universitäten, vor
allem nach Jena, aber auch nach Halle, Göttingen, Tübingen
und Wittenberg. Das Preßburger Lyzeum wurde gemeinsam mit
dem Prešover Kollegium zum Zentrum für die Verbreitung vor
allem der Philosophie und Ästhetik Kant’s. In der Generation,
über die wir sprechen, bestand jedoch bereits ein Interesse an
den über Kant hinausgehenden Veröffentlichungen philosphi-
scher und ästhetischer Konzeptionen seiner Kritiker und Epigo-
nen, besonders an J. F. Fries, F. Bouterwek und W. T. Krug.
Den größten Widerhall fand bei uns der Philosoph und Ästheti-
ker J. F. Fries, mit dessen philosophischer Begründung des
Glaubens als unmittelbare und direkte Erkenntnis der übersinn-
lichen Welt und der Ahnung der außerordentlichen Kraft, die
mit Hilfe des Gefühls das Endliche mit dem Ewigen in Überein-
stimmung bringt, gewann viele Anhänger und Verehrer in den
Reihen deutscher und ausländischer evangelischer Theologen.
Zu ihnen gehörten bei uns neben Kollár, Palacký, E. Šuhajda
und A. Vandrák vor allem Karol Kuzmány. In ähnlicher Weise
orientierte sich M. Greguš an F. Bouterwek und W. T. Krug.
Auf Grund eingehender Forschungen (Eva Botťánková:
K. Kuzmány und die Aufnahme der kantschen Ästhetik in der
Slowakei, kand. Diss., Kunsthist. Inst. SAV, Bratislava 1976)
läßt sich sagen, daß Kollár, Greguš, Palacký, Kuzmány und
Vandrák die „kantsche Richtung“ unseres ästhetischen Den-
kens in den 20-er und 30-er Jahren des 19. Jhs. vertraten, im
Gegensatz zur zeitlich jüngeren „hegelianischen Richtung“ der
Ästhetik Štůrs und seiner Anhänger. Bei den Vertretern der
„kantschen Richtung“ können wir bestimmte gemeinsame Züge
verallgemeinern, die von den gemeinsamen philosophisch-ästhe-
tischen, aber auch methodologischen Ausgangspunkten beein-
flußt sind. Es sind das vor allem psychologische Ausganspunkte
der Erforschung der ästhetischen Problematik, die einerseits
durch die sog. „Dreivermögenlehre“ und andererseits durch die
Theorie der gefühlsmäßigen Erkenntnis, konkret durch Frieses
Theorie gekennzeichnet sind. In direktem Zusammenhang mit
den psychologischen Standpunkten und der zentralen Stellung
des Gefühls erhält in ihrer Ästhetik auch die Problematik des
ästhetischen Geschmacks eine verhältnismäßig bedeutende Stel-
lung. Zum zweiten wird die Idee des Schönen zum Gegenstand
und Ausgangspunkt der ganzen ästhetischen Theorie erhoben.
Zum dritten ist die besondere Beachtung, die der Problematik
der Geschichte der Ästhetik gewidmet wurde, besonders dahin-
gehend bemerkenswert, daß die grundlegenden Arbeiten euro-
päischer Autoren zur Geschichte der Ästhetik erst nach der
Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen. Zum vierten gab es beim
Stand der allgemeinen Bildung ein notwendiges Interesse an
einer fachlichen philosophischen und ästhetischen Terminolo-
gie, die künstlich geschaffen werden mußte, wobei parallel die
lateinische und deutsche Terminologie gebraucht wurde.
M. Greguš, F. Palacký und A. Kuzmány waren die be-
kanntesten Persönlichkeiten unseres ästhetischen Denkens in
der 20-er und 30-er Jahren des 19. Jhs., repräsentierten seine
eingenständige und ausgeprägte Orientierung, die einen bedeu-
tenden Anteil an der Kontinuität seiner weiteren Entwicklung
hatte. Keiner von ihren Nachfolgern, weder Štůr noch Vajanský,
umfaßten so Komplex und systematisch die Ästhetik. Ohne
Übertreibung gilt, daß ihre Ästhetik tatsächlich auf dem Niveau
ihrer Zeit war — leider haben wir es noch nicht verstanden, sie
voll zu verstehen und zu bewerten.
Deutsch von Kuno Schumacher
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