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Badische Fundberichte: amtl. Nachrichtenbl. für die ur- u. frühgeschichtl. Forschung Badens — 18.1948/​1950

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Nierhaus, Rolf: Eine klassizistische Fortuna-Terrakotte aus Murg (Ldkrs. Säckingen): ein Beitrag zur Ikonographie der Fortuna
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https://doi.org/10.11588/diglit.42247#0101

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Eine klassizistische Fortuna-Terrakotte aus Murg

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Zeichen durch bedeutungsmäßig einander nahestehende Figuren zu rechnen 12).
Auf welches gemeinsame Vorbild sind nun die Personifikationen der Münz-
bilder mit Füllhorn und Szepter zurückzuführen? Wenn auch manche Personi-
fikationen wie Concordia und Fides schon zeitig als Gottheiten empfunden wur-
den und Statuen, Altäre und Tempel dargebracht bekamen13), wird man als
Vorbild doch eher an eine der großen Gottheiten, etwa Fortuna, denken.
Die römische Fortuna der Kaiserzeit hilft uns freilich nicht weiter; sie folgt
einer andern Bildtradition. Ihr Kennzeichen ist durchweg das Steuerruder. Die-
ses kommt zwar schon in klassischer und erst recht in hellenistischer Zeit in
den Händen der Tyche, der griechischen Entsprechung der Fortuna, vor 14); der
älteste literarische Beleg ist ein Pindarfragment, in dem Tyche „ein zwiefaches
Steuerruder lenkt“, nämlich zu ungewissem Ziel15). Die früheste bildliche
Darstellung der Tyche mit dem Steuerruder reicht immerhin bis ins 4. Jhdt.
zurück; sie findet sich auf der Stele mit der Phylarchos-Inschrift aus Tegea
(Arkadien) aus den sechziger Jahren des 4. Jhdts.16). Belege aus der Zeit des
Hellenismus anzuführen, erübrigt sich angesichts ihrer großen Zahl17)). In-
dessen war das Steuerruder bei weitem nicht das einzige Abzeichen der klas-
sischen und hellenistischen Tyche. Szepter, Füllhorn, Weltkugel, Opferschale,
Zweig und Ährenbündel sind in ihren Händen ebenso häufig anzutreffen und
kennzeichnend für den umfassenden und in vielfältigen Brechungen schillern-
den Charakter der Göttin.
Erst in der Kaiserzeit, und zwar offenbar ausgehend von der römischen For-
tuna des Westens, wird das Steuerruder das entscheidende Abzeichen der
Tyche-Fortuna. Die übrigen Attribute (Füllhorn, Szepter usw.) können hinzu-
treten oder fehlen; auf jeden Fall ist keines von ihnen für den Fortunatyp von
wesenhafter Bedeutung. Diese kaiserzeitliche Fortuna mit dem Steuerruder

12) Vgl. L. Deubner in: W. Roscher, Ausführl. Lexik, d. griech. u. röm. Mythologie
(im Folgenden: ML.) III, 2 (1909) Sp. 2125 s. v. Personifikationen. Engelhard
46 ff. zählt die ihm bekannt gewordenen Entlehnungen auf; s. auch unten die
Bemerkungen zu Fortuna.
13) Personifikationen in der Großplastik, soweit literarisch überliefert, s. Engelhard
36 ff. — Tempel für solche ebenda 13 ff., Altäre mit Inschriften ebenda 54 ff. —
Die Liste besonders der letzten Gruppe wäre zu vervollständigen.
14) Vgl. die umfangreichen Artikel über Tyche in: Pauly-Wissowa, Real-Enzyklop.
(im Folgenden: RE.) 2. Reihe VII A 2 (1943) Sp. 1643—1689 (G. Herzog-Hauser)
und in ML. V (1924) Sp. 1309—1380 (L. Ruhl und O. Waser), auf deren Materialien
ich im Wesentlichen fuße; beide Artikel werden im Folgenden mit RE. bzw. ML.
ohne Bandzahl zitiert. — Eine Übersicht auch bei W. Deonna, Histoire d’un
embleme: la couronne murale des villes et pays personnifies, in: Genava 18, 1940,
130 ff.
15) Pindar Frgmt. 40 Schroeder=Plutarch, De Fort. Roman, p. 318 A; ähnlich Pindar
Olymp. XII 3—5. — Weitere Belege zum Motiv des Steuerruders aus der Li-
teratur s. RE. 1651 ff.; ML. 1313 ff.; dazu H. Strohm, Tyche. Zur Schicksalsauf-
fassung bei Pindar und den frühgriech. Dichtern (1944) 16 m. Anm. 6; 32 f. — Die
Arbeit von E. G. Berry, The History and Development of the concept of ©euz
Moipa and &eia Tu'/Jl down to and including Platon. Diss. Chicago 1940, war
mir nicht zugänglich.
1S) Inscript. Graecae V, 2 (1913) Nr. 1 m. Abb. S. 7; F. Hiller v. Gaertringen, Athen.
Mitt. 36, 1911, 349 Abb.; 358 f. Das Relief geht wahrscheinlich auf eine Kultstatue
in Megalopolis zurück.
17) S. die Beispiele in ML. 1324 f. 1342. 1370 ff. (Tyche mit dem Steuerruder auf
kleinasiatischen Münzbildern der Kaiserzeit). 1377 (Statuen der Tyche mit Steuer-
ruder). — RE. 1686 ff.

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