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58

Ljtst 3.

digte — denen verdankte sie bereits den gewaltsamen
Tod ihres Mannes und eines Sohnes — so war jetzt
ein zweiter Höllengeist hinzu gekommen, der ihr das Wort
Rache für die gemordete Tochter in die Ohren schrie.
Und was Tenuga wollte, das geschah. Denn sie galt
weit und breit als eine große Medicinfrau, die im Besitz
unfehlbarer Zaubermittel, daß alle Männer, die sie
sogar auf dem Kriegspfad begleitete, in Achtung zu ihr
aufsahen.
Als sie herbeijagte, traten Opcchee und die Anderen
zurück, um ihr 'ne freie Aussicht auf den Gefangenen
zu gönnen, und so hielt sie da, als wäre sie in 'nen
Stein verwandelt worden. Nur der Gaul keuchte und
mächtig schlugen seine Seiten. Sogar mich packte eine
Art Grauen, als ich gewahrte, wie sie zwischen den
über's Gesicht gefallenen Haarsträhnen hindurch den
Agenten betrachtete und dabei über Unheil brütete. Sie
schien sich von dem Anblick seiner Qualen und Todes-
angst nicht losreißen zu können. Das war kein Weib
mehr, sondern eine Hexe mitten aus dem Höllenpfuhl
heraus, die in ihrem Jammer um die gemordete Tochter
kein Erbarmen mehr kannte, nur nach allein von Grau-
samkeit beherrscht wurde.
Endlich redete sie einige Worte mit den Männern.
Während sie darauf den Lasso von ihren Hüften löste
und das eine Ende um den Sattelknopf schlang, schnürte
Opechee die Gurtenriemen fester. Mit 'ner Eilfertigkeit,
als hätt's 'nem Tanz gegolten, wurden sodann die vier
anderen Lassos mit dem ersten zusammengeknotet und
die Schlinge des letzten dem Agenten unterhalb der
Arme um den Leib gelegt. Ich konnt's freilich nicht
sehen wegen des todten Gaules; aber klar wurde mir
die Sache, als ich Tenuga langsam davonreiten sah,
bis die Lassos sich wohl achtzig Ellen lang straff
spannten. So schleppte sie ihr Opfer neben das
Schlammbccken hin, und im Bogen um dasselbe herum-
reitend, gelangte sie auf die Windseite, wo sie nicht
durch den heißen Regen behindert wurde. Dort sorgte
sie bedachtsam dafür, daß Agent und Wassersäule sich
nut ihr in einer Linie befanden, und abermals trieb
sie den Gaul an.
Verdammt! das war ein Verfahren, wie es nur
vom Satan selber ersonnen werden konnte; und ob mir
das Angstgeschrei des Schurken durch Mark und Bein
ging, hätt' ich doch nicht gewagt, 'n Wort für ihn ein-
zulegen. Und 'ne Minute dauerte es übrigens nur,
bis Alles vorüber war. Bei Gott, nur eine Minute,
und in der glitt er wie auf 'nem Schlitten durch den heißen
Morast, und Schrei auf Schrei stieß er aus, bis er
endlich mit dem Kopf in die Wassersäule hineinfuhr.
Ein letztes kurz abgebrochenes Heulen folgte nach, es
klang dumpf wie aus 'nen, Keller, und an der ab-
geschnittenen Leine ließ sich erkennen, daß er trotz des
entgegenstehenden Druckes mit großer Schnelligkeit in
den Trichter versank.
Verwundert betrachtete ich Carcworn. Der saß auf
der Erde, die Ellbogen auf den Knieen und den Kopf
zwischen beiden Händen. Erst als wieder Stille ein-
trat, blickte er zu mir auf.
,Er hat's überstanden,' redete ich auf ihn ein, und
da meinte er, ob's nicht Pflicht gewesen wäre, ein-
zuschreiten, und daß es ihm auf dein Gewissen brenne,
durch den verhängnißvollen Schuß den Agenten in
die Gewalt seiner Verfolger geliefert zu haben. Ich
versuchte ihn zu beschwichtigen, erinnerte ihn an das
arme Weib, dessen schreckliches Ende der Gerichtete
herbeiführte, aber lange dauerte es, bevor er mit seinem
milden, menschenfreundlichen Sinn über das gräßliche
Ereignis; hinwegkam.
In unserem Gespräch störten uns Opechee und
Tenuga, die vor uns hintraten. Beide hatten 'ne
Kleinigkeit Englisch aufgelcsen, so daß sie sich verständlich
machen konnten; außerdem war mir die Siouxsprache
nicht fremd. Und da sagte Opechee — ich mein' seine
Worte heut noch zu hören — zu Careworn:
,Nahma wurde gemordet. Sie war mein Weib.
Du hieltest den schlechten Hund für mich zurück. Nahma
ist gerächt. Ohne Neue und Gram hat sic die Reise
nach den glückseligen Jagdgefilden angetreten. Wir
schickten ihr den schlechten Hund nach. Er soll den
Weg vor ihr ebnen; Gestein und Dornen aus ihrem
Wege räumen. Das dankt sic Dir. Du bist mein
Bruder. Willst Du mein Leben — ich gebe es Dir.
Brauchst Du meine Augen, meine Arme — sag es,
und sie sind da.'
Da reichte Careworn ihm die Hand. Er sah die
Pein, die in der Brust des finsteren Kriegers wühlte,
und antwortete ruhig: ,Jch wünsche, mein Schuß
wäre nicht nothwendig gewesen, wünsche, daß Nahma
noch lebte und Dir diente.'
,Jch rächte meine Tochter,' sagte Tenuga darauf,
und ihr hätte man am wenigsten angesehen, was sie
litt; ,Dir danke ich cS. Zwei Mörder waren es. Der
Eine lebt noch. Er hielt mich. Ich konnte meiner
Tochter nicht zu Hilfe eilen. Ich zeichnete ihn mit
meinem Biesser. Das Biesser ist blutig. Mit dem
Blut bereite ich ein Zaubcrmittcl. Das ruft den
Mörder hierher. Ich kann warten einen Winter, viele

Das Buch für Alle.
Winter. Er muß kommen. Er bringt mir sein Leben.
Er muß sterben vor meinen Augen.'
Ja, derartig redete das erbitterte Weib. Wie sie
selbst, glaubt auch Opechee an die Kraft ihrer Medicin.
Darin liegt die Ursache, daß sie alljährlich hierhergehen,
sonst hätten wir lange nach ihnen suchen mögen. Heute
wie vor zehn Jahren und länger schwören sie auf ihre
Art d'rauf, daß der zweite Missethäter eines Tages
vor ihnen erscheint und ihnen seinen Skalp demüthig
zu Füßen legt. Verdammt! ich mein', da können sie
lange warten.
Da Careworn und ich voraussetzten, daß die Leute
des Agenten zur Verfolgung der Dacotahs aufbrechen
und wir in die Angelegenheit verwickelt werden würden,
beschlossen wir, ihnen aus dem Wege zu gehen. Wir
warteten, bis Opechee und die Seinigen die übrigen
Pferde und ihre sonstige Habe herbeigeschafft hatten,
dann zogen wir mit ihnen fort. Bevor wir die Pferde
bestiegen, heftete Careworn, und der war stets bedächtig,
an den Sattel des todten Gauls einen Zettel, auf dem
stand geschrieben: ,Der Agent, der eine junge india-
nische Frau in den Geiser hineinhetzte, fiel der Rache
ihrer Angehörigen. So bezeugen zwei Weiße, die nicht
gewohnt, ihre Lippen mit Lügen zu besudeln.'
Fortgesetzt die verworrensten Schluchten zum Wege
wählend, trafen nur erst folgenden Abends am Dellow-
stone ein. Dort führte Opechee uns in ein Versteck,
wo nur nicht leicht gefunden werden, zur Noth uns
auch nachdrücklich vertheidigen konnten. Wir blieben
indessen unbelüstigt, und gerade da war es, wo Care-
worn an Opechee und Tenuga den Zauber der Gold-
münze erprobte. Doch wie steht es, gab Careworn
Ihnen einen Auftrag an den Dacotah? Ich mein',
daß Sie 'nen Gegenstand von ihm fordern sollten?"
„Er rieth mir, wie Ihnen, auch Opechee nur den
Talisman zu zeigen und das Weitere abzuwarten."
„Bei Gott, Mann, neben der Geheimnißthuerei
war das seine Art. Bereit, sein Vertrauen zu ver-
schenken, verstand er auch, die Leute heraus zu erkennen,
die es verdienten. Wie in mir, täuschte er sich auch
nicht in dein Dacotah. Ist das, was er durch Sie zu
erlangen wünscht, in Opechee's Besitz, so händigt er
es Ihnen aus, ohne daß Sie viel zu mahnen brauchen."
„Was es ist, wissen Sie wohl nicht, oder Sie hätten
wohl schon früher darüber gesprochen."
„Vorsicht ist 'ne große Tugend, Herr Lionel, und
Vorsicht nenne ich, nicht vor der Zeit an 'ne Sache zu
rühren. Verdammt! wenn mein Freund Careworn
Ihnen rieth, abzuwarten, so besitze ich nicht das Recht,
d'rein zu reden. Und von ihm weiß ich, daß er keinen
Schritt that, kein Wort von sich gab, ohne zuvor ordent-
lich drüber nachgedacht zu haben. Trug er sich aber
mit 'nem großen und wohl gar gefährlichen Geheimnis;,
und das meinte ich aus seiner Schwermut!; heraus-
zulesen, so war ich doch nicht der Mann, wie 'ne alte
Squaw Neugierde zu verrathen. So viel kann ich
Ihnen freilich anvertrauen, daß Careworn und Opechee
'ne rechte Freundschaft schlossen und der Dacotah ver-
sprach, im Falle Careworn über kurz oder lang nicht
selber zu ihm komme, er dem von ihm entsendeten
Boten Glauben beimessen wolle, sofern er die Münze
mit dem wunderbaren Zauberthier vorlege. Um den
mißtrauischen Alten ganz zu befriedigen und einen
Betrug unmöglich zu machen, bohrte er zu dem bereits
vorhandenen Loch in meiner Gegenwart als Erkennungs-
zeichen ein zweites. Außerdem verfertigte er mittelst
eines Ballens fest gekneteten Thons aus dem Bachufer
und mit einigen geschmolzenen Kugeln 'nen bleiernen
Abguß von dein Dinge, und das trügt Opechee seit-
dem an 'ner Schnur um den Hals — und jetzt hier,
Mann," schloß Vilandrie, indem er sein Pferd anhielt.
Von dem Flüßchen abbiegend, waren die beiden
Gefährten während des letzten Thcils der Mittheilungen
einen sanften Abhang hinaufgeritten, wo eine öde Fläche
mäßigen Umfanges vor ihnen lag. Tiefe Stille herrschte
dort oben. Nur leichte Dampswolken sah man hier
und da dem Erdboden entsteigen, um sich alsbald auf-
zulösen.
„Ja, hier, Herr Lionel," wiederholte Vilandrie
ernst, und er wies auf eine länglichrunde Oeffnung,
die achtzehn bis fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser
halten mochte, „dies ist das Grab Nahma's, des jungen
Dacotah-Weibcs. Hatten sie damals den Agenten in
einen anderen Trichter hinabgescndct, lag mehr Sinn,
drinnen; da brauchte das arme Ding wenigstens nicht
Seite an Seite mit ihm zu schlafen. Der alten Tenuga
paßte es freilich besser in den Kram, weil der Mörder dort
zur Hand, um ihrer Tochter auf der weiten Reise nach
dem indianischen Himmel jedesmal die gelösten Riemen
an den Mokassins nachzuschuüren - - sind Sie des
Teufels, Mann? Nicht zu dicht heran mit den, Gaul,
oder es ereignet sich, daß der Erdboden nusbröckelt
und Sie denen da unten Gesellschaft leisten, bevor Sie
die drei ersten Worte des Vaterunsers über die Zähne
jagten."
Lionel schwieg. Mit einer Anwandlung von Grauen
blickte er in den Krater hinab, dessen inkrustirte Wände
er bis zu einer Tiefe von hundert Fuß zu unterscheiden

vermochte. Von dort ab fiel Alles in schwarze Finster
niß zusammen. Wohl aber drang aus dem Abgrund,
durch die Entfernung gedämpft, unheimliches Dröhnen,
Gurgeln und Brodeln herauf. Plötzlich wurde eS
deutlicher. Höher stieg die Wassersäule, polternd und
zischend, zugleich dichte Dampfmassen voraussendend.
„Zurück, in des Henkers Namen!" warnte Vilandrie,
und die unruhigen Thiere wendend, suchten sie in an-
gemessener Entfernung Sicherheit. Da der drohende
Ausbruch nicht erfolgte, begab Lionel sich noch einmal
zu Fuß zurück. Zögernd gesellte Vilandrie sich ihm
zu. Abermals hinabspähend, gewahrten sie, daß das
Wasser bis auf dreißig Fuß unterhalb der Erdoberfläche
gestiegen und daselbst zum Stillstand gelangt war. Dort
aber wogte und siedete es wüthend, als hätte es nur
auf den geeigneten Zeitpunkt gewartet, sich der es um-
schlingenden Fesseln zu entledigen, den Schacht zu
sprengen und an dessen Stelle einen kochenden See
entstehen zu lassen. Zuweilen zuckte es gleichsam krampf-
haft, jedesmal zischende Strahlen bis zur Mündung
emporsendend und wieder nach sich ziehend. Ein
Grausen erregender Anblick war es, und doch wieder
fesselnd, bedrohlich und bange Spannung erzeugend.
Endlich schien die verhaltene Wuth sich zur Raserei
zu steigern. Eine Gewalt, wie sie eben nur im In-
nern der Erde durch den erbitterten Kampf des Feuers
mit dem Wasser geboren werden konnte, suchte freien
L-pielraum auf dem einzigen offenen Wege. Die den
ganzen Umfang des Kraters füllende Säule stieg mit
einer Schnelligkeit empor, daß die beiden Geführten
kaum Zeit fanden, aus dem Bereich der Gefahr zu
flüchten. Anstatt aber sich über die Umgebung zu er-
gießen, wuchs sie in unvermindertem Umfange gegen
sechzig Fuß über die Erdoberfläche hinaus, wie zu
einem festen Thurm erstarrt, durch ununterbrochene
Erneuerung sich in dieser Höhe erhaltend. Durch sie
hindurch schossen dann wieder Strahlen von sechs bis
fünfzehn Zoll Durchmesser gegen zweihundert und
achtzig Fuß hinauf, je nach der sie treibenden Kraft in
dem riesenhaften beweglichen Gebilde Abstufungen
schaffend, auf denen die zurückfallenden Wasser immer
neue Kampffelder sanden. Es erzeugte den Eindruck,
als wären nach dem Oeffnen des Hauptkanals und
Aussteigen der zusammengepreßten mächtigen Säule die
Mündungen der Nebenadern in dem Schacht verstopft
worden, infolge dessen sie, bis zur Raserei erbittert
über das Säumniß, die sie knechtenden Banden sprengten,
um mit verhundertfachter Gewalt den Wasserthurm zu
durchbrechen und den Himmel zu erstürmen. Die Dampf-
wolken aber, die sich entwickelten, die strebten immer weiter
aufwärts, bis sie endlich in tausendfüßiger Höhe, der
Luftströmung folgend, langsam abwärts trieben und
zerflossen.
Mit angehaltenem Athen: beobachtete Lionel ein
Naturschauspiel, dem gegenüber die Fülle der gewaltig-
sten Ströme, die leuchtendsten Gletscher des hohen Nor-
dens, die furchtbarsten, gleichsam unergründlichen Felsen-
klüfte des mexikanischen Hochlandes des Wunderbaren
entkleidet werden. So weit die Wirkung des gigan-
tischen Geisers reichte, war die Atmosphäre mit be-
weglichen Regenbogen erfüllt, die, wie im neckischen
Spiel, kamen und gingen, hierhin und dorthin schwankten,
sich kreuzten und gegenseitig verschlangen, um durch
andere, noch farbenprächtigere ersetzt zu werden. Die
Schauer dagegen, die in: weiten Umkreise von fallenden
Tropfen, Tröpfchen und Wasseratomen gebildet wurden,
deren jedes einzelne den glänzenden Sonnenschein
zurückstrahlte, hätte man mit einem Regen funkelnder
Diamanten, Rubinen und Smaragden vergleichen mögen.
Und dies Alles wunderbar belebend, glitten hin und
wieder die Schatten der Dampfwolken darüber hin, um
demnächst das zauberische Farbenspiel um so leuchtender
Hervortretei: zu lassen. Es war wie ein Kaleidoskop
von den unglaublichsten Größenverhältnisse!:, in wel-
chem die Natur selber die entstehenden Bilder und
Farben launenhaft regelte; wie ein Traum aus dem
chaotischen Zeitalter der Erde, als sie noch mit den
zügellos zürnenden Elementen um eine feste Oberfläche
kämpfte.
Beinah eine halbe Stunde hatten die Gefährten in
ihrem Erstaunen keinen Blick von den: tobende:: Geiser
gewendet; dann sank die Säule in den Krater zurück.
Nur noch weiße Dämpfe spielten oberhalb des weiten
Schlundes.
„Ein schönes, ein erhabenes Grab," meinte Lionel
träumerisch, ii: dessen Erinnerung das traurige Geschick
der jungen Indianerin neues Leben gewann.
„Schön genug," bestätigte Vilandrie, „aber ver-
dammt will ich sein, wenn ich auf jeder anderen Stelle,
die Bäuche eines halben Dutzends Wölfe mit eingerechnet,
nicht lieber begraben werden möchte, als in solchen:
niederträchtige!: Thcckessel."
„Wir sollten noch einen zweiten Ausbruch ab-
warten."
„Da können Sie lauern, bis Sic vor Hunger und
Durst von: Sattel fallen. Sie mögen's überhaupt eii:
Glück nennen, daß nur gerade zu dieser Stunde hier
eintrafcn. Denn so viel ich weiß, kommen auf vier-
 
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