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86

Das Buch für Alle.

Hrst 4.

Jeder zur eigenen schlauchartigen Lederflasche griffen
und tranken.
Da tönte aus der Ferne ein lang gedehnter schriller
Pfiff herüber. Die beiden Strolche sprangen auf, schüt-
telten sich, hingen einen Sack nut Lebensmitteln über die
Schulter, griffen zu ihren Büchsen, und sie waren gerüstet.
Der Pfiff wiederholte sich.
„Pfeife Du und der Satan," schnaubte der Roth-
haarige, und in Begleitung einer neuen lästerlichen Ver-
wünschung scharrte er mit dem Fuß das Feuer aus-
einander.
„Der zweite Pfiff mahnt zur Eile," versetzte sein
Genosse und warf die Büchse auf die Schulter.
„Bei der ewigen Verdammnis;, zum Fliegen kann
er uns nicht mahnen," erwiederte der Rothhaarige, und
schnellen Schrittes entfernten sie sich die Schlucht ab-
wärts, wohin die Indianer ihnen bereits vorausgegangen
waren.
Die Späher erhoben sich. Kaum eine Viertelstunde
hatten sie auf dem Uferrande verbracht. Doch auch
diese kurze Zeit schien Tenuga zu lange gedauert zu
haben; dann an die Spitze des kleinen Zuges tretend,
schritt sie so schnell davon, daß die beiden Gefährten
ihr kaum zu folgen vermochten. In ihren Spuren hielt
sich Kagala.
„Die hat's eilig," meinte Vilandrie zu Lionel, „aber
ich verdenk's ihr nicht, denn die Freunde, die wir eben
belauschten, gehören einer schlimmen: Sorte an. Schießt
man davon ein halbes Dutzend über den Haufen, ist's
frommes Christenwerk."
„Sie vermuthen Gefahren für uns?"
„Jetzt, nachdem wir über ihre Nähe unterrichtet
sind, nicht. Finden sie uns wachsam, so werden sie sich
hüten, um 'n paar Gäule sich einige Dutzend Kugeln
um die Ohren fliegen zu lassen. Verdammt, auch solche
Schurken halten auf 'ne undurchlöcherte Haut. Ich ver-
muthe übrigens, daß sie unsere Nachbarschaft auSspio-
nirten und ihr nicht trauten; sie möchten sich sonst
schwerlich noch so spät nordwärts auf die Beine gemacht
haben."
„Wie die Alte da vorn einherschreitet," bemerkte
Lionel, „man sollte glauben, sie schwebe gespensterartig."
„Wird seinen Grund haben. Auch mag ihr daran
gelegen sein, Näheres über Careworn zu erfahren. Sie
sahen, wie sie auf meine Rede lebendig wurde und
Opechee nicht minder."
„Doch wohl im guten Sinne, ich meine, daß sie
meinen vorläufig noch formlosen Wünschen entgegen-
kommen."
„Sicher geschieht das. Nach der Art, in der sie die
erste Kunde aufnahmen, bezweifle ich es keinen Augen-
blick; da erscheint's rathsamer, daß ich die Zeit benutze,
und Sie 'ne Kleinigkeit über das unterrichte, nur was
es sich handelt. Bevor ich und Careworn mit Opechee
bei dem Geyser zusammentrafen, war unsere Fahrt
über die Ebenen nicht glatt verlaufen, wenn auch nur
insoweit, daß Careworn um seine einzigen Papiere
gebracht wurde. Waren's auch nicht mehr, als daß sie
in 'ner Westentasche untergebracht werden konnten, so
legte er doch sichtbarlich höheres Gewicht d'rauf, als viel-
leicht auf 'ne Tonne Goldstaub, und mein bester Gaul
wäre mir uicht zu theuer dafür gewesen, sie ihn: zurück-
zuschaffen. Wir lagerten auf dem Ufer des Nebraska,
und zu uus hatten sich sieben oder acht Oglala-Dacotahs
gesellt, mit denen wir freundschaftlich verkehrten. Als
wir uns des Morgens zum Aufbruch rüsteten, prüfte
Careworn seine Habseligkeiten, ob er nichts verloren
oder vergessen habe. Das war seine Gewohnheit, wie
ich sie täglich an ihm beobachtete. So öffnete er auch
den Mantelsack, den er stets bedachtsam an den Sattel
festschnalltc, um darinnen Kleinigkeiten zu bergen und
sich von dem Vorhandensein der Papiere und anderer
Dinge zu überzeugen, und das Hütte er sollen bleiben
lassen. Denn um das Feuer herum saßen die Oglalas,
und die hatten ihre Augen überall, ohne daß man's ihnen
viel anmerkte. Namentlich war da ein älterer Medicin-
mann, und der sah mit seinen halb geschlossenen schläfrigen
Augen in 'ner Minute mehr, als ich während der langen
Zeit meines Beisammenseins mit Careworn ausgemacht
hatte. Zum Schluß zog er ein Packetchen hervor. Mit gro-
ßer Vorsicht, als ob's rohe Eier gewesen wären, schlug er
die äußere Lederhülle auseinander, und da hielt er in den
Händen einen Brief, den ich schon vor Jahren bei ihn:
gesehen hatte. Den drehte er eine Weile zwischen den
Fingern, und wie so vielfach, betrachtete er ihn auch an
diesem Morgen mit rechter Schwermuth. Auf alle Fälle
konnte dem schlauen Medicinmann nicht verborgen bleiben,
daß Careworn hohen Werth auf das von den Indianern
sogenannte .sprechende Papier' legte, und sein Verlangen
nach den: Besitz des vermeintlichen großen Zaubermittels
wurde rege. Und dabei stand da, so viel ich mich ent-
sinne, nur wenig geschrieben, wogegen zwischen der
Schrift Dinge befestigt waren, die genauer zu be-
trachten ich nur nie die Mühe gab. Als aber der
Medicinmann beobachtete, wie er den Brief zusammen-
faltete, zunächst in ein Stück Zeitungspapier wickelte,
dann mit großer Sorgfalt in das Leder einschlug und
unter die Klappe des Mantelsacks schob, bevor er ihn

zuschnallte, war sein Entschluß, sich des kostbaren Zaubers
zu bemächtigen, fertig. Ohne Arges zu ahnen, begaben
wir uns zu den Pferden, die abwärts an den Leinen
weideten, um sie noch einmal an den Fluß hinunter
zu führen. Nur zwei Oglalas*davon einer der Medicin-
mann, blieben vor den: Feuer sitzen und thaten ab-
wechselnd einige Züge aus der Zaubcrpfcife, und zwar
nut Gesichtern so einfältig wie das eines Bibers, den:
plötzlich das Wasser um seinen Bau herum ausgegangen
ist. Als mir vom Fluß heraufkamen, saßen sie noch
immer wie Eulen im Sonnenschein da. Kein Teufel
hätte aus ihren gefärbten grämlichen Gesichtern heraus-
gelesen, was da vorgegangen war. Munter sattelten
und packten wir, und wenn je in der Prairie gute
Freunde auseinander gingen, so geschah's, als wir den
braunen Schurken zum Abschied die Hände drückten.
Zwei Tage reisten wir in gewohnter Weise, und
jeden Abend und jeden Morgen nahm Careworn
das Packetchen in die Hand. Erst in der Frühe des
dritten öffnete er es wieder einmal, um zu erfahren,
daß sein kostbarer Brief verschwunden war, statt dessen
ein Stück Leder von derselben Größe in den: Umschlag
steckte. Eine Weile saß er sprachlos. Dabei wurde
sein Gesicht so weiß wie 'n Büffelschädel, der 'n halb
Dutzend Jahre auf der Prairie bleichte.
,Zum Henker, Mann, was fechtet Sie an?' fragte
ich in der Besorgnis;, das; 'ne Krankheit ihn befallen habe.
Mein Brief ist fort,' war das Einzige, das er über
die Zähne brachte.
Ich erschrak nicht schlecht, weil ich wußte, was die
Schrift ihm galt. Daher zog ich den Mantelsack vor
mich hin, um ihn vor seine«: Augen auszuleeren. Jedes
Stück nahm ich besonders in die Hand, aber von dem
Brief entdeckte ich keine Spur; und als er sich selbst
und seine Unachtsamkeit verwünschte, siel ich ihm in die
Rede.
,Unachtsam sind mir Beide gewesen,' sagte ich, ,als
nur vor zwei Tage die Thiere tränkten und die beiden
Spitzbuben unbeaufsichtigt im Lager zurückließen. Und
verloren ist der Brief nicht; aber hängen will ich, wie
der verdammteste Galgenvogel, wein: er zur Zeit nicht
in den: Zauberranzen des listigen Medicinmannes steckt
und von ihn: wie 'n krankes Huhn behütet und ver-
theidigt wird.'
Diese kräftige Ansprache brachte ihn wieder einiger-
maßen zur Vernunft. Lange dauerte es indessen, bevor
er sich in das Unabänderliche ergab. Hegte ich selber
aber keine großen Hoffnungen, so gelang's mir doch,
mit guter Rede eine solche in ihm lebendig zu erhalten,
so daß er auf kommende Zeiten vertraute.
Dieser Hoffnung gedachten wir auch, als nach dem
Tode Nahma's Opechee seinen guten Willen für uns
kundgab. Ohne Weiteres setzten wir ihn von dem Ver-
lust in Kenntnis;, gaben ihm eine ordentliche Beschrei-
bung von dem schlauen Medicinmann, den er sehr wohl
kannte, und baten ihn, uns zur Wiedererlangung des
gestohlenen Gutes behilflich zu sein.
Darauf erwiederte er, daß er es herbeischaffen werde,
aber viel Zeit darüber hingehen müsse, weil die Ogla-
las mit den Büffeln südlich gezogen seien und Nie-
mand vorher zu sagen wisse, wohin die Jagd sie führe.
Das war freilich keine ermuthigende Kunde, zumal
Careworn's Zeit in der Wildniß abgelaufen war und
er noch vor Beginn des Winters nm Missouri sein
wollte. Und so erklärte Careworn nach längerem Nach-
denken, daß er über kurz oder lang, wenn ihm selbst
das Kommen verwehrt sei, Jemand schicken würde, um
sich nach Opechee's Bemühungen zu erkundigen und den
vielleicht geretteten Brief in Empfang zu nehmen.
Da fragte der pfiffige Dacotah, wie er den Boten
herauserkennen solle, um sicher zu sein, daß er kein
falscher, und das war die Gelegenheit, bei der Careworn
die Bleimünze für den alten Dacotah anfertigte. Er-
beutete Letzterer den Brief wirklich zurück, so gelangt
er, wenn auch nach einigen verrückten Ausreden, in Ihre
Hände, und 'nen guten Anfang haben wir ja bei der
ersten Begegnung mit ihn: gemacht."
Fortgesetzt abwärts schreitend, legten die vier Kund-
schafter die Strecke nach dem Lager verhältnißmäßig
schnell zurück. Lionel war der Weg durch Vilandrie's
Erzählung, der er aufmerksam lauschte, noch besonders
verkürzt worden; als Jener endigte, erstaunte er, die
mondbeleuchtete Wiese mit den Pferden vor sich zu
sehen. Um das Zelt herum schreitend, fände«: sie Te-
nuga bereits damit beschäftigt, das ihrer harrende Mahl
auszutheilen. Nur wenige Worte hatte sie bei ihrer
Ankunft an den vor dem Feuer kauernden Opechee ge-
richtet. Dieser neigte zum Zeichen des Verständnisses
das Haupt. Der Erfolg des Kundschaftens wurde nicht
weiter berührt. Sogar während des Mahles herrschte
dumpfes Schweigen. Dagegen fiel Lionel auf, daß
Kengo, der jüngere Sohn der Alten, zur sicheren Be-
wachung der Heerde eine Strecke an dein Bache hinunter
schritt, um sich dort auf die Lauer zu legen. Eine Frage,
die Lionel deshalb an Vilandrie richtete, beantwortete
dieser mit der kurzen Erklärung:
„Ich vermuthe, der Teufel ist los. Der Henker
mag wissen, uin was es sich handelt. Bevor Opechee

und die Alte einen bestimmte«: Plan zu irgend 'nen:
Unternehmen entworfen haben, ziehen keine zehn Pferde
ihnen ein Wort über tue Zähne."

Achtes Kapitel.
Das Mahl war beendigt. Vor dein Feuer saßen
Opechee, Tenuga, Lionel und Vilandrie. Kagala zog
sich in die Höhle zurück, wo er sich zum Schlaf in seine
Decke hüllte. Während Tenuga finster in das Feuer
stierte und es gelegentlich schürte, löste Opechee von
seinem Gurt einen mit Glasperlen gestickten Leder-
beutel, öffnete ihn und begann die Pfeife mit einer
Mischung von Tabak, Weidenrinde und Sumachblättern
zu füllen. Nachdem er sie angeraucht und mehrere Züge
gethan hatte, gab er sie Vilandrie, der ebenfalls einige
Wölkchen des süßlichduftenden Rauches in die Lungen
einsog und durch die Nase wieder von sich blies, wor-
auf er sie an Lionel abtrat. Erst als die Pfeife sich
wieder in Opechee's Händen befand, brach er anscheinend
gleichmüthig das Schweigen mit den Worten: „Besitzt
«nein Freund ein Zeichen, woran ich erkenne, daß er keine
Lügen spricht?"
Statt einer Erwiederung löste Lionel die Münze
von seinem Nacken und händigte sie dem Dacotah ein.
Bei dieser Bewegung sah Tenuga auf. Mit den Blicke«:
eines Geiers verfolgte sie dm Talisman, um ihn nicht
mehr aus den Augen zu verlieren. Zugleich überwachte
sie Opechee gespannt.
Der mißtrauische Alte hatte die Münze mit einer
gewissen Ehrerbietung in Empfang genommen und drehte
sie prüfend zwischen de«: Fingern.
„Es gibt viele Goldstücke," sprach er argwöhnisch,
„es gibt viele wunderbare Zauberthiere. Kam dieses
aus der Hand Careworn's? Ich weiß es nicht. Es
«nag an dem Nacken eines Weibes gehangen haben."
„Careworn trug es bis zu dem Tage, an dem ich
Abschied von ihm nahm," betheuerte Lionel, und da es
ihm schwer wurde, sich mit dem Dacotah zu verständi-
gen, fuhr Vilandrie fort:
„Zweifelt Opechee jetzt noch, so mag er die eigene
Bleimünze mit der goldene«: vergleichen. Mein Freund
Opechee hat Recht; die Weißen schaffen so viele Münzen,
wie Sterne am Himmel stehen. Viele tragen dieselbe«:
Bilder und sind dennoch verschieden voneinander. Auch
ist nicht jede mit Löchern versehen. Es ist wie mit den
Schuppen der Lachsforelle drüben im See. Sie sind
einander ähnlich und doch nicht gleich."
„U«:ser Freund Vilandrie ist sehr klug," bemerkte
Tenuga, als Opechee noch iinmer schwankte, und eine
eigentümlich wilde Gluth sprühte aus ihre«: Augen.
„Nehme mein Tochtermann die Blätter eines Sumach-
strauches. Alle sind Sumachblätter. Legt er sie auf-
einander, so passe«: nicht zwei zusammen. Ist aber eines
gezeichnet, so findet er es heraus."
Opechee neigte beipslichtend das Haupt. Die Münze
vor sich hinlegend, öffnete er das auf seiner Brust hän-
gende Beutelchen. Gleich darauf befand der von Vilandrie
erwähnte Bleiabguß sich i«: seine«: Händen. Den Talis-
man danebenhaltend, verglich er beide Theile aufmerk-
sam. Zum Schluß legte er sie aufeinander. Dann be-
durfte es nur geringen Drehens und Schiebens, bis der
erhaben vortretende Drache sich dem hohlen Bildniß des
Abgusses eng anschmiegte. Nachdem auch Tenuga sich
von der Echtheit des Talismans überzeugt hatte, gab
sie ihn an Lionel zurück.
„Ich bin zufrieden," hob Opechee seltsam feierlich
an, während er das eigene Kleinod i«: den Lederbeutel
zurückschob. „Careworn schickte de«: Boten. Es kan«:
nicht anders sein. Was soll er mir sagen? Ich glaube
seinen Worten."
„Seinen Freund Opechee grüßen," antwortete Lionel,
den Dacotah scharf überwachend, „und ihn frage«: soll
ich, ob er einen Auftrag für mich habe. Er meinte,
Opechee würde zu mir sprechen, als stünde Careworn
vor ihm."
„Weiß mei«: junger Freund, daß Careworn eine
Zauberschrift gestohlen wurde?"
„Vilandrie erzählte es mir."
„Gut. Careworn bot ich «nein Leben an. Er brauchte
es nicht. Er verlangte das sprechende Papier zurück:
ich sagte es zu. Es steckt im Medicinranzen Schuh-
schuhga's. Schuhschuhga ist ein berühmter Zauberer.
Ich sah ihn vor zwei Wintern. Ich sah die Zauber-
schrift. Sollte ich sie mit Gewalt nehmen? Nein. Die
Oglalas sind Dacotahs. Ich redete in Güte zu ihm.
Schuhschuhga sagte: ,Gib mir das bleierne Zauberthier,
ich gebe Dir das Medicinpapier.' Ich konnte das Zauber-
thier nicht von mir lassen. Ich bot ihm ein anderes.
Careworn sollte es anfertigen, wenn er komme. Schuh-
fchuhga sagte: .Kommt Careworn, so schicke ihn zu mir.
Legt er das bleierne Zauberthier in meine Hand, lege
ich das sprechende Papier in die seinige. Bis dahin ist
eS sicher i«: meinem Medicinranzen.' Das wäre«: kluge
Worte. Ich konnte nichts dagegen reden."
„So ist der Brief heute noch in seinem Besitz?" fragte
Lionel enttäuscht.
Statt zu antworten, fragte Opechee zurück: „Ver-
 
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