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162

Hrst 7.

Nicht beachtend, daß ihre Zuhörer mit einem Lächeln
des Ergötzens über den versteckten Angriff auf Laboux
nicht zurückhielten, sprach sie noch eifriger: „Müßte ich
aber argwöhnen, daß Sie nachtheilig über ihn dächten,
wohl gar meine Angaben bezweifelten —"
„Nicht weiter, Miß Eliza," unterbrach Laboux sie
lachend, „im Gegentheil, ich behaupte sogar, daß ein
Mann, dem es gelang, in Ihrem wunderlichen Kinder-
herzchen sich einen warmen Platz zu sichern, alle die
ihm zugesprochenen Lobpreisungen im höchsten Grade
verdient."
Eliza's aufwallender Zorn war besänftigt. Wie
um so schnell wie möglich alles sie Bedrückende von
der Seele herunter zu reden, fuhr sie fort: „Die Leute
nennen mich allerdings wohlhabend, was mir nebenbei
ziemlich gleichgiltig ist: aber gerade das mag die Ur-
sache zu dem Plan des Onkels mit meinem Vetter William
gewesen sein. Da ist der James ein anderer Mann:
der sieht nicht auf Reichthum, obgleich er selber nicht
viel davon besitzt. Das vertraute er mir redlich an
in derselben Stunde, in der er — nun — es war eine
schöne Stunde," und sie sah einige Sekunden unver-
kennbar beseligt in's Leere; dann hieß es weiter: „Wir
hatten also die Ueberlandreise noch nicht lange an-
getreten, als James eines Abends plötzlich vor mir
stand und mir ganz heimlich anvertraute, daß er sich
bei einer Karawane befinde, die nur eine Tagereise
weit hinter uns gleichen Schritt mit uns halte. Das
war doch gewiß aufmerksam von ihm —"
„In der Thal sehr aufmerksam," bestätigte Laboux,
während Vilandrie munter vor sich hin lachte und
Lionel und Jürassic einen Blick herzlichen Wohlgefallens
wechselten.
„Und mehr noch," nahm Eliza ihre Erzählung
unbeirrt wieder auf, „ihn so nahe zu wissen, war ein
rechter Herzenstrost für mich, ohne den ich auf dem
endlosen Wege mich längst zu Tode gegrämt hätte."
„Sie sahen sich von da ab unterwegs häufiger?"
„Nicht so oft, wie es wünschenswerth gewesen wäre,
und dann auch nur verstohlen zur nächtlichen Stunde.
Nachdem aber der tückische Vetter uns einmal belauschte,
waren die Zusammenkünfte gefährlich. Denn von da
ab behielt der Onkel mich schärfer im Auge. Er schwor
mir sogar zu, jeden Fremden, der sich Nachts dem Lager
nähere, todt zu schießen, woran ich freilich nicht glaubte,
allein eine Störung war es immerhin für uns. Es
blieb also nur übrig, unter freundlicher Beihilfe edel-
gesinnter anderer Reisender Briefe und Botschaften zu
wechseln und auf diesem Wege meine heutige Flucht
vorzubereiten. Dazu wäre es vielleicht gar nicht ge-
kommen, hätte der Onkel in seinem Zorn nicht gelobt,
in Fort Laramie durch den Kommandanten oder eine
andere zuständige Persönlichkeit mich nut dem wider-
wärtigen Vetter trauen zu lassen. Und so kam es, daß
ich, ausgerüstet mit gutem Rath, heut das Weite suchte.
Das Uebrige wissen Sie. Hier bin ich, und wollen
Sie mich nicht grenzenlos unglücklich machen — o, in
den Tod jagen, so werden Sie mich beschützen wie
Ihre eigenen Kinder, wenn die in Noth wären."
„Sicher geschieht das, Miß Eliza, schon allein um
des Heldenmuthes willen, den Sie bewiesen haben. Aber
Ihr James, dieser hinterlistige Bursche, der sich er-
dreistete, das hübscheste Mädchen zwischen dem Mississippi
und hier für sich einzufangen, wo steckt der?"
Eliza, deren Angst und Sorgen den: ihr erwiesenen
Wohlwollen gegenüber sich wie,bei einen: getrösteten
Kinde verflüchtigten, lächelte befriedigt und erklärte:
„Alles geordnet, Herr Laboux. Daß ich die Flucht
allein antrat, konnte nicht umgangen werden. Es kommt
nämlich Alles darauf au, das; der Onkel, wenn er
morgen Ruhetag hält und bei dem bekannten Train
nach dein James forscht, ihn dort vorfindet. Dadurch ge-
räth er hoffentlich auf den furchtbaren Verdacht, daß
ich, aus Angst vor der Verheirathung mit dem tückischen
Vetter, meine Drohung wahr gemacht rind mich in die
Fluthen des Nebraska gestürzt habe, sicher ein heilsamer
Schrecken für ihn."
„Dazu wären Sie im Stande?"
„Unbedingt, wenn es keinen anderen Ausweg gibt.
Der James würde sicher meinen: Beispiel folgen."
„Da könnte der Nebraska mit seinen Fluthen, die
gerade jetzt auf den tiefsten Stellen Ihnen kaum bis
an die Knie reichen, nur wenig helfen."
„Das weiß der Onkel ebenso wenig, wie ich selber
es bisher wußte. Wenn er nur seinen Schrecken davon
hat. Er mag auch glauben, ich sei nach den Bluffs
hinauf geklettert und habe mich kopfüber in einen Ab-
grund hinab gestürzt. Die Wirkung bleibt dieselbe.
Der James kommt ebenfalls hierher, aber erst nach
drei oder vier Tagen. Dann ist der Onkel mit seinen:
Train hoffentlich aus dem Wege. Nachher sehen wir
weiter. James führt übrigens sein ganzes Vermögen
bei sich; ist das nur recht bescheiden, so wiegt es zur
Zeit doch schwerer, als Millionen. Denn ich selber
besitze keinen rothen Cent, dafür sorgte der Onkel wohl-
weislich, und mein ganzer Kleidervorrath beschränkt
sich auf das, was ich jetzt auf dem Körper trage."
„Wunderbar, wie solch' junge Liebcsleutchen rechne::,

Das Buch für All e.
wenn sie nicht voneinander lassen können," meinte
Laboux, den Kopf bedächtig schüttelnd.
„Auch uns erschien es wunderbar und doch so
natürlich. Doch jetzt eine inständige Bitte: Hier liegen
Scharlachdecken umher. Könnte eine davon vielleicht
an einer Stange befestigt werden, nur von dem höchsten
Ihrer Dächer zu wehen? Morgen zieht nämlich der James
da drüben auf der Landstraße vorüber; da märe das
ein Signal für ihn, daß ich bei Ihnen gut aufgehoben
sei. Der arme Junge ängstigt sich sonst zu sehr. Und
vorläufig darf er sich doch des boshaften Onkels wegen
hier nicht sehen lassen."
„Das soll pünktlich ausgeführt werden," betheuerte
Laboux wieder::::: lachend, und mit ihn: lachte Vilandrie,
während Lionel das lebhafte reizvolle Wesen mit einem
Anfluge von Wehmuth betrachtete und Jurassic's warme
Blicke an dem blühenden Kindermunde hingen, als
wäre er der Urquell aller Weisheit gewesen. „Ja,
pünktlich und bedachtsam," wiederholte Laboux, „schon
allein um des fröhlichen Sonnenscheins willen, den
Sie mit Ihrem liebeflammenden Herzchen in meinen
Fuchsbau trugen."
„Ich denke dabei weniger an mich selbst, als an
den armen James," entschuldigte Eliza mit einen: holden
Erröthen der Verschämtheit; „und er verdient wirklich
diese kleine Aufmerksamkeit — Sie werden ihn ja
kennen lernen. Bis zu seiner Ankunft müssen Sie
mich freilich vertheidigen. Von da ab fällt das Be-
schützen ihn: zu, und dazu ist er der rechte Mann."
„Was ich durchaus nicht bezweifle, meine herzige
Miß Eliza. Zunächst sagen Sie mir, ob Sie Jemand
begegneten, als Sie über den Hof flüchteten."
„Ich sah oder hörte Keinen. Jede Begegnung
fürchtete ich und rannte daher so leise wie eine Maus."
„Um so besser. Denn vorläufig muß Ihre An-
wesenheit hier Geheimnis; bleiben. Ich setze voraus,
auch außerhalb des Hofes trafen Sie mit Niemand zu-
sammen?"
„Mit keiner menschlichen Seele — und dennoch,
aber weit abwärts. James hatte nur nämlich sagen
lassen, ich möchte vor allen Dingen trachten, die Stelle
zu erreichen, wo der Bach mit seinem Buschwerk in
der kahlen Ebene verschwindet; da könnte ich mich in:
Fall der Noth verbergen. So geschah es auch, denn ein
Jrrthum war nicht möglich. Bevor ich aber den Schat-
ten der Bäume gewann, erschien Jemand in: Freien,
der ebenfalls auf das Fort zuschritt. Da er sich sehr
langsam einher hewegte, ich es aber eilig hatte, stürmte
ich vollen Laufs an ihm vorbei, und sah nur, daß er
ein Pferd hinter sich führte, und das war schwer be-
laden, wie ich trotz der Dunkelheit unterschied. Zum
Glück redete er mich nicht an; ich wäre sonst gestorben
vor Angst, und in der nächsten Minute war ich weit
voraus. Er mag mich gar nicht gesehen haben."
„Gesehen hat er Sie," versetzte Laboux mißmuthig,
„und zwar so genau, daß er Sie auf den ersten Blick
wieder erkennt. Verdammt! Das war kein Anderer, als
der Satansbursche, der Vincenti, und der besitzt au:
Tage die Augen eines Falken, und des Nachts die
einer Ohreule. Seit zwei Tagen war er verschwunden -
das ist nämlich seine Art — und da kehrt er jetzt mit
seiner Jagdbeute heim; er kann also kaum heran sein —
Marion!" rief er seiner Tochter zu, „die beiden Ladies
werden wohl darüber wachen, daß das Fleisch nicht
verbrennt. Du geh' unterdessen den: Vincenti entgegen
und sage ihn:, bevor er mit einen: Anderen eine Silbe
wechselte, möchte er zu mir kommen."
Schweigend entfernte sich Marion. Verstört sah
Eliza ihr nach, erlangte indessen alsbald ihre Besonnen-
heit und damit ihr Vertrauen auf den Schutz Laboux'
zurück. Mit kundiger Hand, geübtem Blick und mäd-
chenhafter Geschäftigkeit prüfte sie die Speisen. Im
heiteren Verkehr mitJurassic richtete sie das für sie allein
bestimmte Mahl auf dem schweren Plankentisch an.
Dann saßen die angehenden Freundinnen einander
gegenüber, fortgesetzt gedämpft plaudernd, hin und
wieder halb unterdrücktes Lachen cinschaltend.

Wisvzekntes Kapitel.
Schweigend beobachteten die Männer die beiden
Mädchen, wie die zwischen ihnen keimende Vertraulich-
keit immer mehr Boden gewann. Alan hätte sie in
der That mit Hellein Sonnenschein vergleichen mögen,
der, trotz der düster flackernden Beleuchtung, Licht und
Wärme in dem engen räucherigen Raum verbreitete.
„Wie ein Kind, dessen Spielzeug zerbrach und von
einer freundlichen Hand wieder hergestcllt wurde, tröstete
sich die junge Abenteurerin," meinte Lionel zu den bei-
den alten Freunden, denen zur Zeit die Tabakspfeife
über Alles zu gehen schien; „weich' reines unschuldiges
Gemüth muß aber in den: muthigen Geschöpf wohnen,
wenn es nicht zögert, Diejenigen, die ihn: die rettende
Hand entgegen strecken, zutraulich zu Mitwissern der
heiligsten Geheimnisse zu wühlen."
„Es mag sein, daß ich der feinen Außenwelt freund
geworden bin," ging Laboux ungesäumt auf das eröff-
nete Gespräch ein, „vielleicht lernte ich auch in meinem I

Leben nie viel davon. Indem ich aber das junge Ding
mit seinem Liebeskummer betrachte, begreife ich nicht,
daß so viel Herzensangst und Sorglosigkeit hart neben-
einander Hausen können. Und hängen will ich wie die
elendeste Büffelzunge, die je über einem mäßig schmä-
lenden Feuer geräuchert wurde, wenn nicht Beides auf-
richtig und ehrlich."
Mit einer gewissen Ueberlegenheit im Tone der
vorsichtig gedämpften Stimme erwiederte Vilandrie:
„Solch' verliebtem Kinde ist Alles zuzutrauen. Weint's
nut den: einen Auge und lacht'S nut dem anderen, ist's
nicht zum Erstaunen. Verdammt, Mann, gedenk an
unsere eigene Jugend, ob wir nicht die verrücktesten
Burschen waren, die um 'nen einzigen Liebesblick aus
schwarzen Augen ihren Skalp zehnmal auf's Spiel setzten.
Und damals waren's noch andere Zeiten. Da glitt ne
Kopfhaut schneller vom Schädel herunter, als heut ein
eitles Muttersöhnchen mit 'nem Kamm durch's Haar
führt."
„Bei Gott, Vilandrie, andere Zeiten und schlechtere
obenein. Laß nur erst die verruchte Eisenbahn über
die Ebenen gebaut sein — und in: Schilde führt inan
dergleichen — so dauert's nicht lange, bis der letzte
Büffel seine Knochen an der Sonne bleichen läßt und
der letzte braune Jäger sich schlafen legt. Zum Henker
mit der Civilisation, wenn sie Alles zertritt, was 'nen:
freien Menschen Freude bereitet."
Nachdenklich sahen die beiden rauhen Geführten in's
Feuer. Was sie an Erinnerungen aus den lodernden
Flammen herauslasen, das war gewiß genug, um
Bände auf Bände zu füllen, und doch dazu bestimmt,
der Vergessenheit anheim zu fallen. Theilnahmvoll
überwachte Lionel sie. Viel hätte er darum gegeben,
durch ihre Augen in eine weit zurückliegende Vergangen
heit blicken zu könne::. Ihren Jdeengang zu stören,
erschien ihn: als ein Fehl, wie ihnen selbst das Schwei-
gen willkommen sein mochte. Denn die kosenden Stim-
men der beiden Mädchen übten keine andere Wirkung
auf sie aus, als der süße Drosselschlag, dessen Einfluß
inan, ohne es recht zu wissen, unterworfen ist.
Da öffnete sich die Thür, und herein schritt Marion.
Ihr auf dem Fuße folgte ein etwa achtzehnjähriger
Bursche, den: man sofort die mexikanische Abkunft an
sah. Während Marion sich den Mädchen zugesellte,
schritt er mit der zuversichtlichen Haltung eines gereiften
Mannes nach den: Feuer hinüber. Nachlässig schweiften
seine Blicke über Jurassie und Eliza hin. Leichtes
Neigen seines von dichten: schwarzen Gelock umwogten
Hauptes galt als Gruß; und doch hatten Beide die
Empfindung, als ob seine großen glanzvollen Augen sie
bis in die heimlichsten Regungen hinein durchschaut
hätten. Wilder Trotz spiegelte sich in seinen weichen
bartlosen Zügen. Dessen ungeachtet durfte sein Gesicht
als schön bezeichnet werden. Ebenso wenig erfuhr die
schlanke Gestalt, die eine ungewöhnliche Gewandtheit
ahnen ließ, durch die abgetragene, staubige, leichte Be-
kleidung eine Beeinträchtigung.
Seinen Gruß an Laboux beantwortete dieser mit
den Worten: „Wenn auf Deinen einsamen Streifzügen
Dich eines Tages der Teufel holt, kann's nicht über
raschen."
„Da hätte er mich längst holen müssen," erwiederte
Vincenti sorglos, „wird mir's Blut auf der Jagd heiß,
kann ich's nicht hindern."
„Zwei Tage bliebst Du fort. Ich vermuthe, Du
kamst nicht mit leeren Händen nach Hause."
„Mit leeren Händen untre ich nicht gekommen, und
hätte es mich eine Woche gekostet. Zwei Bergschafe
brachte ich und die Haut eines Jaguars. Der Gaul
hatte seine Last daran."
„Begegnetest Du in der Nachbarschaft Jemand?"
„Ein Frauenzimmer lief nur über den Weg," ant
wortete Vincenti gleichmüthig. Er sah nach dem Tisch
hinüber. Jürassic war ihn: ebenso freund, wie Eliza.
Er wies auf Letztere, indem er zuversichtlich erklärte:
„Die da war's. Ich erkenne sie an dem langen Haar,
das hinterher flatterte."
„Gut, Vincenti. Du bist ein pfiffiger Junge und
begreifst, daß wenn ich Jemandes Anwesenheit hier ver-
heimlichen möchte, ich auch einen guten Grund dazu
habe. Sprich also zu Keinen: über die junge Lad:;.
Sollte Jemand von der Emigrantenstraße herüber kom
men und Dich darum befragen, so gib den Bescheid,
Du hättest bessere Dinge zu thun, als um jeden Freu:
den Dich zu kümmern."
„Ich sage nicht mehr, als nothwendig, Jemand auf
den falschen Weg zu treiben."
„Recht so. Du wirst hungrig sein. Willst Dr-
essen und trinken, so setze Dich zu den Ladies und thu
Dein Bestes. Marion wird für Dich sorgen."
Vincenti warf wieder einen durchdringenden Blick
auf die beiden holden Gäste. Die höhere Gesittung,
die sich in deren ganzer Erscheinung verrieth, mochte
ein Gefühl der Blödigkeit in ihn: erzeugen. Er er
röthete wenigstens, zuckte aber die Achseln geringschätzig.
„Ich muß nach meinem Pferde sehen," sprach er
gelassen, „in unserem Bau brennt Feuer, da ist bald ein
Stück Fleisch geröstet."
 
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