Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
426

Das Bu ch f ü r A l l e.

wieder mit dämonischer Selbstbeherrschung an, .sprichst
Du es hier in Gegenwart des armen blutüberströmten
Opfers aus, so muß ich es glauben. Jetzt steige nach
dem Boden hinauf. Oben vor der Treppe liegt Deine
Frau. Eine böse Vision verursachte, daß sie an meiner
Seite zusammenbrach/ und ihre Stimme klang wie an-
geschlagener Stahl. .Und Sie, Padleton, könnten Besseres
thun, als sich an dem Anblick meines gräßlich verstümmel-
ten Mannes zu weiden. Oder warten Sie darauf, daß er
die Augen noch einmal aufschlügt, um sie auf Den zu
richten, der sein trauriges Ende verschuldete? Fort,
rufen Sie Leute, daß sie mir beistehen/ befahl sie
mit dein Ausdruck eines erbitterten NachegeisteS, .be-
eilen Sie sich, wenn es Ihnen und meinem theueren
Schivager widerstrebt, bei einem Werke der Barmherzig
keit die Hände mit dem noch warmen Blute eines ehr-
lichen Mannes zu besudeln/
Während Padleton, der Willensstärke dieser unheim-
lichen Frau sich unterwerfend, hastig davon schritt, war
Eenador vor den in Giftpfeile verwandelten, scharf be-
rechneten Worten zurückgeprallt. Keuchend entrang der
Äthem sich seinen Lungen, daß ich es bei der herrschenden
Stille oben zu hören meinte. Die verständliche Mah-
nung Dionysia's, daß sie selbst und Beatriz Zeugen
seines Verbrechens gewesen, raubte ihm die letzte Fassung.
.Wer — <vo?' fragte er in erwachter Todesangst
wie geistesabwesend, und während ich mich in die
Schilderung jener fern liegenden Ereignisse vertiefe,
verkörpern sich vor mir die verschiedenen Gestalten, baut
die blutbefleckte Umgebung sich gespcnsterhaft auf, höre
ich abermals jene Worte, die damals der Ausdruck
aller nur denkbaren sträflichen Leidenschaften.
.Geh die Treppe hinauf und Du wirst sie finden,'
antwortete Dionysia unerbittlich streng, dann war ihre
Kraft erschöpft. Auf die Kniee sinkend, nahm sie das
blutige Haupt des Matten zwischen ihre Hände. Hatte
sie nie eine Spur jener reinen, hingebenden Liebe ge-
kannt, wie sie das Herz ihrer Schwester zu brechen
drohte; hatte vorher und nachher ein mit allen Ner-
stellungskünsten vertrauter Dämon sie in ihrem Sinnen,
Trachten und Handeln gelenkt, so durfte jetzt die Auf-
richtigkeit ihres Mitgefühls für den Todten nicht ange-
zweifelt werden. Doch weder in Thrünen brach sie aus,
noch in Wehklagen. Stier sah sie auf das in Todesschmerz
erstarrte Gesicht, aber sie athmcte ruhig. Dringlicher,
als die Trauer um den Gemordeten, beschäftigte sie
offenbar, wie das Gerücht einer nie auszulöschenden
Schmach ihrem Hause fern zu halten sei, die Öffent-
lichkeit über die Ursache des gräßlichen Geheimnisses
getäuscht werden könne.
Die zu ihrem Beistand geschickten Leute trafen ein.
Sie achtete ihrer nicht, wie diese ihre Anwesenheit
nicht kund zu geben wagten. Eenador hatte sich vor-
her entfernt. Taumelnd näherte er sich der Treppe,
wo ich ihn aus den Augen verlor. Erst als die oberste
Stufe unter seinem Gewicht knarrte, befand er sich
wieder in meinem Gesichtskreise. Blich bemerkte er
nicht; denn noch immer behauptete ich die bluttriefende
Stelle vor dem Schwungrad. Ich fühlte, daß ich mich
sammeln mußte, bevor ich auftrat. Gönnte ich dem
feigen Meuchelmörder und seinem verruchten Gehilfen
die schwersten irdischen Strafen, wäre ich sogar selber
bereit gewesen, sie an ihnen zu vollziehen, so vergaß ich
nicht, daß es der Gatte Beatriz', dessen Tod durch den
Strang vernichtend auf sie und ihr Kind zurückgefallen
wäre.
Und so spähte ich wieder hinunter, um zu erfahren,
wie weit der wahre Sachverhalt von den Leuten ge-
muthmaßt werde, um darnach mein eigenes Verfahren
zu bestimmen. Und ich war ja schon jetzt entschlossen,
meine Aussagen darauf zu beschränken, daß ich erst auf
dem Boden erschienen, nachdem das Unglück bereits
geschehen sei. Daß mir das schwarze Verbrechen in
der That zur Last gelegt werde könne, zog ich ja nicht
in Betracht.
Dionysia ertheilte unterdessen ihre Befehle mit der
Ausdruckslosigkeit eines künstlich belebten Gebildes.
Pünktlich und schnell wurden sie ausgeführt. Lautlos
brachte man Decken und Laken herbei, auf die man
den verstümmelten Leichnam bettete, um ihn, die Zipfel
als Handhaben benutzend, in's Haus hinein zu tragen.
Und auch jetzt bewegte Dionysia sich neben dem Trauer-
zuge einher, als hätte vollständige Empfindungslosigkeit
sich ihrer bemächtigt gehabt.
Um diese Zeit lag Eenador noch immer neben
Beatriz auf den Knieeu. Die Farbe und der Ausdruck
seines Gesichtes erinnerten an Grab und Verwesung.
Mit vorquellenden Augen stierte er auf das wie Mar-
mor zu mir herüberschimmernde zarte Antlitz nieder.
Nicht die kleinste Bewegung führte er aus, die ich als
Theilnahme oder einen Versuch der Hilfeleistung hätte
auffassen können. In seiner Haltung verrieth sich das
niederschmetternde Bewußtsein, während des grauenhaf-
ten Mordes überwacht worden zu sein. Es schüttelte
ihn die entsetzenSvollc Aussicht, daß die Entscheidung
über Leben und Tod von der Zeugenaussage der eige-
nen Frau und Dionysia's abhängig. Obgleich durch
die Hälfte der Bodenlange von ihm getrennt und durch

Gebälk versteckt, glaubte ich in seinen Zügen jenen
rohen Ausdruck zu entdecken, erzeugt durch die Hoffnung,
daß die Bewußtlose überhaupt nicht mehr zum Leben
erwache. Indem ich erwog, welcher Art die Zukunft,
die sich vor dem armen gemarterten und zertretenen
Wesen ausdehne, beschlichen mich ähnliche Gedanken.
Ich habe mich oft gefragt, weshalb ich nicht eilte,
hilfreiche Hand zu leisten, meiner Theilnahme für
Beatriz freien Spielraum zu geben, und ich fand keine
Antwort. Statt dessen drängte sich in den Vorder-
grund die erklärliche Regung, meine Stimme im Fluch
durch den Bau erschallen zu lassen, in mildem Triumph
auszurufen i .Jetzt erntet die Früchte, zu denen ihr
einst die Saat mit so viel schlauem Bedacht ausstreutet!'
allein ich bezwang mich. Im Grunde wurde meine
Zurückhaltung durch den Widerwillen bedingt, mit
Denjenigen in Verkehr zu treten, die, wenn auch nur
mittelbar, an der Blutschuld betheiligt. Meine sonst
stets wache Menschenfreundlichkeit wand sich in den
Fesseln des Entsetzens, der dumpfen Hoffnung, dennoch
zu seiner Zeit in die Rolle eines unerbittlichen Rächers
einzutreten.
Unten vor der Treppe ging der Zug mit dem
Todten vorüber. Nur ein Wort hätte es Eenador ge-
kostet, und hilfreiche Hände waren ihm zur Seite. Lckatt
dessen lauschte er mißtrauisch. Als ein Verhängniß er-
schien es ihm, wenn fremde Augen die wie leblos hin-
gestreckte Gattin sahen und zugleich die Gefahr waltete,
daß sie, plötzlich erwachend, ihm eine fürchterliche An-
klage zuschrie.
Und so säumte er, bis die Schritte der die Leiche
Tragenden für ihn verhallten. Als habe das Schuld-
bewußtsein zusammen mit der Furcht vor Entlarvung
ihn geblendet, entdeckte er mich auch jetzt nicht. Dann
beugte er sich zu Beatriz nieder und sie in die Arme
nehmend und aushebend, stieg er mit ihr die Treppe
hinunter. Dieses Scheusal! Ihn kümmerte nicht die
Art, wie ihre erschlafften Arme niederhingen, das einst
so liebliche Haupt unnatürlich hintenüber sank. -Mich
aber beschlich die Empfindung, als hätte ich den feigen
Meuchelmörder zu Boden schlagen, Beatriz seinen ver-
brecherischen Händen entreißen müssen, um sie an meiner
Brust in'S Leben zurückzurufen.
Er hatte die letzte Stufe der Treppe verlassen, und
über mein ferneres Verhalten mit mir einig, schickte
ich mich an, ihm in's Haus hinein zu folgen, als es
sich unten wieder regte. Mehrere Holzfäller waren
herbeigeeilt, um die Stätte zu betrachten, wo Perkins
verblutete. Bei ihnen befand sich einer der schon früher
Anwesenden.
,Der soll verunglückt sein?' hieß es zweifelnd, ,er,
der wohl hundertmal neben dem Schwungrad stand?
Ich für mein Theil glaub's nicht. Und dann sein letztes
Wort, das war doch sicher eine Anklage.'
.Wer sollte sich an ihm vergriffen haben? Lebte er
doch mit Allen in guter Freundschaft,' meinte ein Anderer.
,Wer weiß, welcher Art die Freundschaft gewesen,'
warf wiederum ein Anderer ein. ,Jch sah selber Jemand,
der auf der Außenseite nach dem Sägeboden hinaus
kletterte. Mehr sage ich nicht.'
,Dem besten Mann weit und breit sollte man Arges
zutrauen?' lautete eine fernere Bemerkung.
.Ich bürge für Keinen,' hieß es weiter, ,PerkinS'
Frau hatte von jeher ein Auge auf ihn, da mag ihm
das Feuer über den Kopf gewachsen sein.'
Als ob eine schartige Messerklinge über meine Knochen
hingeglitten wäre, trafen mich die sinnlosen Verdächti-
gungen, und doch hätte es mich nur ein Wort gekostet,
sie zu entkräften. Da schlich Pietro neben mich hin.
.Ich sah Alles,' raunte er mir geheimnißvoll zu;
.da oben lag ich zwischen den Brettern. Wer ihn um-
brachte, ich kann's bezeugen, will aber nicht reden. Wer
den Perkins in's Schwungrad stieß, kann's mit 'nem
Anderen ebenso machen, um ihm den Mund zu
stopfen.'
,Recht so, Pietro,' redete ich ihm zu, .besser ein
Verbrecher läuft ungestraft umher, bis das Geschick ihn
auf andere Art ereilt, als daß die arme junge Frau
ganz elend gemacht wird. Sollte Dein Zeugniß
wünschenswcrth sein, so erfährst Du es durch mich. Im
Uebrigen sei vorsichtig um Deiner selbst willen.'
Die furchtbare Äufregung hatte ich jetzt so weit
niedergekämpft, daß ich glaubte, bei der Begegnung
mit Eenador meine Kaltblütigkeit behaupten zu können.
Düsteren Betrachtungen nachhüngend, stieg ich die
Treppe hinunter. Dem Hause zuschreitend, stieß ich
auf häßliche Spuren, die den Weg der mit dem Todten
belasteten Leute bezeichneten. Auf's Neue erschüttert,
vermied ich vorsichtig, sie mit den Füßen zu berühren.
Mein Herz krampfte sich förmlich zusammen, indem
ich mir den ehrenwcrthen Perkins vergegenwärtigte,
der vor einer Stunde noch lebensfroh für Jeden ein
freundliches Wort hatte. Doch er war zu gut, er ge-
hörte nicht unter den Auswurf der Menschheit. Auf
dem Hausflur trat Dionysia mir entgegen. Sie war
kaum wieder zu erkennen. Trotz der ihr innewohnen-
den unerhörten Willenskraft hatte das grauenhafte
Ereigniß förmlich verzerrend auf sie eingewirkt.

M ur.
,WaS sagst Du zu dem Vorgefallcnen?' redete sic
mich mit geisterhafter Ruhe an.
.Nicht mehr, als ich darf, um Unschuldige zu scho-
nen,' antwortete ich bezeichnend, .traf es statt Deines
ehrenwerthen, vertrauenden Mannes einen Anderen,
möchte ich weniger an der Gerechtigkeit des Himmels
zweifeln.'
Fest, wie in meinen Mienen nach einer Erklärung
suchend, sah sie mich au. Tann sprach sie zögernd:
.Auf Dir ruht der Verdacht, Perkins durch einen Stoß
in das Rad geschleudert zu haben.'
Ich zuckte die Achseln mitleidig. Mein Blut be-
gann zu kochen; trotzdem erwiederte ich gelassen: .Keiner
kennt den Sachverhalt genauer, als Du und ich. Beatriz
hat das Gräßliche hoffentlich nur unvollkommen erfaßt.
Nur wenige Schritte von euch schwang ich mich nach
dem Boden hinauf; aber ich kam zu spät.'
Dionysia nagte flüchtig auf den Lippen, bevor sie
fortfuhr: .Was gedenkst Du zu thun?'
.Nur dann mein Zeugniß abzugeben, wenn ich
gewungen werde. Ten Gatten Beatriz', den Vater
ihres Kindes an den Galgen zu liefern, mag ein An-
derer unternehmen,' versetzte ich, und verständlich spie-
gelte sich in ihren Zügen eine gewisse Erleichterung.
.Wie befindet sich Beatriz?' fügte ich hinzu.
.Noch immer bewußtlos. Tritt in das Vorzimmer.
Das Zimmer nebenan steht offen. Da kannst Du sie
beobachten, ohne Dich ihr oder dem bei ihr weilenden
Eenador bemerklich zu machen.'
.Und Padleton?'
,Er bemüht sich um den armen Todten.'
Leise trat ich ein. Bis in die Mitte des Zimmer-Z
schritt ich vor; dann befand Beatriz sich in meinem
Gesichtskreise. Auf einem Ruhebett lag sie lang aus-
gestreckt, den Körper mit einer leichten Decke verhüllt,
die Arme auf ihr rastend. Ihr Antlitz erschien voll-
ständig blutleer. Ungeordnet wogte das auf dem
Wege von der Mühle her seinen Fesseln entschlüpfte
Haar um das mir noch immer geheiligte Haupt. Meiner
ganzen Kraft bedurfte es, die mir in den Augen bren-
nenden Thränen zurückzudrängen. Neben ihrem Lager
saß Eenador, den "Nacken gebeugt und den Kopf ihr
zugeneigt. Meine Nähe ahnte er nicht. Vor ihm aus
einein Tischchen stand eine Schüssel mit Wasser. In
der rechten Hand hielt er den Schwamm, in der linken
eine Flasche mit belebender Essenz, ohne daß er von
dem Einem oder Anderen Gebrauch gemacht hätte.
Hoffte er noch immer aus ihren Tod, daß er seine Hilfe
verweigerte? Fürchtete er die Sekunde, in der sie die
Augen aufschlagen und ihn erkennen würde? Wer
konnte das ahnen? Mir erschien er wie ein Teufel,
der nur durch Angst zurückgehalten wurde, seine gifti-
gen Krallen in den vor ihm liegenden, einst so blühen-
den und jetzt so abgezehrten Leib zu schlagen und die
reine Seele von der durch ihn entweihten irdischen
Hülle zu verscheuchen. In meiner krankhaften Span-
nung und dein nreine Brust zerwühlenden rasenden
Schmerz verhielt ich mich regungslos. Und welches
Recht besaß ich überhaupt, in die engsten Familien-
angelegenheiten Anderer als Fremder mich einzudrängen?
Ich wäre vielleicht gegangen; aber mich hielt die Hoff-
nung, Beatriz' Erwachen zu beobachten, mich zu über-
zeugen, daß sie noch lebe, nicht Wahnsinn ihren ge-
quälten Geist umnachtet habe. Wohl fragte ich mich
in jenen Minuten, ob ich nicht unbesonnen handelte,
als ich den Bitten des sterbenden Salazar nachgab;
und dennoch blieb Reue mir fremd. Zu fest fühlte ich
mich an mein Wort gebunden, zu fest gekettet an
Beatriz, wenigstens auf so lauge, bis das Grab sich
über ihr geschlossen haben würde, um dann auf die
eine oder die andere Art ihren Sohn an mich zu nehmen,
mit ihm eine Atmosphäre zu fliehen, die verpestet und
vergiftet war durch Diejenigen, die sie mit uns zu-
gleich athmeten."
Sichtbar erschöpft, beugte Ionas den Nacken tiefer.
Die letzte Schilderung schien, indem sie fern liegende
Zeiten mit allen Einzelnheiten in den Farben der
Wirklichkeit vor seinem Geiste erstehen ließ, seine zähe
Lebenskraft aufgerieben zu haben.
Theilnahmvoll sah Lionel auf ihn hin. Die noch
zu erwartenden Aufschlüsse beschäftigten ihn kaum noch.
Mitleid allein erfüllte ihn. Aber er wußte, daß der
bewährte Freund nur kurzer Zeit bedurfte, um sich ge-
kräftigt aufzurichten, und er vermied es daher, ihn durch
einen Laut oder eine Bewegung in seinen Betrachtungen
zu stören.

Münfunüdroißigstos Kapitel.
„Wie die alten Erinnerungen mich ergreifen," knüpfte
Jonas wieder an seine Schilderungen an, und schwer-
fällig richtete er sich auf; „ist mir doch, als wären erst
Tage vergangen, seitdem meine Blicke auf dem stillen,
bleichen Antlitz ruhten, der Jammer um die theurc
Märtyrerin mich zu ersticken drohte. Aber der ihr ge-
reichte Kelch und der meinige waren noch nicht voll.
Beide zum Ueberströmen zu bringen, darauf harrte ein
herzloses Weib, über dessen Charakter ich mich niemals
 
Annotationen