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49N

Das Buch für All e.

M 21.

hieß, daß General v. Dönninghaus angegriffener Ge-
sundheit wegen seinen Abschied nachgesucht habe."
„Mein armer Vater selbst hat die Trennung von
der geliebten Thätigkeit nicht lange mehr ertragen können.
Die Aerzte hatten ihm gerathen, des milderen Klimas
wegen hierher überzusiedeln, und äußerlich wenigstens
schien er sich ja auch in die neuen Verhältnisse ganz
gut einzuleben. Aber das stille Mißvergnügen über
die aufgezwungene Muße nagte insgeheim an seiner
Lebenskraft, und vor etwa anderthalb Jahren mußte ich
ihn begraben."
„Der Verlust muß Sie bei Ihrer Jugend sehr hart
getroffen haben," meinte Hersdorff bedauernd", „nun
aber haben Sie in diesem Hause eine neue Heimath
gefunden — nicht wahr, mein gnädiges Fräulein?"
Hertha neigte bejahend das Haupt. „Ich habe
keinen Grund, mich über eine besondere Härte des Schick-
sals zu beklagen," sagte sie.
Der Lieutenant aber, dem die ernsthafte Wendung
des Gesprächs ersichtlich ein wenig unbehaglich gewesen
war, beeilte sich rasch, wieder einen leichteren Ton an-
zuschlagcn.
„Den Unterschied zwischen Ihrem jetzigen Aufent-
haltsorte und der großen Stadt, aus welcher Sie mit
Ihrem Vater kamen," plauderte er, „müssen Sie meiner
Meinung nach zuweilen allerdings mit einer gewissen
schmerzlichen Sehnsucht empfinden. Dies reizende Städt-
chen, zu dessen Söhnen auch ich mich in einem gewissen
Sinne zählen darf, ist zwar sehr hübsch gelegen und hat
auch sonst gewiß allerlei schätzenswerthe Vorzüge, aber
ich vermag mir nicht recht vorzustellen, daß das Leben
darin seit jenen unvergeßlich langweiligen Tagen, da ich
hier das Gymnasium besuchte, um Vieles unterhaltender
und vergnüglicher geworden wäre. Freilich sind ja in-
zwischen zwei Bataillone eines Linienregiments hierher
verlegt worden, und zur Ehre meiner Herren Kame-
raden will ich annehmcn, daß sie es verstanden haben,
einigen Schwung in das früher ziemlich schläfrige gesell-
schaftliche Leben meiner theuren Vaterstadt zu bringen."
„Es mag wohl so sein; ich aber bin mit den Herren
bisher nur selten in flüchtige Berührung gekommen, denn
sowohl Herr Flemming wie seine Söhne unterhalten
keinen Verkehr mit den Offizieren."
„Wie!" rief Hersdorff in ehrlichem Erstaunen. „Und
das muthet man Ihnen zu, Ihnen, der Tochter eines
alten Soldaten? Nein, mein gnädiges Fräulein, unter
eine solche Tyrannei dürfen Sie sich nicht länger beugen!
Am besten wär's, Sie ließen sich einmal von irgend
einer befreundeten Familie in Ihrem früheren Wohnort
für ein paar Monate einladen und genössen das Ver-
gnügen des großstädtischen Winters dann so recht in
vollen Zügen. Ich verbürge mich dafür, daß der Ent-
schluß Sie nicht gereuen würde. Sie würden die un-
bestrittene Königin aller Feste sein! Bei soviel Anmuth
und Liebreiz ist es ja rein unmöglich, daß Sie nicht
schon in der ersten Stunde über all' Ihre schönen Riva-
linnen einen vollständigen Sieg davon tragen sollten."
Der Ton, in welchem er sprach, war bereits merklich
wärmer geworden, als cs sonst nach einer Bekanntschaft
von wenig Minuten Brauch sein mag, und aus seinen
Augen sprühte es wie verwegene Eroberungslust.
Hertha aber sah ihn groß und fest an, und mit ernster,
wenn auch nicht gerade unfreundlicher Ruhe crwiederte
sie; „Ihr Rath ist gewiß sehr gut gemeint, Herr Lieute-
nant; aber ich zweifle, daß mein Verlobter, Ihr Freund
Werner Flemming, mir die Erlaubniß geben würde, ihn
zu befolgen."
Hersdorff war sichtlich überrascht, aber wenn sich in
seine Ueberraschung wirklich ein wenig Beschämung
mischte, so wußte er diese jedenfalls rasch zu über-
winden. Er sprang auf und verneigte sich artig gegen
Hertha.
„Der verrütherische Assessor allein trägt die Schuld
daran, wenn ich dies Haus betrat, ohne von einer so
bedeutsamen Thatsache etwas zu ahnen. Ich hoffe, mein
gnädiges Fräulein, daß Sie es nicht verschmähen wer-
den, auch meine verspäteten Glückwünsche noch entgegen-
zunehmen. Sie kommen von Herzen, denn ich weiß
ja, daß es einer der besten und ehrenhaftesten Menschen
ist, welchem Sie da Ihre Hand zum Bunde für das
Leben reichen wollen."
Er hatte sich so schlagfertig und liebenswürdig, als
es nur immer möglich war, aus der Klemme gezogen,
und das freundliche Lächeln Hertha's bewies ihm denn
auch, daß sie schon wieder vollkommen versöhnt sei.
„Ich danke Ihnen," sagte sie, ihm die schlanke Rechte
bietend. „Sie wissen wohl, daß man sich selber rühmt,
wenn man von seinen Freunden Gutes spricht."
Hersdorff kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten, denn
das Geräusch einer geöffneten Thür veranlaßte ihn, den
Kopf zu wenden. Ein wohlgenährter, stattlicher Herr
von vielleicht fünfzig und einigen Jahren, vom Scheitel
bis zur Sohle der rechte Typus eines ernsthaften, klugen
Geschäftsmannes, war es, welcher eintrat. Freundlich
begrüßte er den Besucher.
„Seien Sie mir willkommen, Herr Lieutenant! Ich
freue mich, daß Sie meinem Sohne die Freundschaft
der ersten Jünglingsjahre noch immer bewahrt haben.

Auch wenn nicht Werner oft von Ihnen gesprochen
hätte, würden Sie mir kein Fremder sein; denn ich
kannte Ihren verstorbenen Herrn Vater recht gut, und
er beehrte mich in geschäftlichen Angelegenheiten wieder-
holt mit seinem Vertrauen."
„In geschäftlichen Angelegenheiten," lachte Hersdorff,
indem er dem Bankier die Hand schüttelte, „das heißt,
Sie mußten ihm aus der Klemme helfen, wenn es auf
Leddihn wieder einmal eine Mißernte gegeben hatte.
Und die Mißernten waren so häufig — ich erinnere mich
dessen aus meinen Knabenjahren noch gut genug. Wenn
ich an die Kümmernisse denke, welche Wind und Wetter
meinem armen Vater damals verursachten, so bin ich
fast versucht, mich glücklich zu preisen, daß es mir jetzt
vollkommen gleichgiltig sein kann, ob der Himmel Regen
oder Sonnenschein auf die Fluren von Leddihn her-
niedersallen läßt. Die einzigen Rittergüter, die Einem
ganz und gar keine Sorge machen, sind doch nur die-
jenigen, welche anderen Leuten gehören."
Flemming lächelte zwar, aber die sorglos freimüthige
Art, in welcher Hersdorff von dem Verlust seines väter-
lichen Erbes sprach, schien sein kaufmännisches Gemüth
doch etwas peinlich zu berühren.
„Vermuthlich befinden Sie sich auf einer Urlaubs-
reife?" fragte er, wie um das Gespräch rasch auf einen
anderen Gegenstand zu lenken, rind der junge Offizier
kam seiner Absicht bereitwillig entgegen.
„Allerdings! Nachdem ich bei den großen Manövern
meine strategischen Talente im glänzendsten Lichte ge-
zeigt und meine Befähigung zum künftigen General-
feldmarschall auf das Schlagendste nachgewiesen habe,
darf ich mir s wohl vergönnen, vierzehn Tage lang auf
meinen hart erkämpften Lorbeeren auszuruhen. Aus alter
Anhänglichkeit gedenke ich die erste Hälfte meines Ur
laubs hier mit guten Freunden aus der Jugendzeit zu
verleben, und es ist nur natürlich, daß der Erste, den
ich aufsuchte, Werner Flemming sein mußte. Er war
mir zwar immer mehr ein ernster Mentor als ein Ge-
nosse meiner jugendlichen Sünden; aber ich habe ihm
vielleicht gerade deshalb eine lebhaftere Erinnerung be-
wahrt, als den meisten anderen meiner damaligen Spieß-
gesellen."
„Natürlich bitte ich Sie, für die Dauer Ihres hie-
sigen Aufenthalts mein Haus ganz als das Ihrige zu
betrachten," sagte Flemming artig, „und da Lie doch
wohl kaum bereits versagt sein werden, hoffe ich, daß
Sie uns gleich heute Mittag das Vergnügen machen,
unser Gast zu sein. Es trifft sich gut, daß ich auch
meinen älteren Sohn Bruno und seine junge Frau er
warte. Sie werden, wie ich denke, nicht bedauern, ihre
Bekanntschaft gemacht zu haben, llebrigens haben wir
da ja unseren lang erwarteten Assessor."
In der That war während der letzten Worte Werner
Flemming in das Zimmer getreten. An bestechenden
Eigenschaften der äußeren Erscheinung konnte er sich
nicht niit seinen: Jugendfreunde Erwin messen, denn er
war trotz seiner schlanken und wohlgebildeten Gestalt
fast um einen Kopf kleiner als Jener, und auch seine
Gesichtszüge waren keineswegs hübsch. Aber die hohe,
kluge Stirn und die ernsten, klarblickenden Augen machten
sein Antlitz doch zu einem recht sympathischen, und jetzt,
wo bei den: unerwarteten Anblick des Freundes ein
Heller Schimmer der Freude darüber hinflog, hatte es
einen Ausdruck von Herzensgüte, der vielleicht noch ein-
nehmender war als die schneidige Siegeszuversicht in den
Mienen des jungen Offiziers.
Die Begrüßung zwischen Beiden trug ein sehr herz-
liches Gepräge und es war nur natürlich, daß sich so-
wohl Hertha als Flemming bald zurückzogen, um die
Jugendfreunde in dem Austausch ihrer Erinnerungen
nicht zu stören. Erst eine Stunde später bei dem Mittag-
essen, das die Bewohner der Villa und ihre Gäste ver-
einte, sah Hersdorff die Braut seines Freundes wieder.
Hertha hatte inzwischen ein sommerlich duftiges, Helles
Kleid angelegt, und der Lieutenant fand sie darin noch
ungleich reizender, als sie ihn: vorhin erschienen war.
Wieder sprühte es für einen Moment begehrlich heiß in
seinen lebhaften Augen auf; aber er beobachtete eine
strenge Zurückhaltung und ließ sich nicht wieder zu einer
dreisten Schmeichelei hinreißen, durch welche Hertha's
Zartgefühl hätte verletzt werden können.
Es wurde ihn: überdies vorerst nicht viel Zeit ge-
lassen, sich mit ihr zu beschäftigen. Bruno Flemming,
ein junger, kann: dreißigjähriger Mann mit mattblickenden
Augen und nut den: blasirten Gesicht eines Vierzigers,
nahm den Offizier mit etwas aufdringlicher Vertraut-
heit ebenfalls als einen alten Freund in Anspruch, ob-
wohl Hersdorff sich nicht erinnern konnte, jemals nähere
Beziehungen zu ihm unterhalten zu haben. Und noch
mehr als durch das ziemlich fade Geschwätz dieses Herr::
wurde die Aufmerksamkeit des Lieutenants durch die
eifrigen Fragen und die gluthvollen Blicke seiner jugend-
lichen Gattin gefesselt. Frau Alexandra verleugnete in
der That ihre Abstammung von einem alten polnischen
Geschlecht, deren der Bankier vorhin bei der Vor-
stellung halb scherzend Erwähnung gethan hatte, weder
in dem eigenartigen Schnitt ihres interessanten dunkel-
äugigen Gesichtchens, noch in der sprühenden Lebhaftig-

keit ihres Temperaments. Da sich sowohl Hertha als
auch die etwas schwerhörige Frau vom Hause ziemlich
schweigsam verhielten, beherrschte sie für die erste halbe
Stunde fast ausschließlich das Tischgespräch, und wäh-
rend dieser kurzen Zeit hatte sie aus Hersdorff Alles
herausgelockt, was sich die große Stadt, in welcher er
garnisonirtc, neuerdings an interessanten Histörchen zu
erzählen wußte. Die Unterhaltung nahm erst eine andere
Wendung, als zufällig erwähnt wurde, daß Werner
täglich seine Ernennung zum Staatsanwalt zu erwarten
habe, dessen Funktionen er schon seit mehreren Monaten
ausübte.
Hersdorff machte eine drollige Grimasse und sagte:
„Brrr! Das ist auch ein Beruf, um den ich wahrhaftig
Keinen beneide. Wenn ich schon dieser ledernen Juri-
sterei überhauptverteufelt wenig Geschmack abzugewinnen
vermöchte, so will es mir vollends nicht in den Sinn,
wie Jemand seine Befriedigung darin finden kann, täg-
lich so und soviel unglückliche Opfer kalten Blutes an
die Schlachtbank zu liefern. Einen Staatsanwalt, der
es wie eine persönliche Beleidigung empfindet, wenn es
einmal trotz seiner Bemühungen einem armen Teufel
gelingt, seine Unschuld zu beweisen, habe ich mir jetzt
immer nur als einen pechrabenschwarzen Bösewicht vor-
stellen können, so etwa wie die schleichenden Intriganten
aus den alten Schauerstücken. Es thut mir in der Seele
weh', mein guter Werner, daß ich Dich nun ebenfalls
in dieser Gesellschaft seh'."
Der Assessor lächelte gutmüthig und meinte: „Es
muß eben Jeder nach seinen Gaben verbraucht werden,
lieber Erwin, und die Hauptsache ist doch wohl, daß
wir Alle rechtschaffen unsere Pflicht erfüllen, gleichviel,
auf welchen: Platz wir stehen."
„Freilich!" rief Hersdorff zwischen Ernst und Scherz.
„Aber es kommt eben wie bei einer Treibjagd nicht
Jeder auf einen guten Platz, und ich müßte mich einer
schnöden Unwahrheit schuldig machen, wenn ich sagen
sollte, daß ich mit dem meinigen zufrieden sei. Nur
um jahraus jahrein Rekruten zu drillen, wird man doch
am Ende nicht Soldat. Da träumt man während
seiner ganzen Jugend von glorreichen Waffenthaten,
von Lorbeeren und Orden, und was die Wirklichkeit
Einem aufgespart hat, sind langweilige Felddienst-
übungen und Orden im Kotillon. Aber ich bin des
ereignißlosen Lebens herzlich müde und hoffe, daß waa
bald Großes von nur vernehmen wird."
Von allen Seiten bedrängte man ihn mit Fragen,
und nachdem HerSdorff sich eine kleine Weile namentlich
an der Neugier der schönen Frau Alexandra belustigt
hatte, erklärte er feierlich: „Erschrecken Sie nicht, msim
Herrschaften: ich gehe zur deutschen Schutztruppe nach
Afrika."
Von allen Seiten ertönten Ausrufe ungläubigen
Erstaunens, bis der junge Offizier ganz ernsthaft sagte:
„Auf Ehre, es verhält sich wirklich so! Bei einen:
Liebesmahl, das wir kürzlich einem von Wißmann an-
geworbenen Kameraden bei seinen: Abschied gaben, ist
der große Entschluß in mir gereift, und wenn ich auch
gestehen muß, daß ich schon bei der dritten Masche
Champagner war, als ich den Kameraden das Ver-
sprechen gab, so wird dadurch doch nichts an der That-
sache geändert, daß ich noch in derselben "Nacht Vas be-
treffende Gesuch abschickte. Wenn ich nun wirklich zu
den Auserwühlten gehören sollte, so wird mir eben nichts
Anderes übrig bleiben, als zu gehen."
Natürlich erregte diese Mittheilung das lebhafte
Interesse der kleinen Gesellschaft. Man fand Hersdorff's
Entschluß sehr übereilt und zweifelte daran, daß er ihn
wirklich zur Ausführung bringen würde, weil die Ge-
fahren des mörderischen Klimas ihn doch schließlich noch
in letzter Stunde abschrecken müßten.
Da reckte der junge Offizier mit einem gewissen
Stolz seine mächtige Gestalt und sagte lächelnd: „Sehe
ich aus, als ob ein bischen Fieber mich gleich umbringen
werde? Eine Konstitution wie die meinige kann, wie
ich denke, schon einen kleinen Puff vertragen."
Aber dieser Einwand beseitigte die Bedenken der
Anderen nicht, und auch der Assessor warnte den Freund
in seiner ruhigen Weise davor, sich durch jugendliche
Abenteuerlust und soldatische Ruhmsucht zu thörichten
Schritten hinreißen zu lassen, die er sicherlich bald be-
reuen würde. Hertha allein hatte sich bis jetzt mit
keinem Wort an diesem Gespräch betheiligt, und sie war
es, an welche Hersdorff sich endlich, von allen Seiten
bedrängt, mit der Frage wandte: „Und Sie, mein
gnädiges Fräulein? Haben auch -sie nur Tadel für
meine Absicht?"
Hertha erhob den Blick zu seinem Gesicht, und er
konnte darin ihre Antwort lesen, nach ehe sie gesprochen
hatte.
„Ich bin ein,Soldatenkind, und mein Urtheil ist
darum vielleicht nicht ganz unbefangen, Herr v. Hers-
dorff. Mein Verlobter wird gewiß Recht haben, wenn er
Ihr Vorhaben als ein etwas übereiltes bezeichnet; ich
aber vermag die Empfindungen wohl zu begreifen, aus
denen heraus Sie dazu gekommen sind. Man muß
vielleicht in soldatischer Umgebung und soldatischer Lust
groß geworden sein, um jenen freudigen Thatenmuth
 
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