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522

Helt 22.

zum heutige» Tuge jenes Vorganges nie geschämt." j
Da machte sie eine säst heftige Bewegung, und znm !
ersten Male, seitdem er sie kennen gelernt, sah Werner,
wie ihre Lippen in mühsam beherrschten: Zern erzittern
kennten.
„Es muß wohl so sein," erwiederte sie in leisen,
hastig hervorgestoßencn Worten, „denn ihr habt ja,
wie es scheint, dieselbe rührende Scene heute zum
zweiten Male ausgeführt. Und es war sehr vorsichtig,
daß ihr damit nicht erst gewartet habt, bis ihr wieder
auf denn Kampfplätze standet, denn diesmal wären die
Sekundanten mit dem Pistolenkasten ja möglicherweise
nicht zu Hause geblieben."
„Na, na, Kinderchen! Ihr habt doch nicht etwa
schon vor der Hochzeit einen Streit miteinander?" er-
tönte in diesem Augenblick Bruno Flemmings etwas
heisere Stimme unmittelbar neben ihnen. „Ich rathe
euch aus Erfahrung, diese kleinen Zerwürfnisse mit ihrer
unvermeidlichen Gefolgschaft von süßen Versöhnungen
für eine spätere Zeit anszusparen. Denn ohne sie
würdet ihr dereinst in der Ehe gar bald empfindlichen
Mangel an der nöthigen Abwechslung haben."
Niemand belächelte seinen Scherz. Hertha hatte
sich rasch abgewendet und war an den kleinen Kaffee-
tisch getreten, wo sie sich angelegentlich zu schaffen
machte.
Der Assessor aber setzte seine Tasse nieder, ohne
etwas von ihrem Inhalt genossen zu haben, und schon
wenige Minuten spater verließ er, indem er sich bei
seinen Eltern mit einer dringenden Arbeit entschuldigte,
das Zimmer.

'N iavt e x> Fi n pit e l.
Etwas wie ein kalter Frosthauch war von draußen
her in daS HanS des Bankiers Flemming eingedrnngen.
Aeußerlich zwar hatte sich in dem Verkehr der Haus-
genossen untereinander nichts geändert, und nur ein
scharfblickender Beobachter würde vielleicht die Wahr-
nehmung gemacht haben, daß Hertha sich ihrem Ver-
lobten rascher als sonst zu entziehen wußte, wenn er
sic zur Begrüßung oder zum Abschied küßte, und daß sic
mit einer gewissen Absichtlichkeit jedes Alleinsein mit
ihn: vermied. Aber die Art, in welcher die Brautleute
unter sich zu verkehren pflegten, hatte ja von jeher mehr
den Charakter einer freundschaftlich herzlichen Wärme,
als denjenigen einer leidenschaftlichen Gluth getragen,
und so mußte der Assessor die vermehrte Zurückhaltung
Hertha's, wenn er sie überhaupt bemerkte, keineswegs
nut Nothwendigkeit als ein Zeichen dafür nehmen, daß
ihre Liebe zu ihn: geringer geworden sei — zumal sie
ja sonst in ihren: Benehmen gegen ihn ganz die alte
geblieben war.
Erwin v. Hersdorffs Name war zwischen ihnen
nicht mehr genannt worden, und die Heftigei:, kränken-
den: Worte, welche Hertha an jenen: Nachmittag zn
ihrem Verlobten gesprochen, mußten wohl in Wahrheit
nichts Anderes gewesen sein, als die unbedachte Aeuße-
rung einer oberflächlichen, rasch vorübergehenden Ver-
stimmung; denn bei ihrer ersten Wiederbegegnung am
folgenden Morgen, die allerdings in: Beisein Anderer
erfolgt war, hatte sie den: Assessor nicht etwa eine
schmollende Miene gezeigt, sondern sie hatte dieselbe
freundliche Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit gegen
ihn an den Tag gelegt, die das Verhältnis; der Beiden
bisher zu einen: so ruhig Harinonischen gemacht.
Und Werner mußte die erste Kränkung, welche sie
ihn: zugefügt, wohl schon vor diesem Wiedersehen ver-
ziehen haben, denn er war liebenswürdig wie sonst,
und nieder ein Wort noch ein Blick hatte Hertha an den
häßlichen Zwischenfall vom verflossenen Tage erinnert.
Aber der frostige Hauch, der von draußen herein-
gedrungen war, erfüllte trotz alledem wochen- und
monatelang die Räume des Flemnung'schen Hauses.
Er ließ die Gesichter seiner Bewohner ihr unbefangen
fröhliches Lächeln verlernen, und er lag unsichtbar auf
Allem, was sie sagten und thaten.
Die Vorbereitungen zu Werncr's Hochzeit, die auf
Hertha's gleich nach der Verlobung ausgesprochenen
Wunsch erst um Ostern des nächsten Jahres stattfinden
sollte, wären ja auch unter anderen Umständen wohl
ohne allzulaute Geschäftigkeit betrieben worden; jetzt
aber schien jener erstarrende Frosthauch, den Jeder
fühlte, ohne ihn doch bannen zu können, lähmend und
schwer auch über ihnen zu liegen. Es half nichts, daß
Frau Flemming sich und Hertha in eine:: gewissen
freudigen Eifer hineinzulügen versuchte, wenn oben in
den Fremdenzimmern die Nähmaschinen klapperten, und
die Schneiderinnen zwischen ganzen Bergen schneeweiß
schimmernden LcinenzeugeS saßen. Ein einziger Blick
in das kühle, blasse Gesicht ihrer künftigen Schwieger-
tochter brachte ihr ja jedesmal den Beweis, daß all'
ihr Bemühen vergeblich sei, und sie hätte dann wohl
manchesmal die Lippen sehr gern zu einer sorgenvollen
Frage geöffnet, wenn nicht eine gewisse Furcht, die sic
ganz im Geheimen vor dem stolzen und vornehmen
Generalstöchtcrchcn empfand, ihr immer wieder den
Mund verschlossen hätte.

Das N u ch s n r A l l e.
So war nach einen: stürmereichen Herbst der Dezem-
ber herangekommen nicht der lustige, weiße Weih
nachtSmond mit Flockcngcriesel und Schellengeklingel,
nne ihn die lebensfrohe junge Welt sich wünscht, son
dern ein gar grämlicher, unwirscher Geselle mit Nebel
und Regen und tückischen Hagelschauern.
Frau Flemmig hatte just wieder einen ihrer großen
Schncidertagc, und Hertha war, wie sie eS neuerdings
immer häufiger that, bei der ersten Gelegenheit, die
sich ihr dazu bot, aus den: Bereich der schrecklichen
Nähmaschinen geflohen. So kam es, daß sie Frau
Alexandra, die auf dein Wege znr Putzmacherin für
ein paar Minute:: bei ihren Schwiegereltern hatte vor-
sprechen wollen, zuerst und allein empfing. Sie ging
sonst einen: Alleinsein mit ihrer künftigen Schwägerin
gern aus dem Wege, denn Alexandra's gefallsüchtiges
und dreistes Wesen mar ihrer vornehm gemessenen
Natur unerträglich. Auch heute wollte sie sogleich Frau
Flemming rufen lassen, aber die junge Frau, die nach
ihrer eifrigen Versicherung keine Minute zu verlieren
hatte, hielt sie davon zurück.
„Eigentlich wollte ich auch nur Dein Urtheil über
mein neues Pelzkostüm hören," sagte sie, denn trotz
Hertha's fast offenkundigem Widerstreben hatte sie in:
Gegensatz zu den übrigen Familienmitgliedern bereits
das Recht des schwesterlichen Du für sich in Anspruch
genommen. „Es war zwar für die Eisbahn berechnet;
aber ich kann es doch am Ende nicht unmodern werden
lassen, nur weil der abscheuliche Dezember uns das er-
hoffte Vergnügen buchstäblich zu Wasser gemacht. Ist
es nicht reizend — wie?"
„Es ist wunderhübsch," erkannte Hertha aufrichtig
und neidlos an, „aber doch wohl etwas zu schade für
dies schmutzige Ncgenwetter."
„Freilich!" lachte Frau Alexandra. „Bruno wird
Augen machen, wenn er die Rechnung erhält. Sieben-
hundert Mark — es ist wirklich eine Unverschämtheit!
Aber was soll inan ansangen! Wenn die Frau Re-
gierungspräsident sich ihre Kleider aus Berlin schicken
läßt, so werde ich als die Schwiegertochter des Herrn
Ernst Flemming mir die meinigen doch wohl aus Paris
kommen lassen können. Uebrigens — da nur gerade
von der Fran Oberpräsident sprechen — hast Du schon
gehört, mein Herz, daß sie den Assessor v. Bracht, ihren
bishekigen Hausfreund, neuerdings verabschiedet und
den Lieutenant von der Recke an seine Stelle gesetzt
haben soll? Einen schlechten Geschmack hat sie damit
eben nicht bewiesen, denn der Lieutenant ist ein auf-
fallend schöner Mann, wenn er auch freilich mit Deinen:
Hersdorff ebenso wenig einen Vergleich auShalten kann,
als irgend ein Anderer, den ich kenne."
Hertha hatte die Farbe verändert, und unwillig
sprühte es in ihren Augen auf.
„Mit meinem Hersdorff?" sagte sie stolz abweisend.
„Wie kommst Du dazu, ihm diese seltsame Bezeichnung
hcizulegen."
Frau Alexandra lächelte, daß die kleinen Zähnchen
schneeweiß zwischen den kirschrothen Lippen hervor-
schimmerten.
„O, es war nicht böse gemeint, mein Schatz! lind
Du brauchst nicht gleich zn erglühen wie ein purpurnes
Röslein, nur weil ich entdeckt habe, daß ihr euch
damals in allen Ehren ein wenig für einander erwärmt
hattet. Wahrhaftig, ich wäre die Letzte, Dir diese un-
schuldige kleine Schwärmerei zu verübeln! Es ist ge-
rade genug, daß wir armen Frauen in Bezug auf unsere
Handlungen so überängstlich und bedachtsam sein müssen,
und cs wäre geradezu schrecklich, wenn nur uns auch
noch aus den unfreiwilligen Wallungen unseres Herzens
ein Gewissen machen sollten. Aber sei mir nicht böse,
meine weiße Taube! Ich weiß ja, daß Du über diese
Dinge gar strenge Ansichten hast, und ich null meinen
Athen: nicht damit verschwenden, Dich zn milderen zu
bekehren; denn später in der Ehe pflegt diese Bekehrung
auch ohne alles freunde Zuthun ganz von selber zn er-
folgen. Ich nehme also feierlich zurück, was ich eben
von Hersdorff sagte, wenigstens soweit es sich auf Deine
Empfindungen bezog. UebrigenS hätte ich nimmermehr
geglaubt, daß er seine halb im Scherz geäußerte Absicht
zur Wahrheit machen und wirklich nach diesem mörde-
rischen Afrika gehen würde."
Hertha v. DönninghnuS hatte eine Erziehung erhalten,
deren Bestreben in erster Linie darauf gerichtet gewesen
ivar, ihr die Kunst einer vornehmen Selbstbeherrschung
zu eigen zu machen. Frau Alexandra hatte sie schon
manchmal in: Stillen um ihre Meisterschaft in dieser
Kunst beneidet; heute aber sah sie mit geheimem Ver-
gnügen, daß dieselbe sich an: Ende doch nicht in jeder
Lage bewährte. Bei ihren letzten Worten war Hertha,
die sich vorhin erzürnt abgewendet hatte, hastig Herum-
gefahren, und es war mehr Bestürznng als Ueber-
rnschung, was ihr auf dein Gesicht geschrieben stand, da
sie fragte; „Er ist wirklich dahin gegangen? Du weißt
cs ganz gewiß?"
Die junge Frau stellte sich sehr verwundert. „Ja,
mein Gott, lest ihr hier denn gar keine Zeitung?
Oder hat Dein Verlobter etwa in einer Regung ver-
zeihlicher Eifersucht alle Nummern vor Dir versteckt, in

denen von Erwin v. Hersdorff und seinen Heldenthaten
die Rede war? lind es sind wirkliche Heldenthaten,
die er da drüben vollbringt. Die Natur hat ihn: doch
nicht nur zum Schein das Aussehen eines Siegfried's
gegeben. Noch in dein letzten Bericht des Reichskom-
missars war zu lesen, daß Hersdorff sich bei der Er-
stürmung eines verschanzten Lagers, unbekümmert da
rum, ob ihm seine Leute schon auf dem Fuße folgten,
als der Erste über die Palissade geschwungen habe.
Ich möchte ibn wohl einmal sehen, wie er da unter
der Tropensonne für die Ehre und den Ruhm seines
fernen Vaterlandes kämpft! Muß er nicht diesen Negern
und Arabern erscheinen wie der junge Kriegsgott der
Deutschen in eigener Person?"
Sie erhielt keine Antwort und konnte auch zu ihren:
Bedauern den Eindruck, den ihre lebhafte Schilderung
auf Hertha gemacht, nicht so recht beobachten, da das
junge Mädchen das Antlitz schon wieder von ihr ab-
gekehrt hatte. Eine kleine Weile noch plauderte sie in
demselben Tone weiter, indem sie unter Hinzufügung
von mancherlei phantastischen Ausschmückungen aus allen
Winkeln ihres Gedächtnisses zusammensuchte, was darin
von den: kürzlich veröffentlichten Bericht über die jüngsten
Kämpfe der deutschen Schutztruppe haften geblieben
war. In der That ivar sie nicht weniger überrascht
gewesen, als Hertha, den Namen Hersdorff's in diesem
Bericht zu finden, aber sie gab sich, einen: etwas bos-
haften Antriebe folgend, jetzt den Anschein, als ob sic
ebenso wie alle Welt seit Langem von Hersdorff's
kriegerischer Thätigkeit in Afrika unterrichtet gewesen
sei, und als ob es sie in lebhaftes Erstaunen setze,
Hertha so ganz ohne Kenntnis; von diesen Dingen zu
finden.
Dann erinnerte sie sich plötzlich, daß sie ja eigent-
lich keine Minnte zu melieren habe, nnd sie stand
eilig auf.
„Es plaudert sich so reizend mit Dir, mein Liebling,
daß man darüber selbst die wichtigsten Dinge versäumen
kann. Nun aber darf ich die Putzmacherin wirklich
nicht länger warten lassen. Empfiehl mich Deinen: Herrn
Bräutigam, der ja neuerdings noch würdevoller und
ernsthafter geworden zu sein scheint, als er eS schon
war — und laß' Dich bald einmal bei uns sehen."
Hertha duldete den zärtlichen Kuß der jungen Frau,
ohne ihn zu erwiedern, und erst als sie Alexandra bis
zur Thür begleitet hatte, sagte sie mit einer Befangen-
heit, welche ihr sonst nicht eigen war:
„Würdest Du Dir vielleicht noch einmal jene Zei-
tung verschaffen können, in welcher Hersdorff's Erwäh-
nung geschah?"
Sie war dabei erröthet, als ob sie sich selbst auf
einem Unrecht ertappt hätte.
Frau Alexandra aber erklärte nut lächelnder Be
reitwilligkeit; „Genuß, mein Herz! Ich werde Bruno
damit beauftragen, sie nur zu besorgen. Diesmal
wenigstens soll Deinen: allzu ängstlichen Verlobten die
Unterschlagung nicht viel genützt haben."
Als der Besuch sie verlassen hatte, setzte Hertha sich
in den Erker und griff nach einem Buche. Aber ihr
Auge ruhte auf den gedruckten Worten, ohne daß sie
den Sinn derselben erfaßt hätte, und ihre Gedanken
weilten bei ganz anderen Dingen, als bei den: Inhalt
des Romans.
Erschrocken fuhr sie auf, als sie hart neben sich das
Knarren der Diele unter einem festen Mannesschritt
vernahm, und fast wie ein Ausdruck der Erleichterung
ging es gleich darauf über ihr Gesicht, als sie erkannte,
daß es nicht ihr Verlobter, sondern der Bankier Ernst
Flemming war, welcher das Zimmer betreten hatte.
Sic wollte sich erheben, um ihn zu begrüßen, aber
er legte freundlich seine Hand auf ihren Arn: und
nöthigte sie, sitzen zu bleiben.
„Es freut mich, daß ich Sie endlich einmal allein
treffe, liebe Hertha," sagte er, indem er sich ihr gegen-
über an den: kleinen Erkertischchen niederstes;. „Wir
haben ja so selten Gelegenheit, unter vier Augen mit-
einander zu plaudern."
Das junge Mädchen sah befremdet auf. Diese Ein-
leitung klang fast, als ob der Vater ihres Verlobten
etwas Besonderes auf dem Herzen habe.
Und in der That fuhr der Bankier, sich vertraulich
zu ihr herüber neigend, in seinen: liebenswürdigsten
Tone fort: „Wissen Sie auch, daß Sie nur und Je-
mand, der Ihnen noch näher steht als ich, eine große
Freude bereiten könnten, meine liebe Hertha?"
„Eine Freude, Herr Flemming? Und womit?"
„Davut, daß Sie in eine Abkürzung Ihres allzu
langen Brautstandes willigten. Sie wissen, wie glück-
lich mich Ihre Verlobung mit meinen: ^cohnc macht,
und wie gern ich Sie endlich nut vollem Recht meine
geliebte Tochter nennen möchte. Weshalb auch sollen
wir die Hochzeit noch um volle vier Monate hinaus
schieben? In den Kreisen unserer Bekannten schüttelt
man ohnedies bereits die Köpfe darüber, daß ein Liebes-
paar, für dessei: Vereinigung nicht das geringste äußere
Hindernis; vorhanden ist, aus freien Stücken fast ein
ganzes Jahr bis zu dieser Vereinigung verstreichen
läßt."
 
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