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Hrkt 23.
zielen und seiner Firma nützen. Vernachlässigt er seine
Pflicht, so kann er seinem Hause große finanzielle Ver-
luste zufügen.
Junge Kaufleute betrachten es meist als ein Ver-
gnügen, Geschäftsreisender zu werden, schon weil ein
solches Leben viel mehr Abwechslung bietet, als die
ziemlich langweilige und anstrengende Komptoirarbeit.
Dann winkt ihnen eine große Reihe von Zerstreuungen,
sie können ein schönes Stück Welt, andere Menschen
und Verhältnisse kennen lernen, und sind gleichsam ihr
freier Herr. Unter diesen Vergünstigungen, die ein
junger Geschäftsreisender auf seiuer Tour genießt, lauert
aber auch eine ernste Gefahr. Es gehört Charakter-
festigkeit dazu, Geschäft und Vergnügen miteinander
zu verbinden, sich nicht zu unbesonnenen Schritten fort-
reißen zu lassen, nicht das Geschäft auf Kosten des
Vergnügens zu vernachlässigen. Alle paar Tage an
einem anderen Orte, jeden Tag die Aussicht auf neue
Zerstreuungen, mit Reisespesen reichlich versehen, lebens-
lustig und dabei stets in der Gesellschaft von StandeS-
gcnossen, die oft einen sehr lockeren Lebenswandel
führen — das ist eine Versuchung für einen jungen
Mann, die zu bestehen nicht Jeder moralische Kraft
genug hat. Rur zu oft lassen sich junge Leute ver-
führen, über die Stränge zu schlagen, und nicht nur
ihre Gesundheit wird dabei ruinirt, ihr geschäftlicher
Ruf leidet auch, und schon Mancher von ihnen ging
dabei zu Grunde. Die öffentlichen Spielhöllen in Deutsch-
land waren früher eine fürchterliche Verführung für die
jungen Geschäftsreisenden, die jene Orte besuchten; und
noch heute wird heimlich genug Hasard gespielt. Mancher
junge Geschäftsreisende läßt sich vom Spielteufel ver-
führen, die Gelder, die er für seine Firma erhoben hat,
anzugreifen; Mancher entzieht sich dann der Schande,
indem er durch einen Schuß seinem Leben ein Ende
macht. Viele junge Kaufleute haben sich auf andere
Weise, besonders durch den Trunk, während ihrer
Reisejahre physisch und moralisch ruinirt, manche halten
auch die körperlichen Anstrengungen eines solchen Lebens,
selbst bei größter Solidität, nicht aus.
Auf der anderen Seite aber gibt es glücklicherweise
viele Tausende von pflichtgetreuen und tüchtigen jungen
Kaufleuten, die Geschäft und Vergnügen geschickt mit-
einander zu verbinden wissen, Leute, die wahre Lebens-
künstler sind, die am Tage unermüdlich thätig sind, den
Abend dem Vergnügen widmen, aber stets Maß zu
halten wissen.
Den Eisenbahnen und den Gasthöfen führen diese
Nomaden mit den Musterkoffern jährlich große Summen
zu; einzelne Gasthöfe bestehen fast nur durch den Ver-
kehr der Handlungsreisenden und werden meist auch
nur von diesen besucht. Erfahrene Vergnügungsrcisende
suchen gerade solche Gasthöfe gern auf; man sinder
dort nämlich gewöhnlich ein solides Unterkommen, gute
Betten, billige Preise und, was die Hauptsache ist, man
wird nicht um so viel Trinkgelder gebracht wie in
anderen Gasthöfen. Die Geschäftsreisenden verlangen
für ihr Geld gute Leistungen. Leider sind die deutschen
Gasthöfe für den Geschäftsreisenden noch immer nicht
so eingerichtet, wie sie eigentlich sein müßten und wie
dies z. B. in England der Fall ist. Der „oommsroial",
ivie in England der Handlnngürcisendc heißt, nimmt
insbesondere in Schottland und im nördlichen England
eine eigenthümliche und allgemein geachtete Stellung
ein. Lediglich diese sehr tüchtigen und gewandten Ge-
schäftsreisenden vermitteln den gesammten Handelsverkehr
auf dem flachen Lande, das noch nicht von der Eisen-
bahn berührt wird. Ihre Bedeutung für den binnen-
ländischen englischen Handel wird auch allerseits an-
erkannt, und alle Eisenbahnen gewähren den Commercials
bedeutende Vergünstigungen. In jedem Gasthause, selbst
in dem kleinsten englischen Marktflecken, ist ein beson-
deres Zimmer für die Commercials bestimmt, das von
Niemandem als von Haudlungsreisenden betreten werden
darf. In diesen Zimmern ist Gelegenheit zum Schreiben
vorhanden, es sind aber auch Unterhaltungsspielc auf-
gestellt, und hier können es sich die Reisenden bequem
machen, da sie ganz unter sich sind. Auch in Bezug
auf die Preise genießen sie verschiedene Vergünstigungen,
und doch sollen diese englischen Reisenden, wie man all-
gemein in der Geschäftswelt weiß, bei Weitem den
deutschen Geschäftsreisenden nachstehen. Sie sollen nicht
den Geschäftseifer, auch nicht die Geschicklichkeit besitzen,
welche gerade die deutschen Geschäftsreisenden auch auf
Reisen im Auslande zu entwickeln pflegen. Dagegen
besitzen die englischen Geschäftsreisenden anscheinend mehr
Unternehmungsgeist als unsere Landsleute, und man
findet sie mit ihren Mustern in der ganzen Welt, man
begegnet ihnen auf allen internationalen Dampferlinien,
Man trifft sie ebenso in Südamerika wie in Australien,
in Ost- und Südafrika wie in Asien, und wo kaum
England seine Flagge gehißt und ein Land annektirt
hat, da erscheinen auch schon die unternehmungslustigen,
lns an die Zähne bewaffneten englischen Geschäftsreisen-
den, um zu sehen, was für ihre Häuser an diesem neu-
gewonnenen Orte zu machen sei.
Eine eigenthümliche Rolle spielt der französische Ge-
schäftsreisende, der „oomluis vo^a^eur". Dieser Aus-
Ti a s Buch für Alle.
druck, den man früher mit Vorliebe auch in Deutsch-
land anwendete, ist jetzt veraltet und erscheint auch den
französischen Geschäftsreisenden wenig schmeichelhaft, sic
nennen sich daher jetzt „voz-aZsrrrs äs eomiusros" und
haben es durchgesetzt, in Frankreich auch eine politische
Rolle zu spielen. Das ist allerdings dort nicht schwer,
selbst Schuljungen haben schon mit Erfolg in den
letzten Jahren eine politische Rolle gespielt, insbesondere
wenn es sich um irgend eine Ungezogenheit oder Lächer-
lichkeit gegen das verhaßte Deutschland handelte. Gam-
betta wußte seinerzeit die französischen Geschäftsreisenden
als freiwillige Wanderprediger für die Republik in der
Provinz zu gewinnen. Ebenso leisten sie notorisch be-
ständig Spionendienste in Elsaß-Lothringen und auch
nm Rhein, wenn sie im Auftrage französischer Häuser
Deutschland bereisen. Vor ganz kurzer Zeit erst hat
die Regierung von Elsaß-Lothringen sich veranlaßt ge-
sehen, einzelnen Geschäftsreisenden, welche das Kund
schäften zu auffällig betrieben, den Eintritt in die
Reichslande zu untersagen. Gambetta zeigte sich den Ge-
schäftsreisenden auch dadurch dankbar, daß er sich mehr-
mals von ihnen zu einem sogenannten „Punsch" ein-
laden ließ und dann sehr wichtige politische Kundgebungen
vor den ihm enthusiastisch zujubelnden Zuhörern vom
Stapel ließ.
Das Reisen der französischen Geschäftsreisenden in
Deutschland hat etwas nachgelassen, seitdem die Be-
ziehungen zwischen den beiden Ländern so gespannte
sind. Dagegen reisen heute noch sehr viele deutsche
Geschäftsreisende in Frankreich, und wenn sie die fran-
zösische Sprache gut beherrschen, machen sie auch noch
Geschäfte, da in vielen Beziehungen die deutsche In-
dustrie die französische erreicht und sogar überflügelt hat.
Im Geschäft, und wenn es gilt, vortheilhaft einzukaufcn,
ist der französische Kaufmann nur in seltenen Füllen
Chauvinist; er kauft auch von deutschen Geschäftsreisen-
den, wenn ihm diese nur neue, gute und billige Muster
vorlegen können.
Gute Geschäfte machen unsere Handlungsreisenden
in der Schweiz, in Oesterreich und auch in Ungarn.
Man kommt ihnen hier freundlich entgegen, und die
Reisen sind insofern lohnend, als die Schweiz wohl
selbst ein großes Industrieland ist, aber doch nur einige
wenige Jndustriearten, allerdings in großartigstem Styl,
betreibt. Man bezieht daher gern die Produkte der
deutschen Industrie, die man im eigenen Lande nicht
hat. Ungarn hat noch sehr wenig eigene Industrie uud
kauft gern von Deutschland.
- Auch Skandinavien und Dänemark sind ein gutes
Absatzgebiet für die deutschen Handelshäuser. In Däne-
mark zeigt sich hin und wieder dem deutschen Geschäfts-
reisenden gegenüber laute Feindschaft, denn die Dänen
können uns das Jahr 1864 nicht vergessen. Dagegen
sind Holland und Belgien ganz gute Absatzgebiete und,
wenn sich der Reisende an die Eigenthümlichkeiten des
Landes gewöhnt hat, auch ein ganz angenehmer Aufent-
halt. Italien und Spanien werden stark von deutschen
Häusern bereist, das Geschäft ist hier aber ein außer-
ordentlich unsicheres; Bestellungen kann man sehr leicht
bekommen, viel schwerer aber die Bezahlung für ge-
lieferte Waare. Vorsicht und zehnfache Erkundigungen
nach der Zahlungsfähigkeit und Redlichkeit einer Firma
sind nothwendig, will der Reisende nicht sein Geschäfts-
haus in schweren Schaden stürzen.
Sehr schwierig gestaltet sich das Reisen in Polen,
Rußland und in den Balkanländern; Unterkunft und
Verpflegung sind sehr schlecht, die geschäftlichen Verhält-
nisse auch nicht durchaus sichere, aber doch durchstreifen
fortwährend deutsche Geschäftsreisende bis nach dem Kau-
kasus hin Rußland, und gerade unsere Textilindustrie
hat einen kolossalen Export nach Rußland, dem man
allerdings mehr und mehr durch erhöhte Zölle russischer-
seits die Wege zu verlegen sucht. Auch in der Türkei
und in Persien findet man deutsche Handlungsreisende,
sonst bietet aber Asien kein weiteres Geschäftsgebiet,
noch weniger Afrika.
Wenn in unseren afrikanischen Kolonien erst ge-
ordnete Verhältnisse herrschen werden, wird auch dort
der deutsche Geschäftsreisende eine bekannte Erscheinung
werden, und unsere Kolonien werden dann erst ihren
wirklichen Werth zeigen, weil sie ja hoffentlich noch vor-
theilhafte Absatzgebiete für unsere Industrie bilden wer-
den. Insbesondere die großen Handelshäuser in Bre-
men und Hamburg bereiten sich jetzt schon auf den
afrikanischen Handel vor, ja sie lassen ihre jungen Leute
besonders für diese Reisen ausbilden. Auf Kosten der
Geschäftshäuser oder der kaufmännischen Institute haben
junge Leute aus Hamburg und Bremen jetzt schon Unter-
richt im Orientalischen Seminar zu Berlin in den Sprachen
der afrikanischen Negerstämme, und da ja die Bremer
und Hamburger Häuser in Ost-, Süd- und Westafrika
Faktoreien und Plantagen besitzen, auf denen junge
Kaufleute als Aufseher, Einkäufer u. s. w. beschäftigt
sind, wird es wohl an tüchtigen Kaufleuten, die Afrika
dem deutschen Handel erschließen, durchaus nicht
fehlen.
Auf eine eigenthümliche Art des Geschäftsreisens
muß noch aufmerksam gemacht werden, welche zuerst
von Deutschland und zwar von dem Berliner Central-
verein für Handelsgeographie versucht wurde. Diese
besteht darin, daß ein großes Schiff vollständig als
Waarenlager ausgerüstet wird und dann die verschiedenen
Hafcnorte ferner Länder aufsucht, um hier als eine
schwimmende Ausstellung deutscher Produkte vor Anker
zu gehen. Das erste Unternehmen dieser Art ver-
unglückte, indem an der nordafrikanischen Küste das
Schiff scheiterte, und die begleitenden Kaufleute und
Mitglieder des Vereins für Handelsgeographie in die
Hände der Araber fielen. Die Gefangenen sowohl als
auch die Ladung des Schiffes wurden indes; durch die
Vermittelung des Auswärtigen Amtes gerettet, und eine
große, schwimmende deutsche Ausstellung befindet sich
augenblicklich in Indien, wo man direkt dem englischen
Handel Konkurrenz zu machen sucht. Die Engländer
haben auch über diese neue Art von Geschäftsreisen
einen solchen Schreck bekommen, daß sie jetzt eifrig diese
schwimmenden Ausstellungen nachahmen.
Jedenfalls ist das Institut der Geschäftsreisenden
und die Art ihres Verfahrens noch mannigfacher Wand-
lungen und Erweiterungen fähig, und so lange der
Handel auf den gegenwärtigen, geschichtlich gewordenen
Grundlagen ruht, wird der Geschäftsreisende stets eine
nächtige Rolle dabei spielen.
Mllllllitlßlllsjlseö. (Nachdruck vcrboten )
Die Zwillinge. — Der Graf v. Ligneville und der Graf
v. Autriconrt, die um das Jahr 1760 lebten, waren Zwillings -
brüder aus einem alten lothringischen Hause. Sie sahen ein-
ander so ähnlich, daß sie, wenn sie sich gleich gekleidet hatten,
nicht von einander zu unterscheiden waren. Beide waren
Chevauxlegers-Rittmeister, uud wenn der Eine sich an die
Spitze der Eskadron des Anderen setzte, gewahrte keiner der
Untergebenen, daß es nicht der Rechte war. Autricourt hatte
einst einen bösen Rechtsstreit, in welchem seine Gegner die
Befugnis; erlangten, ihn verhaften zu lassen. Ligneville ging
seinem Bruder nicht von der Seite, und die Besorgnis;, sie
möchten den Unrechten ergreifen lassen, bestimmte die Gegner,
von ihrer Befugnis; keinen Gebrauch zu machen. Einst liest
Ligneville sich den Bart scheeren. Als eine Seite geschoren
ivar, ging er in ein Nebenzimmer; Autricourt zog Jenes
Schlafrock an, nahm die Serviette vor, ging hinaus und setzte
sich vor dem Barbier nieder. Dieser glaubte es mit einem Spuk
zu thun zu haben, schlug ein Kreuz und entfloh eiligst aus
dem Zimmer. — Zu dergleichen Scherzen gab ihre merkwürdige
Aehnlichkeit oft Veranlassung. M. L-l.
Wom Kaarfärven. Ebenso wie die falschen Haare, so
ist auch das Färben der Haare schon alt, wie folgendes Er-
eignis; beweist, das zur Zeit deS peloponnesischen Krieges spielte.
Von der Insel Keos kam einst ein Gesandter nach Sparta.
Da er sich seiner grauen Haare schämte, hatte er sie gefärbt.
So trat er in die Versammlung der Spartaner und hielt
eine lange Rede, um die Zuhörer zu seinen Gunsten zu
stimmen. Kaum hatte er geendet, da stand der König
ArchidcmuS auf und sprach: „Wie kann dieser Mann etwas
Vernünftiges und Ehrliches vorbringen, der nicht nur in seinem
Innern, sondern auch auf seinem Kopfe die Lüge mit sich
herumträgt!" — Und einstimmig lehnte man den Vorschlag
des Gesandten ab. D
Verhungert, weil er zu viel zu essen hatte. Wie ist
eS möglich, daß Jemand verhungert, weil cr zu viel hat, um
satt zu werden? So ging es einem Franzosen, der so dürr
und mager war, daß er sich unter dem Namen des „Leben-
digen Skeletts" in allen Ländern sehen ließ. Er kam auch
nach England, machte gute Einnahmen, lebte infolge dessen
besser, verlor seine Magerkeit, damit aber auch seinen Erwerbs
zweig, und mußte endlich Hungers sterben, weil er nichts mehr
verdiente. D.
Union Dvutschr Verlagsgvsrllschaft
in Atnillunt, Lcrlüi, Leipzig.
KkjMS Wortkägk.
Vom Oardpol zum Aeyuator.
Populäre Vorträge
von
Di». MtVehrn.
Mit Illustrationen von
U. Urirsr, G. Mutzet, Ur. Specht u. a
Eleg. gebunden M. 12.—, brosch. Mk. 10.—
„Vom Nordpol zum Aequator" wird überall, wo man sich
liebevoll in dasselbe vertieft, in hohem Grade anregend, bil
dend und nutzbringend wirken. Vor allem sollten diese Vor
träge in den Hausschatz der deutschen Familie ausgenommen
werden als Meisterwerke, die nicht nur den Geist mit neuem
Wissen bereichern, sondern durch die Schönheit der Sprache
und die Vollendung der Darstellung dem Leser einen Genuß
wie wahre Kunstwerke bereiten.
BW" Norrätig in den meisten Buchhandlungen. "WkR
Hrkt 23.
zielen und seiner Firma nützen. Vernachlässigt er seine
Pflicht, so kann er seinem Hause große finanzielle Ver-
luste zufügen.
Junge Kaufleute betrachten es meist als ein Ver-
gnügen, Geschäftsreisender zu werden, schon weil ein
solches Leben viel mehr Abwechslung bietet, als die
ziemlich langweilige und anstrengende Komptoirarbeit.
Dann winkt ihnen eine große Reihe von Zerstreuungen,
sie können ein schönes Stück Welt, andere Menschen
und Verhältnisse kennen lernen, und sind gleichsam ihr
freier Herr. Unter diesen Vergünstigungen, die ein
junger Geschäftsreisender auf seiuer Tour genießt, lauert
aber auch eine ernste Gefahr. Es gehört Charakter-
festigkeit dazu, Geschäft und Vergnügen miteinander
zu verbinden, sich nicht zu unbesonnenen Schritten fort-
reißen zu lassen, nicht das Geschäft auf Kosten des
Vergnügens zu vernachlässigen. Alle paar Tage an
einem anderen Orte, jeden Tag die Aussicht auf neue
Zerstreuungen, mit Reisespesen reichlich versehen, lebens-
lustig und dabei stets in der Gesellschaft von StandeS-
gcnossen, die oft einen sehr lockeren Lebenswandel
führen — das ist eine Versuchung für einen jungen
Mann, die zu bestehen nicht Jeder moralische Kraft
genug hat. Rur zu oft lassen sich junge Leute ver-
führen, über die Stränge zu schlagen, und nicht nur
ihre Gesundheit wird dabei ruinirt, ihr geschäftlicher
Ruf leidet auch, und schon Mancher von ihnen ging
dabei zu Grunde. Die öffentlichen Spielhöllen in Deutsch-
land waren früher eine fürchterliche Verführung für die
jungen Geschäftsreisenden, die jene Orte besuchten; und
noch heute wird heimlich genug Hasard gespielt. Mancher
junge Geschäftsreisende läßt sich vom Spielteufel ver-
führen, die Gelder, die er für seine Firma erhoben hat,
anzugreifen; Mancher entzieht sich dann der Schande,
indem er durch einen Schuß seinem Leben ein Ende
macht. Viele junge Kaufleute haben sich auf andere
Weise, besonders durch den Trunk, während ihrer
Reisejahre physisch und moralisch ruinirt, manche halten
auch die körperlichen Anstrengungen eines solchen Lebens,
selbst bei größter Solidität, nicht aus.
Auf der anderen Seite aber gibt es glücklicherweise
viele Tausende von pflichtgetreuen und tüchtigen jungen
Kaufleuten, die Geschäft und Vergnügen geschickt mit-
einander zu verbinden wissen, Leute, die wahre Lebens-
künstler sind, die am Tage unermüdlich thätig sind, den
Abend dem Vergnügen widmen, aber stets Maß zu
halten wissen.
Den Eisenbahnen und den Gasthöfen führen diese
Nomaden mit den Musterkoffern jährlich große Summen
zu; einzelne Gasthöfe bestehen fast nur durch den Ver-
kehr der Handlungsreisenden und werden meist auch
nur von diesen besucht. Erfahrene Vergnügungsrcisende
suchen gerade solche Gasthöfe gern auf; man sinder
dort nämlich gewöhnlich ein solides Unterkommen, gute
Betten, billige Preise und, was die Hauptsache ist, man
wird nicht um so viel Trinkgelder gebracht wie in
anderen Gasthöfen. Die Geschäftsreisenden verlangen
für ihr Geld gute Leistungen. Leider sind die deutschen
Gasthöfe für den Geschäftsreisenden noch immer nicht
so eingerichtet, wie sie eigentlich sein müßten und wie
dies z. B. in England der Fall ist. Der „oommsroial",
ivie in England der Handlnngürcisendc heißt, nimmt
insbesondere in Schottland und im nördlichen England
eine eigenthümliche und allgemein geachtete Stellung
ein. Lediglich diese sehr tüchtigen und gewandten Ge-
schäftsreisenden vermitteln den gesammten Handelsverkehr
auf dem flachen Lande, das noch nicht von der Eisen-
bahn berührt wird. Ihre Bedeutung für den binnen-
ländischen englischen Handel wird auch allerseits an-
erkannt, und alle Eisenbahnen gewähren den Commercials
bedeutende Vergünstigungen. In jedem Gasthause, selbst
in dem kleinsten englischen Marktflecken, ist ein beson-
deres Zimmer für die Commercials bestimmt, das von
Niemandem als von Haudlungsreisenden betreten werden
darf. In diesen Zimmern ist Gelegenheit zum Schreiben
vorhanden, es sind aber auch Unterhaltungsspielc auf-
gestellt, und hier können es sich die Reisenden bequem
machen, da sie ganz unter sich sind. Auch in Bezug
auf die Preise genießen sie verschiedene Vergünstigungen,
und doch sollen diese englischen Reisenden, wie man all-
gemein in der Geschäftswelt weiß, bei Weitem den
deutschen Geschäftsreisenden nachstehen. Sie sollen nicht
den Geschäftseifer, auch nicht die Geschicklichkeit besitzen,
welche gerade die deutschen Geschäftsreisenden auch auf
Reisen im Auslande zu entwickeln pflegen. Dagegen
besitzen die englischen Geschäftsreisenden anscheinend mehr
Unternehmungsgeist als unsere Landsleute, und man
findet sie mit ihren Mustern in der ganzen Welt, man
begegnet ihnen auf allen internationalen Dampferlinien,
Man trifft sie ebenso in Südamerika wie in Australien,
in Ost- und Südafrika wie in Asien, und wo kaum
England seine Flagge gehißt und ein Land annektirt
hat, da erscheinen auch schon die unternehmungslustigen,
lns an die Zähne bewaffneten englischen Geschäftsreisen-
den, um zu sehen, was für ihre Häuser an diesem neu-
gewonnenen Orte zu machen sei.
Eine eigenthümliche Rolle spielt der französische Ge-
schäftsreisende, der „oomluis vo^a^eur". Dieser Aus-
Ti a s Buch für Alle.
druck, den man früher mit Vorliebe auch in Deutsch-
land anwendete, ist jetzt veraltet und erscheint auch den
französischen Geschäftsreisenden wenig schmeichelhaft, sic
nennen sich daher jetzt „voz-aZsrrrs äs eomiusros" und
haben es durchgesetzt, in Frankreich auch eine politische
Rolle zu spielen. Das ist allerdings dort nicht schwer,
selbst Schuljungen haben schon mit Erfolg in den
letzten Jahren eine politische Rolle gespielt, insbesondere
wenn es sich um irgend eine Ungezogenheit oder Lächer-
lichkeit gegen das verhaßte Deutschland handelte. Gam-
betta wußte seinerzeit die französischen Geschäftsreisenden
als freiwillige Wanderprediger für die Republik in der
Provinz zu gewinnen. Ebenso leisten sie notorisch be-
ständig Spionendienste in Elsaß-Lothringen und auch
nm Rhein, wenn sie im Auftrage französischer Häuser
Deutschland bereisen. Vor ganz kurzer Zeit erst hat
die Regierung von Elsaß-Lothringen sich veranlaßt ge-
sehen, einzelnen Geschäftsreisenden, welche das Kund
schäften zu auffällig betrieben, den Eintritt in die
Reichslande zu untersagen. Gambetta zeigte sich den Ge-
schäftsreisenden auch dadurch dankbar, daß er sich mehr-
mals von ihnen zu einem sogenannten „Punsch" ein-
laden ließ und dann sehr wichtige politische Kundgebungen
vor den ihm enthusiastisch zujubelnden Zuhörern vom
Stapel ließ.
Das Reisen der französischen Geschäftsreisenden in
Deutschland hat etwas nachgelassen, seitdem die Be-
ziehungen zwischen den beiden Ländern so gespannte
sind. Dagegen reisen heute noch sehr viele deutsche
Geschäftsreisende in Frankreich, und wenn sie die fran-
zösische Sprache gut beherrschen, machen sie auch noch
Geschäfte, da in vielen Beziehungen die deutsche In-
dustrie die französische erreicht und sogar überflügelt hat.
Im Geschäft, und wenn es gilt, vortheilhaft einzukaufcn,
ist der französische Kaufmann nur in seltenen Füllen
Chauvinist; er kauft auch von deutschen Geschäftsreisen-
den, wenn ihm diese nur neue, gute und billige Muster
vorlegen können.
Gute Geschäfte machen unsere Handlungsreisenden
in der Schweiz, in Oesterreich und auch in Ungarn.
Man kommt ihnen hier freundlich entgegen, und die
Reisen sind insofern lohnend, als die Schweiz wohl
selbst ein großes Industrieland ist, aber doch nur einige
wenige Jndustriearten, allerdings in großartigstem Styl,
betreibt. Man bezieht daher gern die Produkte der
deutschen Industrie, die man im eigenen Lande nicht
hat. Ungarn hat noch sehr wenig eigene Industrie uud
kauft gern von Deutschland.
- Auch Skandinavien und Dänemark sind ein gutes
Absatzgebiet für die deutschen Handelshäuser. In Däne-
mark zeigt sich hin und wieder dem deutschen Geschäfts-
reisenden gegenüber laute Feindschaft, denn die Dänen
können uns das Jahr 1864 nicht vergessen. Dagegen
sind Holland und Belgien ganz gute Absatzgebiete und,
wenn sich der Reisende an die Eigenthümlichkeiten des
Landes gewöhnt hat, auch ein ganz angenehmer Aufent-
halt. Italien und Spanien werden stark von deutschen
Häusern bereist, das Geschäft ist hier aber ein außer-
ordentlich unsicheres; Bestellungen kann man sehr leicht
bekommen, viel schwerer aber die Bezahlung für ge-
lieferte Waare. Vorsicht und zehnfache Erkundigungen
nach der Zahlungsfähigkeit und Redlichkeit einer Firma
sind nothwendig, will der Reisende nicht sein Geschäfts-
haus in schweren Schaden stürzen.
Sehr schwierig gestaltet sich das Reisen in Polen,
Rußland und in den Balkanländern; Unterkunft und
Verpflegung sind sehr schlecht, die geschäftlichen Verhält-
nisse auch nicht durchaus sichere, aber doch durchstreifen
fortwährend deutsche Geschäftsreisende bis nach dem Kau-
kasus hin Rußland, und gerade unsere Textilindustrie
hat einen kolossalen Export nach Rußland, dem man
allerdings mehr und mehr durch erhöhte Zölle russischer-
seits die Wege zu verlegen sucht. Auch in der Türkei
und in Persien findet man deutsche Handlungsreisende,
sonst bietet aber Asien kein weiteres Geschäftsgebiet,
noch weniger Afrika.
Wenn in unseren afrikanischen Kolonien erst ge-
ordnete Verhältnisse herrschen werden, wird auch dort
der deutsche Geschäftsreisende eine bekannte Erscheinung
werden, und unsere Kolonien werden dann erst ihren
wirklichen Werth zeigen, weil sie ja hoffentlich noch vor-
theilhafte Absatzgebiete für unsere Industrie bilden wer-
den. Insbesondere die großen Handelshäuser in Bre-
men und Hamburg bereiten sich jetzt schon auf den
afrikanischen Handel vor, ja sie lassen ihre jungen Leute
besonders für diese Reisen ausbilden. Auf Kosten der
Geschäftshäuser oder der kaufmännischen Institute haben
junge Leute aus Hamburg und Bremen jetzt schon Unter-
richt im Orientalischen Seminar zu Berlin in den Sprachen
der afrikanischen Negerstämme, und da ja die Bremer
und Hamburger Häuser in Ost-, Süd- und Westafrika
Faktoreien und Plantagen besitzen, auf denen junge
Kaufleute als Aufseher, Einkäufer u. s. w. beschäftigt
sind, wird es wohl an tüchtigen Kaufleuten, die Afrika
dem deutschen Handel erschließen, durchaus nicht
fehlen.
Auf eine eigenthümliche Art des Geschäftsreisens
muß noch aufmerksam gemacht werden, welche zuerst
von Deutschland und zwar von dem Berliner Central-
verein für Handelsgeographie versucht wurde. Diese
besteht darin, daß ein großes Schiff vollständig als
Waarenlager ausgerüstet wird und dann die verschiedenen
Hafcnorte ferner Länder aufsucht, um hier als eine
schwimmende Ausstellung deutscher Produkte vor Anker
zu gehen. Das erste Unternehmen dieser Art ver-
unglückte, indem an der nordafrikanischen Küste das
Schiff scheiterte, und die begleitenden Kaufleute und
Mitglieder des Vereins für Handelsgeographie in die
Hände der Araber fielen. Die Gefangenen sowohl als
auch die Ladung des Schiffes wurden indes; durch die
Vermittelung des Auswärtigen Amtes gerettet, und eine
große, schwimmende deutsche Ausstellung befindet sich
augenblicklich in Indien, wo man direkt dem englischen
Handel Konkurrenz zu machen sucht. Die Engländer
haben auch über diese neue Art von Geschäftsreisen
einen solchen Schreck bekommen, daß sie jetzt eifrig diese
schwimmenden Ausstellungen nachahmen.
Jedenfalls ist das Institut der Geschäftsreisenden
und die Art ihres Verfahrens noch mannigfacher Wand-
lungen und Erweiterungen fähig, und so lange der
Handel auf den gegenwärtigen, geschichtlich gewordenen
Grundlagen ruht, wird der Geschäftsreisende stets eine
nächtige Rolle dabei spielen.
Mllllllitlßlllsjlseö. (Nachdruck vcrboten )
Die Zwillinge. — Der Graf v. Ligneville und der Graf
v. Autriconrt, die um das Jahr 1760 lebten, waren Zwillings -
brüder aus einem alten lothringischen Hause. Sie sahen ein-
ander so ähnlich, daß sie, wenn sie sich gleich gekleidet hatten,
nicht von einander zu unterscheiden waren. Beide waren
Chevauxlegers-Rittmeister, uud wenn der Eine sich an die
Spitze der Eskadron des Anderen setzte, gewahrte keiner der
Untergebenen, daß es nicht der Rechte war. Autricourt hatte
einst einen bösen Rechtsstreit, in welchem seine Gegner die
Befugnis; erlangten, ihn verhaften zu lassen. Ligneville ging
seinem Bruder nicht von der Seite, und die Besorgnis;, sie
möchten den Unrechten ergreifen lassen, bestimmte die Gegner,
von ihrer Befugnis; keinen Gebrauch zu machen. Einst liest
Ligneville sich den Bart scheeren. Als eine Seite geschoren
ivar, ging er in ein Nebenzimmer; Autricourt zog Jenes
Schlafrock an, nahm die Serviette vor, ging hinaus und setzte
sich vor dem Barbier nieder. Dieser glaubte es mit einem Spuk
zu thun zu haben, schlug ein Kreuz und entfloh eiligst aus
dem Zimmer. — Zu dergleichen Scherzen gab ihre merkwürdige
Aehnlichkeit oft Veranlassung. M. L-l.
Wom Kaarfärven. Ebenso wie die falschen Haare, so
ist auch das Färben der Haare schon alt, wie folgendes Er-
eignis; beweist, das zur Zeit deS peloponnesischen Krieges spielte.
Von der Insel Keos kam einst ein Gesandter nach Sparta.
Da er sich seiner grauen Haare schämte, hatte er sie gefärbt.
So trat er in die Versammlung der Spartaner und hielt
eine lange Rede, um die Zuhörer zu seinen Gunsten zu
stimmen. Kaum hatte er geendet, da stand der König
ArchidcmuS auf und sprach: „Wie kann dieser Mann etwas
Vernünftiges und Ehrliches vorbringen, der nicht nur in seinem
Innern, sondern auch auf seinem Kopfe die Lüge mit sich
herumträgt!" — Und einstimmig lehnte man den Vorschlag
des Gesandten ab. D
Verhungert, weil er zu viel zu essen hatte. Wie ist
eS möglich, daß Jemand verhungert, weil cr zu viel hat, um
satt zu werden? So ging es einem Franzosen, der so dürr
und mager war, daß er sich unter dem Namen des „Leben-
digen Skeletts" in allen Ländern sehen ließ. Er kam auch
nach England, machte gute Einnahmen, lebte infolge dessen
besser, verlor seine Magerkeit, damit aber auch seinen Erwerbs
zweig, und mußte endlich Hungers sterben, weil er nichts mehr
verdiente. D.
Union Dvutschr Verlagsgvsrllschaft
in Atnillunt, Lcrlüi, Leipzig.
KkjMS Wortkägk.
Vom Oardpol zum Aeyuator.
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U. Urirsr, G. Mutzet, Ur. Specht u. a
Eleg. gebunden M. 12.—, brosch. Mk. 10.—
„Vom Nordpol zum Aequator" wird überall, wo man sich
liebevoll in dasselbe vertieft, in hohem Grade anregend, bil
dend und nutzbringend wirken. Vor allem sollten diese Vor
träge in den Hausschatz der deutschen Familie ausgenommen
werden als Meisterwerke, die nicht nur den Geist mit neuem
Wissen bereichern, sondern durch die Schönheit der Sprache
und die Vollendung der Darstellung dem Leser einen Genuß
wie wahre Kunstwerke bereiten.
BW" Norrätig in den meisten Buchhandlungen. "WkR