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504

Hest 25.

lassen, nicht. Nachdem cr ein paar Sekunden lang
wie in inneren: Kampf gewartet hatte, trat er an die
Seite seines Vaters und suchte dessen Hand zu ergreifen.
„Um Deiner selbst nullen, Vater, darf ich mich nicht
mit dieser bündigen Weisung fortschicken lassen," sagte
er herzlich. „Einen Fremden dürfte ich in solcher Lage
vielleicht seinem trügerischen Wahne und seinem unab-
wendbaren Schicksal überlassen, von Dir aber darf ich
nicht mit solchem Bescheide gehen, wenn ich mich nicht
schwer gegen meine kindlichen Pflichten versündigen
will. Gerade, weil ich ein Herz für Dich habe, Vater,
ein redliches Herz voll Dankbarkeit und Liebe, muß ich
darauf beharren, Dich zu meiner Ansicht zu bekehren.
Ich rechte nicht mit Dir über das Vergangene, wenn
Du mir nur die Möglichkeit gewährst, das Künftige
gemeinsam mit Dir zu tragen. Wir wollen das, was
wir nicht mehr abwenden können, nicht als die Folge
irgend eines Verschuldens, sondern wir wollen es als
ein Unglück betrachten, das uns nur um so fester an-
einander schließen wird, je schwerer es auf uns drückt.
Du sagst, daß Du nur ein Vertrauen erwiesen hast,
wie man es sonst nur einem Freunde bezeigt — nun
wohl, Du sollst in mir so treue Hilfe finden, wie Du
sie nur immer von dem besten Freunde fordern dürftest.
Ich will Dir mit meiner ganzen Kraft zur Seite stehen
in jeder Gefahr, die Dich bedrohen könnte, und wenn
wir aus dieser Katastrophe bettelarm hervorgehen sollten,
so wird die Noth des Lebens meine Mutter und Dich
doch niemals berühren, so lange mir noch Kopf und
Arme zur Verfügung stehen, um für euch zu schaffen.
Nur raube mir nicht den Muth und die Kraft, diese
Pflichten auf mich zu nehmen, Vater! Nur weise nicht
jetzt im Vertrauen auf einen rettenden Zufall, der doch
niemals kommen würde, meine Hand zurück!"
Gerade weil cS Werncr's Art so wenig war, seine
innersten Empfindungen zur Schau zu tragen, gerade
weil er im gewöhnlichen Verkehr viel eher still und
wortkarg, als beredt und überschwenglich in seinen Aus-
drücken war, mußten Worte von so innigem und herz-
lichem Klange, wenn sie aus seinem Munde kamen,
eine besonders tiefe und ergreifende Wirkung üben. Es
bedurfte keiner ausdrücklichen Bethcuerungcn, um Den-
jenigen, an welchen sie gerichtet waren, von ihrer Auf-
richtigkeit und Wahrhaftigkeit zu überzeugen, und selbst
ein härteres Gemüth als das des Bankiers hätte sich
der überredenden Macht, die ihnen innewohnte, wohl
schwerlich entziehen tonnen.
So war denn auch der zornige Ausdruck allgemach
von Ernst Flcmming's Antlitz verschwunden, und es
war nichts mehr von der vorigen Bitterkeit im Klange
seiner Stimme, als er crwiederte; „Wenn Du so viel
Anhänglichkeit für mich hast, Werner, und wenn Du
bereit bist, so große Opfer zu bringen — warum willst
Du mir nur das eine versagen, das doch jede Gefahr
von uns abwenden würde? Die Aussichten auf eine
baldige Besserung der geschäftlichen Lage sind niemals
günstiger gewesen, als gerade in diesem Augenblick, und
wenn Du Hertha nur veranlassen könntest —"
„Nichts mehr von ihr, liebster Vater, ich bitte Dich
von Herzen! Das ist für immer abgcthan und vorbei.
Und wenn ich es mit so ruhiger Ergebung trage, ich,
der ich am Ende doch noch mehr verliere, als für Dich
selbst im schlimmsten Fall auf dem Spiele stehen kann,
dann solltest doch auch Du Dich endlich damit abfinden."
Trotz seiner muthigen Selbstbeherrschung war bei
diesen letzten Worten etwas wie ein schmerzliches Beben
in seiner Stimme. Ernst Flemming erinnerte sich mit
einem Male jenes Augenblicks, da cr seinen Sohn im
Vorgemach von Hcrtha's Krankenzimmer hatte zusammen-
brechen sehen, denn für einen Moment war derselbe
hoffnungslose, traurige Ausdruck auf seinem Gesichte,
der ihn damals so tief erschüttert hatte. Er wagte es
nun freilich nicht mehr, Hertha's Namen noch einmal
zu nennen; aber er raffte sich doch zu einem letzten,
schwachen Versuch der Ueberredung auf.
„Und Deine Mutter? Kannst Du es über Dich ge-
winnen, sie jetzt, da die Tage ihres Alters vor der
Thür stehen, mit einem Male allen Leiden und De-
müthigungen der Armuth ausgesetzt zu sehen — sie, die
ihr Leben lang kaum etwas Anderes als die Annehm-
lichkeiten des Reichthums kennen gelernt hat?"
„Meine Mutter hat einen starken und muthigen
Sinn. Ich bin gewiß, daß sie sich unbedenklich auf
meine Seite stellen würde, wenn Du ihr die Ent
scheidung überließest. Und dann — ich wiederhole Dir,
Vater, daß sie keinem Leid und keiner Demüthigung
ausgesetzt werden soll, so lange ich da bin, für sie zu
sorgen."
Etwas wie ein wehmüthig-mitleidiges Lächeln ging
über Ernst Flemming's Gesicht.
„Du — mein Junge? Ich fürchte, Du stellst Dir
das leichter vor, als es ist. Wohl weiß ich, daß Du
für Deine Person sehr wenig Bedürfnisse hast; denn
Du hast ja seit Langem den Zuschuß zurückgewiesen,
den ich Dir bereitwillig zur Verfügung stellte. Für
mehr als Einen aber dürfte jetzt und in den nächsten
Jahren Deine Besoldung denn doch schwerlich aus-
reichen."

Das Buch für Alle.
„Darüber bin ich nicht im Zweifel; aber ich halte
es unter den vorliegenden Umständen ohnedies für selbst-
verständlich, daß ich in dem Amte eines öffentlichen
Anklägers nicht bleiben darf. Es wird, wie ich hoffe,
noch nicht zu spät sein, mich nachträglich zur Annahme
jener gut bezahlten Stellung bereit zu erklären, die ich
vor kaum acht Tagen ausgeschlagen hatte."
„Du meinst die Stellung des Syndikus bei der
Bergwerksgesellschaft? Soll ich Dir verlesen, Werner,
was Du mir vor einer Woche über das Anerbieten ge-
schrieben hast?"
„Ich erinnere mich dessen sehr wohl und leugne gar
nicht, daß die neue Laufbahn, in welche ich damit ein-
lenken würde, meinen Neigungen und Hoffnungen keines-
wegs entspricht. Aber was bedeutet diese geringfügige
Entsagung neben allem Anderen? Wenn Du mit
Deinem ergrauenden Haar gezwungen sein sollst, ein
neues Leben anznfangen, wie sollte ich mich da bedenken,
es zu thun, nur weil nicht alle meine ehrgeizigen Wünsche
in Erfüllung gehen können!"
Wie schlicht und einfach diese Worte auch gesprochen
wurden, sie brachten auf den Bankier doch eine tiefere
Wirkung hervor, als alles Vorhcrgcgangene. Er streckte
seinem Sohne beide Hände entgegen und sagte in großer
Bewegung; „Und diese hochmüthige Gcneralstochter,
die Dich in unbegreiflicher Verblendung verschmäht —
sie konnte an Deinem Muthe zweifeln! Nun, mag sie
denn zu ihrem tapferen Afrikaner gehen, einen Mann
von Deinen Eigenschaften hätte sie doch wohl niemals
verstanden! Wir werden ihr das Heirathsgut bereit
halten, und dann — dann mag das Schiff, das ich so
schlecht gesteuert habe, meinetwegen auf den Felsen
liefen!"
Eine halbe Stunde später begaben sich Vater und
Sohn Arm in Arm nach dein in der inneren Stadt
belegeneil Komptoir. Den wiederholten Vorschlag Wer-
ncr's, auch Bruno zu dcr peinlichen Arbeit hcranzuzichen,
hatte Ernst Flemming mit Entschiedenheit abgclehnt.
„Er würde uns eine große Scene machen," sagte
er, „oder er würde völlig muthlos zusammenbrechen.
In jedem Fall aber würde er uns nur im Wege sein
und uns die schmerzliche Thätigkeit unnöthig erschweren.
Menschen von seinen: Schlage stellt man besser vor
vollendete Thatsachen, als daß man sie zu großen Ent-
schlüssen nöthigt. Bruno ist durch das Vermögen seiner
Frau hinlänglich vor den Schrecknissen der Armuth ge-
schützt, und wenn Alexandra ihn künftig ein wenig knapp
hält, so wird ihm das nur zum Segen gereichen."
Werner mochte seinen Bruder zur Genüge kennen,
um die Berechtigung dcr von seinen: Vater geltend ge-
machten Gründe zuzugestchcn, und so bcharrte er nicht
auf dein Verlangen, daß Bruno gerufen werde.
Der erste Prokurist aber, der seine Wohnung in
demselben Hause hatte, in welchem die Geschäftsloka-
litäten lagen, wurde aus den Federn geholt und um:
Werner mit einigen raschen Worten verständigt. Der
alte treue Buchhalter, der dem Hause Flemming von
Herzen ergeben war, mochte das Herannahen der Kata-
strophe wohl geahnt haben, dein: er zeigte sich zwar
tief bekümmert und niedergeschlagen, doch nicht eigent-
lich überrascht. Ohne viele Erwiederungen und Ein-
wendungen schloß er den großen Geldschrank auf, in
welchem allabendlich die Geschäftsbücher verwahrt wurden,
und noch beim Anbruch des jungen Tages brannten die
Gasflammen über den: Doppelpult, an welchen: die drei
Männer mit tiefernsten Gesichtern ihre traurige Arbeit
verrichteten.
W e:: :rtos Knpite k.
Nur wie in: Traume noch vernahm Hertha das
Zufallen der Thür und den Klang des festen Mannes-
schrittes, der sich langsam entfernte. Kaum fünf Mi-
nuten hatte ihre Unterredung mit Werner Flemming
gedauert, diese inhaltsschwere Unterredung, der sie mit
tödtlichem Bangen entgegengesehcn hatte, und die so
ganz anders verlausen war, als sic eS sich während
der letzten vierundzwanzig Stunden tausendmal mit
klopfenden: Herzen ausgemalt. Noch immer sah sie ihn
vor sich stehen ii: seincr festen Haltung und mit seinem
ernsten, bleichen, doch scheinbar unbewegte:: Gesicht;
noch immer glaubte sie den gedämpften Klang seiner
ruhigen Stimme zu hören, und die Worte, die er ge-
sprochen, tönten ihr in: Ohre nach, daß es ihr war, als
würde sic sie hinfort nie mehr vergessen können.
Weder eine Frage noch einen Vorwurf hatte er für
sie gehabt, und von ihrer Trennung war von vornherein
die Rede gewesen wie von etwas Selbstverständlichen:,
das seit Langem unverrückbar feststehe. Von all' den
vielen Dingen, die sie ihn: nach hatte sagen wollen,
hatte sic in der Bestürzung, in welche seine unerwartete
Haltung sie versetzt, nicht ein einziges Vorbringen können.
Sie war darauf vorbereitet gewesen, sich zu vertheidigen,
wenn er ihr mit heftiger Anklage gegenüber getreten
wäre, und sie hätte sich vielleicht bis zu demüthigster
Bitte erniedrigt, wenn er willens gewesen wäre, ihr
zu verweigern, was sie von ihn: begehrt; Angesichts !

dieser steinernen Ruhe aber hatten all' ihre Vorsätze
sie im Stich gelassen, und schweigend, mit gesenktem
Haupte hatte sie wie eine Verurtheilte angehört, was
er ihr jetzt noch gesagt hatte: Es solle vor den Augen
der Welt kein Schatten eines häßlichen Verdachtes auf
sie fallen; keine böse Zunge solle Anlaß zu müßigem
Gerede auf ihre Kosten finden. Es sei dafür gesorgt,
daß die Auflösung des Verlöbnisses, die ja kein Ge-
heimnis; bleiben könne, den Leuten als etwas ganz
Begreifliches und Naheliegendes erscheinen werde, ohne
daß irgend Jemand darauf verfiele, nach einem Ver-
schulden auf ihrer Seite zu suchen. Aber es sei trotzdem
in ihren: eigenen Interesse vielleicht rathsam, daß sie
diese Stadt, an die sich für sie hinfort ja nur noch
peinliche Erinnerungen knüpfen könnten, bald verlasse
und daß sie ihre Vereinigung mit Erwin v. Hersdorfs
an einem anderen Orte vollziehe. Ihr bei dem Hause
Flemming deponirtes Vermöge:: sei jederzeit zu ihrer
Verfügung, und im Namen seines Vaters schlage er
ihr vor, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, mit welchem
diese geschäftlichen Angelegenheiten alsbald in's Reine
gebracht werden könnten.
Dann hatte er sie noch gebeten, über seine Dienste
und über diejenigen des Hauspersonals ganz nach ihrem
Belieben zu verfügen, und er hatte ihr, schon halb gegen
die Thür hin gewendet, Glück und Frieden für ihr
künftiges Leben gewünscht.
Um ein Geringes leiser war seine Stimme wohl
bei diesem Wunsche geworden und zuletzt sogar ein
wenig undeutlich, wie wenn ihm ein fremder Gegenstand
in der Kehle säße; aber Hertha hatte doch keinen Anlaß
gehabt, diese Erscheinung als ein Anzeichen tiefer see-
lischer Bewegung zu deuten, denn in seinem Gesicht
hatte sich ja keine Linie verändert, und auch der Ab-
schiedsgruß, mit welchem er schließlich gegangen war,
hatte wieder ganz den höflich kühlen Klang seiner ersten
Worte gehabt.
Nun hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, und
Alles, was ihr noch so schwer auf der Seele lag, Alles,
was er hatte erfahren sollen, um ihre Handlungsweise
ganz zu verstehen, es war unausgesprochen geblieben.
Vorhin bei seinen: Eintritt hatte sich ihr Herz krampf-
haft zusammengezogen in bitterem Weh, und all' der
entsagungsvolle Muth, mit welchem sie gewillt war,
ihre vermeintliche Pflicht zu erfüllen, war für einen
Moment von Neuem in's Wanken gerathen.
Jetzt aber, da sie wieder allein war, gewann mehr
und mehr eine Regung des Trotzes die Herrschaft über
jede andere Empfindung in ihren: Innern. Mit jener
Ungerechtigkeit, der gerade das weibliche Herz so leicht
zugänglich ist, sagte sie sich, daß die allzu willfährige
Art, in welcher Werner auf ihre Wünsche eingegangen
war, fast eine Beleidigung für sie bedeute, und daß eS
wohl überhaupt kaum einer Rechtfertigung ihres Ent-
schlusses bedurft hätte dem Manne gegenüber, der sie
jetzt so kampflos und gelassen aufgeben konnte.
So vermochte sie mit ungleich größerer Ruhe, als
sie sich deren noch vor einer halben Stunde fähig ge-
halten Hütte,, ihre letzten Vorbereitungen für das Ver-
lassen des Hauses zu treffen, das ihr seit so vielen
Monaten eine zweite Heimath geworden war. Die
Dienstboten mußten bereits von Werner instruirt worden
sein, denn die Zofe kam, um freiwillig ihre Hilfe beim
Einpacken anzubieten, da ja das gnädige Fräulein eine
kleine Reise unternehmen wolle. Die Leute hatten offen-
bar nicht den geringsten Argwohn, und wenn ihr Herz
minder von schmerzlicher Bitterkeit erfüllt gewesen wäre,
hätte Hertha wohl etwas wie Dankbarkeit empfinden
müssen für die zartfühlende und umsichtige Art, in
welcher ihr ehemaliger Verlobter ihrem Auszuge alles
Peinigende und Bedrückende zu nehmen gewußt hatte.
Um den Anschein einer Abreise aufrecht zu erhalten,
fuhr sie nut einen: Koffer in der Richtung nach dem
Bahnhofe davon; aber unterwegs ließ sie den Kutscher
halten und bezeichnete ihm die Wohnung der verwittweten
Majorin v. Schwind, einer älteren Dame, mit welcher
sie schon zu Lebzeiten ihres. Vaters bekannt und be-
freundet gewesen war, als das Ziel der Fahrt. Frau
v. Schwind unterhielt eine Pension für Damen der
höheren Stände, und Hertha wußte, daß sie dort jeder-
zeit Aufnahme finden würde, ohne erst zu langen Er-'
klärungen und Erzählungen genöthigt zu sein. In der
That machte die alte Dame zwar ein höchlich erstauntes
Gesicht, aber da sie sah, daß das junge Mädchen zu
ausführlichen Mittheilungen nicht aufgelegt war, ent-
hielk sic sich mit freundlicher Zurückhaltung jeder neu-
gierigen Frage und gab ihr das beste Stübchen, über
welches sie in ihrem kleinen, traulichen Hause verfügte.
Mehrere Stunden lang saß Hertha dort am Fenster,
ohne daß sie sich stark genug gefühlt Hütte, nun auch
den letzten, entscheidenden Schritt zu thun, ohne welchen
das, was sie bisher vollbracht, nur eine zwecklose That
gewesen wäre. Noch war ihr Herz zu sehr von wider-
streitenden Empfindungen bewegt, als daß sie das volle
Vertrauen in ihren Muth und ihre Standhaftigkeit hätte
zurückgewinnen können. Die schwersten Augenblicke
standen ihr ja noch bevor, und sie fürchtete, daß be:
dem Anblick des unglücklichen Kranken, dem sic ihr
 
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