604
Das Buch für All e.
Heft 25.
kein Landschafter wäre, das möchte ich malen.
Ist das noch nichts, so wird es bald etwas!
Eine zufällige Begegnung ist es gewiß nicht.
Sie haben für nichts ein Auge, als nur für
sich!"
Hellmer lächelte vergnügt vor sich hin und
trat in den Schatten eines mächtigen Flieder-
strauches, der die Ecke eines lebendigen Zau-
nes bildete, welcher einen kleinen Vorgarten
umschloß. Dort ließ er das selig plaudernde
Paar herankommen.
„Alle guten Geister . . .!" rief er ihnen
entgegen, aus dem Schatten auf die lichtere
Straße tretend.
Das Mädchen stieß einen lauten Schrei aus.
Heftig erschreckt ergriff sie den Arm ihres Be-
gleiters. Aber nur einen Augenblick dauerte
ihre Verwirrung. Schnell faßte sich Irma und
ließ den Arm Otto's fahren, während ihre zar-
ten Wangen eine dunkle Röthe überzog. Fast
ängstlich blickte sie zu dem Maler hinauf, als
wenn sie etwas Unrechtes begangen habe.
„Gott sei Dank, Hermann, daß Du wieder
hier bist," begann Otto. „Weißt Du es
schon —?"
„Zunächst bitte ich vielmals um Verzei¬
hung, Fräulein Irma, daß ich Sic so er-
schreckt habe. Aber die Herrschaften waren
auch so vertieft in ihre Unterhaltung, daß ich
mich endlich bemerkbar machen mußte. — Wie
geht es Anna und der Mutter, Otto? — Die
Nachricht von den» schrecklichen Ereignis;, dessen
Opfer mein Onkel war, erfuhr ich soeben auf
der Herfahrt im Omnibus, aber nichts Nähe¬
res. Man thut so geheimnißvoll. So erzähle
doch!"
Der Offizier besann sich einen Augenblick.
Er wußte nicht recht, wie er die Sache anfassen
sollte. In Jrma's Gegenwart konnte er doch unmög-
lich Alles besprechen. Die Verlegenheit des Mädchens
Aukco Merne. (S. 599)
! zeigte sich zu deutlich auf dessen Gesicht. Wie bittend ! Gerücht
! wandten sich Jrma's Augen zu ihm, er möge die schreck- I Onkels.
liehen Mittheilungen noch verschieben. Aber
er durfte den Schwager auch nicht unvorbe-
reitet zur Blutter und Schwester schicken.
Endlich sagte er, mit schwerem Herzen auf
das Alleinsein mit dein geliebten Mädchen ver-
zichtend i „Komm' mit mir, Hermann, wir
begleiten Fräulein Irma, die ich zu Hause bei
meiner Mutter und Anna antraf, nach ihrer
Wohnung. Dann gehe ich mit Dir zurück und
erzähle Dir Alles, was sich zugetragen hat. Jetzt
können wir nicht darüber sprechen. Du mußt
Dich noch ein Viertelstündchen gedulden, und
Anna auch!"
Die kleine Gesellschaft beschleunigte ihre
Schritte. Bald waren sie beim Deterinak'schen
Hause angelangt.
Mit innigem Blicke bot Otto der Ge-
liebten die Hand zum Abschiede. Wieder fühlte
er das leise Zittern, das ihn am Morgen so
beseligt hatte. Wieder verklärte sich sein Auge,
als er den leisen Druck ihrer zarten Finger
verspürte.
Da wurde die Hausthür geöffnet, das Mäd-
chen erschien in derselben und warf einen höchst
verwunderten Blick auf ihr Fräulein, als sie
wahrnahm, in wessen Begleitung dasselbe nach
Hause kam.
Irma dankte den Herren nochmals für das
Geleit, dann trennte man sich.
Jetzt ergriff Hellmer den Arm seines zu-
künftigen Schwagers. „Geh' etwas schneller,
Otto," sagte er, „es ist schon spät. Und er-
zähle endlich! Ich begreife nicht, was Dich
vorhin abhalten konnte, zu sprechen."
„Weil ich in Gegenwart Jrma's eine so
ernste Sache, die Dich viel näher angeht, als
Du denken magst, nicht besprechen durfte. Also
höre: böse Zungen haben das niederträchtige
ausgestreut — Du seiest der Mörder Deines
— So, jetzt weißt Du Alles!"
v U
W
Z)as Krupp'sche Etablissement
Hrst 25.
605
Das Buch für Alle.
Der Maler ließ den Arm des Offiziers
los. Er blickte ihm dicht in die Augen. Die
Frage, ob der Schwager bei Sinnen sei,
sprach deutlich aus seinem Gesichte.
„Ich! . . . Aber, Otto!"
„Sieh mich nur nicht so seltsam an — ich
bin völlig bei Verstände. In der ganzen
Stadt ist das Gerücht verbreitet. Man hat
Dich vorgestern Abend gesehen, wie Du in
größter Aufregung aus dem Hause Deines
Onkels gestürzt bist Unmittelbar nachher
hast Du" beim Handschuhmacher Eßncr eine
große Banknote wechseln lassen, dann bist
Du plötzlich abgereist. — Dann . . . was
weiß ich, was man noch Alles erzählt —
kurz und gut: die Sache ist so, wie ich
Dir sage. Die Mutter ist vor Aufregung
krank, Änna grämt sich, und ich danke Gott,
daß Du wieder da bist, damit wir der Ge-
schichte ein Ende machen können."
Der Offizier erzählte nun, wie man im
Kasino die erste Nachricht von der Blutthat
erhalten habe, gerade als die Parthie zwi-
schen Edelsberg und Mautner mit dem
großen Verluste des Letzteren ein Ende ge-
funden hatte. Er berichtete dem Schwager
Alles, was er wußte und verhehlte nicht,
daß das so bestimmt aufgetauchte Gerücht
selbst auf das Gericht einen gewissen Ein¬
druck gemacht habe.
Auch seines vergeblichen Besuches beim
Staatsanwalt erwähnte er.
„Es ist sogar möglich," setzte Otto schließ-
lich hinzu, „daß man Dich verhaften wird.
Irma, deren Freundschaft für Anna sich ge-
rade jetzt in wirklich rührender Weise zeigt,
hat es mir vorhin angedeutet."
„Aber das ist ja der reine Wahnsinn,"
erwiederte der Maler. „Wer wagt es, ernstlich so
etwas auszusprechen oder gar zu glauben! ... Ich —
„Die halbe Stadt glaubt sicher daran!"
„Und lassen sich nicht einige bestimmte
Namen nennen aus dieser halben Stadt?
Mau hätte dann leichteres Spiel und wüßte,
an wen man sich halten sollte."
„Das ist es ja eben. Jedermann hat
es gehört; fragt man, von wem, so heißt
es: nun, alle Welt erzählt es."
„Von wem hast denn Du es erfahren?"
Mkma -»arkaiM. (S. 606)
! ein Mörder! Man möchte lachen, wenn es nicht fo
I verwünscht ernst wäre!"
„Edelsberg hat mich aufmerksam gemacht.
Er meinte, Dein früherer Rivale Mautner
und dessen Freund Hechler trügen die Lügen
herum."
Hellmer wurde bleich vor Zorn. „Otto,"
sagte er, „wir wollen umkehren. Es muß
ein Exempel statuirt werden. Komm' mit
zum ,Hirsch', da treffen wir die infamen
Buben sicher. — Nein! Sprich nicht dagegen.
Willst Du nicht Zeuge sein, wie ich mir Ge-
nugtuung verschaffe, so laß mich allein
gehen."
„So höre doch! Es ist ja das nur eine
Ansicht von Edelsberg, die erst bewiesen sein
muß. Mit Gewalt wird nichts widerlegt."
Nur mit Mühe gelang es dem Offi-
zier, seinen Schwager zu beruhigen.
„Du mußt Dich jedenfalls morgen sofort
zur Verfügung des Gerichtes stellen," sagte
er zu Hermann. „Das wird jedenfalls viel
wirksamer sein, als eine Scene im Gast-
hause. Einer ausgiebigen Züchtigung sollen
die Schurken nicht entgehen, das verspreche
ich Dir. Aber zuvor müssen wir einen Be-
weis haben. Heute Nacht bleibst Du bei mir
in der Kaserne, damit wir Alles in Ruhe
besprechen können."
„Und was sagt Anna?"
„Nun, das arme Kind grämt sich und
jammert Deinetwegen. Sie möchte gern helfen und
ist rathlos darüber, was zu thun ist. Das Leben in
BNmig von Franz -Lohe. (S. 606)
Das Buch für All e.
Heft 25.
kein Landschafter wäre, das möchte ich malen.
Ist das noch nichts, so wird es bald etwas!
Eine zufällige Begegnung ist es gewiß nicht.
Sie haben für nichts ein Auge, als nur für
sich!"
Hellmer lächelte vergnügt vor sich hin und
trat in den Schatten eines mächtigen Flieder-
strauches, der die Ecke eines lebendigen Zau-
nes bildete, welcher einen kleinen Vorgarten
umschloß. Dort ließ er das selig plaudernde
Paar herankommen.
„Alle guten Geister . . .!" rief er ihnen
entgegen, aus dem Schatten auf die lichtere
Straße tretend.
Das Mädchen stieß einen lauten Schrei aus.
Heftig erschreckt ergriff sie den Arm ihres Be-
gleiters. Aber nur einen Augenblick dauerte
ihre Verwirrung. Schnell faßte sich Irma und
ließ den Arm Otto's fahren, während ihre zar-
ten Wangen eine dunkle Röthe überzog. Fast
ängstlich blickte sie zu dem Maler hinauf, als
wenn sie etwas Unrechtes begangen habe.
„Gott sei Dank, Hermann, daß Du wieder
hier bist," begann Otto. „Weißt Du es
schon —?"
„Zunächst bitte ich vielmals um Verzei¬
hung, Fräulein Irma, daß ich Sic so er-
schreckt habe. Aber die Herrschaften waren
auch so vertieft in ihre Unterhaltung, daß ich
mich endlich bemerkbar machen mußte. — Wie
geht es Anna und der Mutter, Otto? — Die
Nachricht von den» schrecklichen Ereignis;, dessen
Opfer mein Onkel war, erfuhr ich soeben auf
der Herfahrt im Omnibus, aber nichts Nähe¬
res. Man thut so geheimnißvoll. So erzähle
doch!"
Der Offizier besann sich einen Augenblick.
Er wußte nicht recht, wie er die Sache anfassen
sollte. In Jrma's Gegenwart konnte er doch unmög-
lich Alles besprechen. Die Verlegenheit des Mädchens
Aukco Merne. (S. 599)
! zeigte sich zu deutlich auf dessen Gesicht. Wie bittend ! Gerücht
! wandten sich Jrma's Augen zu ihm, er möge die schreck- I Onkels.
liehen Mittheilungen noch verschieben. Aber
er durfte den Schwager auch nicht unvorbe-
reitet zur Blutter und Schwester schicken.
Endlich sagte er, mit schwerem Herzen auf
das Alleinsein mit dein geliebten Mädchen ver-
zichtend i „Komm' mit mir, Hermann, wir
begleiten Fräulein Irma, die ich zu Hause bei
meiner Mutter und Anna antraf, nach ihrer
Wohnung. Dann gehe ich mit Dir zurück und
erzähle Dir Alles, was sich zugetragen hat. Jetzt
können wir nicht darüber sprechen. Du mußt
Dich noch ein Viertelstündchen gedulden, und
Anna auch!"
Die kleine Gesellschaft beschleunigte ihre
Schritte. Bald waren sie beim Deterinak'schen
Hause angelangt.
Mit innigem Blicke bot Otto der Ge-
liebten die Hand zum Abschiede. Wieder fühlte
er das leise Zittern, das ihn am Morgen so
beseligt hatte. Wieder verklärte sich sein Auge,
als er den leisen Druck ihrer zarten Finger
verspürte.
Da wurde die Hausthür geöffnet, das Mäd-
chen erschien in derselben und warf einen höchst
verwunderten Blick auf ihr Fräulein, als sie
wahrnahm, in wessen Begleitung dasselbe nach
Hause kam.
Irma dankte den Herren nochmals für das
Geleit, dann trennte man sich.
Jetzt ergriff Hellmer den Arm seines zu-
künftigen Schwagers. „Geh' etwas schneller,
Otto," sagte er, „es ist schon spät. Und er-
zähle endlich! Ich begreife nicht, was Dich
vorhin abhalten konnte, zu sprechen."
„Weil ich in Gegenwart Jrma's eine so
ernste Sache, die Dich viel näher angeht, als
Du denken magst, nicht besprechen durfte. Also
höre: böse Zungen haben das niederträchtige
ausgestreut — Du seiest der Mörder Deines
— So, jetzt weißt Du Alles!"
v U
W
Z)as Krupp'sche Etablissement
Hrst 25.
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Das Buch für Alle.
Der Maler ließ den Arm des Offiziers
los. Er blickte ihm dicht in die Augen. Die
Frage, ob der Schwager bei Sinnen sei,
sprach deutlich aus seinem Gesichte.
„Ich! . . . Aber, Otto!"
„Sieh mich nur nicht so seltsam an — ich
bin völlig bei Verstände. In der ganzen
Stadt ist das Gerücht verbreitet. Man hat
Dich vorgestern Abend gesehen, wie Du in
größter Aufregung aus dem Hause Deines
Onkels gestürzt bist Unmittelbar nachher
hast Du" beim Handschuhmacher Eßncr eine
große Banknote wechseln lassen, dann bist
Du plötzlich abgereist. — Dann . . . was
weiß ich, was man noch Alles erzählt —
kurz und gut: die Sache ist so, wie ich
Dir sage. Die Mutter ist vor Aufregung
krank, Änna grämt sich, und ich danke Gott,
daß Du wieder da bist, damit wir der Ge-
schichte ein Ende machen können."
Der Offizier erzählte nun, wie man im
Kasino die erste Nachricht von der Blutthat
erhalten habe, gerade als die Parthie zwi-
schen Edelsberg und Mautner mit dem
großen Verluste des Letzteren ein Ende ge-
funden hatte. Er berichtete dem Schwager
Alles, was er wußte und verhehlte nicht,
daß das so bestimmt aufgetauchte Gerücht
selbst auf das Gericht einen gewissen Ein¬
druck gemacht habe.
Auch seines vergeblichen Besuches beim
Staatsanwalt erwähnte er.
„Es ist sogar möglich," setzte Otto schließ-
lich hinzu, „daß man Dich verhaften wird.
Irma, deren Freundschaft für Anna sich ge-
rade jetzt in wirklich rührender Weise zeigt,
hat es mir vorhin angedeutet."
„Aber das ist ja der reine Wahnsinn,"
erwiederte der Maler. „Wer wagt es, ernstlich so
etwas auszusprechen oder gar zu glauben! ... Ich —
„Die halbe Stadt glaubt sicher daran!"
„Und lassen sich nicht einige bestimmte
Namen nennen aus dieser halben Stadt?
Mau hätte dann leichteres Spiel und wüßte,
an wen man sich halten sollte."
„Das ist es ja eben. Jedermann hat
es gehört; fragt man, von wem, so heißt
es: nun, alle Welt erzählt es."
„Von wem hast denn Du es erfahren?"
Mkma -»arkaiM. (S. 606)
! ein Mörder! Man möchte lachen, wenn es nicht fo
I verwünscht ernst wäre!"
„Edelsberg hat mich aufmerksam gemacht.
Er meinte, Dein früherer Rivale Mautner
und dessen Freund Hechler trügen die Lügen
herum."
Hellmer wurde bleich vor Zorn. „Otto,"
sagte er, „wir wollen umkehren. Es muß
ein Exempel statuirt werden. Komm' mit
zum ,Hirsch', da treffen wir die infamen
Buben sicher. — Nein! Sprich nicht dagegen.
Willst Du nicht Zeuge sein, wie ich mir Ge-
nugtuung verschaffe, so laß mich allein
gehen."
„So höre doch! Es ist ja das nur eine
Ansicht von Edelsberg, die erst bewiesen sein
muß. Mit Gewalt wird nichts widerlegt."
Nur mit Mühe gelang es dem Offi-
zier, seinen Schwager zu beruhigen.
„Du mußt Dich jedenfalls morgen sofort
zur Verfügung des Gerichtes stellen," sagte
er zu Hermann. „Das wird jedenfalls viel
wirksamer sein, als eine Scene im Gast-
hause. Einer ausgiebigen Züchtigung sollen
die Schurken nicht entgehen, das verspreche
ich Dir. Aber zuvor müssen wir einen Be-
weis haben. Heute Nacht bleibst Du bei mir
in der Kaserne, damit wir Alles in Ruhe
besprechen können."
„Und was sagt Anna?"
„Nun, das arme Kind grämt sich und
jammert Deinetwegen. Sie möchte gern helfen und
ist rathlos darüber, was zu thun ist. Das Leben in
BNmig von Franz -Lohe. (S. 606)