Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
o

2

— MCle

heſt 1,

neugierig von oben bis unten betrachtet hatte, lebhaft
auf ihn zuſchritt und lachend rief: Schluck! Zum
Teufei, Schluck, biſt Du es oder biſt Du es nicht?“

Der ſo Angeredete drehte ſich haſtig um, und als
er dem Beamten genauer in's Geſicht geſehen, lachte
auch er, luſtig und übermüthig, als ob eine längſt ver-
gangene, goldene Zeit wieder vor ihm aufgetaucht wäre.

„Der Sonntag! Wahrhaftig, es iſt Erich Sonntag!
Wie kommſt denn Du hierher?“ rief er launig und
momentan Noth und Kummer vergeſſend, „was machſt
Du mit der rothen Mütze auf dem Kopfe hier in Burg-
ſaßhauſen? Ich dachte Dich nicht anders, denn als
woͤhlbeſtallten Gymnaͤſtallehrer odex ſonſt was wieder-
zufehen, der den Schuljungen im Schweiße ſeines An-
zeſichts die Feinheiten der lateiniſchen Grammatik bei-
brinzt! Und nun haſt Du die alten Schmöker in die
Ecke geworfen und zux rothen Dienſtmütze gegriffen?
Was foll das heißen Schlauch? Du biſt am Ende gar
nicht der Schlauch mehr, mit dem ich in Leipzig auf
dem Fechtboden ſtand?“


Dir geworden? Wie ſiehſt Du aus?“

„Das nachher, Erich,“ erwiederte der Andere etwas
ernſter, „zuerſt Du. Wie kommſt Du hierher?“

„Na, das iſt ziemlich einfach.
durch's Eramen geraſſelt; das hielt mein Alter nicht
aus. Da blieb mir denn nichts Anderes übrig, als
— als die rothe Dienſtmütze.“

„Aha, alſo geraſſelt! Die Profeſſoren waren ver-
muthlich anderer Meinung wie Du??

Mit konſtanter Bosheit. Sie fragten mich ſtets
nach den kollſten Sachen, als ob es ihnen Vergnügen
Zeniacht hätte, keine Antwort zu erhalten. Ich hätte
im erſten Zorn Einen nach dem Anderen auf krumme
Saͤbel fordern mögen. Eine anſtändige Abfuhr wäre
ihnen ſicher geweſen. Aber es hätte auch das mir nicht
dürch's Examen geholfen. Da nahm ich alſo kurzex
Hand die Dienſtmüße. — Aber nun Du? Wie kommſt
Du, der Du doch der hellſte Kopf im ganzen Semeſter
warſt, ſo in's Auweh? Wie ſiehſt Du aus? Wahr-


Fürſorge des Gendarmen zu empfehlen. Wo fehlt's?
Erzähle.“ *

Der junge Mann wurde etwas verlegen, ſah ſich

ſuchend um, bis ſein Blick auf eine Weinlaube fiel.

Haſt Du nichts zu trinken, Erich?“ fragte er ab-
lenkend.„Ich habe einen ſchändlichen Durſt. Du
machſt Dix keine Idee von meinem Durſt. Zwei Tage
und zwei Nächte bin ich unterwegs ohne einen Schluck
— ohne einen Happen —“

Steht es ſo, Max?“ fragte der Andere erſchrocken.
„Ebbe? Tiefe Ebbe? Warum ſagſt Du das nicht gleich?
Waͤrte einen Augenblick. Ich muͤß den Zug ſignaliſixen.
Ich komme ſofort zurück. Setze Dich einen Augenblick
dort in die Laube. Ich komme gleich wieder.“

Damit ging Erich Sonntag in das Bahnhofsgebäude,
und der Andere, Max Hendrich, Kandidat der Medizin,
nach der Laube, um ſich von ſeinen Amerikafahrten
auszuruhen. Nachdenklich ſtuͤtzte er den Kopf in die
Hand und ließ das Auge über die anmuthige, fried-
liche Sommerlandſchaft, die ſich vor ihm ausbreitete,
ſchweifen. Rings um das kleine Dorf zogen ſich wogende
Getreidefelder, ſattgrüne Wieſen, da und dort, an den
Hügeln hinauf, rauſchten hochwipflige Buchen- und
Eichenwälder, Alles in der ruhigen Pracht eines heiteren,
ſonnigen Juliabends. Man war der Ernte nahe.
Nächſte Woche pielleicht ſchon begann der Roggenſchnitt.
Die Felder färbten ſich ſchon gelb und glänzten reifend
in der Sonne. Mutter Natur brachte in gewohnter
Fülle und mit pünktlicher Sicherheit den Preis eines
fauren, arbeits- und mühevollen Jahres. Alles athmete
Ruhe und Zufriedenheit, einfachen Wohlſtand und ge-
ſundes Gedeihen.

Der junge Mann ſeufzte. Wo war ſeine Ernte?
Seine Arbeit? Seine Ruhe? Sein Wohlſtand? Wes-
halb war er ausgeſtoßen, verlaſſen, einſam? Er war
leichtſinnig geweſen, hatte, ſtatt ſich um eine ſichere
Exiſtenz zu bemühen, in fröhlichex Jugend unter fröh-
lichen Genoſſen ſein bischen Geld verzettelt. Von
ſeinen Hoffnüngen auf die Neue Welt betrogen, war
er geworden, was er nun war — ein Habenichts, ein
arniſeliger, heimathloſer Schelm, der nicht wußte, wo
er fein Haupt hinlegen konnte. Mit hochgehenden
Hoffnungen, mit vollem Hexzen war er hinausgeſtürmt
in die Welt, haͤtte von großen Reichthümern geträumt,
die er zuſammenraffen wollte, um dann nach Burgſaß-
hauſen zurückzukehren. Dort wollte er vor ſeinen
Onkel, den Gutsbeſitzer Weinhold, hintreten als ge-
machter Mann, um ihm zu beweiſen, daß das Geld,
das er ihm zum Studium vorgeſtreckt, nicht verloren,
daß er ein ganzer Mann und ſeiner Baſe, der hübſchen
Leonore, würdig ſei. Er wollte beweiſen, aller Welt
zum Trotz, die ihn als unverbeſſerlichen Leichtfuß und
Schuldenmacher verſchrien, daß ſeine arme Mutter,
die treu an ihn geglaubt, Recht gehabt, wollte alles
Erworbene der Geliebten in den Schoß werfen — für
einen Kuß, einen Blick, ein Lächeln! — Und nun —



nun ſahen die Zehen durch ſeine Stiefeln, durch ſeinen
Rock ſchien die Sonne, und er war glücklich, einen alten
Korpsbruder zu finden, der ihm — zu eſſen gab.

„Da, Mar, iß!“ hörte er plötzlich den Beamten
hinter ſich ſagen, „und denke vorläufig an nichts Anderes.
Nachher erzaͤhle, wie's war, drüben bei den ankees,
Aber nur Muth. Einmal
verſpielt, iſt noch nicht verloren.“

Der junge Mann griff haſtig zu und begann mit
großem Äppetit zu eſſen. Es war ein frugales Mahl.
Etwas roher Schinken und Butterbrod und eine Flaſche
Bier, aber es mundete ihm vortrefflich.

„Was iſt da zu erzählen, Erich,“ meinte er etwas

zögernd. „Die Welt iſt eben anders, als ich ſie mir
dachte. Erzähle Du lieber. Wie ſteht's in Burgſaß-
hauſen? Was macht meine Mutter? Sie lebt doch.
noch?“

„Gewiß, Max, Deine Mutter iſt wohlauf. Ich
habe ſie noch am letzten Sonntag in die Kirche gehen
ſehen.“

Sie wohnt noch auf dem Gut, bei ihrer Schweſter?“

„Nein, das nicht, Max —“

„Was? Man hat ſie fortgeſchickt, die alte Frau?


Herrn Onkel Weinhold nicht reich genug, nicht ſtandes-
gemäß war, weil ſie ihm im Wege —“

„Wie Du Dich erhitzeſt, Max! Höre doch zu. Nichts
von alledem iſt wahr —“

Und ich elender Landſtreicher muß in der Welt
herumlaufen, kann nicht einmal für mich, um wieviel
weniger für eine alte Mutter ſorgen. — Ha!“

Wüthend ſtieß er mit dem Meſſer auf den Tiſch,
daß dieſer wackelte; ſein Geſicht verzog ſich, ſeine Hände
ballten ſich krampfhaft, und im raſch ausbrechenden tiefen
Weh ſchluchzte er laut auf.

Höre doch zu, Max. Dein Onkel bekam im Früh-
jahr Beſuch und brauchte die Räume, die bis dahin
Deine Mutter inne hatte. Ich weiß nicht, ob Deine
Mutter ſelbſt ihm angeboten hat, auszuziehen, oder ob
es ihr der Schwager vorgeſchlagen, genug ſie wohnt ſeit
etwa einem Vierteljahr im Forſthaufe, wo ſie den ganzen
erſten Stock zur Verfügung hat.“

„Ei ja doch, wie guͤtig,“ ſpottete der Andere, „zwei
Stuben, jede kaum ſo lang wie ich.“

„Laß doch das gut ſein und trinke erſt einmal. Ich


ihrer Wohnung.“

„Nun ja doch, freilich. Muß ſie nicht? Mit was
iſt man wohl nicht zufrieden, wenn man muß! Was
iſt denn das für ein hoher Beſuch, dem meine Mutter
Platz machen mußte?“

„Du mußt ihn von der Univerſität her kennen, den
Doktor Juſtus Dahlitz?“

Ten Sohn des Sanitätsraths Dahlitz?“

*

„Was will denn der in Burgſaßhauſen?“

„Wer weiß? Angeblich iſt er hier in der Sommer-
friſche, um ſich zu erholen. Er arbeitet ſehr viel —
und das glaube ich auch, denn er war immer ein
mächtiger Streber vor dem Herrn, ſieht ſehr blaß aus
und — und bereitet ſich eben auf die Univexſitätskarriere
* —“ fügte Sonntaͤg mit eigenthümlicher Betonung
hinzu.
Der Andere ſah ihn fragend an. „Was willſt Du
damit ſagen?“

„Je nun, Du weißt doch, er iſt Philoſoph von Fach.“

„Ja doch. Und was weiter?“

„Und Du weißt auch, daß eine ſolche Univerſitäts-
karriere wenig einträglich iſt, und viel Geld dazu
gehört.“

„Nun?“

„Die Sache iſt doch einfach. Doktor Dahlitz ſucht
ſeine Univerſitätskarriere durch eine reiche Heirath vor-
zubereiten und hat dazu das niedliche Töchterchen Deines
Onkels Weinhold auserſehen.“

„Leonore?“ fuhr Mar erſchrocken auf.

Der Andere ſah ihn erſtaunt an. An den ängſt-


und der bis in die Lippen hinein bleicher gewordenen
Geſichtsfarbe ſah er die Wirkung ſeiner unbedachten
Aeußerung, die er nun gerne wieder ungeſchehen ge-
macht hätte, um ſeinem ohnehin ſchwer geprüften Studien-
8* den neuen Schinerz zu erſparen. Aber es war
zu ſpät.

„Sag' doch, Erich, handelt es ſich um Leonore?“
fuhr ihn Max wieder an, als er nicht gleich ant-
wortete.

„Ja doch. Dein Onkel hat ja nur die eine Tochter.
Aber es iſt wirklich nur eine Vermuthung von mir,
Max, und wenn Du, wie ich ſehe, in beſonderer Be-
ziehung zu Deiner hübſchen Baſe ſtehſt, ſo brauchſt Du
eben keinerlei Befürchtungen zu hegen.
nichts geſchehen, was darauf hindeuten könnte, daß
Doktor Dahlitz an Terrain bei Deiner Baſe gewonnen
44 Ich habe ſie wohl einige Male zuſammen ge-


„Zuſammen gefehen!“ warf der Andere mit athem-
loſer Spannung dazwiſchen.



„Na, warum denn nicht? Sie wohnen in einem
Hauſe, verkehren täglich miteinander, und ſo kommt es
wohl vor, daß ſie auch einmal einen Spaziergang mit-
einaͤnder machen. Aber ſo viel ich beobachten konnte,
bewahrte die junge Dame dabei eine unverkennbare
Zurückhaltung, und wenn ich vorhin meinte, daß Dahlitz
ſich Rechnung auf ſie mache, ſo geſchah das mur in
Hinſicht auf die Bemühungen des ſpekulativen Philo-
74 nicht wegen etwaiger Errungenſchaften ſeiner-
eits.?

Mar ſprang raſch auf und wandte das Geſicht ab.
Er ſah hinunter nach dem Waldſtreifen, der ſich an
beiden Ufern des kleinen Fluſſes hinzog. Sein Ge-
ſichtsausdruck war ſchmerzlich, bitter, zornig, und nach
einer kleinen Pauſe ſagte er mit ſchneidender Ironie:
„Natürlich! Du willſt mir aus alter Freundſchaft
Hoffnung machen. Welcher Unſinn! Die Wahl zwiſchen
einem heruntergekommenen, abgelumpten Strolch wie
ich und einem Mann in geſicherter Stellung, dem eine
hochgeachtete und angeſehene Laufbahn bevorſteht, wird
Leonoren keine großen Kopfſchmerzen machen.“

Sonntag ſah ihn ruhig prüfend an. „Wie das
Elend und der Kummer doch herunterbringt!“ dachte
er bei ſich. Aus dem friſchen, mit ſprudelndem Witz
und hoffnungsfreudigem Uebermuth ausgeſtatteten Korps-
burſchen von damals war ein verzweifelnder, an ſich
und der Welt irre gewordener Menſch geworden, der
mit ſtarren und verſtörten Augen in eine troſtloſe Zu-


„Was ſiehſt Du denn ſo ſtarr auf die Bäume dort,
Max?“ fragte er beſorgt.

Sind es nicht hübſche Bäume?“ fragte dieſer noch
immer mit giftiger Ironie zurück, „ſind ſie nicht ganz
zweckdienlich?“ ;

„Zweckdienlich? Zu welchem Zweck?“

„Hm! Ich möchte wiſſen, welcher von ihnen ſich
am beſten eignet, mir den letzten Liebesdienſt zu er-
weiſen.“ ; '

Eine Pauſe trat ein. Endlich nahm der Beamte
den jungen Mann am Arm, drückte ihn auf den Stuhl
nieder und ſchob ihm das Bierglas hin.

„Trink, Max, damit Du auf andere Gedanken


drückſt, iſt eine Verſündigung an Dir ſelbſt und eine
Feigheit. Ein Menſch, der mit fünfundzwanzig Jahren,
nach zehn Semeſtern, ein Staatsexamen abgelegt hat,
um das ihn taufend Berufsgenoſſen beneideten — darf
der ſich ſelbſt aufgeben, wenn einmal ein oder zwei
Jahre ſich als unglücklich erweiſen? Wer wird die
Flinte ſo raſch in's Korn werfen? Muth, Mar! Es
fehlte Dir doch ſonſt nicht daran.“

„Du haſt gut Weisheit predigen. Ich erzählte Dir
noch nicht von Leonore, von meiner Baſe. Es —“

Er brach ab. Eine tiefe Röthe überzog ſein Geſicht.

„Nun?“ fragte Sonntag nach einer Pauſe, „nur
friſch heraus. Wir ſind unter uns. Du weißt doch,
daß ein Arzt die Wunde kennen muß, die er kuriren
ſoll. Vorwärts!“

„Es iſt vielleicht beſſer, wenn ich Dir nicht davon
ſpreche, was mir Leonore war und iſt, und was ich
ihr — damals — war. Das ſitzt tief, Erich, und wer
das nicht mitfühlt, dem braucht man die Geſchichte
nicht zu erzählen. Es nützt nichts, er verſteht es doch
nicht. Nur fo viel, daß — nein, Nichts! Dort ſchau'
hin. Siehſt Du den Apfelbaum im Garten meines
Onkels, der der Mauer links zunächſt ſteht? Oben
ragt noch ein Staarkaſten aus den Zweigen, den ich
vor vier oder fünf Jahren ſelbſt gezimmert und be-
feſtigt habe. Siehſt Du ihn?“

Nun ja. Was ſoll's mit dem Baum? Ich ſehe
Was iſt damit?“

„Dort nahmen wir vor zwei Jahren Abſchied,

Onkel Weinhold duͤrfte natürlich

nichts davon wiſſen. Ich glaube, er hätte mich ſchon

damals aus dem Hauſe gejagt. Du kennſt ihn ja.

Um wieviel mehr jetzt, wo ich —“

„Weiter. Nır weiter. Was ſtockſt Du ſchon wieder?“

„Hm. Du mußt wiſſen — mein Sündenregiſter iſt
etwas umfänglich, und es iſt nicht meine Schud wenn
meine Beichte etwas verworren ausfällt Du mußt
nämlich wiſſen, daß mir Onkel Weinhold ſechs Wochen
vorher dreihundert Thaler gepumpt hatte, Zamit ich
davon mein Doktorexamen machen könne. Der Edle!
Er hat keinen ſeiner ſchönen Thaler wiedergeſehen.!

„Aha. Ich verſtehe. Du machteſt Deinen Doktor
nicht und haſt das Geld perwichst?“

„Ja, ſo iſt's. Ich habe die dreihundert Thaler
verwichst und meinen Doͤktor nicht gemacht, aber es
ging beim beſten Willen nicht anders, Als das Geld
in Leipzig eintraf, hatte ich einige kleinere Schulden
da und dort; ſobald die Manichäer aber den Brief-
träger bei mir ſahen, ſetzten ſie ſich plötzlich in den
Koßf, daß ich dieſe Schulden bezahlen müſſe, und
wichen mir nicht mehr von der Seite. Ich bezaͤhlte
alfo den Schwindel. Dann kam noch ein Kommilitone,
der mich anpumpte — es kommt eben kein Unglück
allein — weil man ihm ſeine Bibliothek abgepfändet
hatte, kurz, ehe ich noch dazu gekommen war, mich an

ihn.
 
Annotationen