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30

Das BudH {ür AlLe

Heft 2.

bis zu den Füßen. Er kam ihm unſäglich fad, lang-
weilig, geſchraubt, zierbengelhaft vor.

„Darf ich die Herren miteinander bekannt machen?“
ſagte Fräulein Leonore mit ſicherem Taft. „Herr Doktor
Daͤhlitz — mein Vetter Mar Hendrich, Kandidat der
Medizin.“

„Sehr angenehm, ſehr angenehm,“ erwiederte Doktor
Dahlitz mit einer tadelloſen Verbeugung, wobei er es
aber doch nicht unterlaſſen konnte, den „ewigen Kandi-
daten“, von dem er ſchon gehört hatte, kritiſch zu be-
trachten. So flüchtig das auch geſchah, ſo konnte ihm
dabei doch nicht entgehen, daß die Erſcheinung und be-
ſonders die in unzulaͤnglicher Weiſe zuſammengeſtoppelte
Kleidung des Mediziners nicht den geſellſchaftlichen An-
forderungen entſpraͤch. Henoͤrich wieder war das Zu-
ſammentreffen durchaus nicht angenehm, und trotzden
das Gegentheil zu verſichern, wax er zu ehrlich. So
ſchwieg er, und es entſtänd eine höchſt peinliche Stille.

„Mein Vetter iſt geſtern erſt wieder in Burgſaß-
hauſen angekommen,! ſagte Leonore endlich wieder,


zu machen, „und wünſcht vorerſt nicht, mit meinem
Vater zuſammenzutreffen. Nicht, Max?“

„Ich habe dazu allerdings keine Urſache,“ erwiederte
dieſer kurz.

„Sie werden alſo auch ohne weitere Auseinander-
ſetzungen begreifen, Herr Doktor —“ Leonore ſtockte.

„Kein Wort, mein gnädiges Fräulein,“ kam ihr
Doktor Dahlitz raſch zu Hilfe. „Sie dürfen ſich voll-
ſtändig auf meine Diskretion verlaſſen.

„So iſt das nicht gemeint,“ fuhr Max dazwiſchen.
Es iſt keine Urſache vorhanden, von Ihrer Diskretion
Gebrauch zu machen.“

„Max —

Es wäre ja möglich, Herr Kandidat, nahm Dahlitz
mit kühler Gemeſſenheit das Wort, „daß Fraͤulein Leo-
nore Veranlaſſung hat, davon Gebrauch zu machen,
ſelbſt wenn das bei Ihnen, Herr Kandidat, nicht der
Fall wäre.“

„Was ſoll das heißen?“ fuhr Hendrich provozi-
rend auf.

Dahlitz zuckte ſtumm die Achſeln.

„Um Gottes willen, Max!“ bat Leonore.

„Soll das heißen, daß ſich meine Baſe zu ſchämen
hätte, wenn ſie mit mir zuſammentrifft?“ fragte Max
wieder hitzig.

Dahlitz maß ihn mit den Augen.. Er hatte offen-
bar nicht die Abſicht, einer Provokation auszuweichen.

„Vielleicht,“ fagte er kurz, aber ſehr ernſt.

Weiter bedurftẽ es für den alten Korpsſtudenten
nichts. „Gut,“ erwiederte er, „wir ſprechen uns weiter!“

Dann zu ſeiner Baſe gewendet, fuhr er fort: „Adieu,
Leonore, Du wirſt in ganz kurzer Zeit weiter von mir
hören.“ *

Damit ging er fort, durch den Garten direkt nach
den Gutsgebäuden, um durch dieſe die Straße zu ge-
winnen. Er fühlte ſich tödtlich beleidigt, und in ſeinem
ſtolzen Zorn wollte er ſeinem Gegner natürlich nicht
das Schaͤuſpiel eines Rückzuges über die Mauer geben.
Er lief Gefahr, auf dieſe Weiſe ſeinem Onkel in die
Hände zu laufen, und das hatte, wie nun einmal die
Sachen ſtanden, für ihn nichts Verlockendes. Das
konnte nur zu höchſt unangenehmen, ihn demüthigenden


wohl kommen mußten, aber doch immer zeitig genug

kamen. In der That hörte er auch, als er eben hinter

einer Scheune vorbeiging, um den Gutshof zu über-

ſchreiten, die Stimme ſeines Onkels, der ziemlich derb

* in den nachdrücklichſten Worten mit den Knechten
alt.

Aber als er gleich darauf krotzdem den Hof betrat,
zeigte es ſich, daß ihm Weinhold den Rücken zuwandte
und eben im Begriff war, in den Pferdeſtall zu treten.
Unwillkürlich und trotz ſeines beleidigten Stolzes zögerte
Mar doch einige Sekunden hinter der Mauer, und erſt
als ſein Onkel im Pferdeſtall verſchwunden war, ging
er raſch über den Hof nach der Straße.

viertes Kapifkel,

Der Juli des Jahres 1870 war für Deutſchland
ein Monat unſäglicher Beklemmungen. Die Kriegs-
drohungen, die aus Anlaß der von dem Erbprinzen von
Hohenzollern angenommenen ſpaniſchen Thronkandidatur
von der Seine her laut wurden, riefen allgemeine Er-
regung hervor, und mit geſpannter Erwartung blickte man
um die Mitte jenes Monats nach Ems, wo ſich der
greiſe König Wilhelm zur Kux aufhielt. Eine athem-
loſe Spannung hatte ſich mehr und mehr des ganzen
Volkes bemächtigt, und jeden Morgen fragte man ſich
mit immer wachſender Erregung: Was gibt's Neues?
Gibt es Krieg oder nicht? Eine ſchwüle Unſicherheit
herrſchte oben wie unten im Suͤden und Norden. Wohl
Riemand wünſchte den Krieg, Viele aber fürchteten ihn,
den furchtbaren länderverwüſtenden Mord. Weit ent-
fernt von aller ſtolz⸗prahleriſchen Neberhebung und Ueber-
ſchätzung dereigenen Kräfte, ja ohne genügendes Bewußtſein

der eigenen Stärke, wünſchten Viele den Zuſammenſtoß
zu vermeiden.

Am 12. Juli, einem Dienstage, erhielt Gutsbeſitzer
Weinhold als Landwehroffizier am Morgen eine ver-
trauliche Benachrichtigung Seitens ſeines Oberſten, daß
er ſeine Angelegenheiten ſo einzurichten habe, um jeden
Augenblick beim Regiment einrücken zu können. Das war
das erſte ſichere Zeichen, daß die Lage ſehr ernſt ſei. Cr
ſagte Niemand etwas von dieſem Schreiben, um Nie-
mand unnöthig zu beunruhigen, traf aber mit feſter Um-
ſicht ſeine Anordnungen. Das war nicht leicht, weil man
mitten in der Ernte ſtand, ſeine Frau noch immer krank
war, und auch ſein älteſter Sohn von der Mobilmachungs-
ordre betroffen werden würde, ebenſo wie ein großer
Theil ſeiner Arbeiter. Es mußte aber Alles gehen. Sein
zweiter Sohn Wilhelm, der allerdings noch nicht ein-
mal achtzehn Jahr war, wurde mit der Leitung der
Wirthſchaft betraut, alle Frauen, die zu Erntearbeiten
befähigt, herangezogen, und Alles geordnet, was vor
einer längeren Abweſenheit geordnet werden muß.

Am Sonntag vorher haͤtten ſich die Leute in der
Schänke geprügelt. Das war nichts Neues. Herx Wein-
hold, der außer ſeinen ſächſiſchen Arbeitern auch einige
Preußen bei ſich beſchäftigte, mar eigentlich an ſolche Vor-
kommniſſe gewöhnt, und wenn er auch die unheilvolle,
zu Händeln Anlaß gebende Stammesfeindſchaft beklagte,
ſo konnte er doch nicht verhindern, daß ſich die Leute hin
und wieder einmal untereinander durchbläuten. Wein-
hold, der gleichzeitig Friedensrichter von Burgſaßhauſen
war, ließ ſich die Hauptſchuldigen vorführen. Es waren
dies der bauͤmſtarke Heinrich, zwei Söhne des alten
Häſſel, eines Auszüglers, und noch drei andere junge


nung und wohl auch von dem etwas reichlichen Genuß
des Sonntagsſchoppens erhitzt, in die Haare gefahren
waren. Mit ungewöhnlichem Ernſt ermahnte Weinhold
die Leute und gab ihnen eindringlich zu bedenken, daß
ſie in einer Zeit wie der jetzigen, und ganz beſonders
als alte Soldaten, als Glieder eines Körpers, zur Ruhe
und Ordnung verpflichtet ſeien. Die Leute begriffen
ſehr wohl, was er ſagen wollte, aber — würde es
helfen? Würden dadurch die ewigen Zwiſtigkeiten
ſchwinden?

Er kam gerade von dieſer Scene und wollte zu
Pferde ſteigen, um auf die Felder hinaus zu reiten,
als ihm der Poſtbote einige Briefe brachte. Haſtig riß
er ſie auf, nur um nachzuſehen, ob etwas Beſonderes,
etwas Eiliges darunter wäre. Es ſchien nicht ſo. Rech-
nungen, Mittheilungen, Cirkulare fielen ihm in die
Hände, und er wollte ſchon die ganze Poſt in die Taſche
ſtecken, um ſie ſpäter bei beſſerer Muße zu erledigen,
als ſein Blick erſtaunt auf ein kleines Schreiben fiel,
von dem er den Umſchlag, ohne genau hinzuſehen, ab-
geriſſen hatte.


„Altes Haus!

Es ſcheint, daß Du dem Kandidaten Hendrich energiſch
auf die Beine getreten haſt. Er hat bei unſerem Korps
Waffen belegt und mich beauftragt, Dir eine Forderung
auf krumme Säbel ohne Bandagen bis zur Abfuhr zu
überreichen, was ich hiermit thue. Das Rencontre ſoll
möglichſt bald ſtattfinden. Bitte, ernenne Deinen Se-
kundanten, damit ich mit dieſem alles Weitere abmachen

kann. Gruß!
—— —

Verblüfft ſowohl über Art und Styl des Schreibens,
wie auch über ſeinen Inhalt, hob er den Umſchlag, der
zu Boden gefallen war, wieder auf und beſah ihn
genauer. Erſt jetzt entdeckte er, daß das Schreiben
gar nicht an ihn adreſſirt war, ſondern an den Doktor
Zuſtus Dahlitz, Rittergut Burgſaßhauſen. Sinnend
blieb Weinhold einen Augenblick ſtehen. War denn
alle Welt außer Rand und Band? Hatte man denn
in dieſer Zeit aller Orten nichts Anderes zu thun,
als ſich gegenſeitig zu Leibe zu gehen? Hier mit Knüp-
peln und Stuhlbeinen, dort mit krummen Säbeln?
Konnte man nicht morgen ſchon berufen ſein, um
gemeinſchaftlich den Anſturm des gefürchteten und mäch-
tigen Erbfeindes des Vaterlandes zu bekämpfen? Wie
konnte das wirkſam geſchehen, wenn ſich die jungen Leute
aller Geſellſchaftsklaſſen unter ſich bis auf's Blut ver-
feindeten? *

„Führe das Pferd wieder in den Stall!“ befahl


Hof hinaus die Straße entlang, dem Forſthauſe zu.

Frau Doktor Hendrich, die am Fenſter ſaß ſah ihn
kommen und mochte nichts Gutes ahnen. Sie ſtand
raſch auf und ging ihrem Schwager entgegen, dem ſie
noch vor der Hausthuͤr begegnete.

„Wo iſt Max?“ fragte Weinhold nach kurzer Be-
arüßung. © 7

„Oben. Was iſt? Willſt Du mit ihm ſprechen,
Moritz?“

„Ja. Ich muß mit ihm ſprechen, ob ich will oder
nicht. Ich will hinaufgehen zu ihm.“

„Hm! — Moritz —“ begann die alte Frau etwas
zögernd.

„Was gibt's denn?“

„Ich weiß ja, daß Max Dir noch Geld ſchuldig iſt.
Der arme Junge iſt jetzt ſo verſtört und ſo unglücklich,
nicht wahr, Du wirft ihn jetzt nicht allzu hart behandeln,
Moritz?“

„Es handelt ſich nicht darum. Es fällt mir gar
nicht ein, wegen der paar Thaler jetzt Deinen und ſeinen
Kummer zu vergrößern —“

„Du ſollſt nichts einbüßen, Moritz, an uns nicht.
Das Geld wird bei Heller und Pfennig zurückbezahlt.
Nur zanke jetzt nicht mit ihm. Du glaubſt nicht, wie
verzweifelt, wie elend und hoffnungslos es gerade jetzt
mit Mar ſteht. Er hat jetzt ſo viel Unglück auf den
Schultern. Vergrößere nicht auch noch ſeine Laſt —

„Und bei all' dem Unglück und Elend hat er noch
ſo viel Zeit, daß er wieder tolle Streiche und Anderen
Kummer machen kann —“

„Moritz!“ bat die alte Frau, der die Thränen in
die Augen traten.

„So laß mich doch, Amalie. Es handelt ſich dies-
mal wirklich um ganz andere Geſchichten. Ich werde
ihn gewiß nicht in Verzweiflung bringen. Im Gegen-
theil, ich will ihm den Kopf zurechtrücken, damit er klar
ſieht, was er zu thun hat.“

Er ging an ihr vorbei, die Treppe hinauf. Oben
auf einem kleinen Vorſaal ſtand Max, der aus ſeinem
Zimmer herausgetreten war, wohl weil er die Stimmen
von unten herauf gehört hatte.

„Onkel —“ fagte er erſtaunt, aber auch verlegen.
Man ſah ihm an, daß es ihm ſchwer wurde, nach-all’
den Dummheiten der Vergangenheit ſeinem Onkel und
Wohlthäter gegenüber den rechten Ton zu finden. Dazu
kam eine gewiſſe Ueberraſchung und Neugier, ı Was
konnte ſein Onkel von ihm wünſchen?

„Max, ich habe mit Dir zu reden. Komm hier
herein,“ redete ihn ſein Onkel an. Mit den etwas ge-


ihm in das Zimmer. Er machte ſich auf eine ganz
gehörige „Pauͤke“ gefaßt.

„Zunächſt, Mar,“ fuhr Weinhold, zur ſprachloſen
Ueberraſchung ſeines Neffen, in einem ſehr milden, faſt
vertraulichen Ton fort, „muß ich Dir eine Mittheilung
machen, von der ich unbedingt verlangen muß, daß ſie
wenigſtens vorläufig unter uns bleibt. Du haſt Ehr-
gefühl, Max! Darf ich mich auf Dich verlaſſen?“

Mar ſchloß die Thür hinter ſich. „Du haſt nur zu
beſtimmen, Onkel. Ich werde Deiner Weiſung auf das
Gewiſſenhafteſte nachkommen,“ antwortete er ernſt.

Herr Weinhold nahm aus ſeiner Bruſttaſche einen
Brief und reichte ihn ſeinem Neffen.

„Da iſt eine Mittheilung, die ich heute Morgen von
meinem Oberſten erhalten. Lies! Du wirſt daraus er-
ſehen, in wie ernſter Lage wir uns Alle befinden, und
wirſt begreifen, daß es mit allen Dummheiten und


die Zeit, wo Jeder zeigen muß, daß er ein Mann iſt.“

Mar las das Schreiben aufmerkſam durch. Sein
Geſicht belebte ſich in eigenthümlicher Weiſe, ſeine Augen
blitzten auf, wie vor Freude.

„Du meinſt, wir ſtehen vor einem Krieg, Onkel?“
fragte er dann und reichte das Schreiben zurück.

„Was kommen wird, weiß heute noch Niemand, aber
ich meine, daß Deutſchland gezwungen iſt, ſeinem alten
Feind wieder einmal etwas genauer in's Auge zu ſehen
und zu fragen, was er denn eigentlich will. Wenn er
Krieg will, ſoll er ihn haben. Aber ſchon die Mög-
lichkeit des Krieges zwingt uns, Rücken an Rücken zu
ſtehen, und deshalb wollte ich mit Dir reden, Max.
Ich habe in dem Moment Alles vergeſſen, was zwiſchen
uns und muß Dich auffordern, das Gleiche
zu thun.“

„Ich verlange ja nichts Beſſeres. Wenn Du wüßteſt,
Onkel, wie ſehr ich wünſche, mich zu bethätigen —“

„Es wird Dir und keinem Mann in Deutſchland an
Gelegenheit dazu fehlen. Das Nächſte aber iſt, daß
mir im eigenen Haus Frieden machen. Du haſt dem
Doktor Dahlitz eine Forderung zuſtellen laſſen, Max?“

„Ich konnte nicht anders. Er provozirte —“

„Das mag ſein, wie es will. Ich mag nichts davon
wiſſen. Aber ich verlange, daß Du die Forderung ſo-
fort rückgängig machſt.“

„Onkel —“

„Kein Wort! Ich will Frieden im Haus. Du
nimmſt ſie noch heute zurück und gehſt ſo bald wie mög-
lich nach &., um Dich bei Deinem Regiment zu melden.
Das geht Allem vor. Du haſt ja 'was gelernt. Du
biſt ein geſchickter Chirurg, wie ich mehrfach gehört habe,
und wie mir auch Sanitätsrath Dahlitz beſtätigte. Solche
Leute wird man, fürchte ich, bald ſehr nöthig brauchen.
Biſt Du damit einverſtanden?“

„Ja! Wenn Du es wünſcheſt, reiſe ich noch heute.
Wenn man mich brauchen kann, ſo iſt mir nichts er-
wünſchter, als eine ſofortige Verwendung zu finden.“

„Und Du nimmſt die Forderung zurück?“

Mar zögerte einen Augenblick, dann ſagte er aus-
7* „Onkel, Du weißt nicht, was paſſirt iſt. Ich
mu — S

„Was Du mußt habe ich Dir eben gefagt. Deine
Ehre iſt jetzt Dein Vaterland — nichts ſonſt. Ich kann
 
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