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— für Ulle Heft 3.

Einfahrt.

er ſie, ſo geſchah es meiſt nur mit den kurzen Worten: „Meine Mutter war
das Urbild einer ruſſiſchen Bojarin ihrer Zeit.“


der Leibeigenſchaft auf die herrſchende Klaſſe iſt die Mutter Turgenjew's für
uns von doppelt hohem Intereſſe, und die kürzlich erſchienenen Exinnerungs-
blätter ihrer Adoptivtochter entrollen vor unſeren Augen ein höchſt merk-
würdiges Charakterbild.

Frau v. Turgenjew war nicht ſchön, denn die Blattern hatten ihr Geſicht
gezeichnet, aber ſie war eine geiſtvolle Frau und, wenn ſie wollte, von ſo
bezaubernder Liebenswürdigkeit, daß ſie ſich bis in ihr ſpätes Alter von
einem Kreiſe aufrichtiger Verehrer umringt ſah. Dabei machte ſie einen
fürſtlichen Aufwand, und es galt in der Stadt wie auf dem Lande ſtets für
eine große Ehre, von ihr eingeladen zu werden, obwohl die Schattenſeiten ihres
tyranniſchen, unberechenbaren Temperamentes ſich auch ihren Gäſten gegenüber
oft genug bemerklich machten.

Durch und durch Despotin, duldete ſie in ihrer Nähe keinen anderen Willen,


Reſtaurant.

als den ihrigen, ihre Laune allein war Geſetz und Richtſchnur für ihre Um-
gebung; ſie geſtand keinem Menſchen, auch dem von ihr unabhängigen nicht, das
Recht zu, in ihrer Gegenwart eine von der ihrigen abweichende Meinung zu äußern.
Allerdings vermochte ſie nur durch ein Wort oder durch einen zornigen Blick dem
 
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