Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
132

— Bud jür AlLe

Heft 5.

pflege und die Art des Strafvollzugs ein keineswegs
erfreuliches Licht werfen.

Wir'erklären im Voraus: auch die im Folgenden
gemachten Angaben haben keineswegs den Anſpruch auf
„abfolute Genauigfeit“; ſie ſind jedoch ſo vorſichtig auf-
geftellt worden, daß ſie wahrſcheinlich viel niedriger
yeranfchlagt find, als die Wirklichkeit ergibt, Abſichtlich
iſt jede Uebertreibung vermieden worden, und in zweifel-
haften Fällen, bei denen es ſich um eine niedrigere und
eine höhere Summe handelte, iſt ſtets der niedrigexe Satz
in Anrechnung gebracht worden Die Perſönlichkeit,
um die es ſich in nachfolgenden Zeilen handelt, hat exiſtirt
und hat nach den Akten genau die angegehenen Ver-
brechen verübt, die angegebenen Strafen erhalten und —
ſoweit es möglich war, dies feſtzuſtellen — den an-
gegebenen Schaden verurſacht.

Wir wollen den Mann, von dem wir erzählen,
„Friedrich Müller“ nennen und konſtatiren, daß er
mit 19 Jahren das erſte Mal in Unterſuchungshaft
kam, weil er bei einem größeren Einbruch „Schmiere
geftanden“, d. h. aufgepaßt hatte, daß die Genoſſen

N
2 IIII

nicht geſtört wurden. Die Unterſuchung dauerte ein
halbes Fahr. Während dieſer Zeit wurde Friedrich
Müller natürlich im Untexſuchungsgefängniß verpflegt.
Es wurden in dieſer Angelegenheit zaͤhlreiche Ver-
nehmungen abgehalten, Zeugen vernommen, verſchiedene
behördliche Erhebungen angeſtellt, die ebenfalls Koſten
verurſachten; und nach dem Urtheil von Fachmännern
dürfte die Summe von 350 Mark, die man ſpeziell auf
die Unterſuchungshaft Müller's rechnet, nicht zu hoch
gegriffen ſein.

In der darauf folgenden Gerichtsverhandlung, bei
welcher Zeugen, Richter, Sachverſtändige thätig waren,
die fämmitlich bezahlt werden müſſen, erfolgte die Ver-
urtheilung des Friedrich Müller zu einem Jahr Ge-
fangniß. Dieſe Gerichtsverhandlung mit allen Koſten,
ebenſo der Transport nach der Strafanſtalt kann mit
300 Mark in Anſchlag gebracht werden. Auf dies eine
Jahr Gefängniß wird dem Friedrich Müller das halbe Jahr
Unterſuchungshaft angerechnet, ſo daß er nur noch ſechs
Monate im Gefängniß zuzuͤbringen hat, und es ſollen die
Koſten dafür mit 350 Mark in Anſatz gebracht werden.

700 Mark wird überhaupt der Sag ſein, der auf
einen Strafgefangenen jährlich zu rechnen iſt. Die fran-
zöſiſche Statiſtik ebenſo wie die deutſche, unter ihr wieder
die Berliner, ergeben durchſchnittlich 250 Mark für
Verpflegung eines Strafgefangenen; mit 50 Mark wer-
den Kleidung und Wäſche zu berechnen ſein; 50 Mark
kommen auf Arzt, Lehrer, Unterricht, Kirche, Lazareth.
50 Mark auf Arbeitszuſchuß, . 50 Mark pro Kopf auf
Bewachung. Die Unterbringung des Gefangenen ſtellt
ſich ſehr hoch, nämlich ebenfalls auf 250 Mark, alſo
genau ſo viel wie die Verpflegung. Auch dieſex Satz
iſt nicht zu hoch gegriffen, wenn man daran denkt, daß
beſonders die Zuchthäuſer ſehr koſtſpielige Bauten ſind,
ſchon um das Aushrechen zu verhüten, daß ferner zu einem
Zuchthaus nicht nur das Gebaͤude gehört, in dem die
Strafgefangenen ſitzen, ſondern auch Arbeitsſäle, Kirche,
Schule, Lazareth, große Höfe zum Spazierengehen,
Oekonomiegebäude, eine Verwaltung mit zahlreichen
Beamten, Einrichtung von Waſſerleitung, Kanaliſation,
Ventilation, ſanitäre Vorkehrungen aller Art u. f. w.

Es ergibt dies die Summe von 700 Mark Jaͤhres-

IIII
SE TG
i
AA
1100






koſten für den Strafgefangenen, die höchſt wahrſcheinlich
auch zu niedrig geariffen iſt (beſonders wenn es ſich
um Zuͤchthaus handelt), die wir aber doch als Norm
hier beibehalten wollen.

Die erſte Geſetzesübertretung Friedrich Müller's hat
alſo der Oeffentlichkeit ungefähr 1000 Mark gekoſtet.

Kaum war Friedrich Müller aus dem Gefängniß
entlaſſen, ſo betheiligte er ſich an einem Einbruch, aller-
dings nur in untergeordneter Rolle. Es kamen auf
ſeinen Antheil 300 Maxk. Der ſonſt durch den Ein-
bruch entſtandene Schaden läßt ſich leider in dieſem
Falle nicht feſtſtellen; jedenfalls war er viel beträcht-
licher als 300 Mark, denn die Summe, die der Ein-
brecher von dem Hehler für das geraubte Gut bekommt,
iſt bekanntlich im Vethältniß zu dem Werth des Gutes
eine lächerlich geringe. Auf die Thätigkeit der Kriminal-
polizei zur Entdeckung der Thäter, Steckbriefe, Depeſchen,
Vernehmungen, rechnet der Sachverſtaͤndige in dieſem
Falle auf den Antheil des Friedrich Müller 500 Mark.
Es kommt ein halbes Jahr Unterſuchungshaft mit
350 Mark, die große Gerichtsverhandlung, diesmal vor
den Geſchworenen, mit 300 Mark auf feinen Antheil,
und endlich die Verurtheilung zu fünf Jahren Gefängniß
mit dem Satz von 700 Mark per Jahr, mit zuſammen
3500 Mark. In Summa hat das zweite Verbrechen
Friedrich Müller's die Summe von 4950 Mark gekoſtet.


Nach Verbüßung der fünfjährigen Gefängnißſtrafe
verſuchte Friedrich Müller nur ein Viexteljahr lang, ſich
ehrlich zu ernähren. Es wurde ihm dies durch unſere
ſoͤzialen Verhältniſſe und durch ſeine Beſtrafung ſo
erſchwert, daß er ſich wieder dem Verbrechen in die
Arme warf und Mitglied einer Verbrecherbande wurde,
die mit einer außerordentlichen Geſchwindigkeit elf ver-
ſchiedene Einbrüche hintereinander beging. Der mate-
rielle Schaden, der durch die Einbrüche entſtand, war
ſehr bedeutend und ſoll Friedrich Müller nur mit
5000 Mark für ſeinen Antheil angeſchrieben werden.
Die Unterſuchung, Kriminalpolizei u. ſ. w. erforderten
600 Mark. Die Unterſuchungshaft dauerte ein Jahr,
macht 700 Mark. Die Gerichtsverhandlung dauerte vor
dem Schwurgericht vier Tage und koſtete auf den An-
theil Friedrich Müller's mindeſtens 400 Mark. Er erhielt
ſechs Jahre Zuchthaus, macht 4200 Mark. Friedrich
Muller's dritter Zuſammenſtoß mit dem Strafgeſetz hatte


Als er wieder aus dem Zuchthaus kam, beſchloß er,
Er war eben jetzt ein
„vollendeter“ Verbrecher; was ihm noch an Erfahrung
und Geſchicklichkeit auf ſeinem beſonderen Verbrecher-
gebiet fehlte, das hatte er im Zuchthaus gelernt. Da
er aber aus eigener Erfahrung die Unannehmlichkeiten
des Zuchthauslebens kannte, beſchloß er, diesmal ganz

beſonders klug zu Werke zu gehen. Er arbeitete voll-
ſtändig ohne Genoſſen, plante einen Einbruch höchſt
ſorgfältig, und es fielen ihm bei dieſem 15 000 Mark
in Barem und in Papieren in die Hände. In Gold
und kleinen Kaſſenſcheinen fand Friedrich Müller nur
etwas über 2000 Mark; der Reſt beſtand in großen
Kaſſenſcheinen und Werthpapieren, und um nicht durch
deren Verkauf den Verdacht auf ſich zu lenken, ver-
brannte er ſie. Der Schaden natürlich der dem Eigen-
thümer entſtand, betrug trotzdem 15,000 Mark. Um
aber den Einbruch zu verdecken, ſteckte Friedrich Muller
unmittelbar nach dem Einbruch die betreffende Gebäu-
lichkeit in Brand, und trotzdem Hilfe zur Stelle war,
entſtand dadurch ein weiterer Schaden von 20,000 Mark.
Die Verfolgung koſtete diesmal 800 Mark; denn Müller
war mit dem Gelde bis nach England gekommen dort
erſt ergriffen worden, und der Rücktransport auf Koften
der Staatskaſſe war ziemlich theuer. Wiederum ſaß er
ein Jahr in Unterſuchungshaft, macht 700 Mark Koften.
Die Verhandlung, die ſehr umſtändlich war, da Muller
leugnete und eine mehrtägige Schwurgerichtsverhandlung
nothwendig war, koſtete mindeſtens 600 Mark. Diesmal
wurde er zu zwölfjährigem Zuchthaus verurtheilt. Sein
Unterhalt während dieſer Zeit betrug 8400 Mark; und
rechnet man den Schaden, der durch den Einbruch, durch
die Brandſtiftung, andererſeits durch die Verfolgung
 
Annotationen