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186

Das BudH jür MUlle

war, ſich und Andere in Leid und Trauer zu bringen.
Das hatte alſo der Krieg für ihn Gutes! So ſchreck-
lich er immer ſein mochte, er hatte auch ſeine guten
Seiten. War nicht Doktor Dahlitz, das Muttexſöhnchen,
der gedankenblaſſe Stubenhocker, durch den Krieg ein
thatkräftiger, aufopferungsfähiger Held geworden? Hatte
der Krieg nicht aus ihm ſelbſt, aus dem heruntergekom-
menen, verlokterten Vagabunden, einen Mann gemacht,
der ſeine Fähigkeiten kennen gelexnt hatte und ſie be-
thaͤtigen fonnte, hatte er nicht der ganzen deutſchen


Tüchtigkeit, Tapferkeit und Einigkeit gegeben?

Darin lag für ihn und für das ganze Volk die
große Erbſchaft, die der Krieg mit ſeinen unendlichen
Opfern gebracht. Noch fehlte das ſichtbaxe Zeichen, das
leuͤchtende Diadem, das Siegel dieſer Erhſchaft, aber
Max fühlte ſchon jetzt den unnennbaren Gewinn, Dder
au8 den Tagen des Zornes, der aus dem hallenden,
ſtreitbaren Schritt der Natignen für ihn und für ganz
Deutſchland ſich ergeben mußte. Es gibt nichts in der
Welt, was für das Gemiüth ſüßex, was auf den Men-
ſchen erhebender, vexedelnder wirkt als das Vaterlands-
gefühl, die Heimathliebe, und dieſe war durch den Krieg
au& dem maltglimmenden Funken zur lodernden Flamme
geworden. Es mußte auch ihn emportragen zum Glück
für ſich und Alle, die ihn liebten. Das war ſeine feſte
Ueberzeugung.

Bwanzigltes Kapitel.

Bettine d'Aulnay trat mit Hut, Handſchuhen und
Schirm zum Ausgehen gekleidel in den Salon ihrer
Wohnung in der Ävenue d Auſterlitz in Paris, wo ihre
Ruͤlter auf einem Divan lag und ſtöhnte.

„Bettine!“ rief ihr dieſe erſtaunt zu.

Was gibt's, Mama?“

Du willſt doch nicht etwa gar ausgehen?“

Und weshalb nicht, Mama?“

Herr meines Lebens, in dieſer Zeit? Weißt Du
nicht, daß ganz Paris in toller Aufregung iſt? Willſt
Du Dich muthwillig in die Gefahr begeben, inſultirt
zu werden?“

„Wie, Mama? Eine junge Dame dürfte ſich am
hellen lichten Tage mitten in Paris nicht mehr auf der
Straße ſehen laſſen?“

„Mitten in Paris! Ach, mein Gott, ich kenne Paris
nicht mehr. Die Avenue d'Auſterlitz, eine vornehme
Sttaße, in der man ſonſt ruhig leben und vor allen
Dingen Nachts ruhig ſchlafen konnte, hallt jetzt von
einem Ende bis zuni anderen wider von dem Lärmen
betrunkener Leute! von dem Johlen und Schreien der
Soldaten, welche die Marſeillaife — wie ſie hehaupten —
ſingen! Singen! Ich habe ſchon manchmal ſingen
hören in meinem Leben, aber ſg noch nicht.”

„Das iſt die Begeiſterung, Mama. Die wird mir
nichts ſchaden.“

„Gut. Nenne es Begeiſterung, mein Kind. Man
fann ja hienieden für die wunderlichſten Dinge die
wunderlichſten Namen wählen. Ich aber würde es
lieber eine Rohheit ohne Gleichen nennen. Und Du
nennſt das Begeiſterung! Gut. Ich habe in dieſer
Nacht kein Auge ſchließen können vor Begeiſterung.
Ich habe Kopfſchmerzen, jedes Glied thut mir weh,
ſeder Nerv zittert — vor Begeiſterung. Was wird das
noch werden?“

„Es wird nun die große Abrechnung kommen,
Maina. Haſt Du nicht gehört, wie geſtern der Oberſt
de Blo ſagte, daß ihm alle die Menſchen, die jetzt Paris
zu bedrohen wagen, herzlich leid thäten? Es würde
vohl Niemand don ihnen wieder die Heimath ſehen,
ſagte er. Sie würden Alle zu Grunde gehen. Frank-
reich erhebt ſich im heiligen Zorn gegen die Barbaren-
horden wie ein Mann —“

„Wie ein Mann? Auch gut. Ich. habe noch nie


loſigkeit ſich erheben ſehen, mit ſolcher Unordnung.
Waͤtum ſind wir aber auch nicht abgereist! Dein
Vaͤter, Goͤtt ſei's geklagt, iſt der halsſtarrigſte Menſch
auf der Welt! Wir könnten längſt im Süden ſein, in
Nizza oder Italien, wo die vernünftigen Leute von
Paris ſchon längſt ſind.“
„Mama, wer konnte auch ahnen, daß es dieſe fremden
Eindringlinge wirklich wagen würden, Paris anzugreifen?
Daß ſie wild und vandaliſch genug wären, die Eiſen-
bahnen zu zerſtören und Paris rings herum einzu-
ſchließen und friedliche Leute in ihrem Vorhaben zu
hindern? Paris, das Licht der Welt! Was wird aus
der Welt, aus der Eiviliſation werden, ohne Paris?
Du ſiehſt, es wird fürchterlich werden, wenn die Deut-
ſchen auf ihrem Vorhaben beſtehen. Oberſt de Blé hat
Recht. Die Leute können Einem leid thun. Sie werden
zu Grunde gehen, Paris wird wie ein Phönix aus der
Aſche zum Himmel ſteigen —“
Zum Himwel ſteigen? Gut. Zum Himmel ſteigen
iſt auch gut. Hat das auch der Oberſt de Blé geſagt?
Dieſer Oberſt —“
„Aber, Mama!“
„Nun, meinetwegen.

Glück auf den Weg. Aber

ich bleibe hier. Ich ſteige nicht mit. Ich komme noch
zeitig genug in den Himmel; wenn man mich uur hier
in Ruhe laffen möchte, dann wäre ich zufrieden Dieſex
Krieg! Was habe ich mit dem Krieg zu ſchaffen? Ich
bin krank. Ich habe meine Nerven und will nichts von
dem Krieg wiſſen. Ich will meine Ruhe haben.“

„Oberſt de Ble ſagte —“

Laſſ' mich in Ruhe mit Deinem Oberſt. Hat er
uns nicht geſagt, wir follten nach Chaͤteau rouge reiſen,
wenn wir ein glänzendes militäriſches Schauſpiel ſehen
wollten? Na, Du weißt ja, was wir geſehen haben.
Ein ſchönes Schauſpiel, ſchon mehr eine Tragödie. —
Wohin willſt Du?“

Nach dem Are de Triomphe. Oberſt de Bleé will
uns die feindlichen Stellungen von dort herab zeigen.“

„Das iſt mir der Rechte, dieſer Oberſt. Ich kann
ihn nicht ausſtehen. Wo war er, während unſere braven
Soldaten bei Reichshofen, bei Wörth, bei St. Privat,
bei Sedan vom Feinde hingemetzelt wurden? Mein
armer Georges, mein armer Sohn! O, mein Gott,
wenn ich daran denke — ich kann nicht mehr! Das iſt
zu viel, zu viel —“

Die Frau Marquiſe warf ſich ſchluchzend auf ihr
Sopha zurück und weinte in die Kiſſen.

„Maͤma, ich bitte Dich, ſchone Dich. Georges wird
entkommen ſein, und wenn er uns bisher keine Nach-
richt hat zukommen laſſen können, ſo wird das daran
liegen, daß die Preußen ſeine Briefe aufgefangen und
vernichtet haben. Weshalb willſt Du das Ungewiſſe
durchaus für das Fürchterliche, das Schrecklichſte halten?
Es liegt kein Grund vor, an dem Schickſal Georges'
zu verzweifeln. In dieſen unſicheren Zeiten muß man
ſich zu tröſten wiſſen.“

„Seit dem 26. Auguſt iſt Georges wie verſchollen,
und gerade vom 30. Auguſt bis zum 2. September ſind
die fürchterlichen Schlachten geſchlagen worden, in denen
ſein Korps mit der ganzen Mac Mahon'ſchen Armee
zu Grunde ging. Wenn er noch lebte, müßten wir
doch Nachricht haben. Siehſt Du das nicht ein? Aber
wir haben keine, weil — weil eben die Todten keine
Briefe mehr ſchreiben.“

„Man muß das Beſte hoffen, Mama. Es iſt kein
Grund zum Verzweifeln; beſonders ſeit die feindlichen
Truppen zwiſchen ihm und uns ſtehen, die natürlich
keine Briefe durchlaſſen. Er kann ja auch gefangen
genommen worden ſein —“

„Gefangen! Welches Elend, gefangen von den
Preußen, von rohen Gaſſenjungen in Deutſchland ver-
höhnt und verſpottet, ohne Nahrung, zerlumpt und ab-
geriſſen, elend und krank durch die Straßen geſchleift,
beſchimpft und gemartert von Barbaren — mein Sohn!
Und das nennſt Du das Beſte hoffen, Bettine? O, ich
unglückliche Frau!“

„Aber, Mama, weine doch nicht ſo. Ich habe
doch Georges gewiß auch lieb, aber ich ſehe gar nicht
ein, warum man ſich immer das Schlimmſte vorſtellen
muß, ſo lange man noch nichts von ſeinem Schickſal
weiß. Kann Georges nicht auch gute Leute gefunden
haben, die ihm helfen und ihn pflegen? Es gibt doch
gewiß auch gute Menſchen in Deutſchland!“

„Ach, Unſinn!“ meinte ihre Mutter kurz und warf
ſich troſtlos in die Kiſſen zurück.

Bettine kannte das ſchon. Wenn ihre Mutter ihre
Nerven hatte, war nicht mit ihr zu reden. Sie küßte
ſie alſo leicht auf die Wange und verabſchiedete ſich
von ihr.

Unten vor dem Haus, das Marquis d'Aulnay mit
ſeiner Familie bewohnte, und das von einem hübſchen
Ziergarten umgeben war, erwartete ſie Oberſt Salvin
de Ble, ein ſtattlicher Offizier von tadelloſer Haltung
und Eleganz, von etwa zweiundfünfzig bis fünfund-
fünfzig Jahren. Er war Südfranzoſe Und als ſolcher
in feinem Geſpräch ſehr lebhaft und aufgexegt. Sein
Mienenſpiel und ſeine Geſten waren ſo bewegt und
unruhig, daß der Blick desjenigen, der mit ihm ſprach,
unwillkürlich davon angezogen wurde. Er war ein
hübſcher Mann. Etwas rundlich angelegt, die Augen
blitzend und munter, wie man ſie häufig bei Fein-
ſchmeckern und behäbigen Lebemännern findet, ſchien
ſeine Geſundheit, das eigene Wohlbefinden, den Haupt-
zweck ſeines Daſeins zu bilden. Das ging ſo weit,
daß ein aufmerkſamer Beobachter bald gemerkt hätte,
daß der Oberſt, indem er laut und hitzig von allem
Möglichen ſprach, vom Vaterland, von dex Regierung
der nationalen Vertheidigung, von der „Gloire“, dem
Krieg und ſo weiter, Ddamit nur ſeiner geſunden Ver-
dauung zu Hilfe kommen wollte. Seine Geſten, ſo das
martialiſche Stirnrunzeln, die energiſche Handbewegung
mit diktatoriſch ausgeſtrecktem Zeigefinger, odex das
Hochziehen der Augenbrauen, das Zucken mit den Schul-
tern, das Stehenbleiben auf der Straße, indem er
immerzu weiter ſprach, und Anderes dienten nux dazu,
um den Zuhörer' glauben zu machen, daß es ſich um
wirkliche Reberzeugungen und nicht nur um eine ihm
nach dem Eſſen nothwendige Lungengymnaſtik handle.
Er machte ſehr gern viele Worte, nicht etwa weil ihn
der Geſprächsgegenſtand hinriß, ſondern weil die mit
dem Sprechen verbundenen Bewegungen ihm wohl

Heſt 3,

thaten, ihm geſund waren und ſeine Verdauung be-
förderten.

Er war aus reicher und angeſehener Familie und
ſo deshalb durch allerhand Fürſprecher nach und nach
Oberſt geworden. Er wäre wohl auch noch General
geworden, wenn eben nicht der verwünſchte Krieg ge-
kommen wäre, wo man auf einmal von einem Offizier
verlangte, daß er den Degen, den er ſo lange trug,
auch einmal brauchen ſolle. Das war nicht die Mei-
nung des Oberſten de Blé, wenn er auch davon natür-
lich, trotz ſeiner Redſeligkeit, nichts ſagte. Er hatte
vielmehr tief im verborgenſten Inneren die Anſicht, daß
man ſich durch Betheiligung an unvorſichtigen Hand-
lungen leicht die Verdauung erſchweren oder gar krank
werden könne. Unabhängig und reich, wie er war, ſah
er, gleich vielen anderen Fraͤnzoſen in ſeiner Lage, gar
nicht ein, weshalb er für Andere in irgend einer Hin-
ſicht einzuſtehen hätte. Im Gegentheil war er oder
glaubte er in der vortheilhaften Lage zu ſein, daß bei
unangenehmen Leiſtungen Andere für ihn einzuſtehen
hätten. Oberſt de Ble war ein Epikuräer, ein Menſch,
der ſich Selbſtzweck zu ſein glaubte und der ſeine Mit-
menſchen nur daraufhin anſah und ſchätzte, in wiefern
ſie ihm zur Erfüllung dieſes Zweckes, nämlich ſeines
eigenen Wohlbefindens, dienlich erſchienen oder nicht.

Er war jetzt, ſeitdem vor kaum vierzehn Tagen die
Republik in Frankreich erklärt worden war, ein ebenſo
guter Republikaner, wie er früher ein Bonapartiſt ge-
weſen war. Es war ihm ein Leichtes, ſich behufs
Förderung ſeiner Verdauung von der unbedingten Vor-
trefflichkeit der Republik als Staatsform in glänzenden
redneriſchen Perioden zu überzeugen, nachdem er von
der Republik in ſeinem Range und ſeinen Einkünften
beſtätigt worden war.

Galant wie immer, näherte er ſich dem Fräulein
d'Aulnay, indem er ihr mit der feinen, im weißen
Glacéhandſchuh ſteckenden Hand eine dunkelrothe Nelke
darbot.

„Mein Fräulein, ich bringe Ihnen dar, was ich
habe, wie man der Sonne opfert —“

„Ich habe Sie warten laſſen, Herr Oberſt Ich
bitte fehr um Verzeihung, aber Mama hielt mich auf.
Sie iſt heute wieder ſo nervös, ſo krank.“

„Sie muß an die See.“

Bettine ſah ihn überraſcht an.

„Ich meine natürlich nicht an die Nordſee, ſondern
nach Nizza oder Biarritz,“ fuhr der Oberſt leichthin fort.

„Ja, Herr Oberſt, Sie vergeſſen wohl, daß ſie
momentan weder hierhin noch dorthin gelangen kann.
Die Herren Preußen vor den Thoren von Paris laſſen
nichts durch und verſtehen durchaus keinen Spaß“

„Bah, Nebenſache! Wir auch nicht, mein Fräulein.
Sie haben keine Idee, welche Begeiſterung, welcher
Sturm der Entrüſtung durch Frankreich weht! Die
Heere wachſen aus dem Boden, und das ſind keine
feigen Söldnerſchaaren, ſondern Volksheere, die echten
Träger der Civiliſation. Paſſen Sie auf, noch ehe
vierzehn Tage vergehen, iſt kein Preuße mehr in Frank-
reich, wenn nicht todt oder gefangen. Ihre Frau Mama
kann alſo immerhin ihren Reiſeplan machen. Das
Uebrige beſorgen wir — wir! meine Gnädigſte.“

Dabei blieb er auf dem Trottoir ſtehen und ſtieß
klirrend mit dem Degen auf den Stein.

Die junge Dame ſchrak unwillkürlich vor dem harten,
klirrenden Geräuſch etwas zuſammen, aber es war ihr
doch lieb, eine derbe, ſoldatiſche und zuverſichtliche Sprache
zu hören. Sie war überzeugt, daß es nun „ſchon
anders werden würde“.

„In vierzehn Tagen, Herr Oberſt?“ fragte ſie naid.

„Ich nehme den längſten Zeitraum an. Möglicher-
weiſe rücken aber die Loire-und Südarmee ſchon morgen
in den Rücken der Deutſchen und zermalmen ſie. Sehen

Sie,“ — er deutete dabei mit dem Degen auf dem
Bürgerſteig eine kleine Pfütze an — „das iſt Paris.

Hier ſind wir. Die Preußen rings herum verzettelt,
ohne inneren Zuſammenhang, auseinandergeriſſen, alſo
kraftlos und zum ernſthaften Widerſtand nicht vor-
bereitet. Hier liegt Tours, hier liegt Orleans, hier
liegt Chalons und hier Amiens“ — er rückte wieder
mit dem Degen kleine Steinchen in die betreffenden
Poſitionen. „Von allen dieſen Punkten rücken die
Unſeren in Gewaltmärſchen auf die Hauptſtadt. Wie


ſtehen in dieſem Augenblick die Vorpoͤſten der Loire-
armee ſchon in Fontainebleau. Wie gefagt, ſagen wir
höchſtens vierzehn Tage, aber ſie können auch morgen
ſchon da ſein und dann — dann — — Sehen Sie,
Fräulein d'Aulnay, ich bin kein Großſprecher. Ich
wüßte nicht, was mir an einem Soldaten ſchlechter ge-
fallen könnte, als aufſchneideriſche Redensarten. Man
ſollte jeden ſolchen Prahlhans mit der flachen Hand auf
den Mund ſchlagen. Wenn ich Ihnen aber ſage, daß
Ihre Frau Mama in vierzehn Tagen reiſen kann, ſo
dürfen Sie ruhig ſchon heute Ihre Koffer packen. Baſta!
Ich bin kein Freund von großen Worten, aber was
ich behaupte, das behaupte ich. Nicht um Alles in der
Welt möchte ich in der Haut von einem Preußen ſtecken,
 
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