Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
354

Das BudH für MLLE

von ihm überhaupt zu reden. Wenn er nur ein Ver-
wandter der Witiwe war, weshalb mußte dieſe denn
durchaus feinen Aufenthalt wiſſen? Sie that ſo ſon-
derbaͤr, als ſie das Bild dieſes Mannes ſah, die Wittwe
waͤr ſchon längere Zeit ganz verändext, ſie war krant,
ſchien ihr manchmal völlig geiſtesverwirrt, ſie konnte ſich
eine fixe Idee über dieſen Mann in den Kopf geſetzt
haben und irgend etwas Tolles gegen ihn unternehmen.

MNaria kam zu dem Entfchluß, vorläufig auch der
Wittwe Gehren gegenüber von dieſem ſonderbaren Zu-
ſammentreffen zu ſchweigen.

Sie verließ den Loubre und wanderte in ihre Woh-
nung, eine völlig Andere, als ſie bisher geweſen, das
Herz voll ſchwerer Gefühle, die Bruſt voll banger
MHhnungen. Sie empfand eine Art Schmerz, der doch
kein Schmerz war, ſondern etwas, das ſie nicht benennen
fonnte. Sie verſtaͤnd ſich ſelbſt nicht, und durch all'
dies leuchlete, wie von einem geheimnißvollen Licht um-
flofjen, das Bild jenes Mannes an der Staffelet, dieſes
Peler Laarſen, welcher der Freund ihrer Freundin ge-
wefen — der Freund ja, der Geliebte nie! Das hatte
Claͤriſſa ſich offenbar wiedex eingebildet. Dennoch be-
unruhigte ſie auch dieſer Gedanke, und ſie empfand
zugleich Angſt davor, daß Miß Fohny mit dem Künftler
zuſammentreffen könne. So viel es in ihrer Macht
lag, wollte ſie das verhindern.

Als Maria den weiten Weg vom Louvre zu ihrer
Wohnung zurücklegte, immer noch nachſinnend üher das
Erlebniß gelangte ſie zu der Neberzeugung, daß ſchon
das erſte Erblicken des Bildniſſes des jungen Mannes
einen ungewöhnlichen Eindruck auf ſie gemacht habe.
Dieſen Eindruck hatte die perſönliche Bẽgegnung mit
dem Flüchtling derartig verſtärkt, daß ſie fürchtete, er
könne ihrem Herzen ernſtlich gefährlich werden. Sie
faßte daher den Entſchluß, nicht mehr den Louvre zu
beſuchen.

Die nächſten Tage erleichterten Maria dieſes Vor-
haben, denn ſie brachten eine ſolche Fülle von Arheit,
daß ſie ihr nicht Zeit ließ, ihren Traͤumexreien nachzu-
hängen, geſchweige denn an einen Beſuch im Louvre
zu denken.

13.

Der überraſchende Brief, welchen der Aſſeſſor Rein-
hard aus New-Nork erhalten hatte, war ſehr kurz. Er
enthielt nur die Worte:

„Peter Laarſen iſt mit geſtohlenen Papieren, welche
auf den Namen Joſua Clyde aus Nemw-York lauten, fort-
gereist. Clariſſa Johny.“

Der Aſſeſſor wurde noch bläſſer vor Erregung, als
er ſonſt ſchön war, beim Durchleſen dieſer inhaltſchweren
Zeilen. Fetzt hatte er das letzte Glied in der Kette,
mit welcher er den Entflohenen in Bande ſchlagen konnte.
Nun waͤr es nicht ſchwer, Klaus Gehren aufzufinden
und dieſe größte Unternehmung ſeines Lebens zur Ent-
ſcheidung und zwar zu einer glücklichen zu bringen,

Er fragte fofort bei den Kunſtſchulen in Muͤnchen,
Berlin, Wien, Dresden und Stuttgart an, ob dort
ein Schüler mit Namen Joſua Clyde, ein Amerikaner,
ftudire! Er erhielt nach einiger Zeit von alen Schulen
die Antwort, daß ein Kunſtſchüler dieſes Namens da-
ſelbſt nicht eingetragen ſei. Der Aſſeſſor wandte ſich
in dieſer Angelegenheit brieflich an das Einwohner-
meldeamt Dder genannten Städte. Das Ergebniß ſeiner
Forſchungen war das gleiche.

Sollte Klaus Gehren in der Befürchtung, man könne
bei großen Malerakademien ihn vermuthen, an kleine
Kunſtinſtitute ſich gewendet haben? Der Aſſeſſor frug
bei Kunſtſchulen zweiten Ranges gn. Er erhielt immer
die gleiche verneinende Antwart. Einen Augenblick dachte
er äuch an Paris, weil Klaus Gehren über Calais
gegangen war, er verwarf jedoch dieſen Verdacht ſchnell
wiedet. Von den Einwohnern Spiekeroogs ſprach Keiner
franzöſiſch. Klaus hatte ſich ſicherlich nicht nach der
franzöſiſchen Hauptſtaͤdt gewandt, wo er bei ſeiner Un-
kenntniß der Sprache ganz hilflos war.

Reinhard dachte jetzt daran, Herrn Blomfield in
London mit der Ausforſchung zu betrauen, wohin von
Calais aus der Flüchtling, der auf den Namen Joſua
Clyde reiste, gegangen ſei. Jedoch die hohen Koſten
ſchreckten ihn zurück! Er gab endlich einem Berliner
Privatdetektiv den Auftrag, nach einem gewiſſen Joſua
Elyde aus New-York in den Städten Deutſchlands,
wo Malerſchulen ſind, zu forſchen, und beſchloß, im
Herbſte, wo er wieder Urlaub erhalten konnte, nach
Paris zu gehen, um Maria Ribera einen Beſuch ab-
zuſtatten.

8 * ;

Aus Frühling wurde Sommer. Der Tuilerien-
garten, das Bois de Boulogne hatten den ſchönſten
Laubſchmuck angelegt und wimmelten von Spazier-
gängern und Exrholungſuchenden; die Cafés hatten ihre
Tiſchchen auf die Straße hinausgeſetzt, und die Li-
monaden⸗ und Eisverkäufer ſchrien ihre Erfriſchungen
auf den Straßen aus.

Das Leben der beiden Freundinnen floß gleichmäßig
dahin. Miß Johny bekam der Pariſer Aufenthalt ſehr

gut, Maria war bleicher geworden und oft ſehr nach-
denklich, es ſchien Miß Johny, als benehme die Freundin
ſich nicht mehr ſo offen gegen ſie wie früher, ein Um-
ſtaͤnd, der ihre Aufmerkſamkeit erregte und ihren an-
geborenen, ſtets auf der Lauer liegenden Spürſinn an-
ſpornte. Miß Johny fielen zwei Dinge auf: erſtens,
daß die Freuͤndin gaͤr nicht mehr in den Louvre ging
oder dies ihr geſchickt verheimlichte, und zweitens, daß
Maria etwas unter ihren Briefſchaften hatte, das ſie
manchmal verſtohlen betrachtete. So weit in ihren
Beobaͤchtungen gekommen, ward es Miß Johny nicht
ſchwer, heraͤuszubekommen, was dies letztere ſei, und zu
ihrer größten Ueberraſchung fand ſie bei einer kleinen
Nachſuchung ihre Zeichnung, die Maria auf der Inſel
gelaffen haben woͤllte! Weshalb verheimlichte Maria
ihr den Beſitz dieſes Blattes, warum betrachtete ſie das
Bild manchmal verſtohlen? Das berührte Miß Johny
ſehr unangenehm, das ſchien ihr höchſt ſonderbar, und
fie nahm ſich vor, hinter das Geheimniß zu kommen.

„Ich bin jetzt ſchon vier Monate in Paris, und es

iſt eigentlich eine Schande, daß ich bisher den Louyre
noch nicht beſucht habe,“ begann ſie eines Tages höchſt
harmlos.
Maria wurde bei dieſen Worten roth und wendete
ſich ſchnell zum Fenſter, als ob etwas Intereſſantes
dort plötzlich ihre Aufmexkſamkeit erregte. „Ich bin
auch ſchon eine Ewigkeit nicht dort geweſen,“ antwortete
ſie. „Ich habe aber auch eigentlich Alles geſehen.“

„Man ſagt, daß man zehn Jahre täglich dieſe Muſeen
beſuchen könne, ohne daß man ſie völlig kenne,“ meinte
Miß Johny.

„Das iſt wohl möglich, jedoch mich überſättigt der
Reichthum allmälig.“

„Du würdeſt mich alſo nicht gern begleiten, wenn
ich einmal in die Gemäldegallerie zu gehen gedächte?“

„O doch, warum denn nicht, natürlich!“ gab Maria
ſchnell und ſehr bereitwillig, jedoch anſcheinend etwas
ängſtlich zur Antwort.

„Sie möchte mich nicht gern in den Louvxe be-
gleiten,“ ſagte ſich Miß Johnh. „Warum nicht? Sie
theilt mir fonſt doch Alles mit! Nun, ich werde es
ſchon herauskriegen.“

Miß Johny ließ das Thema des Geſprächs fallen
und nahm ſich vor, die erſte freie Stunde zu benützen,
um mit Maͤria in die berühmte Gallerie zu gehen.

Der nächſte Tag brachte zufällig zwei dieſem Vor-
haben günſtige Vormittagsſtunden. Miß Johny ſprach
ihrer Freundin den Wunſch aus, heute den Laupre be-
ſuͤchen zu wollen. Maria kämpfte die in ihr aufſteigende
Angſt und Beſorgniß niedex, zeigte ein fröhliches Geſicht
und erklärte ſich bereit, die Freundin begleiten zu wollen.
Aber ihre Beklemmung war groß und ſteigerte ſich, je
mehr ſie ſich dem Gebaͤude naͤherten. Während ſie die
Treppen hinaufſtiegen, glaubte Maria, daß ihr heftig
pochendes Herz ihr die Bruſt zerſprengen werde, ſie
mußte aber gleichmäßig heiter ſich zeigen, ſie durfte die
Freundin nicht merken laͤſſen, wie angſtvoll es ihr zu
Muthe war.

Die Mädchen durchwanderten die Säle. Miß Johny
hatte nur ein ſehr oberflächliches Intereſſe für die
Meiſterwerke, ſie fah hauptſächlich nach den Perſonen,
die in den Prachträumen verkehrten, den fremden Eng-
ländern und Deutſchen, ſie ſchaute die Wärter prüfend
an und warf ſcharfe Blicke nach den Künſtlern und
Künſtlerinnen, die kopirten. Sie fand nichts, was ihr
den geringſten Anhaltspunkt gab für irgend etwas Ver-
dächkiges vder Seltſames, das ihrer Freundin Thun
aufklaͤren konnte.

Das hatte ſeinen guten Grund. Klaus Gehren
kopirte heute nicht, und Maria ward es plötzlich ſo
leicht um's Herz, daß ſie ihre Freude nicht verbergen
konnte. Das entging der ſchlauen Clariſſa nicht.
Am nächſten Tageé beſuchte ſie die Gallerie heimlich
und allein. Sie waͤr ſtark verſchleiert und beobachtete
alle Ein- und Ausgehenden von einer verborgenen Ecke
aus, von der aus fie die drei Haupträume überſehen
konnte. Nichts zeigte ſich, was ihr auffiel, ſie entſchloß
ſich heimzugehen, duxchſtreifte aber porher noch die
ſpaͤniſche Abtheilung. Plötzlich fuhr ſie heftig zuſammen,
ihre Füße mwurzelten am Boden! Da ſaß ja Peter
Laarſen und malte!

Miß Johny ſtand wohl eine halbe Minute mit weit


Daͤnn ging ſie mit ſchnellen Schritten auf Klaus zu.

„Hier alſo ſind Sie, meinHerr, mit meinen Papieren?“
ſprach ſie athemlos vor Erregung den Malenden an.

Klaus ſprang, erſchreckt durch dieſe Anxede, auf.
Als er Miß Johny erkannte, trat er indeß mit der
harmloſeſten und freundlichſten Miene auf ſie zu und
wollte ihr die Hand reichen.

„Ich habe Ihnen noch immer meinen herzlichen Dank
auszuſprechen für die großmüthige Ueherlaſſung der
Papiere,“ ſprach er mit einem Ton und Geſichtsaus-
druck, die fuͤr die Wahrheit ſeiner Worte zeugten.

Miß Johny ſtarrte den Sprechenden an. „Dank?“
ſtammelte ſie. „Dank?“

„Ja, beſonders deshalb, weil Sie mit ſo großem
Bartgefühl das werthvolle Geſchenk mir zukommen

das war Wahrheit, ſagte ſich Miß Johny. Jemand
anderes mußte ihr die Papiere genommen und dieſe
ihm heimlich zugeſteckt haben!

Und plötzlich fiel ihr ein, daß die halb blödſinnige,
boshafte Dienerin ſich manchmal in ihrem Zimmer zu
thun gemacht, und ſie dieſelbe einmal betroffen habe,
wie ſie in ihrem verſchloſſen geweſenen Schreibtiſche
herumſuchte. Blitzſchnell zog der Verdacht, daß dieſe
Perſon ihr dieſen Streich geſpielt haben könne, durch
ihren Kopf. *

Miß Johny war ein Raub der widerſprechendſten
Gefühle. Sie haßte dieſen Mann und liebte ihn, das
fühlte ſie jetzt wieder, noch immer. Sie war zornig
auf ihn, weil ſie ihre dunkle Ahnung beſtätigt ge:
funden, daß Maria mit dem Manne zuſammengetroffen
war. Das Mädchen liebte den Holländer unzweifelhaft.
Maria war jung, ſchön, anmuthig, in dieſen drei Eigen-
ſchaften ihr weit überlegen. Scham, Verzweiflung über
daͤs, was ſie gethan, Eiferſucht auf die Freundin, Angſt
um das Schickſal dieſes Mannes, das ſie herauf-
beſchworen, all' dies tobte in ihrem Innern. Bleich
athemlos ſtieß ſie hervor: „Ich habe Sie verrathen.“

„Verrathen — mich?“ ſtammelte Klaus.

„Ja, ich habe jenem Aſſeſſor Reinhard Ihren
Namen verrathen, weil ich glaubte, Sie hätten mir die
Papiere geſtohlen, denn ich habe ſie Ihnen nicht zu-
geſteckt.“

Klaus verſtand nicht.
holte er.

„Ja, den Namen Joſua Clyde. Behalten Sie die
Papiere und gehen Sie wieder nach Amerika, wenn
Sie etwas zu fürchten haben. — Sie ſind dort ſicherer
als hier. Ich will Alles thun, um Ihnen fortzuhelfen.“

„Weiß der Aſſeſſor, daß ich hier in Paris bin?“
frug Klaus.

„Nein, das wußte ich ſelbſt ja nicht.“

„Wie lange iſt es her, daß Sie den Mann benach-
richtigten?“

„Fünf Monate.“

„Nun,“ verſetzte Klaus beruhigt, „dann hat es keine
Noth. Wüßte er meinen Aufenthalt, ſo würde er
ſchon gehandelt haben.“

„Sie haben etwas zu fürchten?“ frug Miß YJohny. -
angſtvoll. ; . '

„Ja und nein. Ich habe meiner Meinung nach
nichts Unrechtes gethan. Ich habe mir geholfen, ohne
Jemand dadurch zu ſchädigen, und werde weiter dafür
ſorgen, daß Niemand durch mich geſchädigt wird. IC
werde nicht fortgehen, denn jeder Tag, den ich hier
gewinne, iſt koſtbar für mich, koſtbarer als alles Gold
und alle Edelſteine der Welt.“

Aus dem entſchloſſenen Geſichtsausdruck des Malers,
mit welchem er dieſe Worte geſprochen, ſah Miß Johny,
daß hier keine Ueberredung und Vorſtellung etwas
ausrichten werde.

„Gut,“ antwortete ſie. „Bleiben Sie alſo, wenn
Sie es nicht anders wollen, jedoch ich fühle die Ver-
pflichtung, nach dem, was ich gethan, über Sie zu
wachen. Geben Sie mir Ihre Wohnung an, damit es
mir möglich iſt, Sie ſofort zu benachrichtigen, im Fall
ich etwas Ihnen Drohendes erfahre.“

Klaus ſchrieb Miß Johny ſeine Adreſſe auf.

„Kennen Sie ein junges Mädchen Namens Maria.
Ribera?“ fragte ſie darauf.

„Nein, ich kenne kein junges Mädchen dieſes Namens.“

„Eine junge Dame mit ſchwarzen Haaren, länglicher
Naſe, ſüdlichem Typus?“ forſchte Miß Johny weiter.

„Eine ſolche Dame ſprach hier einmal einige Mi-
nuten mit mir,“ erwiederte Klaus.

Aus dex ruhigen, rein ſachlich gegebenen Auskunft
erſah die Amerikanerin, daß zwiſchen Klaus und Maria
bis jetzt ein Verhältniß nicht beſtand. Sie beſchloß,
obwohl ſie keine ſehr großen Hoffnungen hatte, den
geliebten Mann jetzt noch für ſich zu gewinnen, dennoch
die Freundin von ihm fernzuhalten. Sie reichte Klaus
* 5* und ſchied mit einem herzlichen „Auf Wieder-


„Von ihren Heirathsgedanken ſcheint ſie doch ab-

„Meinen Namen?“ wieder-


dem Saale verſchwunden war. „Aber freundſchaftlich
iſt ſie mir noch geſinnt. Ihre Sorgen hinſichtlich
meiner Sicherheit theile ich nicht.“

Unter ſolchen Gedanken ſetzte ſich Klaus vor ſeiner
Staffelei nieder und malte ruhig weiter.

Allerlei Pläne in ihrem erfinderiſchen Kopfe aus-
heckend, ging Miß Johny nach Hauſe und trat ſehr
lebhaft in das Zimmer zu Maria.

„Kannſt Du Dir denken, wen ich heute getroffen
habe? Ich war zufällig im Louvre,“ ſprach ſie die
Freundin an.

Maria erbleichte, ſagte aber nichts.

„Nun, den Peter Laarſen,“ fuhr Miß Johny fort.
„Wir hatten uns gezankt und haben uns wieder ver-
ſöhnt. Ich hatte Unrecht, das hat ſich jetzt heraus-
 
Annotationen