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378

Das BuG tur YlLe

heſt 16.

„Kennen Sie die Dame?“ fragte der Staatsanwalt
Klaus.

„Ja, jetzt zweifele ich nicht länger daran, es iſt
dieſelbe, die ich den Strand hinauftrug. Und nun
weiß ich auch, weshalb ich das that. Ihr zartes Geſicht
und ihre Schönheit rührten mich, ich wollte nicht, daß
dieſe Todte eine Beute der Fiſche werde, ich wollte,
daß ſie ein Grab auf der Inſel finde.“

Es machte ſich nach dieſen Worten des Angeklagten
eine derartige Bewegung und ein ſolches Gemurmel auf
der Tribüne bemerkbar, daß der Vorſitzende zur Ruhe
mahnen mußte.

Der Vorſitzende zog nun das Für und Wider, das
ſich bisher in Bezug auf Klaus Gehren's Handlungs-
weiſe ergeben, zuſammen, und die Mutter Klaus Gehren's
betrat jetzt den Saal.

Der Vertheidiger hatte Klaus nichts davon geſagt,
daß ſeine Mutter nach Hannover gekommen ſei und
bei der Verhandlung erſcheinen werde; er verſprach ſich
eine größere Wirkung, wenn unvermuthet die Mutter
dem Sohne gegenübertrete.

Frau Gehren hatte das Licht im Geſicht, Klaus


blicken ihren Sohn nicht, dieſer war jedoch beim Ein-
treten der alten Frau heftig aufgeſprungen.

„O Mutter, Mutter!“ rief er. „Hier mußt Du mich
Q «

Frau Gehren erblickte jetzt ihren Sohn, und trotz
des Dazwiſchenſpringens der Gerichtsdiener, die es ver-
hindern wollten, ſtürzten ſich Mutter und Sohn in die
Arme und weinten laut.

Im Saale herrſchte die tiefſte Stille, man hörte
auf den Gallerien Schluchzen.

Der Vorſitzende forderte die Mutter auf, zu erklären,
was ſie über die That ihres Sohnes wiſſe.

„Ueber die That ſelbſt weiß ich nur, was ich in
den letzten Tagen aus Gerüchten und den Zeitungen
erfahren habe. Ich kann darüber nur ſagen, daß mein
Sohn ſeit vielen Jahren nicht ſo fehr in wirklicher
Armuth, obwohl es uns ja ſchlecht genug ging, ſondern


fühlte ſich auf der Inſel tief unglücklich, ſein großes
Talent, das Niemand bezweifelte, trieb ihn in's Weite.
Cr war manchmal wie unſinnig und zu gar keiner
Arbeit mehr zu brauchen. Der Wunſch! in die Welt
hinauszugehen, um dort ein großer Maler zu werden,
war förmlich zu einer Art Kraͤnkheit bei ihm geworden.
Wie ganz eingenommen und für alles Andere todt er
durch dieſe quälende Sehnſucht war, geht am beſten
daraus hervor, daß er, der ſtets bemüht geweſen, mir
Freude zu bereiten und Sorgen von mir fern zu halten,
gar nicht daran dachte, welch einen Schmerz er mir durch
ſein unerklärliches Verſchwinden bereitete.“

Die Hände vor das Geſicht geſchlagen, hatte Klaus

regungslos dageſeſſen, während ſeine Mutter ſprach.
Als die alte Frau ſchwieg, murmelte er: „Verzeih mir,
Mutter, verzeih!“
Es ſprochen noch einmal der Staatsanwalt und der
Vertheidiger, dann zog ſich der Gerichtshof zur Beſchluß-
faſſung zurück. Nach kurzer Zeit erſchienen die Richter
wieder.

Sie verneinten die Frage, die auf Diebſtahl lautete,
bejahten die auf Fundunterſchlagung.

Infolge deſſen wurde Klaus Gehren bei der Höhe
der Summe, um welche es ſich handelte, jedoch unter
Annahme mildernder Umftände im weiteſten Umfange
zu ſechs Wochen Gefängniß verurtheilt.

Der Vorſitzende eröffnete Maria, daß das ihr ge-
nommene Geld bis auf tauſend Mark vorgefunden fei,
und ſie es an ſich nehmen könne. Er frug, ob die
Zeugin Anſprüche auf Erlatz der fehlenden Sunime mache.

Nein!“ antwortete Maria entſchieden. „Wenn die
Sache nicht eine ſo unglückliche Wendung genommen,
und ich mein Vermögen früher in die Hand bekommen
hätte, würde ich gern Herrn Gehren das Nöthige zum
Studiren vorgeſtreckt haben.“

Da der Vertheidiger auf eine Berufung verzichtete,
ſe wurde Klaus in Haft abgeführt. Er ging kuhigen
Schrittes mit einem tiefen Blick in die Augen feiner


dem Saal.

Nach Beendigung des Prozeſſes ging der Aſſeſſor
Reinhard nach Eſens zurück. Dort war nicht allein
das Amt von dem ſehr bedenklichen Unternehmen des
Aſſeſſors in Henntniß geſetzt worden, ſondern jedes Kind
wußte, welchen Ausgang deſſen Heirathsipekulation
mit dem Gelde der geretteten. Spaͤnierin genommen
hatte. Seine vorgeſetzte Behörde konnte ihn an dem
Orte hier nicht mehr halten, und es wurde ihm nahe-
gelegt, ſich verſetzen zu laſſen. Man ſchickte den Affeffoͤr
in ein kleines Neſt an der ruſſiſchen Grenze Ob er
dort ſeine Heirathsſpekulationen forigeſetzt haͤt, iſt nicht
bekannt geworden.

Maxia [öste ihr Verhältniß zu dem Pariſer Geſchäft,
ließ ſich in Nünchen nieder und exreichte es endlich
nach vieler Ueberredung, daß die Wittwe Gehren ſich
ihr anſchloß und als Ehrendame, wie Maria halb im


Ernſt, halb im Scherz erklärte, mit ihr nach der Haupt-
ſtadt Bayerns zog.

Es fand zwiſchen den beiden Frauen keine Aus-
ſprache hinſichtlich des Verhältniſſes Maria's zu Klaus
ſtatt, und auch nicht darüber, was Klaus anfangen ſolle,
wenn er aus der Haft entlaſſen würde.

Die Wittwe ſchrieb, ſo oft es erlaubt war, an ihren
Sohn. Er war unterrichtet, daß ſie bei Maria Ri-
bera lebe.

Als er aus der Haft entlaſſen wurde, ging er jedoch
nicht nach München, ſondern wieder nach Paͤris.

Zu ihrer Ueberraſchung erhielt die Wittwe Gehren
eines Tages folgendes Schreiben von ihrem Sohne aus
der franzöſiſchen Hauptſtadt:

„Geliebte Mutter!

Ich habe mich entſchloſſen, nicht nach München zu
Lhen, ſo ſchwer es mir auch wird, Dich und das gütige
Fräulein vorerſt nicht wiederzufehen. Ich bin nach
Paris zurückgereist und von Profeffor Bonnier überaus
freundlich empfangen worden. Ich ſtudire bei ihm
priyatim weitex und brauche vorkäufig nichts zu be-
zahlen. Der Profeſſor hat mir Ilkuftrationsaufträge
von Vexlegern illuſtrirter Werke verſchafft, ſo daß ich
mir meinen Lebensunterhalt ſelbſt erwerben kann. Ich
kopire auch für Kunſthändler Meiſterwerke im Louvre,
was gut bezahlt wird Vox Ablauf von zwei Jahren
kehre ich nicht nach Deutſchland zurück. Dann werde
ich ſo weit ſein, daß ich völlig auf eigenen Füßen ſtehe
und überall weiter an meiner Ausbildung arbeiten kann.“

„Ich hätte Ihnen ſo gern das Geld vorgeſchoſſen,
damit Ihr Sohn auf weniger rauhem Wege fein Ziel
erreichen kann,“ äußerte Maria, nachdem ſie diefen Brief
geleſen, zu der Wittwe.

„Das weiß ich, mein Kind. Sie hätten in Ihrer
großen Güte das gethan, aber es iſt beſſer ſo. Klaus
will ſich aus eigener Kraft emporringen — das iſt männ-
Iich und brav. Er muß auch auf dieſe Weiſe in Ihren
Augen würdiger daſtehen. Ich kann' ſeinen Entſchluß
nur gutheißen.“

Einige Wochen ſpäter traf von Miß Johny ein
Brief an Maria ein. Die Amerikanerin 'ſchrieb unter
Anderem:

„Unſeren Klaus Gehren habe ich auch wieder ge-
Cr arbeitet im Loupte ſehr fleißig, ganz wie
früher. Meine Hoffnung, ihn für mich zu gewinnen,
habe ich aufgegeben. Ich ſehe und fühle es: Entſagung
iſt mein Laos. Ich muß mich darein finden. Aber
von Dir, Du Glückliche, ſpricht er mit der größten
Begeiſterung.“

Ein Jahr war vergangen. Kurze Briefe von Klaus
famen regelmäßig nach München. Da machte Maria
Rihera die Entdeckung daß ihr das Münchener Klima
nicht xecht bekomme. Sie ſprach die Abſicht'aus, wieder
nach Paxis gehen zu wollen, weil ihr der Aufenthalt
dort ſo über die Maßen gutgethan hätle. Noch in keiner
Stadt, in keinem Lande habe das Klima ihrem Ge-
ſundheitszuſtande derartig entſprochen, als in Paris.
Sie bat, daß die Wittwẽ Gehren auch dorthin fie be-
gleiten möge.

Frau Gehren gab nur ungern nach, aber ſie gab
nach, und die beiden Frauen verließen Münchén uͤnd
gingen nach Paris. Hiex hatte wieder das Louvre fuͤr
Maria eine große Anziehungskraft, und die Luft bekam
ihr da am beſten. Sie traf Klaus jeden Dienstag in
den Sälen, ſpäter auch jeden Montag, dann am Mitt-
woch auch, und darauf ging ſie noch am Freitag in die


ein halbes Jahr, da gab es einmal eine ernſthafte Aus-
ſprache zwiſchen den beiden jungen Leuten, die längſt
wußten, wie es zwiſchen ihnen ſtand, aber beiderſeitig
das richtige Wort und die richtige Gelegenheit zum
Anfangen nicht fanden. ;

„Es war Beſtimmung des Schickſals, daß ich an
dieſe Küſte getrieben werden und ſpäter Ihr Bild ſehen
mußte,“ ſprach im Verlaufe dieſer Unterredung Maria.

„Und einen beſtraften Menſchen wollen Sie zum
Manne nehmen?“ frug darauf ernſt und ſchmerzlich
Klaus.

„Nach menſchlichen Geſetzen mögen Sie gefehlt haben,
aber moraliſch war Ihr Vergehen ficherlich fehr gering,
und mir kommt es vor, als hätten Sie die That nuͤr
meinetwegen gethan, damit der Mann, den ich liebe,
auch noch ein großer Künſtler werden konnte,“ entgeanete
Maria.

„Die Seele, die liebt, verzeiht eben Alles,“ meinte
darauf Klaus.

„Ja, ſie verzeiht, weil ſie hei dem Geliehten hundert-
mal mehr und hundertmal tiefer ſieht, als diẽ kalten,
nüchternen Menſchen Wäreſt Du nicht ein ſo guter
Menſch, liebte ich Dich auch gar nicht. Damit iſt Alles
geſagt.“

Am Schluſſe dieſes Tages noch erſchienen die beiden
jungen Leute bei der Wittwe Gehren und erklärten, da


und ihr Denken miteinander verknüpft habe, ſo hätten
ſie ſich entſchloſſen, vereint durch das Leben zu wandeln.
Unter Thränen gab Mutter Gehren ihren Segen.


Die Nachricht von dieſer Verlobung nahm Miß Johny
mit ganz heiterem Geſicht entgegen, denn ſie hatte in-
zwiſchen einen etwas bejahrten, aher gut ſituirten Maͤntel-
fabrikanten gekapert, der in der Amerikanerin die Zeich-
nerin und Geſchäftsfrau, die ihm mangelte, ſchätzte.
Miß Johny ſetzte es durch, ſchon ein Vierteljahr nach
der eingeleiteten, Bekanntſchaft Hochzeit zu machen.

Nicht lange darnach fand die Heirath Maria's mit
Klaus Gehren in München ſtatt, wohin man über-
geſiedelt war, da die Luft jetzt der jungen Braut ganz
bekömmlich erſchien.

Heut iſt Klaus Gehren ein reicher, in ſeiner Häus-
lichkeit glücklicher Mann und ein angeſehener Maler,
der die ſeltſame Schickſalsverkettung preist, die ihn einſt
anı Strande ſeiner öden Heimathsinſel das Glück
finden ließ. *

Sn De.

Geächtet.

Roman

von

Tothar Brenkendorf.

Nachdruck verboten.)

Erſtes Kapitel.

/ aß er auch in ſeines eigenen Herren Lande
den Frieden brach, beſiegelte ſein Geſchick.
Durch eine erdichtete Botſchaft wurde Hans
Kohlhaſe?) nach Berlin gelockt, mitſammt
ſeinem Genoſſen Georg Nagelſchmidt ge-
fangen genommen und im Maͤrz des Jahres
1540 durch das Rad vom Leben zum Tode gebracht.“
Ein ſtattlicher junger Offizier in preußiſcher Huſaren-
uniform war e$, der mit dieſen Worten feine Erzäh-
Ung, von den Thaten und Schickſalen des rebelliſchen
Berliner Roßkammes beſchloß. Leicht auf die Lehne
eines zierlichen Seſſels geſtützt, ſtand er ſeiner einzigen
Zuhörexin, einem Mädchen von hoͤchſtens ſiebzehn Fahren,
gegenüher. Die koſtbare Ausſtattung des Zimmers,
darin ſich die Beiden befanden, ließ keinen Zweifel an
dem Reichthum und der Vornehmheit des Haufes. Sie
war ganz in jenem verfeinerten franzöſiſchen Geſchmack
gehalten, der ſeit der Thronbeſteigung des Königs
Friedxich II. namentlich in den Hofkreiſen zur herrfchen-
den Mode geworden war. Schön gemalte Darſtellungen
idylliſcher Schäferſeenen ſchniückten in goldenen Um-
rahmungen die Wände; werthvolle Porzellaͤne und andere
guserleſene Kunſtgegenſtände hatten auf dem Kamin-
ſims wie auf Wandbrettern ihren Platz gefunden, und
i ſchliffenem Berg-

kryſtall hing von der Decke hernieder.

Die freundliche Auguſtſonne, die breite Ströme ihres
warmgoldigen Lichtes durch die unverhängten Feüſter
ſandte, übergoß das ganze Gemach mit einem milden


für die beiden beneidenswerthen, in Jugend und Schön:
heit prangenden Menſchenkinder maͤchie. Sie zahlten
allem Anſchein nach zu jenen Glücklichen, denen ein
gnädiges Geſchick als Lebensmitgift ſchon in die Wiege
gelegt hat, was Andere trotz der härteſten Kämpfe
nimmermehr erreichen: Wohlleben, Ueberfluß und einen
heporzugten Platz in der menſchlichen Geſellſchaͤft. Sicher-
lich waren es nur die ſonnigen Seiten des irdifchen
Daſeins, die ſie bisher aus eigener Anſchauung keuͤnen
gelernt hatten. Und es war darum vielleicht ein wenig
befremdlich, daß dem anmuthigen Kinde — ihrer Ge!
ſtalt und dem unſchuldsvollen Ausdruck ihres Antlitzes
nach mar die junge Dame in der That noch ein Kind —
die herben Schickfale des Friedensbrechers Hans Kohl-
haſe augenſcheinlich ſehr zu Herzen gingen.

In geſpannter Aufmerkſamkeit, faſt mit verhaltenem
Athem, hatte ſie dem letzten Theil der friſch und lebendig
vorgetragenen Erzählung gelauſcht. Nun, da ſie des
ſtarrſinnigen Roßkammes tragiſches Ende erfahren, fun:
kelten helle Thränen an ihren Wimpern, und um den
roſigen Kindermund zuckte es verrätheriſch, während fie
in einem Tone ehrlicher Entrüſtung faate: „O, das ift
garſtig! Welche abſcheuliche Ungerechtigkeit hat man
an dem armen Menſchen begangen!”

Der junge Offizier jchüttelte ernſthaft ſeinen hübſchen,
gepuderten Kopf. „Keine Ungexechtigkeit, Fraulein
v. Marfchall! Er hatte den Landfrieden gebrochen und
dadurch ſein Leben verwirkt. Die Nichter, die ihm den
Prozeß machten, durften kein anderes Urtheil fällen.“

Aber er hatte ſie mit dieſer Aufklärung keineswegs
überzeugt.

„Das verſtehe ich nicht. Sagten Sie denn nicht
vorhin ſelbſt, Herr Lieutenant, Hans Kohlhaſe fei gegen
den Junker v. Zaſchwitz und ſogaͤr gegen den Kurfürften
von Sachſen in ſeinem guten Recht gewefen? Sollte

*) „Michael Kohlhaas“, wie H. v. Kleiſt ihn in ſeiner ſpäter
(1810) erſchienenen Novelle genaͤnnt hat, iſt unrichtig.
 
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