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618

Das ALTe

heft 26.

Kopf ſtößt. So viel mir bekannt iſt, bewirbt er ſich um
die Hand von Fräulein Weber.“

„Die hat doͤch der Vater zu vergeben, Herr Staats-
anwalt.“ ; ‘
Bm — freilich Sie wollen damit ſagen, daß der
Vateér mit dem Schwiegerſohn ſchon beſſer überein-
ſtimmen würde.“

„So weit ich ihn kenne — allerdings.“

Ich kenne ihn auch, ſogar ziemlich genau. Er iſt
ein fehr humaner Mann, aber er hat doch mehr von
einem alten Römer an ſich, als Manche glauben.“

Körner und Held hatten theilweiſe denſelben Weg,


her, dann ſagte Körner: 2

„Ich war zu heftig, Herr Direktor, ich bitte des-
wegen um Verzeihung“ 7

„Ihre Heftigkeit betrübt mich weniger, als Ihre
Denkiweiſe,“ gab Jener zur Antwort. „Jene iſt eine
Schwäche der Fugend, dieſe ein Fehler des Charakters.“

Der Arzt ſchwieg, um den Streit nicht zu erneuern.


hege,“ fuhr Held fort, „aber ich muß geſtehen, daß
mich die Möglichkeit ſeiner Erfüllung jetzt mit einiger
Sorge erfüllt.“

„Ich kann Sie von dieſer Sorge befreien, Herr
Direktor,“ verſetzte Körner bitter. „Es iſt zwiſchen
Roſa und mir zur Ausſprache gekommen; ſie lehnt
meine Hand ab.“

„Alſo ein Bruch!“

„Nein, Herr Direktor, kein Bruch. Wir lieben uns
Beide, aber ſie vermag die Scheu vor meinem Beruf
nicht zu überwinden.“

„Dann iſt es keine richtige Liebe, Herr Doktor.“

Man könnte das glauben, aber es iſt nicht ſo.
Ich möchte eine Bitte ausſprechen, Herr Direktor, denn
Sie ſtehen Roſa faſt näher, als der eigene Vater. Sie
hat Neigung zu ſchwermüthigen Anwandlungen, und
darauf beruht ihre Scheu vor Allem, was mit meiner
Thätigkeit zuſammenhängt. Es iſt mir in der letzten
Zeit klar geworden, und ich habe es nicht als Liebhaber,
ſondern als Arzt erwogen. Ich will die Thatſache auch
nicht ſchärfer ausdrücken, denn es liegt keine Veranlaſſung
dazu vor. Aber meine Bitte geht dahin: Tragen Sie
Sorge, daß Roſa in eine heitere Umgebung kommt.“


man konnte auf dem unbeweglichen Antlitz nicht ſehen,
was in ſeinem Innern vorging. *

Endlich ſagte er leiſe: „Die Freude iſt in meinem
Hauſe ein ſeltener Gaſt, nicht wahr, Herr Doktor?“
Ich wollte das nicht ſo ausdrücken, Herr Direktor;
ſagen wir, daß die Jugend in Ihrem Hauſe fehlt.“

„Ja, ein altes kinderloſes Ehepaar, eine verſchüch-
terte Frau und ein grämlicher, zurückgeſetzter, um ſeine
Hoffnungen betrogener Mann. Sie haben das nicht
geſagt, aber die Welt ſagt es, und ſie hat wohl Recht.
Aber wiſſen Sie auch, Herr Doktor, daß dieſes einzige
junge Weſen das Licht meiner Tage-ift, und Sie ver-
langen von mir, daß ich mein Haus ganz dunkel machen
ſoll?“ *

„Ich will auch ein Haus gründen,“ ſagte Körner
bitter, „und es wird dunkel ſein.“

Die beiden Männer ſtanden an der Stelle, wo ihr
Weg ſich ſchied. Der Sturm wehte über ihnen in den
Bäumen der Anlagen, und man ſah keinen Stern.
Der Direktor reichte dem jungen Arzte die Hand, und
auf ſeinem verſchloſſenen Geſicht lag faſt ein weh-
müthiges Lächeln. *

„Die Welt ſteht Ihnen offen, lieber Freund,“ ſagte


zu hoffen. Aber ich will mir Ihre Worte überlegen,
hoffentlich hat die Gewöhnung Ihres Berufes Sie für
diesmal getäuſcht.“

Er verſchwand unter den Bäumen, und Körner
ſetzte nachdenklich ſeinen Weg fort. Als er in die Nähe
der Irrenanſtalt kam, fiel ihm etwas auf. Es herrſchte
in dem ſtillen Gebäude eine unerklärliche Unruhe, man
ſah Fenſter, die ſonſt um dieſe Zeit dunkel waren,
erhellt, und hinter den Scheiben glitten Schatten hin
und her. Es mußte irgend etwas ſich begeben haben,
was außerhalb der Berechnung ſtand.

Als Körner die Anſtalt betrat, kam ihm ein Wächter
athemlos entgegen.

„Wir haben Sie ſchon überall geſucht, Herr Doktor,
denn der Herr Geheimrath meinte, es ſei ein ſehr ſchlimmer
2 und eigentlich gehört die Sache ja gar nicht hier-
* —7 2

Körner nahm ſich nicht die Zeit, den beſtürzten und
verwirrten Menſchen auszuforſchen; er frug nur kurz,
wo ſich der Direktor befinde, und eilte dahin.

Baxkhauſen ſaß am Bette Abel Rottmann's und
hielt die Hand des Verwundeten in der feinigen. Der
Schäfer war bei Beſinnung, aber er ſchien furchtbare
Schmerzen auszuſtehen, denn er ſtöhnte und ſchrié bis-
weilen herzzerreißend.

„Waͤs iſt hier geſchehen?“ frug Körner erſchrocken,
und ſetzte leiſer hinzu: „Sie wünſchten eine Konful-
tation Herr Geheimrath, ſo ſagte man mir.“

„Dann bin ich mißverſtanden worden, Herr Kollege,“


geſchehen. Indeſſen —

Er faßte den jungen Arzt unter dem Arm und
ging mit ihm in das Nebenzimmer. Dort ſchilderte er
mit wenigen Worten den Vorfall und ſagte: „Mein
mediziniſches Gutachten ſteht feſt, indeſſen Zwei ſehen
mehr als Einer; ich wollte Sie bitten, den Unglücklichen
ebenfalls zu unterſuchen.“

Die Unterſuchung war in wenigen Minuten beendet,
die beiden Aerzte haͤtten ſich während derſelben ſtumm
angeblickt, dann begaben ſie ſich abermals hinaus und
ſchloſſen ſorgfältig die Thür.

„Keine Hoffnung,“ ſagte Körner, und Barkhauſen
nickte.

„Abſolut keine Hoffnung, Herr Kollege; der Mann
iſt unfehlbar ein Kind des Todes. Wir ſind alſo voll-
kommen einig.“

„Vollkommen, Herr Geheimrath. Und wann erwarten
Sie die Auflöſung?“

Barkhauſen zögerte. „Ich wünſchte ſagen zu können:
bald. Indeſſen die Art der Verletzung und die zähe
Konſtitution des Unglücklichen —“

„Vierundzwanzig Stunden —“ ſagte Körner leiſe.

„Wenn kein unermarteter Zwiſchenfall eintritt —
gewiß. Vielleicht noch länger.“

Die beiden Männer ſchwiegen eine Weile, und in
ihren Augen, die daran gewöhnt waren, ſo unendlich


Frage.

Endlich brach Körner den Bann, und ſagte, ohn?
den Anderen anzublicken: „Sie haben ihm kein Mor-
phium gegeben, Herr Geheimrath?“

„Wenn ich das könnte, Herr Kollege!“ rief Bark-
hauſen ſchmerzlich. „Aber Sie wiſſen ja ſelbſt —“
Ja, ich weiß es,“ beſtätigte Körner finſter. „Es
gibt Fälle, wo dieſe Wohlthat geſetzlich verboten iſt.
Der Fall liegt vor.“

„Ganz unzweifelhaft! Eine geringe Doſis nützt
nichts, eine größere würde den Tod herbeiführen.
Glauben Sie, daß ich ſonſt auch nur einen Augenblick


„Aber der Mann muß ja doch unfehlbar in kurzer
Zeit ſterben.“

„Das iſt nicht unſere Sache. Wir gehorchen einfach
der Pflicht. Sind Sie nicht auch dieſer Meinung, Herr
Kollege?“

„Ja,“ ſagte Körner zögernd.

Die Konſultation war zu Ende, und die beiden
Aerzte erhoben ſich.

Da frug Körner: „Wen trifft das Verſchulden an
dieſem entſetzlichen Unglück?“

„Keinen, ſoweit ich beurtheilen kann. Es müßte
denn der Maurer ſein, der die Eiſenſtäbe ſchlecht be-
feſtigt hat. Aber Rottmann iſt ja geiſtig vollkommen
zurechnungsfähig, er handelte mit freier Willensbeſtim-
mung und wollte lediglich entfliehen. Er hat mir das
ſelbſt mitgetheilt.“

Körner ſchwieg. Aber als ſie im Begriff waren,
das Zimmer zu verlaſſen, ſagte er: „Ich werde bei dem
Unglücklichen Wache halten.“

„Das kann der Wärter eben ſo gut, Herr Kollege.
Es gibt ja nichts zu helfen.“

„Vielleicht doch, Herr Geheimrath.“

Barkhauſen ſtreifte den jungen, todtenblaſſen Arzt
mit einem prüfenden Blick und wandte ſich ab.

„Wie Sie wollen,“ entgegnete er dann mit ſonderbar
bewegter Stimme, „in den Händen des Arztes iſt der
Kranke immer beſſer aufgehoben.“ ;

Körner ſchickte den Wärter fort und nahm deſſen
Platz an Rottmann's Lager ein. Mitternacht war ſchon
vorüber, und es ging auf den Morgen.

Jene tiefe Stille, welche in dieſen Stunden zu
herrſchen pflegt, ſchwebte, ſo weit es für die Heimſtätte


anſtalt und wurde nur ſelten durch einen Schrei oder
einen Klageton unterbrochen. Und in dieſem Schweigen
konnte der Arzt jeden der ſchweren Athemzüge hören,
die tief und röchelnd aus der Bruſt des alten Mannes
emporquollen. Sie glichen mehr einem unterdrückten
Stöhnen.

„Rottmann,“ ſagte Körner, „leidet Ihr ſehr?“


tor,“ entgegnete Jener zwiſchen den zuſammengepreßten
Zähnen. „Kommt das noch ſchlimmer?“

Der Arzt ſchwieg. Er wußte, es werde noch viel
ſchlimmer kommen.

„Nicht wahr, ich muß doch ſterben?“ frug Rottmann
nach einer Pauſe.

„Wenn Ihr etwas anzuordnen habt, Rottmann —“

„Nichts. Ich ſterbe gern, ſehr gern; aber wie lange
wird es noch währen?“

Abermals jenes beredte Schweigen.

„Wenn Sie mir nur etwas geben wollten, Herr
Doktor, es ginge doch ſchneller.“

„Das Geſetz verbietet es, Rottmann.“

„Ja, ja, das Geſetz,“ murmelte der Kranke.

Körner ſaß ſchweigend da und beobachtete die Züge

des Leidenden. Was hatte der Unglückliche noch zu er-
warten, als Qualen, endloſe Qualen! ... Er feufzte
tief und ſchwer auf. Dann ſah er nach der Uhr. Sie
wies auf Zwei, und es waren ſeit jenem Unglücksfall
erſt vier Stunden vergangen. Vier Stunden von vier-
undzwanzig Stunden! ;

Der Kranke war etwas ruhiger geworden, es hatte
ſich jener Zuſtand eingeſtellt, den Körner ſo ſehr
fürchtete.

Die Ruhe vor dem Sturm! Sie konnte etwa eine
halbe Stunde währen, und dann kam eine lange Periode,
die der Schrecken eines jeden fühlenden Menſchen
werden mußte. Er wußte es, ſein Inneres empörte
ſich, daß er hier thatenlos zuſchauen ſolle, wie ein armer
Unglücklicher in Qualen vergehe.

Wieder verging eine Weile. Plötzlich ſtieß der
Kranke einen gellenden Schrei aus, und feine Züge
verzerrten ſich. „Herr Doktor — Hilfe — Hilfe —“
kam es zwiſchen den bebenden Lippen hervor und die
Arme fuhren wild in die Luft. *

Körner zuckte zuſammen und erhob ſich.

„Doktor — ich halte es nicht aus — geben Sie
mir etwas, daß die Schmerzen aufhören. Ich will ja
gern ſterben — nur ſchnell, ſchnell!“.

Körner wurde bleich. Er wußte, wie entſetzlich der
Verwundete litt. Und das ſollte noch einen langen,
endloſen Tag ſo fortdauern?

Er erhob ſich und ging in das Nebenzimmer Dort
ſtand ein verſchloſſener Medizinſchrank, zu dem er den
Schlüſſel beſaß; er öffnete den Schrank, nahm einen
Gegenſtand heraus, und miſchte Etwas in einem Glaſe
Waſſer..

Er that e& langſam und bedächtig, ohne einen
Moment zu zögern, ohne mit der Händ zu zucken.
Dann kehrte er in das Krankenzimmer zurück, nahm
ſeinen alten Platz wieder ein und führte mit einer un-
endlich ſanften Bewegung das Glas an die Lippen
Abel Rottmann's.

Trinkt,“ ſagte er, „es wird Euch gut thun.“

Der Kranke trank, mit einem dankbaren Blick auf
den Arzt, und legte ſich alsdann in die Kiſſen zurück.
Nach wenigen Minuten hörte er auf zu ſtöhnen und
ſich zu winden, ſchloß die Augen und ſchlief ein.

Körner beobachtete den Ruͤhenden aufmerkſam, in-
dem er ſeine Uhr hervorzog und am Sekundenzeiger
derſelben den Pulsſchlag Rottmann's abmaß. Nach
einer Weile ſteckte er die Uhr wieder in die Taſche,
legte ſeine Hand auf das Herz des regungsloſen Mannes
und nickte.

„Erlöst,“ ſagte er leiſe.

So ſaß er eine lange Weile und blickte unver-
wandt guf dieſe ſtillen Züge, die allmälig jenen ſon-
derbar ſtarren Ausdruck annahmen, wie er Todten eigen
iſt. Dann erhob er ſich, trat an das Fenſter und zog
die Vorhänge zurück.

Der Sturm hatte ſich gelegt, und in der langſam
herauf ſchwebenden Dämmerung ſtanden die Bäume
regungslos Man ahnte ſchon die Nähe des Morgens,
denn im Oſten färbte ſich der Himmel röthlich, aber
über dieſem ſchmalen hellen Streifen ſtand eine ſchwere
dunkle Wolkenbank wie ein Räthſel, deſſen Löſung man
von dem Licht erwartet.

Der Arzt blickte unverwandt hinüber, und der Aus-
druck ſeiner Augen war ſo ſtarr und unbeweglich, als
ob für ſie nichts weiter vorhanden ſei, als jene Hülle,
die den Himmel verdeckte.

So fand ihn der Wärter, der zur Ablöſung her-
ein kam.

Der Mann erkannte ſofort mit geübtem Blick, daß
eine menſchliche Thätigkeit hier nicht mehr von Nöthen
ſei; er athmete erleichtert auf und drückte dem Todten
die Augen zu. Dann ſagte er: „Gott ſei Dank, Herr
Doktor, es iſt doch ſchneller gegangen, als wir befuͤrch-
teten; aber es mar ja auch zu gräßlich.“ Und dann
nahm er das leere Glas in die Hand, welches Körner
7 ein Tiſchchen am Kopfende des Bettes geſtellt

atte. ;

Er betrachtete es einen Moment, roch daran und
meinte verlegen: „Hier ſteht ein Glas, Herr Doktor,
das kann ich wohl ausſpülen, was?“

„Wie Sie wollen, Müller,“ entgegnete Körner, ohne
ſich umzuwenden.

„Dann will ich es nur gleich thun, Herr Doktor,
Ordnung iſt in allen Dingen gut. Und was ich noch


verrückt? Er fah mir gar nicht darnach aus.“
„Man ſieht Manchem nicht an, waͤs er iſt,“ ſagte
der Arzt tonlos.

8.
Adolph Körner war nicht das einzige Kind ſeiner
Eltern, ſondern hatte noch Geſchwiſter gehabt; aber
dieſe waren ſämmtlich im zaͤrten Jugendalter geſtorben,
und auch über ſeinem Haupte hatten mehr als einmal
die Sorge und der Tod geſchwebt.
Das rauhe Klima des hoch gelegenen Gebirgsdorfes,
 
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