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DasBuchfüvAlle
19
Hans Kohlschein. Friedrich der Grosze im Nchedistrikt.
Friedrich der Große und die erste Teilung Polens. Von R. Reinke.
ch habe dieses Preußen gesehen, das ich gewissermaßen aus Ihrer Hand
empfangen habe. Es ist eine sehr gute und sehr vorteilhafte Erwerbung,
__sowohl was die politische Lage des Staates als die Finanzen anlangt," so
chreibt Friedrich der Große am 12. Juni 1772 an seinen Bruder, den Prinzen
Heinrich, der von ihm an den Petersburger Hof gesandt war, um dort die
Interessen Preußens in Polen zu wahren, eine Aufgabe, die er mit gutem Ge-
schick gelöst hat. Dem großer: König ist öfters nachgesagt worden, daß vor
allem seine Politik zur ersten Teilung Polens, die an sich keinen Lichtblick im
Völkerleben darstellt, geführt habe. Er selbst verwahrt sich entschieden dagegen,
so auch in einem Briefe an Voltaire; auch die Geschichtsforschung ist zu einem
anderen Urteil gelangt über diese Umwälzungen, die wohl im Interesse der
Staatsräson der beteiligten Mächte lagen,
aber ein dunkler Punkt in der Geschichte sind,
so wenig Mitgefühl an sich das polnische Volk
jener Zeit verdient.
Einig in diesem letzteren Urteil sind sich
alle Geschichtschreiber..Die polnische Nation
war um jene Zeitwende wohl auf ihrem
Tiefstand angelangt. In staatlicher wie in
wirtschaftlicher Hinsicht herrschte im Polen des
achtzehntenJahrhunderts eine Versumpfung,
wie sie so leicht nicht ihresgleichen findet. Sie
erhält ihre Erklärung in der Übermacht und
in dem unheilvollen Einfluß des Adels, der
allein den sprichwörtlich gewordenen polni¬
schen Reichstag bildete, sprichwörtlich durch
die grenzenlose Unordnung und Zerfahrenheit
infolge der Eifersüchtelei der Parteien. Das
verhängnisvolle Recht des „liberum votoo",
das freie Einspruchsrecht des einzelnen Reichs¬
tagsmitglieds, in selbstsüchtiger Verblendung
von ihnen selbst als das „Palladium" Polens
bezeichnet, war es, das ein gedeihliches
Arbeiten der gesetzgebenden Körperschaft un¬
möglich machte. Durch den Einspruch eines
einzigen Reichstagmitgliedes, durch sein
„wie pMvolam" -—ich gestatte nicht —- wurde
nicht nur der jeweilige Reichstag aufgelöst,
„zerrissen", wie der Ausdruck lautete, sondern
auch sämtliche, vorher von ihm gefaßten Be¬
schlüsse wurden ebenfalls ungültig. Zum
ersten Male machte im Jahre 1652 der Land¬
bote Sicinski von diesem folgenschweren Recht
Gebrauch; er fand schnell Nachahmer, und bis
zum Jahre 1764 sind von den in dieser Zeit
abgehaltenen fünfundfünfzig Reichstagen
nicht weniger als achtundvierzig zerrissen
worden! Daß ein Staat unter solchen Verhältnissen dahinsiechen muß, ist ein-
leuchtend. Nicht genug damit, besaß der Adel noch ein ebenso verhängnisvolles, in:
modernen Staatsleben absonderlich anmutendes Recht, nämlich das der „Kon-
föderation", wodurch gewissermaßen die Revolution für gesetzlich erklärt war. Zur
Erreichung besonderer Zwecke vereinigte sich der Adel, teilweise oder gänzlich;
während dieser Periode ging die gesamte Staatsgewalt gesetzlich auf die „Kon-
föderation" über. Die Gegner bildeten häufig eine neue, eigene „Konföderation",
die sich die gleichen Rechte anmaßte. Wohin ein solches Chaos einer politisch un-
fähigen Nation notwendig führen mußte, bedarf wohl keiner näheren Erklärung.
In den Händen eines so gearteten Adels lag die Königswahl der „Adels-
republik"! Daß die Wahlbestimmungen und Bedingungen vor allein dahin
zielten, diesen: seine Vorrechte in erster Linie
zu gewährleisten, ist selbstverständlich. Nach
dem Aussterben der Könige aus den: Stamme
der Jagellonen im Jahre 1572, die, weil noch
ungefesselt durch diese einschnürenden Bestim-
mungen, Polen auf den Gipfel seiner Macht
gebracht hatten, begann der Verfall des
Reiches. Unaufhaltsam trieb das Reich seiner
Auflösung entgegen, als August III. im
Jahre 1763 gestorben war und die Wahl
eines neuen Königs in Frage kau:.
Die aufblühenden Nachbarreiche, Rußland,
Preußen und Österreich, nahmen an der
Thronbesetzung jetzt einen ausschlaggebenden
Anteil; ein jeder hatte ein Interesse daran,
Polen nicht dein anderen Zufällen und es
auch nicht erstarken zu lassen. Friedrich II.
von Preußen hatte bereits mit dem Zaren
Peter II1. eine:: dahingehenden Vertrag ge-
schlossen und auch nut Katharina II. ähnliche
Vereinbarungen getroffen. Die Zarii: setzte
nun mit Gewalt und Bestechungen die Wahl
des Grafen Stanislaus August Poniatowski
durch, eines ihrer früheren Günstlinge und
eines gefügigen Werkzeuges in ihrer Hand.
Unter dein Namen Stanislaus II. August be-
stieg er am 7. September 1764 deu Throu; er
war der letzte König voi: Polen. Auch ein
willensstärkerer Man::, als er es war, würde
es nicht vermocht haben, unter den bestehen-
den Verhältnissen den Untergang seines
Vaterlandes zu verhüten. Und willensstark
war der im Jahre 1732 geborene König durch-
aus nicht. Er war ein liebenswürdiger und
über den damaligen Durchschnitt gebildeter
Pole, der seine staatsmännischen Fehler und
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Hans Kohlschein. Friedrich der Grosze im Nchedistrikt.
Friedrich der Große und die erste Teilung Polens. Von R. Reinke.
ch habe dieses Preußen gesehen, das ich gewissermaßen aus Ihrer Hand
empfangen habe. Es ist eine sehr gute und sehr vorteilhafte Erwerbung,
__sowohl was die politische Lage des Staates als die Finanzen anlangt," so
chreibt Friedrich der Große am 12. Juni 1772 an seinen Bruder, den Prinzen
Heinrich, der von ihm an den Petersburger Hof gesandt war, um dort die
Interessen Preußens in Polen zu wahren, eine Aufgabe, die er mit gutem Ge-
schick gelöst hat. Dem großer: König ist öfters nachgesagt worden, daß vor
allem seine Politik zur ersten Teilung Polens, die an sich keinen Lichtblick im
Völkerleben darstellt, geführt habe. Er selbst verwahrt sich entschieden dagegen,
so auch in einem Briefe an Voltaire; auch die Geschichtsforschung ist zu einem
anderen Urteil gelangt über diese Umwälzungen, die wohl im Interesse der
Staatsräson der beteiligten Mächte lagen,
aber ein dunkler Punkt in der Geschichte sind,
so wenig Mitgefühl an sich das polnische Volk
jener Zeit verdient.
Einig in diesem letzteren Urteil sind sich
alle Geschichtschreiber..Die polnische Nation
war um jene Zeitwende wohl auf ihrem
Tiefstand angelangt. In staatlicher wie in
wirtschaftlicher Hinsicht herrschte im Polen des
achtzehntenJahrhunderts eine Versumpfung,
wie sie so leicht nicht ihresgleichen findet. Sie
erhält ihre Erklärung in der Übermacht und
in dem unheilvollen Einfluß des Adels, der
allein den sprichwörtlich gewordenen polni¬
schen Reichstag bildete, sprichwörtlich durch
die grenzenlose Unordnung und Zerfahrenheit
infolge der Eifersüchtelei der Parteien. Das
verhängnisvolle Recht des „liberum votoo",
das freie Einspruchsrecht des einzelnen Reichs¬
tagsmitglieds, in selbstsüchtiger Verblendung
von ihnen selbst als das „Palladium" Polens
bezeichnet, war es, das ein gedeihliches
Arbeiten der gesetzgebenden Körperschaft un¬
möglich machte. Durch den Einspruch eines
einzigen Reichstagmitgliedes, durch sein
„wie pMvolam" -—ich gestatte nicht —- wurde
nicht nur der jeweilige Reichstag aufgelöst,
„zerrissen", wie der Ausdruck lautete, sondern
auch sämtliche, vorher von ihm gefaßten Be¬
schlüsse wurden ebenfalls ungültig. Zum
ersten Male machte im Jahre 1652 der Land¬
bote Sicinski von diesem folgenschweren Recht
Gebrauch; er fand schnell Nachahmer, und bis
zum Jahre 1764 sind von den in dieser Zeit
abgehaltenen fünfundfünfzig Reichstagen
nicht weniger als achtundvierzig zerrissen
worden! Daß ein Staat unter solchen Verhältnissen dahinsiechen muß, ist ein-
leuchtend. Nicht genug damit, besaß der Adel noch ein ebenso verhängnisvolles, in:
modernen Staatsleben absonderlich anmutendes Recht, nämlich das der „Kon-
föderation", wodurch gewissermaßen die Revolution für gesetzlich erklärt war. Zur
Erreichung besonderer Zwecke vereinigte sich der Adel, teilweise oder gänzlich;
während dieser Periode ging die gesamte Staatsgewalt gesetzlich auf die „Kon-
föderation" über. Die Gegner bildeten häufig eine neue, eigene „Konföderation",
die sich die gleichen Rechte anmaßte. Wohin ein solches Chaos einer politisch un-
fähigen Nation notwendig führen mußte, bedarf wohl keiner näheren Erklärung.
In den Händen eines so gearteten Adels lag die Königswahl der „Adels-
republik"! Daß die Wahlbestimmungen und Bedingungen vor allein dahin
zielten, diesen: seine Vorrechte in erster Linie
zu gewährleisten, ist selbstverständlich. Nach
dem Aussterben der Könige aus den: Stamme
der Jagellonen im Jahre 1572, die, weil noch
ungefesselt durch diese einschnürenden Bestim-
mungen, Polen auf den Gipfel seiner Macht
gebracht hatten, begann der Verfall des
Reiches. Unaufhaltsam trieb das Reich seiner
Auflösung entgegen, als August III. im
Jahre 1763 gestorben war und die Wahl
eines neuen Königs in Frage kau:.
Die aufblühenden Nachbarreiche, Rußland,
Preußen und Österreich, nahmen an der
Thronbesetzung jetzt einen ausschlaggebenden
Anteil; ein jeder hatte ein Interesse daran,
Polen nicht dein anderen Zufällen und es
auch nicht erstarken zu lassen. Friedrich II.
von Preußen hatte bereits mit dem Zaren
Peter II1. eine:: dahingehenden Vertrag ge-
schlossen und auch nut Katharina II. ähnliche
Vereinbarungen getroffen. Die Zarii: setzte
nun mit Gewalt und Bestechungen die Wahl
des Grafen Stanislaus August Poniatowski
durch, eines ihrer früheren Günstlinge und
eines gefügigen Werkzeuges in ihrer Hand.
Unter dein Namen Stanislaus II. August be-
stieg er am 7. September 1764 deu Throu; er
war der letzte König voi: Polen. Auch ein
willensstärkerer Man::, als er es war, würde
es nicht vermocht haben, unter den bestehen-
den Verhältnissen den Untergang seines
Vaterlandes zu verhüten. Und willensstark
war der im Jahre 1732 geborene König durch-
aus nicht. Er war ein liebenswürdiger und
über den damaligen Durchschnitt gebildeter
Pole, der seine staatsmännischen Fehler und